Der Hirsch — ein edles, anmutiges Tier
DER Hirsch ist ein außergewöhnlich edles und anmutiges Tier mit großen, sanften Augen. Seine kurzen, dicht anliegenden Fellhaare tragen zu seinem schlanken, schönen Aussehen bei. Niemals wirkt dieses zierlich gebaute langbeinige Tier linkisch oder fehl am Platz.
Das Merkmal, durch das sich der Hirsch von anderen Wiederkäuern unterscheidet, ist das Geweih. In der Regel trägt nur der Hirsch (das männliche Tier) diesen Kopfschmuck. Eine Ausnahme bildet allerdings das Ren. Bei ihm tragen beide Geschlechter ein Geweih. Das Moschustier und das Wasserreh dagegen sind geweihlos.
Das Geweih ist, im Gegensatz zu Hörnern, die aus harten Hautschichten bestehen, ein knöchernes Gebilde. Die Hirsche der gemäßigten Zone werfen ihr Geweih im Winter (meist im Hornung, wie man deswegen den Februar früher nannte) ab, und im Frühsommer beginnt das neue zu wachsen. In den Tropen kann das zu einer anderen Zeit des Jahres geschehen.
Das neue Geweih ist weich und mit einer dünnen, aber kräftig durchbluteten Haut überzogen, die kurze, feine Haare trägt. Diese Haut wird „Bast“ genannt. Wenn die Geweihstangen fertig ausgebildet sind, läßt die Blutzufuhr nach, und die Haut trocknet ein. Darauf „fegt“ der Hirsch sie ab, indem er das Geweih gegen den Boden oder gegen junge Bäume und Äste schlägt.
Je jünger der Hirsch, desto kürzer und kleiner das Geweih. Wenn der Hirsch ein bis zwei Jahre alt ist, zeigen sich bei ihm die Geweihstangen.
Welchem Zweck dient das Geweih? Viele Naturforscher vertreten den Standpunkt, daß der Hirsch das Geweih hauptsächlich als Waffe für den Kampf mit seinen männlichen Artgenossen um die „Tiere“ (Weibchen) braucht, ferner, daß es für die Erkennung des Ranges, in dem der Hirsch steht, eine Rolle spielt. Hirsche jedoch, die kein Geweih tragen, können dennoch mit Leichtigkeit jüngeren Tieren verständlich machen, daß sie der Ranghöhere sind. Außerdem hat man beobachtet, daß das Geweih bei harten Kämpfen keine entscheidende Rolle spielt. Man schließt daraus, daß das Geweih des Hirsches auch einem anderen Zweck dienen könnte.
In dem Werk The International Wildlife Encyclopedia wird eine neue Theorie wie folgt beschrieben: „Man hat beobachtet, daß der Rothirsch im Sommer unter der Hitze leidet. Er zieht nachts auf Äsung und bringt ziemlich viel Zeit mit Suhlen zu. Stonehouse vertritt die Theorie, daß das Geweih im Sommer Wärme abstrahlt, da der Bast kräftig durchblutet wird, und Messungen zeigen, daß die Temperatur der Geweihoberfläche steigt, wenn der Hirsch in Bewegung ist. Im Sommer, wenn die Hirsche gute Äsung haben, legen sie eine dicke Fettschicht an, daher muß eine Möglichkeit vorhanden sein, Wärme abzustrahlen. Die Tiere [die Weibchen] brauchen nicht auf diese Weise Wärme abzustrahlen, da sie viel Kraft zum Austragen und Säugen des Jungen benötigen. Die Form des Geweihs ist sowohl zum Kämpfen als auch als Rangabzeichen nicht gerade gut geeignet. Somit bietet diese Theorie eine vernünftigere Erklärung für den Zweck des Geweihs, das erst in zweiter Linie eine Waffe und ein Rangabzeichen ist“ (Bd. 14, S. 1928).
Es ist erstaunlich, wie gut der Hirsch springen und rennen kann. Kräftige Schenkelmuskeln ermöglichen es ihm, gewaltige Sprünge zu machen und sehr schnell zu laufen. Der Maultierhirsch (ein Verwandter des in Nordamerika beheimateten Weißwedelhirschs) legt in einem Sprung mehr als 7 m zurück. Dieser Hirsch springt auch etwa 2,5 m hoch und rennt mit einer Geschwindigkeit von fast 60 km/st. Weißwedelhirsche können 12 m weit springen, und man nimmt an, daß manch ein Hirsch noch viel weiter springen kann.
Da der Hirsch so behende und anmutig ist, verwundert es einen nicht, daß die schöne Sulamith über den jungen Mann, den sie liebte, sagte: „Mein Liebster gleicht einer Gazelle oder dem Jungen der Hirsche.“ „Enteile, mein Liebster, und mache dich gleich einer Gazelle oder gleich einem Jungen der Hirsche“ (Hohesl. 2:9; 8:14).