Fehlernährung — die schleichende Krankheit
Vom „Awake!“-Korrespondenten auf den Philippinen
DER kleine Johannes bereitete seiner Mutter Sorgen. Er war für sein Alter zu klein und tobte nicht so herum wie die anderen Jungen. Statt dessen war er teilnahmslos und lustlos. Er war so dürr, daß es den Anschein hatte, man könnte alle seine Knochen zählen, und das, obwohl seine Mutter ihm alles zu essen gab, wonach er verlangte. Sein Haar war dünn, und er hatte Schwellungen an den Gliedmaßen. Schließlich ging sie mit ihm zum Arzt, der dann feststellte, daß er an einer der weltweit verbreiteten Krankheiten litt — der schleichenden Krankheit der Fehlernährung.
Eine im letzten Jahr durchgeführte Schätzung ergab, daß vielleicht ein Achtel der Menschheit an dieser Krankheit leidet, und die Vereinten Nationen ließen verlauten, daß gemäß Berichten 90 Millionen Kinder diese Krankheit in mäßiger bis schwerer Form haben, so wie das bei Johannes der Fall ist. Sicher ist die Fehlernährung ein großes Problem unseres zwanzigsten Jahrhunderts.
Die für Ernährung zuständige Behörde auf den Philippinen brachte vor kurzem eine Veröffentlichung heraus. Danach ist „Fehlernährung ein Zustand des Kränkelns, der auf den Mangel oder [wie bei Fettsucht] den Überfluß von wesentlichen Nährstoffen zurückzuführen ist, die der Körper benötigt“. Die meisten Leute wissen, daß die Nahrung verschiedene Bestandteile hat wie Eiweiß, Kohlehydrate und Vitamine, die für die Gesunderhaltung und das Wachstum notwendig sind. Stehen sie nicht in richtiger Menge zur Verfügung, kann das ernste Folgen haben, besonders bei Kindern, die noch in Wachstum begriffen sind.
Bei Kindern, wie zum Beispiel Johannes, kann Fehlernährung sichtbar werden durch Wachstumsstörungen, ständige Gewichtsverluste, schlechte geistige Leistungen und geringe Widerstandskraft gegen Infektionen, was zu Krankheiten wie Lungenentzündung und Tuberkulose führen kann. Bei Erwachsenen werden unter Umständen die geistige und körperliche Entwicklung und Produktivität, die Erfindungsgabe und Vorstellungskraft beeinträchtigt, oder sie müssen vorzeitig pensioniert werden. Andere Kennzeichen sind Kropf (Jodmangel), Blindheit (Mangel an Vitamin A) oder verringertes Durchhaltevermögen (Eisenmangel).
In einem vor kurzem von der Weltbank über die Wirtschaft des Landes veröffentlichten Bericht wurde die Schätzung angegeben, daß diese Krankheit die Philippinen jährlich etwa 540 000 000 Dollar kostet. Hier sind mehr als drei Millionen von den fast neun Millionen Kindern zwischen sechs Monaten und sechs Jahren in mittlerem bis schwerem Ausmaß von dieser Krankheit betroffen. Drei Viertel sind blutarm, und dieselbe Zahl leidet unter Vitamin-A-Mangel. Fünfzig Prozent aller jährlich registrierten Toten sind Kinder unter fünf Jahren, und die Hälfte von ihnen stirbt an Krankheiten, die durch Fehlernährung verschlimmert werden. Im ganzen Land erreicht weniger als ein Drittel aller Kinder die Körpergröße, die als normal angesehen wird.
Das Problem in den Griff bekommen
Viele Länder einschließlich der Philippinen unternehmen etwas dagegen. Hier auf den Philippinen wurde eine besondere Organisation gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die kleinen Städte und barrios (Dörfer) zu erreichen, um das Problem einzukreisen und zu lösen.
Was würdest du unternehmen, um herauszufinden, welche Einzelpersonen in einem Land mit einer Bevölkerung von zweiundvierzig Millionen an Fehlernährung leiden? Auf den Philippinen macht man es so: Man konzentriert sich auf die Kinder. Es wurde die Operation Timbang („Gewicht“) ins Leben gerufen, um möglichst viele Kinder im Vorschulalter zu untersuchen und auf diese Weise die Fehlernährung ausfindig zu machen. In einem typischen barrio litten 5 Prozent der Säuglinge, die bis zu sieben Monate alt waren, an einer Fehlernährung dritten Grades, 22 Prozent an einer zweiten Grades und 50 Prozent an einer ersten Grades. Nach dem zugrundegelegten Maßstab soll ein gut ernährtes Kind zwischen 91 und 110 Prozent seines Idealgewichts haben. Man sagt, ein Kind, das 76 bis 90 Prozent seines Idealgewichts habe, leide an einer Fehlernährung ersten Grades; zwischen 61 und 75 Prozent bedeute eine Fehlernährung zweiten Grades; 60 Prozent des Idealgewichts oder weniger werden als Anzeichen für eine Fehlernährung dritten Grades angesehen.
