Thunfischfang und Thunfischgerichte — Erzählungen und Tatsachen
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Ecuador
WAS hörst du gewöhnlich lieber, eine Geschichte oder Tatsachen? Und wie wäre es mit beidem? So könnte sich zum Beispiel der Herr des Hauses einige Erzählungen über den Thunfischfang anhören, während es für seine bessere Hälfte, die den Fisch schließlich zubereiten muß, aufschlußreich sein dürfte, einige interessante Tatsachen über Fischgerichte zu erfahren.
Die ecuadorianische Hafenstadt Manta am Südpazifik ist als das südamerikanische Zentrum des Thunfischfangs bekannt. Im Moment kann ich sehen, wie eine Anzahl von Thunfischfangschiffen im Hafen vor Anker liegt. Ich befinde mich tatsächlich an einem Ort, der geradezu ideal ist, um aus erster Hand Informationen zu beziehen, und zwar von den Männern, die wirklich bei dieser Art des Fischfangs mitwirken.
Wußtest du zum Beispiel, daß Thunfische ganz unterschiedlich in der Größe sein können? Von einem Vertreter dieser Familie der Fische weiß man, daß er ein Gewicht von mehr als 700 Kilo erreichte! Es ist daher nicht verwunderlich, daß hiesige Fischer ihn als „Roßmakrele“ bezeichnen. Der Bonito begnügt sich jedoch mit einem Durchschnittsgewicht von bescheidenen 4,5 bis 7 Kilo.
Die Berufsfischer sind hauptsächlich an zwei Arten interessiert — dem Bonito und dem Gelbflossen-Thunfisch. Der Gelbflossen-Thunfisch ist der größere von beiden und kann ein Gewicht von 50 Kilo erreichen. Bei der Konservenherstellung wird er im allgemeinen bevorzugt, weil er einen größeren Anteil an weißem Fleisch hat. Die hiesigen Fischer sagen aber alle, daß ihre Vorliebe dem kleineren Thunfisch gilt, da er viel mehr Aroma hat und nicht so trocken und geschmacklos ist wie der größere Fisch.
Der Thunfischfang
Ich sprach hier mit einem freundlichen Kapitän jugoslawischer Abstammung. Da er seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren diesen Bereich der Pazifikküste befuhr, war er in der Lage, höchst interessante Auskünfte zu erteilen, die sich auf persönliche Erfahrungen gründeten. Als erstes geriet ich ins Staunen, als er mir erzählte, wie man einen Thunfischschwarm ausfindig macht. „Wenn wir auf die Suche gehen“, erläuterte der Kapitän, „hält sich ein Mann von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends oben in dem Ausguck an der Spitze des Mastes auf. Er muß über ein ausgezeichnetes Sehvermögen verfügen, da unser Erfolg von seiner Fähigkeit, die Fische auszumachen, abhängt. In Wirklichkeit hält er nach einer Schar von Seevögeln Ausschau. Sie müssen verstehen, der Thunfisch macht dasselbe wie wir. Er sucht nach Nahrung. Haben wir einmal die richtige Wassertemperatur und den kleinen Beutefisch, von dem sich der Thunfisch ernährt, gefunden, dann ist uns ein guter Fang sicher.“
„Aber was haben die Vögel damit zu tun?“ fragte ich.
„Ich möchte Ihnen einmal eine Szene schildern, die für die ,Mahlzeit‘ dieser Fische typisch ist“, erwiderte der Kapitän. „Der Mann im Aussichtsturm sichtet in weiter Entfernung eine Schar von Vögeln, die ständig hin und her fliegen und zur Wasserfläche hinabschießen. Nachdem wir etwas näher herangekommen sind, können wir sehen, daß diese großen Fische wie wild durch das Wasser peitschen; Tausende von Beutefischen springen aus dem Wasser, um den Thunfischen zu entkommen. Währenddessen schießen die Fregattvögel zur Wasserfläche hinab und versuchen, im Fluge eine Mahlzeit zu erhaschen.“
Glaube mir, als ich so der lebendigen Schilderung des Kapitäns lauschte, die er noch mit seinen ausdrucksvollen Gesten unterstrich, da war ich auf einmal von dem Wunsch beseelt, mit auf Fischfang zu gehen!
