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  • Warum sie kritisiert werden
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Erwachet! 1979
g79 8. 6. S. 4-7

Warum sie kritisiert werden

Viele Leute betrachten die Juristen mit gemischten Gefühlen. Rechtsanwälte sind in ihrem Beruf gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die vielen nicht leichtfallen. Diese in Kanada, einem Land, das wie Großbritannien und die USA dem angelsächsischen Rechtskreis angehört, verfaßte Artikelreihe möchte einen sachlichen Einblick in diesen Beruf vermitteln.

LOIS G. FORER, Richter in Pennsylvanien, schrieb 1978 in einem Artikel, betitelt „Das Recht: übertriebene Versprechungen und mangelnde Erfüllung“: „Noch nie ist der Juristenstand so geringgeachtet worden wie heute ... Die Enttäuschung über die Rechtspflege und die Unzufriedenheit damit bedrohen Wohl und Lebenskraft unseres Volkes.“

Auch in England wird kritisiert und manch berechtigte Frage aufgeworfen. In der Einleitung zu einer Studie der Rechtsordnung in jenem Land wird behauptet:

„Wir werden gelehrt, der britischen Rechtsordnung volles Vertrauen zu schenken ... Darauf entgegnen wir, daß einige nie zu ihrem Recht kommen.“

Juristen üben überall Einfluß aus: in der gesetzgebenden Gewalt, der ausführenden Gewalt und der richterlichen Gewalt. Sie besitzen auch ein Monopol in bezug auf die Ausübung ihres Berufes. Der Juristenstand muß sich deshalb in gewissem Maße berechtigte Kritik gefallen lassen. Betrachten wir einige der häufig vorgebrachten Klagen:

Unterschiedliche Rechtsprechung für Reiche und für Arme

Im Jahre 1905 sagte US-Präsident Theodore Roosevelt:

„Viele der einflußreichsten und am besten bezahlten Anwälte ... arbeiten gewagte und raffinierte Methoden aus, die es ihren superreichen Klienten ermöglichen ..., die im Interesse des Volkes geschaffenen Gesetze zu umgehen.“

Fast sechs Jahrzehnte danach war die Situation immer noch so gut wie unverändert, denn der damalige Justizminister Robert Kennedy sagte: „Die Juristen müssen die Verantwortung dafür tragen, daß sich zwei Rechtsordnungen entwickelt haben und fortbestehen, nämlich eine für die Reichen und eine für die Armen.“

Natürlich sind die Juristen nicht dafür verantwortlich, daß es in unserer Welt Reiche und Arme gibt. Auch sind sie keineswegs die einzigen, deren Dienstleistungen vielfach mehr kosten, als ein Durchschnittsverdiener aufbringen kann. Aber die Anwaltsgebühren sind in Kanada oft so hoch, daß sich nicht einmal die Durchschnittsverdiener einen Anwalt leisten können.

In einer von der New York Times veröffentlichten Analyse des Anwaltsberufs konnte man lesen: „Kritiker innerhalb und außerhalb des Juristenstandes behaupten, daß es zu viele Gesetze und zu viele Juristen gibt und daß sich die Rechtsanwälte durch zu hohe Gebühren um ihre Stellung auf dem Markt bringen.“ Charles D. Breitel, Präsident des Berufungsgerichts des Staates New York, sprach ebenfalls von Rechtsanwälten, die „raffgierig sind“, und sagte dann warnend, sie mögen „die Gans töten, die die goldenen Eier legt“.

Nur teilweise erfolgreich waren die Bemühungen, die durch hohe Anwaltsgebühren entstandenen Ungleichheiten zu beseitigen, wie zum Beispiel durch die Errichtung von Organisationen, die Bedürftigen Hilfe in Rechtsangelegenheiten geben. Während durch solche Einrichtungen einige Ungleichheiten beseitigt werden, entstehen gleichzeitig andere. In England und in den Vereinigten Staaten haben sie dazu geführt, daß nun nur noch die ganz Reichen und die ganz Armen einen Prozeß führen können. Viele Angehörige des Mittelstandes, die keinen Anspruch auf solche Hilfe haben, können es sich nicht leisten, einen Anwalt zu nehmen.

Gerichtliche Verfahren — langsam und kompliziert

Durch die Kompliziertheit der modernen Gesellschaft und die zahlreicher werdenden Gesetze wächst die Zahl der Probleme, und die Gerichte werden belastet wie nie zuvor. Die lange Dauer der gerichtlichen Verfahren ist für Rechtsuchende häufig entmutigend. Warren Burger, Präsident des Obersten Bundesgerichts der USA, sagte diesbezüglich: „Menschen mit Problemen suchen genauso wie Menschen mit Schmerzen nach einer schnellen und möglichst preiswerten Hilfe.“ Doch da das selten gelingt, werden Gesetze und Gerichte kritisiert.