Man hat versucht, Kindern, die stark fehlernährt sind, durch Ernährungsprogramme oder Sofortbehandlungen zu helfen. Außerdem besteht ein Großprogramm, das auf die Beseitigung der Ursachen für Fehlernährung abzielt. Einem stark fehlernährten Kind wie Johannes kann durch ein vorübergehendes Unterstützungsprogramm geholfen werden, indem man ihm Nahrung gibt, die in der betreffenden Gegend wächst oder von ausländischen Organisationen gespendet wird. Seiner Mutter könnte man beibringen, wie sie ihn ernähren muß, damit er zunimmt und vor einem Rückfall bewahrt werden kann. Man erklärt ihr, daß sie ihm Nahrungsmittel geben muß wie Reis, Mais, Knollenpflanzen und Zucker, gekochten Fisch, getrockneten Fisch, mungo (ähnlich wie Linsen) oder andere Hülsenfrüchte und auch Speiseöl. Wenn es möglich ist, wird ein stark fehlernährtes Kind in ein Malward gebracht, eine Krankenhausstation, die eigens dafür geschaffen wurde, fehlernährte Kinder so lange zu behandeln, bis sie gesund sind. In manchen Fällen denken die Eltern, wenn die Regierung bei der Ernährung des Kindes behilflich sei, trügen sie keine Verantwortung mehr. Das Verantwortungsbewußtsein der Eltern zu fördern ist daher ein wichtiger Bestandteil dieses Programms.
Sich mit den Ursachen auseinandersetzen
Wahrscheinlich weitreichender ist die Bemühung, die Ursachen der Fehlernährung zu beseitigen. Eine davon ist Armut. Was kann man tun, wenn einfach nicht genügend Geld da ist, um die erforderlichen Nahrungsmittel einzukaufen?
Um das Problem zu untersuchen, stellten Forscher für das Gebiet der Bikol (Philippinen) einen Computer auf. Sie fütterten ihn mit allen Daten über die Nahrungsmittel jenes Gebiets und errechneten, welche Nahrungszusammenstellung für eine sechsköpfige Familie ausreicht und am preiswertesten ist. Aber der Durchschnittsbürger mit dem Durchschnittsverdienst dieser Gegend kann selbst bei geschicktem Einkauf nicht seiner Familie all das geben, was sie braucht. Gemäß den Computerergebnissen könnte er bestenfalls 82 Prozent des Kalorienbedarfs, 89 Prozent des Eiweißbedarfs und einen sogar noch geringeren Prozentsatz anderer Nährstoffe für seine Familie beschaffen. Nur für Eisen und Vitamin C könnte er in ausreichender Menge sorgen.
Um dieses Problem lösen zu helfen, werden Familien und Gemeinden auf dem Lande ermuntert, unabhängiger zu werden, indem sie auf jedem kleinen Stück Land, das sie besitzen, Nahrungsmittel anbauen. Man legt den Schulen nahe, Gartenbauprojekte durchzuführen, also sowohl die Kinder entsprechend zu unterweisen als auch dafür zu sorgen, daß der Gemeinde mehr Nahrung zur Verfügung steht. Gleichzeitig möchte die Regierung, daß Familien aus den Slums der Städte ziehen, Geschäfte aufbauen und Genossenschaften bilden, die ihnen bessere Verdienstmöglichkeiten bieten.
Die Rolle der Bildung
Zur Zeit läuft auch in den Schulen und durch die Massenmedien eine Bildungskampagne, durch die plausibel gemacht werden soll, welche Nahrungsmittel eine Familie benötigt. Die Nahrungsmittel werden in drei Gruppen eingeteilt: Aufbaunahrung, Energiespender und regulierende Nährstoffe. Die regulierenden Nährstoffe sind sehr vitamin- und mineralhaltig und schützen vor Geschwüren, Nachtblindheit, Blutarmut, Schilddrüsenvergrößerung und Beriberi. Typische Aufbaunahrung auf den Philippinen sind Fleisch, Fisch, Milch, Bohnen, Nüsse und Eier. Zu den Energiespendern zählen Reis, Mais, Brot, Nudeln, Kokosöl, Zucker und Knollenpflanzen wie camote (Süßkartoffel). Zu den regulierenden Nahrungsmitteln gehören Blattpflanzen, gelbe Pflanzen wie calabasa (Kürbis) und Karotten, aber auch Mangopflaumen, Guaven, Melonen, Papayafrüchte und Bananen.
Wichtig ist die richtige Zubereitung der Nahrung. Daher werden die Hausfrauen ermuntert, die Pflanzen vor dem Schälen gründlich zu waschen und sie gleich anschließend zu kochen, damit nicht all die wasserlöslichen Mineralien verlorengehen.
