Was in Discos vor sich geht
WELTWEIT gehen wöchentlich Millionen Leute, die Unterhaltung suchen, in eine Diskothek. Welche Atmosphäre erwartet sie dort? Sind alle Diskotheken im wesentlichen gleich?
Nicht unbedingt. Wie der Zeitschrift Discothekin zu entnehmen ist, können zwischen den einzelnen Discos beträchtliche Unterschiede bestehen: „Disco ist einfach Musik und Tanz und kann jede gewünschte Form annehmen. Der Erfolg eines Klubs wird durch die Leute bestimmt, und wenn der Eigentümer/Pächter klug ist, kann er sich seine Stammgäste aussuchen, indem er durch die Musik die Atmosphäre schafft, die er wünscht — sei es die der 70er, der 40er oder sogar der unbeschwerten 20er Jahre.“
Es gibt sogar Discos für Kinder; wieder andere sind mehr für die Großeltern gedacht. Im Hinblick auf ältere Personen bemerkte die Detroit Free Press: „In gezähmten Discos, wo sie auch ihr Abendessen einnehmen können, ist es nicht schwer, ihren Lindy [amerikanischer Tanz] dem Hustle und ihren Foxtrott dem ganz neuen Tanzstil anzupassen.“
Manche Diskotheken werden als „Restaurant-Disco“ eingestuft. In den frühen Abendstunden dienen sie als Restaurant, anschließend als Diskothek. Auf diese Weise hat der Wirt zu später Stunde, wenn sein Restaurant normalerweise geschlossen wäre, noch eine zusätzliche Einnahmequelle. In Europa kann man in den meisten Diskotheken essen und trinken sowie tanzen.
Also sind nicht alle Discos gleich; die Bezeichnung „Disco“ kann auf unterschiedliche Stätten der Begegnung angewandt werden. Doch was ist das Wesen — die Seele — der Disco? Welchen Lebensstil fördert sie? Wie spiegelt sich das in der Discomusik, im Disco-Tanz und in der Disco-Kleidung wider?
Disco — was es damit auf sich hat
Kitty Hanson, die dieses Thema durchforscht und viel darüber geschrieben hat, beschreibt eine moderne Diskothek, die sie besuchte, wie folgt: „Unter dem glitzernden Baldachin von Lichtern schien der Boden vom Hämmern der Füße zu beben, und die Luft begann zu knistern, so energiegeladen war alles. Dann explodierte der Raum. Schreie und Rufe und tausend wild wogende Arme erfüllten die Luft, während die Musik die Tänzer von ihren Füßen und vom Boden hob. Es war ein brodelnder, knisternder Augenblick reiner urtümlicher Erregung. Es war das Wesen des Disco-Erlebnisses.“
Was ist diese reine urtümliche Erregung — das Wesen des Disco-Erlebnisses —, die die Tänzer überkommt? In der Fachzeitschrift Show Business wird uns in dem Artikel „Ein dynamisches Jahrzehnt der Disco“ der Hinweis gegeben:
„Die Disco-Bewegung ist von einem Hauch der Befreiung umgeben ... Überholte sexuelle Wertbegriffe, die in den 60er Jahren erfolgreich bekämpft wurden, sind einer neuen sexuellen Freiheit gewichen, die es den Leuten gestattet, ohne Schuldgefühle teilzunehmen und sich mit ihrem Verlangen ehrlich auseinanderzusetzen.
Homosexuelle tanzen Seite an Seite mit Andersgesinnten, und keinen stört das auch nur im geringsten. Diese vielgestaltige Freiheit ist das, was die Seele der Disco, und der pulsierende Disco-Schlagrhythmus ist das, was das Herz der Disco ausmacht.“
Freie, uneingeschränkte sexuelle Ausdrucksfähigkeit — das Freisein von Zwang —, das ist das Wesen, die Seele, der Disco. Mit Sicherheit ist das ein Überbleibsel alter Fruchtbarkeitstänze, bei denen die Anbeter in rasende, leidenschaftserregende Bewegungen ausbrachen, die durchaus darin gegipfelt haben mögen, daß die Beteiligten geschlechtlich miteinander verkehrten, um gleichsam die „Mutter Erde“ zu betören, neue Ernten hervorzubringen.
