Was ist aus dem Rhein geworden?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland
IM Jahre 1949 schwamm ich zum letzten Mal im Rhein. Als ich aus dem Wasser war, bereitete es mir beträchtliche Mühe, den Schmutz abzuwaschen, der an mir haftete. In den achtundzwanzig Jahren, die seither vergangen sind, stand ich oft am Ufer dieses großen Flusses und dachte an meine lange zurückliegende Kindheit, als das Rheinwasser sauber war und sich während der Sommerferien die Kinder am Ufer tummelten.
Das ist freilich nicht mehr der Fall. Heute bezeichnen einige Leute den Rhein als „die Kloake Europas“. Soweit ich mich erinnern kann, nahm die Verschmutzung dieses Flusses in den dreißiger Jahren ihren Anfang. Zu dieser Zeit machte in Deutschland die Industrialisierung große Fortschritte. Obwohl die meisten Deutschen aus der Industrie in einem gewissen Maße Nutzen gezogen haben, war deren Auswirkung auf den Rhein und andere Gewässer tragisch.
Ein natürlicher Kreislauf wird zerstört
Worauf ist diese Situation zurückzuführen? Im Grunde genommen sind die naturgesetzlichen Ursachen einfach. Unter normalen Umständen sorgt ein wunderbarer natürlicher Kreislauf für die „Selbstreinigung“ der Flüsse. Der Kreislauf beginnt damit, daß aerobe Bakterien im Wasser Sauerstoff verbrauchen, um organische Abfallstoffe in chemische Stoffe zu zerlegen, die den Algen als Nährstoffe dienen. Kleinlebewesen, deren Gesamtheit man als Zooplankton bezeichnet, fressen die Algen. Kleine Fische verzehren das Zooplankton. Als nächstes fressen große Fische die kleinen Fische. Nach dem Tod der großen Fische setzt der Kreislauf durch die aeroben Bakterien erneut ein. Dieser Vorgang umfaßt sowohl natürliche Abfallstoffe, wie zum Beispiel tote Fische, als auch einen Großteil von dem, was der Mensch ins Wasser fließen läßt.
Aber was geschieht, wenn Fabriken unangemessen große Mengen Abfallstoffe in die Flüsse kippen? Dadurch wird bewirkt, daß die aeroben Bakterien besonders angestrengt arbeiten müssen in dem Bestreben, diese Stoffe entweder in Nährstoffe oder andere für Wasserlebewesen unschädliche Stoffe zu zerlegen. Aufgrund der zusätzlichen Belastung verbrauchen diese Bakterien mehr Sauerstoff, als dem Fluß auf natürlichem Wege zugeführt wird. Außerdem bestehen Zehntausende von Tonnen an Abfallstoffen, die täglich in den Rhein fließen, aus Chemikalien, die nicht von Bakterien abgebaut werden können. Wegen dieser Faktoren beginnt der Selbstreinigungskreislauf zusammenzubrechen. Das Wasser wird in zunehmendem Maße schmutziger, und Tiere und Pflanzen sterben.
Traurigerweise ist das seit mehr als vier Jahrzehnten das Schicksal des Rheins. Zum Beispiel befindet sich Europas größte chemische Fabrik in Ludwigshafen am Rhein. Nach eigenen Angaben fielen in dieser Fabrik im Jahre 1973 ungefähr 240 Millionen Kubikmeter Abwasser an. Jetzt sind es fast 255 Millionen Kubikmeter. Außerdem befördert der Rhein täglich drei Tonnen Arsen, 450 Kilogramm Quecksilber, 60 000 Tonnen Salze von Kalibergwerken und große Mengen anderer giftiger Stoffe in das Meer.
Bemühungen, den Fluß zu reinigen
Man muß unbedingt der Verschmutzung des Rheins entgegenarbeiten. Rund 20 Millionen Menschen beziehen ihr Trinkwasser als Uferfiltrat aus dem Rhein, und nochmals ungefähr 15 Milliarden Kubikmeter werden jährlich dem Rhein direkt als Brauchwasser für die Industrie entnommen. Gibt es eine Möglichkeit, die Sauberkeit des Rheinwassers zu verbessern?
Man hat ziemlich gute Ergebnisse mit Hilfe von Kläranlagen erzielt. Darin werden die Abfallstoffe umgewandelt, bevor man sie in den Fluß fließen läßt. Bei einem bestimmten Vorgang werden die Abfallstoffe in Absetzanlagen geleitet, die dafür sorgen, daß sich schwere anorganische Bestandteile, wie zum Beispiel Sand und Kiesel, absetzen können.