Junge Ernährungswissenschaftler, die versuchen, erfahrenen älteren Hausfrauen Ratschläge über das Kochen zu geben, werden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Bei einer Kochvorführung rief eine lola (Großmutter): „Warum soll ich in meinem Alter auf einmal anders kochen? Mit meiner Kochmethode habe ich meine Kinder großgezogen, und jetzt koche ich genauso für deren Kinder, und die mögen das. Wenn ich es jetzt anders machen würde, könnte es sein, daß sie nicht das essen werden, was ich koche. Dann werden sie abmagern, und das Problem wird noch größer sein!“ Manchmal wollen die Eltern nicht wahrhaben, daß ihre Kinder fehlernährt sind. Wenn zum Beispiel in einem Gebiet 80 Prozent der Kinder im Vorschulalter in der einen oder anderen Weise fehlernährt sind, wird die Fehlernährung anscheinend als etwas Normales hingenommen.
Oft unterschätzen Eltern auch, wie im Fall von Johannes, den Eiweißbedarf des Kindes. Die Eiweißmangelkrankheit, die man „kwashiorkor“ nennt, hat ihren Namen von einem afrikanischen Wort, das bedeutet „die Krankheit des älteren Kindes, wenn das nächste Baby geboren wird“. Wenn das Kind entwöhnt wird — was oft deshalb geschieht, weil wieder ein Baby da ist, das die Muttermilch braucht —, ist wasserverdünnte Milch oder Reiswasser vielleicht die einzige Nahrung, die es erhält. Manchmal bekommt es erst nach dem ersten Lebensjahr feste Nahrung. Wenn das Kind seinen Magen voll hat, fühlt es sich bestimmt nicht hungrig, und die Mutter, die sicher ihr Kind liebt, bemerkt natürlich nicht, daß es fehlernährt ist.
Nehmen wir beispielsweise an, eine Familie sitzt am Tisch und nimmt eine Mahlzeit ein, die aus Fisch und Reis (gute Aufbaunahrung und Energiespender) besteht. Allerdings essen die Männer den größten Teil des Fisches, weil sie auf den Feldern arbeiten müssen, während die Kinder zum Reis nur etwas Fisch bekommen. Solche Eltern verstehen nicht, daß ihre Kinder Aufbaunahrung brauchen, damit sie richtig wachsen und sich geistig entwickeln.
Obwohl von der Landesregierung und den kommunalen Verwaltungen Hunderte von Millionen Pesos aufgebracht werden, unterstützt durch die Geldbeträge, die von privaten Organisationen und ausländischen Quellen stammen, wird das Problem der Fehlernährung immer größer. Die Geburtenziffer des Landes ist ziemlich hoch. Daher schließt ein Teil des Feldzuges gegen Fehlernährung die Ermunterung zur Familienplanung ein.
Was kann der einzelne tun?
Was kann jemand tun, der in einem Gebiet wohnt, in dem Fehlernährung vorherrscht? Der allgemeine Rat lautet: Sei ausgeglichen. Man sollte für Hinweise empfänglich sein und die Verwirklichung neuer Ideen nicht durch althergebrachte Methoden behindern. Man sollte eine Vielzahl der verfügbaren Nahrungsmittel zu sich nehmen und daran denken, daß Kinder, die im Wachstum begriffen sind, Aufbaunahrung benötigen. Daher sollte ihnen ein angemessener Teil der Nahrungsmittel der Familie zustehen. Das gilt auch vor allem für schwangere und stillende Frauen.
Steht dir ein Garten zur Verfügung, kannst du ihn nutzbar machen, um den Speiseplan deiner Familie zu bereichern. Vielleicht ist es dir möglich, Gemüse oder Früchte zu ziehen oder Hühner zu züchten. Der einzelne Verdiener sollte sein Geld auch auf die wirksamste Weise verwenden, indem er beispielsweise etwas weniger Reis, aber dafür mehr Aufbaunahrung kauft. Und bestimmt sollte man es vermeiden, einerseits ein Radio und ein Fernsehgerät auf Abzahlung zu kaufen und andererseits den Kindern nur Reis zu essen zu geben.
Für die Christen hier auf den Philippinen ist das Versprechen Jesu Christi eine große Ermunterung: „Fahrt denn fort, zuerst das Königreich und Seine Gerechtigkeit zu suchen, und alle diese anderen Dinge werden euch hinzugefügt werden“ (Matth. 6:33). Sie wissen, daß es ihnen möglich ist, mit Lebensunterhalt und Bedeckung zufrieden zu sein, wenn sie in ihrem Leben die geistigen Belange an die erste Stelle setzen (1. Tim. 6:6-8). Durch die Bibel werden sie auch angewiesen, Verschwendung zu vermeiden und mit Fleiß für das Lebensnotwendige zu sorgen. Außerdem blicken sie mit Optimismus in die Zukunft und freuen sich auf die Zeit, in der Gott dafür sorgen wird, daß alles Übel, wie beispielsweise die schleichende Krankheit der Fehlernährung, beseitigt werden wird (Jes. 25:6-8).