Zugegeben, nicht alle Discos ermuntern notwendigerweise dazu, Hemmungen abzuschütteln, doch wird Disco mit einem solchen „sexuell befreiten“ Lebensstil in Verbindung gebracht. „Was die Disco-Bewegung von den meisten vorhergehenden Bewegungen unterscheidet, ist die offenkundige Tendenz, in Orgien auszuarten“, wird in der Zeitschrift Esquire erklärt. „Disco bedeutet stillschweigend Orgie ... Dadurch, daß die Möglichkeit geboten wird, in einer Atmosphäre intensiver phantasievoller Erregung sämtliches sexuelle Verlangen augenblicklich zu befriedigen, fördert die disco-inspirierte Orgie das Erwachen in einem erhabenen Zustand des Sichbewußtseins, der buchstäblichen Ekstase und des Gefühls, außerhalb des Körpers zu stehen.“
Betonung des Ichs
Manche meinen vielleicht, Disco sei im Grunde eine disziplinierte Tanzform, durch die sich der Hustle kennzeichne, und für einige ist sie das wirklich. Doch die eigentliche Disco hat ganz andere Seiten. Im allgemeinen kommt es den Tanzenden nicht so sehr darauf an, mit einem Partner zu tanzen, sondern darauf, ihre eigene Sache zu machen — zu sich selbst zu kommen. Es bietet sich ein Bild des sexuellen Exhibitionismus.
Diese selbstgefällige Note der Disco-Kultur ist nicht unbeachtet geblieben, und es gibt nachdenklich stimmende Kommentare darüber. In dem Leitartikel „Disco, Narzißmus und Gesellschaft“ in den New York Daily News vom 19. März 1978, konnte man lesen:
„Getrennt durch Wände ohrenbetäubender Musik und mitgerissen von einem Wirbel greller Lichtblitze, kümmern sich die Tanzenden nur um sich selbst, berühren sich kaum, sehen sich nie gegenseitig an, und gesprochen wird schon gar nicht. Es ist fast so, als stünden sie vor einem Spiegel und riefen: ,ich, ich, ich, ich ...‘, und das ohne Ende.
Diese pure Selbstgefälligkeit spiegelt eine gefährlich tief wurzelnde Philosophie unserer Gesellschaft wider. Sie besagt, daß alles, wozu jemand aufgelegt ist, 100 Prozent richtig ist — ganz gleich, wie es sich auf andere auswirkt.
Die Einstellung zeigt sich in der steigenden Scheidungsrate, in der Unzahl zerrütteter Familien und in den zahllosen Büchern und Bewegungen, die auf Selbstgefälligkeit und Eigendünkel abgestimmt sind.
In der Philosophie, von der die Disco-Welt durchdrungen ist, gibt es zuwenig Platz für Liebe. Und das ist zu bedauern, denn denen, die die Freude des Gebens und Teilens vergessen oder nie gekannt haben, entgeht die wertvollste Seite des Lebens.“
Ähnlich argumentiert wird in dem Artikel „Der Disco-Stil: Liebe dich selbst“ in der Zeitschrift Esquire vom 20. Juni 1978. „Daß Disco auf einer Wiederbelebung des ,Berührungstanzens‘ beruht oder sich auf einen Tanzschritt konzentriert, der als ,Latin Hustle‘ bezeichnet wird“, heißt es dort, „ist entweder das Wunschdenken der Unterweiser an den Arthur-Murray-Schulen oder lediglich wertloser Zeitungsklatsch. In Wahrheit zeigen die heutigen Disco-Tänzer die Art Einmannshow, die John Travolta in der aufregendsten Szene in Nur Samstag nacht vorführt.“
Da der Film Nur Samstag nacht so viel mit der phänomenalen Entwicklung und Ausbreitung der Disco zu tun hat, wollen wir ihn näher betrachten. Welcher Lebensstil wird in diesem Film dargestellt und dadurch gefördert?
