Suche nach den Eltern — Ein Adoptivsohn wollte Klarheit
Kaum überwindbare gesetzliche Schweigepflicht
VORLETZTES Jahr sahen meine Frau und ich teilweise die Fernsehserie „Roots“ („Wurzeln“). Vielleicht mehr als die meisten Fernsehzuschauer hatte ich volles Verständnis dafür, daß viele über ihre Herkunft Klarheit haben möchten. Es ist nur natürlich, wissen zu wollen, woher man stammt und wer seine Eltern und anderen Verwandten sind. Interessanterweise suchen in letzter Zeit immer mehr Personen nach ihren „Wurzeln“.
„Die Suche nach der persönlichen Herkunft hat phänomenale Ausmaße erreicht“, konnte man in einem Leitartikel der Newsweek lesen. Der Sprecher einer Bibliothek für Familiengeschichte sagte über diese Entwicklung: „Der Grund, den die Leute angeben, ist fast immer der gleiche: „Ich möchte einfach wissen, wer ich bin.‘“
Bestimmte Personen der Bevölkerung sind jedoch ganz besonders an ihrer Herkunft interessiert. Ich meine uns, die wir von Stiefeltern adoptiert wurden. Aber die meisten von uns, die schon Schritte unternommen haben, sind bei fast jeder Bemühung, ihre richtigen Eltern herauszufinden, enttäuscht worden.
Kennst du den Grund für die Verschwiegenheit, auf die man stößt? Ist es ein guter Grund?
Kaum überwindbare gesetzliche Schweigepflicht
Die Gesetze der Vereinigten Staaten verlangen Schweigepflicht. Bei der Adoption eines Kindes wird eine neue Geburtsurkunde ausgestellt; das Ganze läuft auf eine „zweite Geburt“ des Kindes hinaus. Die ursprünglichen Aufzeichnungen über die Geburt von Adoptierten werden versiegelt, und fast jeder Antrag der Adoptierten, darin Einblick zu nehmen, wird abgewiesen. Bricht jemand das Gesetz und verschafft sich Zugang zu den Akten, wird er mit einer Geldbuße belegt oder mit Gefängnis bestraft.
In fast allen Bundesstaaten der USA ist es selbst Adoptierten, die das Erwachsenenalter erreicht haben, untersagt, die Aufzeichnungen einzusehen. Diese Vorschriften bestehen nicht in allen Ländern. In Israel, Finnland und Schottland beispielsweise darf erwachsenen Adoptierten die ursprüngliche Geburtsurkunde ausgehändigt werden.
Von den Adoptionsgesetzen der USA sind buchstäblich Millionen Menschen betroffen, einschließlich der drei bis fünf Millionen Adoptierten und ihrer leiblichen Eltern sowie Adoptiveltern. Wie man sagt, ist hier die Zahl der Adoptionen größer als in insgesamt allen übrigen Ländern der Welt. In den USA wurde 1970 eine Höchstzahl von 175 000 Adoptionen erreicht. Doch dann nahm die Zahl ständig ab.
Entstehung der Adoptionsgesetze
Vor einigen Jahren begann ich mich mehr für das Thema Adoption zu interessieren. Mir wurde beim Lesen der Bibel klar, daß diese Maßnahme offensichtlich sehr alt ist. Zum Beispiel wurde Moses, ein Kind israelitischer Eltern, aus dem Nil geholt und von der Tochter Pharaos adoptiert, so daß er „ihr zum Sohn wurde“ (2. Mose 2:5-10). Später las ich, daß in den babylonischen Gesetzen des Hammurabi, im hinduistischen Gesetzbuch des Manu wie auch in assyrischen, ägyptischen, griechischen und römischen Gesetzen Adoptionen vorgesehen waren.
Der eigentliche Zweck dieser Adoptionsgesetze bestand darin, das Aussterben von Familien zu vermeiden und für gesetzliche Erben zu sorgen. Deshalb ist es interessant festzustellen, daß Abraham, der Stammvater der Israeliten, offensichtlich seinen Sklaven Elieser sozusagen als seinen Adoptivsohn betrachtete. Abraham sagte nämlich: „Ich bin ja doch kinderlos! Der Erbe meines Hauses wird Elieser von Damaskus sein“ (1. Mose 15:2-4, Bruns).
Dagegen waren in der Neuzeit im englischen Common Law, worauf sich das Gesetz der USA gründet, Adoptionen nicht vorgesehen. Folglich wurde die gesetzliche Adoption in den USA erst ins Leben gerufen, als die einzelnen Staaten um die Mitte des 19. Jahrhunderts begannen, Adoptionsgesetze zu verabschieden. In England wurde erst 1926 durch den „Adoption of Children Act“ eine gesetzliche Möglichkeit geschaffen. Wird ein Kind adoptiert, ist es nicht mehr mit seinen leiblichen Eltern, sondern nur mit seinen Adoptiveltern gesetzlich verwandt.
Eine humane Vorkehrung
Die Vorteile dieser heute bestehenden Möglichkeit zur Adoption kann ich persönlich bestätigen. Früher wurden Kinder, die entweder unerwünscht waren oder für die die Eltern nicht sorgen konnten, gewöhnlich in Anstalten großgezogen. Diesen Kindern ging es im allgemeinen schlecht, und die Sterblichkeitsrate war hoch. Wieviel besser ist es doch, wenn Ehepaare, die Kinder haben möchten, Babys adoptieren können und ihnen die liebevolle Aufmerksamkeit zeigen, die sie brauchen!
