Von Blattläusen, Ameisen und „Löwen“
FRAGT man einen Landwirt, was er von Blattläusen hält, so fängt er vielleicht an zu schimpfen. Diese winzigen Insekten saugen aus den zarten Blättern und Stielen seiner Nutzpflanzen den Saft und richten dadurch keinen geringen Schaden an.
Imker dagegen haben große Wertschätzung für diese kleinen Insekten. Im Schwarzwald kommt eine bestimmte Art von Blattläusen (Buchneria pectinatae) vor, deren Absonderung, Honigtau genannt, den Grundstoff für den berühmten Tannenhonig bildet. Imker kommen von weit her mit ihren Bienenvölkern. Den Bienen dienen die Honigtauabsonderungen der Blattläuse als Trachtquelle.
Wie die Empfindungen der Menschen, so sind auch die Empfindungen der Insekten gegenüber den Blattläusen unterschiedlich. Bestimmten Ameisenarten sind die Blattläuse so sympathisch (wegen des Honigtaus), daß sie sie vor ihren Feinden schützen, ja sie sogar in ihren Nestern vor ihnen verbergen.
Doch die Blattläuse besitzen alle Voraussetzungen, auch ohne Mithilfe ihrer Freunde, der Ameisen, zu überleben. Die Fortpflanzungsweise der Blattläuse ist außerordentlich verwirrend, gewährleistet aber eine phantastische Vermehrung. Mehrere Generationen hindurch vermehren sich weibliche Blattläuse, ohne begattet zu werden. Sie tragen Eier in sich, die ohne Befruchtung entwicklungsfähig sind, und sie bringen lebende Junge zur Welt, die wieder solche Eier in sich bergen.
Bei gewissen Blattlausarten bilden sich keine Flügel, wenn reichlich Nahrung vorhanden ist. Wird sie aber knapp, beginnt die Flügelbildung, und danach fliegt das Insekt auf eine Pflanze, wo es mehr zu fressen gibt. In einem Fachbuch über Insekten heißt es: „Hier gilt buchstäblich, daß ,Hunger beflügelt‘“ („Grzimeks Tierleben“, Bd. 2).
Hätten die Blattläuse keine natürlichen Feinde, so würde die Erde von diesen Insekten überschwemmt. Wie werden aber die Blattläuse von ihren Freunden, den Ameisen, beschützt?
Der „Blattlauslöwe“ (die Larve des Goldauges, auch Florfliege genannt) hat einen unersättlichen Appetit auf Blattläuse. Er ist verhältnismäßig groß, grau und mit Haaren besetzt, während die Blattläuse, auf die er es abgesehen hat, klein sind und weiß erscheinen, und zwar durch eine wachsartige Masse, die sie ausscheiden und die eine Art Bedeckung bildet. Sobald ein hungriger Blattlauslöwe auftaucht, wird er von wachsamen Ameisen angegriffen und verjagt.
Wie verhalten sich die Blattlauslöwen? Einige von ihnen schleichen sich an Blattläuse heran, entwenden kleine Stücke des watteähnlichen Wachses von ihrem Rücken und tarnen sich damit, so daß sie aussehen wie übergroße Blattläuse. Diese „Löwen in Blattlausaufmachung“ pirschen sich, wenn die „Hüter“ der Blattläuse, die Ameisen, nicht wachsam sind, an die „Herde“ heran. Schöpft eine Ameise jedoch Verdacht, verbirgt der getarnte „Löwe“ seine großen Saugzangen, indem er den Kopf gesenkt hält und sich nicht bewegt. Gewöhnlich wird er inspiziert, dann aber in Ruhe gelassen. Doch wehe der nächsten erreichbaren Blattlaus, wenn sich die Ameise entfernt!
Für die meisten Leute sind Blattläuse nur winzige Punkte auf einem Blatt, bestenfalls äußerst lästig. Befaßt man sich jedoch etwas näher mit ihnen, so entdeckt man, welch ein erstaunliches, ja sogar Humor verratendes Werk des Schöpfers man vor sich hat.