„Nur Samstag nacht“
Der Hauptdarsteller in diesem Film hat nur ein Lebensziel — Samstag nachts in der Disco zu glänzen. Es werden die sexuellen Ausschweifungen des Disco-Volks gezeigt, einschließlich des oralen Geschlechtsverkehrs, der sich während der Tanzpausen draußen im Auto abspielt. Der Umgangston ist von der schmutzigsten Sorte. Dennoch wird all das als normal hingestellt — als der Lebensstil der Leute, die in Discos gehen. In dem Zeitschriftenartikel „Warum Teenager nicht ,Nur Samstag nacht‘ sehen sollten“ schreibt der New Yorker Psychologe Dr. Herbert Hoffmann:
„Was Travolta und seine Freunde den Jungen im Teenageralter beibringen, ist nichts anderes, als sich ohne jedes romantische Gefühl mit Mädchen zu betätigen, Mädchen als Sexobjekte zu benutzen und das ganze Geschlechtserlebnis zu etwas Unpersönlichem zu machen.
Die Ideen, die Teenager daraus gewinnen, können sie für den Rest ihres Lebens nachhaltig schädigen.
Jungen im Teenageralter werden dann darauf aussein, auf Kosten des anderen Geschlechts ,Punkte zu sammeln‘ in der Vorstellung, daß die Beziehung mit einem Mädchen eine Leistung ist über die man bei Freunden prahlen kann, und das eigene Ansehen in der Gruppe zu heben.
Mädchen dieses Alters werden die Überzeugung gewinnen, daß entweder wahlloser Geschlechtsverkehr erforderlich ist, um beliebt zu sein, oder daß die Männer nur auf ,das eine‘ aus sind. In beiden Fällen steht die Chance in Gefahr, daß sie eine tiefe und bleibende seelische Anteilnahme erfahren.
Teenager, die ja für alles empfänglich sind, sollten sich diesen widerlichen Film nicht ansehen.“
Dennoch haben sich weltweit Millionen Jugendliche, oft zusammen mit ihren Eltern, diesen Film angesehen und zu einem der größten Kassenerfolge der Geschichte gemacht. Wie bereits erwähnt, zeigt er, was es mit der Disco alles auf sich hat. Das gleiche trifft auf andere Gesichtspunkte der Disco-Szene zu.
Musik, Kleidung und Drogen
Aufgrund der zunehmenden Popularität der Discomusik ist fast jeder mit ihrem Rhythmus vertraut. Mit diesem pulsierenden Rhythmus sind viele bekannte Lieder vergangener Jahrzehnte vermischt worden. Selbst ältere Personen, die die ursprünglichen Lieder mochten, finden an den modernen Versionen Gefallen, je mehr sie sich an den Klang gewöhnen. Aber nochmals: Was ist häufig ein hervorstechendes Merkmal der Discomusik?
In Discoworld wird über eine der beliebten Disco-Gruppen berichtet: „In ,Baby I’m on Fire‘ in dem neuen Album ,Arabian Nights‘ lechzen und schnurren die drei Frauen: ,Oooh, I’m on fire.‘ In den Gesang mischt sich ein phallisches Saxophon und verwandelt ihn in eine fabelhafte musikalische Untermalung für eine Peep-Show vom Times Square.“ Es heißt weiter: „Der sexgeladene Stil der ,Ritchie Family‘ fügt sich in das Hauptanliegen der heutigen Discomusik ein, nämlich das Vergnügen zu zelebrieren.“
Diese marktschreierische Ausbeutung von Sex, einschließlich der Versuche, die Zuhörer sexuell zu erregen, kam auch in dem Nachrichtenmagazin Time zur Sprache. In dem Artikel „Pompöse Herrschaft der Discokönigin“ war zu lesen: „1976 ... bekam sie die goldene Schallplatte dafür, daß sie 22mal den Orgasmus simulierte.“
Auch die Aufmachung der Plattenhüllen verrät etwas über die Musik. Manchmal sind nackte Körper dargestellt, obschon die sexuelle Ausschweifung oft hintergründiger ist. In Discoworld wird eine bestimmte Plattenhülle so beschrieben: „Die Körperstellung von Jaqui, Dodie und Ednah bildet ein 3-Buchstaben-Symbol, dessen man sich bei oberflächlicher Betrachtung nicht bewußt wird, das man aber im Unterbewußtsein sofort wahrnimmt: S-E-X.“
Bei den Kleidungsgewohnheiten des Disco-Volks liegt die Betonung ebenfalls auf Sex. In dem Buch Disco Fever erscheint ein Photo von einer Tänzerin in einer New Yorker Disco. Ihr Kleid ist bis zur Hüfte aufgeschlitzt und ihr Bein angehoben, so daß man fast die gesamte Innenseite des Oberschenkels sehen kann. Der Kommentar lautet: „Diese Szene ... steht für die Wirkung von Disco.“ Paulette Weiss, Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift Stereo Review, schreibt über Leute, die in den Taumel eines Disco-Erlebnisses geraten sind: „Ich habe gesehen, wie sich Frauen auf dem Tanzboden völlig entkleideten.“
Die Betonung des sogenannten „Vergnügens“ bringt es auch mit sich, daß in Discos ungehindert mit Drogen geschoben wird. Kürzlich berichteten Schlagzeilen davon, daß in einer der bekanntesten Discos der Stadt New York Drogen beschlagnahmt wurden. Doch in den New York Daily News hieß es: „Wie Stammgäste berichten, kam die Beschlagnahme von Drogen im Studio 54 für niemand überraschend, der schon einmal dort gewesen ist. In dieser Disco sollen seit der Eröffnung im April vergangenen Jahres Kokain wie Marihuana offen ausgetauscht, verkauft und geraucht worden sein“ (15. Dezember 1978).