In der Zeitschrift Time wird noch ein anderer Grund für die Kritik an Rechtsanwälten genannt. Rechtsanwalt Fred Dutton, ehemaliger Präsidentenberater, wird darin wie folgt zitiert: „Anwälte werden bezahlt, um einen Fall zu komplizieren, in die Länge zu ziehen, um formale Spitzfindigkeiten herauszuarbeiten.“ Ein Prozeß, bei dem es um die Aufschrift auf Erdnußbuttergläsern ging, dauerte 12 Jahre. Zum Schluß zählten die Akten 75 000 Seiten und das Prozeßprotokoll 24 000 Seiten! Das bedeutet nicht, daß alle Rechtsanwälte in dieser Weise verfahren, aber es kommt doch so häufig vor, daß ein Eindruck erweckt wird, der dem Ansehen des Juristenberufs schadet.

Es gibt Rechtsanwälte, die zu viele Mandate übernehmen und die einzelnen Fälle nur vorantreiben, wenn der Klient drängt. Ein Anwalt gestand: „Wenn der Mandant den Anwalt bedrängt, kann er den Prozeß möglicherweise beschleunigen.“

Ein gewissenhafter, tüchtiger Anwalt, der keine übertrieben hohen Gebühren berechnet, kann seinem Mandanten ein beruhigendes Gefühl vermitteln und seinem Stand Ehre machen. Aber auch ein solcher Anwalt ist gezwungen, innerhalb einer unvollkommenen Rechtsordnung tätig zu sein, die, gerade weil sie unvollkommen ist, Ungerechtigkeiten Vorschub leistet.

Prinzip der streitenden Parteien: Behinderung der Rechtsprechung

Für manchen ist es frustrierend, zu erfahren, daß ein Fehlurteil gefällt wurde. Das mag mit der Tatsache zusammenhängen, daß das Prinzip der streitenden Parteien ein wichtiger Bestandteil des angloamerikanischen Rechts ist. Es beruht auf der Theorie, daß sich aus einer Auseinandersetzung zwischen zwei gegensätzlichen Standpunkten Recht und Wahrheit herauskristallisieren. Über dieses Prinzip sagte ein New Yorker Jurist namens Abraham Pomerantz:

„Wir sind stolz auf diesen Grundsatz. Er ist jedoch Unfug, denn anstatt zur Wahrheit zu führen vereitelt er die Wahrheitsfindung. Jede Seite trägt nur die für sie nützlichen Tatsachen vor und unterschlägt die anderen. Daraus entstehen Verwirrung und Verzerrung, und der Schlauere gewinnt.“

Jede Partei hat einen Anwalt, der für seinen Mandanten kämpft. In vielen Fällen ist weder die eine noch die andere Partei eindeutig im Recht oder im Unrecht. Aber das Prinzip der streitenden Parteien fördert die Tendenz, den sittlichen Standpunkt zu ignorieren und die Anwälte zu veranlassen, für den zu kämpfen, der sie honoriert.

„Die Rechtsanwälte, die durch ihre öffentliche Berufung eine große gesellschaftliche Verantwortung tragen, sagen, die Treue zu ihrem Mandanten sei ihre höchste Pflicht (mit der Treue zum Mandanten meinen sie in Wirklichkeit die Treue zu seinem Honorar)“, schreibt Jerold S. Auerbach, Professor der Rechtswissenschaft am Wellesley College. Er weist darauf hin, daß das ein grundsätzlicher Fehler des Prinzips der streitenden Parteien ist: „Es läßt wenig Raum für eine Berücksichtigung des Wohls der Gesellschaft über die implizierte Annahme hinaus, daß jeder Kampf und jeder Sieger für die Gesellschaft von Nutzen sei.“

Das ermöglicht es einem, zu verstehen, warum — vom Standpunkt des Laien aus gesehen — anscheinend absurde Urteile zustande kommen. Die in den Gesetzen verankerten guten Bestimmungen, die den Zweck haben, den Unschuldigen und Aufrichtigen so gut wie möglich zu schützen, können von gerissenen Juristen angewandt werden, um auch dem Schuldigen und Unehrlichen zu helfen. Das ist das Paradoxe an den von Menschen geschaffenen Rechtsordnungen. Die Schuld liegt also nicht nur bei den Rechtsanwälten. Gerechtigkeit wird zwar angestrebt, aber in der Praxis wird unter unvollkommenen Menschen häufig die Auffassung von Recht und Unrecht durch den Begriff „gesetzlich“ ersetzt. Jerold Auerbach, Professor der Rechtswissenschaft, schildert folgendes:

„Jedes Jahr werden fast 100 000 [amerikanische] Studenten gelehrt, juristisch zu denken. Einen Menschen, der 21 Jahre lang wie ein Mensch gedacht hat, zu lehren, juristisch zu denken, ist keine geringe Leistung. Es erfordert, daß die Auffassung vorübergehend verdrängt wird, daß Recht und Unrecht über das hinaus, was das Prinzip der streitenden Parteien und die Rechtsordnung bestimmen, eine Bedeutung hat.“