Geschicklichkeit und Erfahrung erforderlich
Hier in Manta erfuhr ich, daß man sich beim Thunfischfang zweier verschiedener Methoden bedient. Wenn die Fischer ein Schiff mit Ködern einsetzen, dann fangen sie sofort mit dem Fischen an. Es handelt sich dabei um ein Schiff, das mit Lebendködern beladen ist. Diese Köder werfen sie dann in den Thunfischschwarm, damit er dicht unter der Wasseroberfläche und in der Nähe des Schiffes bleibt. Gleichzeitig wirft die Mannschaft kurze Leinen aus, an denen Blinker befestigt sind. Die Thunfische halten die Blinker für kleine Fische, beißen an und werden dann mit einem Ruck herausgezogen und in das Schiff geschleudert. Dies geschieht so lange, bis die Thunfische entweder verschwinden oder das Schiff voll ist.
Man verwendet aber auch Schiffe, die mit langen beutelförmigen Zugnetzen ausgerüstet sind, in denen die Fische gefangen werden. Diese Methode erfordert große Geschicklichkeit, gutes Urteilsvermögen und viel Erfahrung. Bevor man das Netz auswirft, muß jemand, der einen geschulten Blick hat, den Thunfischschwarm überschauen und sich über einige wichtige Fragen klarwerden: Wie umfangreich ist er? Beläuft sich sein Gewicht auf 30, 60 oder 100 Tonnen? Das ist sehr entscheidend, denn ein überladenes Schiff oder Netz kann den Verlust von Menschenleben oder einer teuren Ausrüstung bedeuten.
Ist man einmal zu dem Schluß gekommen, daß die Mannschaft und das Schiff es mit einem bestimmten Schwarm aufnehmen können, dann läßt man ein kleineres Motorschiff ins Wasser, an dem das Ende eines Netzes mit einer durchschnittlichen Länge von 500 Metern und einer durchschnittlichen Tiefe von 55 Metern befestigt wird. Während das Motorschiff den Schwarm in großem Bogen umschifft, zieht es gleichzeitig das Netz auf seine volle Länge aus. Daraufhin wird das andere Ende des Netzes am Mutterschiff befestigt. Jetzt werden Motorwinden eingesetzt, die beide Enden des Netzes hochhieven. Von diesem Zeitpunkt an kann eine ganze Reihe von Überraschungen eintreten.
Wenn ein Ende zu schnell eingeholt wird, kann sich das Netz drehen, und der ganze Fang geht verloren. Wenn das Wasser sehr klar ist, sehen die Thunfische möglicherweise das Netz und unterschwimmen es. Aus diesem Grund bevorzugen die Fischer gewöhnlich leicht getrübtes Wasser. Aber ein Fischer sagte, er habe einige Male erlebt, daß die Fische auch bei sehr klarem Wasser das Netz nicht unterschwommen haben. Aus welchem Grund? In diesen Fällen befand sich darunter eine Schicht kaltes Wasser, und die Thunfische wollten nicht in diese Schicht schwimmen, nur um unter dem Netz hinweg zu entkommen.
Manchmal reißen Haie, die sich in der Nähe aufhalten, Löcher in das Netz, und dadurch kann ein großer Teil des Fangs verlorengehen. Das kommt vor, wenn ein Fisch sich im Netz verfängt. Dann taucht plötzlich ein Hai auf, schnappt nach dem Fisch und reißt dabei das Netz auf. Ein anderer erfahrener Fischer erzählte mir, daß die Haie anscheinend am Geschmack von Nylonnetzen Gefallen finden, da sie oft Löcher in das Netz beißen, ohne daß ein augenscheinlicher Grund vorliegt.
Aber oft werden Haie zusammen mit den Thunfischen im Netz eingefangen. Was geschieht dann? Im allgemeinen werden sie als Teil der Beute mit hochgezogen. Überraschenderweise sagen einige, die Haie seien nicht gefährlich, solange sie sich innerhalb des Netzes befänden. Es wurde verschiedentlich von Vorfällen berichtet, bei denen Leute von der Mannschaft tauchen mußten, um einen Riß im Netz zu reparieren, wobei sie sich immer im inneren Bereich des Netzes aufhielten. Als man später die Beute einholte, stellte man fest, daß sich große Haie darunter befanden.