Das Abwasser fließt daraufhin in ein großes Becken, dem Luft zugeführt wird. Dadurch können die aeroben Bakterien gedeihen. Diese Mischung strömt in ein Belüftungsbecken, in das mehr Druckluft gepumpt wird. In diesem Stadium führt man „Belebtschlamm“ zu, der aus festen Rückständen der vorher umgewandelten Abfallstoffe besteht. Diese Masse enthält zusätzliche große Mengen an aeroben Bakterien, die die im Abwasser schwebenden Stoffe „verdauen“.
Im nächsten Stadium fließt das Gemisch in ein Klärbecken, in dem die verarbeiteten Schwebestoffe zu Boden sinken. Diese mit aeroben Bakterien beschwerten Schwebestoffe bilden den Belebtschlamm. Man räumt ihn vom Boden des Klärbeckens ab. Die Flüssigkeit, die aus diesem Becken herausfließt, erfährt dann eine chemische Umwandlung, bei der sie von allen gefährlichen Bakterien befreit wird. Sie kann anschließend in den Fluß geleitet werden, ohne daß eine Verschmutzung bewirkt wird. Wie bereits erwähnt, wird ein Teil des Belebtschlammes aus dem Klärbecken in das Belüftungsbecken geführt, um den Abbau des neu hinzugekommenen Abwassers zu beschleunigen.
Einen anderen Vorgang zur Umwandlung von Abwasser bezeichnen einige als „Tropfkörperverfahren“. Dabei rieseln die aus einem Becken fließenden Abfallstoffe über ein Filter, das aus Gesteinsbrocken oder Schlacke besteht. Dieses Filter dient nicht als Sieb. Statt dessen bildet es eine Oberfläche, auf der aerobe Bakterien gedeihen können. Während das Abwasser über das Filter läuft, bewirken die Bakterien den Abbau der organischen Abfallstoffe.
Hindernisse, die den Fortschritt hemmen
Niemand erwartet, daß durch diese Methoden der Abwasserumwandlung die ursprüngliche Sauberkeit des Rheins wiederhergestellt wird. Eine hundertprozentige Reinigung der Abwässer ist viel zu kostspielig, um in Betracht gezogen zu werden. Deshalb reinigt die Kläranlage der chemischen Werke bei Ludwigshafen die Abwässer nur teilweise. Dennoch kostete die Errichtung der Anlage 450 Millionen DM. Zusätzlich entstehen jedes Jahr 70 Millionen DM Betriebskosten, wobei der Energieverbrauch dem einer Stadt mit 50 000 Einwohnern entspricht.
Obwohl überschüssiger Belebtschlamm als Dünger verwendet werden und damit einem nützlichen Zweck dienen kann, verursacht dessen Beseitigung zusätzliche Ausgaben. Wahrscheinlich sind wenige Leute für den Kostenaufwand zu begeistern, den eine umfassende Umwandlung der Abwässer erfordert.
Und wie steht es mit der täglichen Beseitigung von Zehntausenden von Tonnen chemischer Abfallstoffe, die nicht biologisch abgebaut werden können? Besonders störend sind bestimmte Waschmittel. Sie bewirken, daß auf der Wasseroberfläche Schaumberge entstehen, die sich lange Zeit halten. Obwohl der Schaum schließlich verschwindet, bleibt das Waschmittel als giftige Verunreinigung bestehen. Ein weiterer „Missetäter“ ist das Öl. Hat es einmal in ein Gewässer Eingang gefunden, ist es schwer daraus zu entfernen. Manchmal sickert es ins Trinkwasser und macht es dadurch unbrauchbar.
Wegen der hohen Kosten und anderer Schwierigkeiten meinen viele, daß man die Verschmutzung des Rheins am besten einschränken kann, indem man weniger Abfallstoffe hineinfließen läßt. Es besteht jedoch keine Hoffnung, daß nennenswerte Fortschritte in dieser Richtung sichtbar werden. Wieso? Weil das erfordern würde, daß viele ihren Lebensstandard herabsetzen. Leider nehmen die meisten lieber ein verschmutztes Wasser in Kauf, als daß sie die modernen Annehmlichkeiten aufgeben, die die Industrie bietet. Außerdem sind Kaufleute, die den wirtschaftlichen Profit als das wichtigste Ziel in ihrem Leben betrachten, darauf bedacht, Bemühungen zu widerstehen, die darauf hinauslaufen, die Produktion der Industrie zu verringern.
Die Verschmutzung des Rheins ist lediglich ein weiterer Beweis für die Selbstsucht und Gier des Menschen. Die Lösung dieses und anderer Weltprobleme kann nur von dem allmächtigen Gott kommen, wenn er ‘die verdirbt, die die Erde verderben’ (Offb. 11:18).
[Karte auf Seite 25]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
NIEDERLANDE
BELGIEN
BRD
Rhein
LIECHTENSTEIN
SCHWEIZ
FRANKREICH
ITALIEN