Das Dilemma des Juristen

Der gewissenhafte Jurastudent gerät durch eine solche Ansicht über sittliche Werte in ein Dilemma. „Es belastet mich, daß man auf der Harvarduniversität bei der Ausbildung der angehenden Juristen der Ethik nur geringe Aufmerksamkeit schenkt“, schrieb ein Jurastudent, der kurz vor dem Examen stand, in einem Aufsatz, den die New York Times veröffentlichte. „Auf dem Gebiet der Rechtsmoral und der persönlichen Moral überläßt man uns unserem eigenen Gefühl, das in meinem Fall völlig unzureichend ausgebildet ist.“

Ein anderer Gesichtspunkt des moralischen Dilemmas eines Juristen wird von dem New Yorker Strafverteidiger Seymour Wishman aufgezeigt: „Der oberste Grundsatz unseres Berufs besteht darin, sich so energisch und einfallsreich wie möglich für seinen Mandanten einzusetzen, um den Fall für ihn zu gewinnen. Je unwürdiger der Klient, desto größer die Bemühungen.“

Rechtsanwälte, die nach diesem Grundsatz handeln, verteidigen unter Umständen die schlimmsten Verbrecher, oder sie vertreten die sittlich fragwürdigen Ziele von Geschäftsleuten. „Viele meiner Mandanten sind Scheusale, die Ungeheuerliches verübt haben“, gesteht Rechtsanwalt Wishman. „Obschon der eine oder andere meiner Mandanten das Verbrechen, dessen man ihn beschuldigt, nicht begangen hat, haben sich doch fast alle irgendeines Unrechts schuldig gemacht.“ Viele dieser Personen laufen frei umher und können die Gesellschaft schädigen, weil sie sich die Dienste eines „guten“ Rechtsanwalts gesichert haben.

Über einen solchen Rechtsanwalt sagte ein in Texas tätiger Staatsanwalt: „Er ist gut, ja er ist sogar sehr gut. Aber er ist verantwortlich dafür, daß in Texas ungefähr zwei Dutzend Leute auf freiem Fuß sind, die, ohne mit der Wimper zu zucken, einen anderen abknallen würden. Er ist eine Gefahr für die Gesellschaft.“

Die Erwiderung dieses bekannten Rechtsanwalts zeigt deutlich die moralische Schwäche unserer unvollkommenen, von Menschen geschaffenen Rechtsordnungen: „Ich schlafe gut. Ich bin weder Richter noch Geschworener, sondern ich bemühe mich, im Interesse des angeklagten Bürgers mein Bestes zu geben.“ Es gibt aber Rechtsanwälte, denen dieses moralische Dilemma zu schaffen macht.

Doch sind offensichtlich viele Rechtsanwälte zu dem Schluß gekommen, daß es besser ist, sich des Urteils, ob ihre Mandanten im Recht sind oder nicht, zu enthalten und es denen zu überlassen, die die Aufgabe haben zu richten. Das Dilemma des Berufs des Rechtsanwalts ist, daß er unter Umständen jemand verteidigen muß, von dem er weiß, daß er schuldig ist.

Den Rechtsanwälten wird vorgeworfen, daß sie in der Praxis alles, was das Gesetz zuläßt, im Interesse ihres Mandanten einsetzen, er sei unschuldig oder schuldig. Darauf entgegnen die Rechtsanwälte: „Warum verurteilt man uns, wenn wir die Regeln anwenden, die gesetzlich festgelegt sind?“ Die Antwort hängt mit dem moralischen Dilemma zusammen, in dem sich die Vertreter des Anwaltsberufs befinden.

Es muß allerdings auch erwähnt werden, daß solche formalen Spitzfindigkeiten zweifellos manch einen ehrlichen und unschuldigen Menschen davor bewahrt haben, verurteilt zu werden. Es hat Fälle gegeben, in denen die Rechtsanwälte von der Unschuld ihres Mandanten so überzeugt waren, daß sie alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpften, um ihm zu helfen. Hätten sie es nicht getan, wäre vielleicht ein Unschuldiger verurteilt worden.

Viele sind dennoch der Meinung, es sei so, wie Harry Blackmun, Mitglied des Obersten Bundesgerichts der USA, sagte: „Man hat das Gleichgewicht verloren. Der Kompaß zeigt nicht mehr richtig an.“ Er empfahl den Rechtsanwälten dringend, sich wieder für das, „was recht und sittlich sowie gerade noch gesetzlich ist“, zu engagieren.

Doch manch einer benötigt die Dienste von Gerichten und Rechtsanwälten. Was kann er in dieser Hinsicht am besten tun? Das wird im folgenden Artikel behandelt.

[Kasten auf Seite 5]

„Menschen mit Problemen suchen genauso wie Menschen mit Schmerzen nach einer schnellen und möglichst preiswerten Hilfe“ (Warren Burger, Präsident des Obersten Bundesgerichts der USA).

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