Ein Fischer erklärte das so: „Wissen Sie, wenn der Hai merkt, daß er in einem Netz gefangen ist, hat er nur e i n e Absicht, nämlich herauszukommen. Deshalb schwimmt er ständig auf und ab, um einen Weg ins Freie zu finden. Ich hätte keine Angst davor, in der Nähe von einem halben Dutzend Haien zu schwimmen, die sich in einem Netz befinden. Aber“, fügte er eilig hinzu, „ich würde das nicht im offenen Wasser tun!“
Etwas Gefährlicheres als Haie
In dem Augenblick, in dem der Fang eingeholt wird, gibt es etwas, was möglicherweise gefährlicher sein kann als ein Hai — hoher Seegang und das enorme Gewicht des Fangs. Bei einem Gewicht von 60 bis 100 Tonnen ist äußerste Wachsamkeit erforderlich.
Ein Fischer erklärte es folgendermaßen: „Sobald das Netz kleiner wird, haben die Fische nicht mehr genügend Platz. Sie geraten in Panik und versuchen fortzuschwimmen. Und was für ein Zug dadurch ausgeübt wird! Haben Sie jemals erlebt, mit welchem Ruck ein großer Fisch an der Angelschnur zieht? Dann malen Sie sich einmal aus, was es bedeutet, wenn gleichzeitig 3 000 bis 4 000 Fische am Netz und damit auch am Schiff ziehen!“ Er erinnert sich an einen Vorfall, bei dem ein anderer Kapitän die Lage falsch einschätzte und einen Thunfischschwarm einkreiste, der für sein Schiff zu groß war. Plötzlich gingen die Fische durch. Das Heck des Schiffes begann zu sinken. Im selben Moment gaben aber die Taue, die das Netz hielten, unter der Belastung nach. Sowohl die Fische als auch das Netz, das Tausende von Dollar gekostet hatte, verschwanden und wurden nie wieder gesehen. Das war eine teure Lektion, aber es hätte ihnen das Leben kosten können.
Auch hoher Seegang ist gefährlich, besonders während die Beute aus dem Wasser gezogen wird. Da das Schiff auf der Oberfläche schwimmt, wird es von einer großen Welle einige Meter angehoben, aber der Fang verharrt im Wasser weitgehend in gleichbleibender Höhe. Man kann sich leicht vorstellen, welche zusätzliche Belastung in diesem Moment auf die Ausrüstung zukommt. Zur Bekräftigung deutete der Kapitän auf sein Schiff, auf dem gerade ein großer Ausleger repariert wurde. „Dieses Teil brach wie ein Streichholz, als eine solche Welle heranrollte.“ Aber er versicherte mir dann: „Glücklicherweise wurde niemand verletzt, und wir konnten unseren Fang mit Hilfe eines Ersatzauslegers einholen.“
Nachdem das Einholen des Fangs erfolgreich beendet ist, werden die Fische schnell durch die Luke hindurch auf Eis oder in kaltes Salzwasser gelegt, und die ermüdete, aber glückliche Mannschaft hält Kurs auf die weiterverarbeitende Fabrik.
Tatsachen über Fischgerichte
Wenn die Fische in der Thunfischkonservenfabrik ankommen, werden sie der Größe nach sortiert und anschließend gereinigt und in Wasserdampf gekocht. Dadurch wird gewährleistet, daß die Fische gleichmäßig gar werden, denn die größeren Fische kochen länger als die kleineren. Nach dem Kochen läßt man die Fische über Nacht abkühlen. Anschließend kann man die Haut abziehen, und das Fleisch läßt sich mühelos von den Knochen abheben. Als nächstes passiert es eine Reihe von scharfen Messern, die den Fisch in konservengerechte Stücke schneiden. Die kompakten Stücke — man nennt sie hier lomitos — werden zu einem höheren Preis verkauft. Die kleineren Reststücke werden als rayado, was gemahlener Thunfisch bedeutet, konserviert.
Über den Nährwert dieses Fisches, den man auch als „Huhn des Meeres“ bezeichnen könnte, gibt es einige interessante Tatsachen zu berichten, die dir vielleicht neu sind. Man sagt, daß 80 Prozent der Nährstoffe des konservierten Thunfischs vom menschlichen Körper verwertet werden können. Der Gewichtsanteil des Eiweißes ist viel höher als bei den üblichen Fleischsorten wie Rind-, Lamm- und Schweinefleisch. Zugleich ist sein Kaloriengehalt wesentlich geringer, besonders nachdem er entölt oder in Wasser konserviert worden ist. Auch sind gemäß der Meinung von Ernährungsexperten die Salzwasserfische — und damit auch der Thunfisch — gute Jodlieferanten.