Schall- und Lichteffekte
Schall- und Lichteffekte gelten für das Disco-Erlebnis als unerläßlich. Den Schall kann man nicht nur hören; er ist so überwältigend, daß man ihn fühlt.
Aber kann ein solch starker Schall nicht gefährlich sein? Vor kurzem hieß es in einem Pressebericht aus Rio de Janeiro (Brasilien): „Die Möglichkeit, daß Diskotheken gesundheitsschädlich sind, hat die Regierung veranlaßt, die Lizenz für 20 Lokale im Süden von Porto Alegre zurückzuhalten und eine Überprüfung des Gesundheitsschutzes anzuordnen.“ Wahrscheinlich ging es dabei um den Geräuschpegel, was einen nicht verwundert.
Im vergangenen Jahr wurden in den Vereinigten Staaten die Diskotheken auf Long Island (New York) überprüft, und die Inspektoren stellten fest, daß in 18 Lokalen der Geräuschpegel mehr als 30 Sekunden lang über 95 Dezibel lag. Ihnen wurde zur Auflage gemacht, vor dem Eingang ein Schild anzubringen mit der Warnung: „DER GERÄUSCHPEGEL IN DIESEM LOKAL KANN BLEIBENDE GEHÖRSCHÄDEN HERVORRUFEN“. Gesundheitstests haben angedeutet, daß die in Diskotheken übliche Lautstärke bei manchen eine Schädigung des Gehörs hervorrufen kann, vor allem bei denen, die dieser Lautstärke regelmäßig ausgesetzt sind.
Die Lichteffekte stellen ebenfalls eine mögliche Gesundheitsgefährdung dar. Wieso? Nun, einige Discos sind mit Laser-Beleuchtungsanlagen ausgestattet. „Wenn der Strahl in das Auge dringt“, sagt Professor Paul L. Ziemer von der Purdue University, „könnte auf der Netzhaut ein Brandmal entstehen — ein bleibender blinder Fleck.“ Zudem können die Lampen der Lichtorgel, die im Rhythmus der Musik aufflackern, Benommenheit, Übelkeit und Halluzinationen hervorrufen. Die britische Regierung schließt sich in einer Broschüre über Sicherheit in Schulen solchen Warnungen an.
Hat dir diese Betrachtung der Disco — wo ihr Ursprung ist und was in Discos vor sich geht — geholfen, zu verstehen, warum die christlichen Ältesten im vergangenen Dezember bei ihrem Treffen in Brooklyn (New York) über die zunehmende Popularität der Disco Besorgnis äußerten?
Allerdings übt auf viele die Disco gerade wegen der Merkmale, die andere als gefährlich betrachten, einen Reiz aus. Sie meinen, daß die Risiken nur geringfügig sind und um des Vergnügens willen in Kauf genommen werden können. Wie groß sind eigentlich die Gefahren? Ist der Besuch von Discos ein Risiko für bleibendes Wohlbefinden und Glück? Diese Fragen sind uns eine Erörterung wert.
[Herausgestellter Text auf Seite 10]
„Der Sex erringt das Monopol über die Disco. ... Mit schmutziger Disco läßt sich Geld machen — eine ganze Menge sogar —, und immer mehr Schallplattenfirmen und Rundfunkanstalten reiten auf der Welle mit“ (US, 9. Januar 1979).