Ich hatte bei meinen Adoptiveltern eine solch liebevolle Fürsorge und werde ihnen dafür immer dankbar sein. Sie zogen mich groß, als sei ich ihr eigener Sohn. Andererseits ließen sie mich schon sehr früh wissen, daß ich adoptiert war. Adoptiveltern tun gut daran, ihren Kindern das zu erzählen. Erfahren es die Kinder von anderen — und das werden sie mit Bestimmtheit —, sind sie gewöhnlich nicht nur erschüttert, sondern fühlen sich von ihren Adoptiveltern getäuscht, da sie die Adoption zu verheimlichen suchten. Man erzählt es ihnen aber am günstigsten dann, wenn sie es schon etwas besser verstehen können, vielleicht im Alter von 6 bis 8 Jahren.
Da ich seit einiger Zeit weiß, wie wichtig in der frühen Kindheit die Umwelt ist, schätze ich meine Adoptiveltern sogar noch mehr. Zum Beispiel haben in den Vereinigten Staaten schwarze Kinder in Sachen der Bildung und des kulturellen Lebens nicht immer einen solch guten Anschluß wie weiße Kinder. Wenn sie dagegen von Weißen großgezogen werden, haben sie mehr Bildungsmöglichkeiten und erreichen gewöhnlich einen höheren Intelligenzquotienten als andere schwarze Kinder.
Babys, die adoptiert werden können
Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre adoptierten viele weiße Eltern schwarze Kinder. Tatsächlich waren eine Zeitlang mehr als ein Drittel aller schwarzen Adoptivkinder bei Weißen untergebracht. Aber dann begannen führende Schwarze, energisch zu protestieren. Ihrer Meinung nach hätten diese Kinder auf lange Sicht größere Probleme, wenn sie älter würden und der Wirklichkeit gegenüberstünden. Von den Weißen würden sie wegen ihrer Hautfarbe und von den Schwarzen wegen ihrer abweichenden Wertvorstellung und Verhaltensweise nicht akzeptiert.
Aber warum möchten dann so viele Weiße unbedingt schwarze Babys oder Mischlinge adoptieren? Weil es zuwenig weiße Babys zu adoptieren gibt. Die Adoptionsbehörden haben Wartelisten, die sich über mehrere Jahre erstrecken, und manche nehmen keinen neuen Antragsteller mehr an. Wieso besteht dieser Engpaß, obwohl die Zahl der unehelichen Kinder erheblich gestiegen ist, die ja schon von jeher den Großteil der Adoptivkinder ausmachten?
Vor allem schaut man heute nicht mehr auf unverheiratete Mütter herab. Berühmte Sängerinnen und Filmschauspielerinnen behalten ihre unehelichen Kinder bei sich, und Schlager wie „Having My Baby“ haben den Trend romantisiert. Vor einigen Jahren haben in den USA ungefähr 80 Prozent aller unverheirateten Mütter ihre Babys zur Adoption freigegeben. Seit einiger Zeit tun es jedoch nur noch 20 Prozent — also können nicht mehr so viele Säuglinge adoptiert werden.
Machen sich Mütter jemals Gedanken über das Baby, das sie fortgegeben haben? Warum suchen Adoptivkinder nach ihren leiblichen Eltern?
Ich wollte es wissen
Schon in meiner Kindheit wollte ich wissen, wie meine Mutter und mein Vater aussehen, obwohl ich mit meinen Adoptiveltern ein gutes Verhältnis hatte. Mir ist aufgefallen, daß fast alle Adoptierten ähnlich denken, so als ob „ein Stück ihrer selbst fehle“. Dr. Arthur D. Sorosky, der sich mit diesem Sachverhalt eingehend beschäftigt hat, sagt:
„Wir haben festgestellt, daß die Neugier des Adoptivkindes nicht von dem Verhältnis zu seinen Eltern abhängt. Es ist das einfache, grundlegende Bedürfnis, über seine Herkunft Bescheid zu wissen. Der Wunsch des Adoptierten, sich über die Vorfahren zu informieren — oder sogar die leiblichen Eltern kennenzulernen —, ist ein Bedürfnis, das ein Nichtadoptierter nicht völlig verstehen kann. Man kann auch nicht einfach sagen, es komme nur bei seelisch gestörten Personen vor.“
Außerdem weiß ich, daß oft die leiblichen Mütter wissen möchten, wie es dem Kind geht, das sie fortgegeben haben. Ich kann mich daran erinnern, wie meine Adoptivmutter — eine sehr feinfühlige und vernünftige Frau — an meinem Geburtstag sagte: „Ganz gleich, wo deine Mutter ist, wird sie wahrscheinlich heute an dich denken.“ Ich bin dankbar, daß Vati und Mutti so verständnisvoll waren. Als ich mich schließlich auf die Suche machte, halfen sie mir.
Wie eine Studie ergab, sind die meisten Adoptivkinder, die ihre leiblichen Eltern gefunden haben, froh darüber, daß sie nach ihnen gesucht haben. Selbst wenn sie nichts Erfreuliches vorfanden, betrachteten sie das Stadium der Unwissenheit als noch unerfreulicher. Ich kann das bestätigen.
Allerdings gestand ich mir ein, daß mein wahres Glück nicht davon abhing, ob ich über meine Herkunft Bescheid wüßte. Denn letzten Endes kommt man, wenn man die Abstammung der gesamten Menschheitsfamilie zurückverfolgt, auf den Patriarchen Noah, der die weltweite Flut überlebte. Also ist nicht unsere physische Herkunft von äußerster Wichtigkeit, sondern ein gutes Verhältnis zu Gott, unserem geistigen Vater. Obwohl ich dieses Verhältnis zu Jehova Gott bereits als das Wichtigste ansah, wollte ich meine leiblichen Eltern finden. Laß dir berichten, wie erfolgreich meine Suche war.