Vielleicht hast du nach diesem Gespräch über den Thunfisch Appetit bekommen. Für diesen Fall haben wir hier ein Rezept für einen Thunfischsalat, der schnell zubereitet werden kann: Nimm eine Dose mit entöltem und zerlegtem Thunfisch. Gib eine halbe Tasse gehackten Sellerie hinzu, ferner einen Eßlöffel Zitronensaft und eine viertel Tasse gehackte süße Gurken, und mische das alles mit einer drittel Tasse Salatsoße. Du kannst es entweder auf einem festen Salatblatt oder, falls du es vorziehst, auf einer Scheibe Toast servieren.
Für viele ist Thunfisch mit Cremesoße die Lieblingsspeise. Damit die Mahlzeit für zwei Personen ausreicht, läßt man zwei Eßlöffel Butter oder Margarine in einem Kochtopf zergehen. Gib dann zwei Eßlöffel Mehl dazu, und rühre gut um, um Klumpen zu vermeiden. Nachdem du noch einen halben Teelöffel Salz hinzugefügt hast, kannst du alles in einer Tasse Milch verrühren. Sobald die Soße dickflüssig wird, gibst du eine Dose entölten und zerlegten Thunfisch dazu. Dieser Thunfisch mit Cremesoße kann jetzt auf Kartoffelbrei, Reis, Nudeln oder Toast serviert werden.
Die Küstenbewohner bevorzugen natürlich frischen Thunfisch, da er für sie leicht erhältlich ist. Eine einheimische Leibspeise hier in Ecuador heißt atún apanado, was panierter Thunfisch bedeutet. Der Fisch wird in dünne Streifen geschnitten, damit er schnell brät. Anschließend wird er in einen Teig aus Mehl, Eiern und Brotkrumen eingetunkt. Salz und Pfeffer werden je nach Wunsch zugegeben. Serviere ihn dann kochend heiß aus der Bratpfanne, und beträufle ihn mit etwas Zitronensaft. Zur Abwechslung kann man Thunfisch auch im Ganzen backen. Gib nach der halben Backzeit eine pikante Soße hinzu, bestehend aus Mehl, Milch, Butter, Salz und Pfeffer. Löse darin zwei Würfel Hühnerbrühe auf, und vermenge es mit einer kleinen Dose Pilze. Du wirst sehen, das schmeckt wirklich köstlich!
Es gibt eine Vielfalt weiterer Zubereitungsmöglichkeiten, zum Beispiel Thunfischauflauf, Thunfischpastetchen und sogar Thunfischfondue.
Es sind auch einige ernüchternde Tatsachen über die künftigen Bestände dieses wertvollen Fisches ans Tageslicht gekommen. Hier an der Pazifikküste, die von Kanada bis Peru reicht, gibt es schätzungsweise mehr als 300 Thunfischfangschiffe. Einige kommen sogar von Spanien, den Niederlanden und Japan, um nach Thunfisch zu suchen. Obwohl die Fangergebnisse sich kaum geändert haben, gibt es andere Faktoren, die andeuten, daß die Bestände nicht so üppig sind wie früher. Da es zum Beispiel mehr und größere Schiffe gibt, überrascht es nicht, daß der Fang so groß wie ehedem, wenn nicht sogar noch größer, ist. Die durchschnittliche Dauer der Fangfahrten wird aber fortlaufend größer, wodurch es sich in zunehmendem Maße als schwierig erweist, die Fische aufzuspüren. Die internationalen Debatten über Fischfanggesetze, etwas, was vor Jahren eine Seltenheit war, sind ebenfalls eine Bestätigung für die steigende Nachfrage und das sinkende Angebot.
Der Erzählung des Thunfischfischers scheint somit keine glückliche Zukunft beschieden zu sein, zumindest nicht vom gegenwärtigen Standpunkt aus betrachtet. Die Lösung für sein Problem und andere dringende Probleme bildet ein Thema, das wir bei einer anderen Gelegenheit erörtern müssen. Dazu wird es nötig sein, nach Manta in Ecuador zurückzukommen, denn dieser Ort wird ein wichtiges Zentrum für Tatsachen und Informationen über das Thunfischgewerbe bleiben.