Ist die Neujahrsfeier etwas Neues?
ES IST Silvesterabend. Tom springt in den Wagen und fährt davon. Er will seine Freundin abholen. Als er in die Straße einbiegt, in der sie wohnt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Er denkt an Mitternacht, wenn das neue Jahr mit Lärm willkommen geheißen wird und er das Mädchen, mit dem er gerade tanzt, küssen darf.
Aber er nimmt sich auch vor, nicht viel zu trinken, denn er möchte auf dem Heimweg keinen Unfall bauen. Das wird jedoch nicht leicht sein; bei Silvesterfeiern wird allgemein zuviel getrunken.
Spät heimzukommen würde ihm nichts ausmachen. Er hat schließlich für den Neujahrstag nichts anderes vor, als auszuschlafen und sich am Nachmittag das Fußballspiel anzuschauen.
Tom hält sich nicht für einen religiösen Menschen. Es dürfte ihn deshalb überraschen, zu erfahren, daß alles, woran er gerade gedacht hat — das Lärmmachen, das Küssen hübscher Mädchen, das Trinken —, auf Bräuche alter Religionen zurückgeht, mit denen Tom nichts zu tun haben möchte.
In Japan, Mexiko, China, Deutschland und in vielen anderen Ländern wird Neujahr ebenfalls gefeiert, allerdings sind die Bräuche jeweils unterschiedlich. Aber auch diese Feiern gehen auf die gleichen alten Mythen zurück, wovon die Feiernden gewöhnlich keine Ahnung haben. Was sind das für Mythen? Warum ist Neujahr das älteste, das am weitesten verbreitete und am wenigsten verstandene Fest?
Die ersten Neujahrsfeiern
Um etwas über den Ursprung der Silvesterparty, an der Tom teilnehmen will, zu erfahren, wenden wir uns dem alten Mesopotamien zu, wo die ersten Neujahrsfeiern begangen wurden.
Die Mesopotamier glaubten, daß das Weltall nach einem gewaltigen Kampf zwischen ihrem Gott Marduk und Tiamat, der Göttin des Chaos, erschaffen wurde. Durch seinen Sieg machte Marduk dem Chaos ein Ende. Alljährlich, wenn die lebengebenden Regen kamen, gedachte man seiner Tat.
Da der König die Ordnung verkörperte, zog er sich mehrere Tage zurück, und in dieser Zeit führte die Bevölkerung buchstäblich wieder ein Chaos herbei, indem sie zechte, den Sklaven erlaubte, ihre Herren zu beleidigen, und Orgien der Lust feierte. Das alles nahmen die alten Römer in ihr Fest auf, das sie im Dezember begingen — die Saturnalien.
Besteht nicht auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fest, das Tom zu feiern im Begriff ist? Bestimmt. In einem 1972 erschienenen Buch über Feste und Feiern heißt es: „Überall in der Welt wird zu Silvester übermäßig getrunken. Diese Zecherei ist das weltliche Überbleibsel eines einstmals religiösen Brauches. Der einzelne versinnbildete in diesem Zustand die chaotische Welt, die [wie die Babylonier glaubten] bestand, ehe Gott den geordneten Kosmos erschuf.“
In Babylon, wo die Neujahrsfestlichkeiten am höchsten entwickelt waren, wurde auch ein kompliziertes Ritual durchgeführt, um die „bösen Geister des Chaos“ vor Beginn des neuen Jahres aus der Stadt zu verbannen. Auf der Silvesterparty, die Tom besuchen will, geschieht dies durch Lärmmacher, durch Sirenen und Schiffspfeifen. Die Chinesen, die viele ihrer religiösen Bräuche von Babylon übernommen haben, vertreiben die bösen Geister durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern.
Ritueller Kampf
Natürlich gab es im alten Babylon am Neujahrstag kein Fußballspiel. Aber bei der Neujahrsfeier wurden alle Götter der Orte in der Umgebung von Babylon in die Stadt gebracht, wo ein eindrucksvoller Umzug stattfand, um Marduk im Kampf gegen Tiamat zu unterstützen. Damit man sich den gewaltigen Kampf wieder vergegenwärtigen konnte, wurde das babylonische Schöpfungsepos Enuma elisch öffentlich rezitiert.
Heute geht in Pasadena (Kalifornien, USA) dem alljährlichen Neujahrsfußballspiel im Rose-Bowl-Stadion eine große Parade voraus. Ist das Spiel eine moderne Version des rituellen Kampfes in uralter Zeit? In dem Werk Encyclopædia Britannica wird darüber folgendes gesagt: „Die Fußballspiele in den USA weisen das ganze äußere Drum und Dran religiöser Feste auf ... Von den beiden Seiten verkörpert die eine das Böse und die andere das Gute, je nach dem Standpunkt der einzelnen Zuschauer. Die Cheerleaders [Mädchen, die in den USA bei Sportveranstaltungen vor den Mannschaften in das Stadion einziehen] sind sozusagen die Priesterinnen, die die Gemeinde anführen ... Die Priesterinnen, die sich an den Grundsatz des Sympathiezaubers halten, bemühen sich, die Begeisterung der Menge auf die entsprechenden Kämpfer zu übertragen“ (Macropædia, 1976, Bd. 7, S. 202).
Das hat — es mag von einem alten Ritus herrühren oder nicht — heute für manche Fans eine religiöse Bedeutung.
Wahrsagerei
Mancherorts ist es Sitte, in der Silvesternacht Blei zu gießen. Dabei gießt man geschmolzenes Blei oder Zinn in Wasser und versucht dann, aufgrund der entstehenden Figuren herauszufinden, was das neue Jahr bringen wird.
In Mexiko strömen die Menschen am 1. Januar nach Mitla, der alten Ruinenstadt der Maya. Zwischen den Ruinen befindet sich ein Stein, der „Säule des Lebens“ genannt wird. Während ein Besucher die Säule mit den Armen umschließt, schaut ein anderer nach, wie viele Fingerbreit der Abstand zwischen den ausgestreckten Händen beträgt. So viele Jahre, wie es Fingerbreit sind, soll derjenige, der die Säule umfaßt, noch leben.
Die Japaner legen großen Wert auf den ersten Traum im neuen Jahr, weil sie glauben, er offenbare, was ihnen im kommenden Jahr bevorstehe. Sie kaufen Glückszettelchen und Amulette, die dazu beitragen sollen, daß sie einen schönen Traum haben.
Das alles erinnert uns an die Bemühungen der Babylonier, die Zukunft zu erforschen. Im Rahmen des babylonischen Neujahrsfestes wurden auch „die Geschicke“ für das kommende Jahr „bestimmt“.
Diese Tradition wird von vielen Leuten noch heute gepflegt. Tom ist nicht bekannt, daß das Küssen eines Mädchens unter dem Mistelzweig ursprünglich ein Orakelbrauch war, durch den ermittelt wurde, wen man heiraten würde. Kein gutes „Geschick“ wäre es für Tom, wenn er irgendein Mädchen, das er zufällig unter solchen Umständen küssen würde, heiraten müßte.
„Lediglich ein fröhlicher Anlaß“?
„Das alles ist sehr interessant“, mag Tom jetzt entgegnen, „aber für mich ist der Silvesterabend lediglich ein fröhlicher Anlaß.“ So denken viele Leute. Sind Silvester und Neujahr, abgesehen von ihrer religiösen Vergangenheit, harmlose Feiertage?
In den Vereinigten Staaten gibt es an jedem Neujahrstag ungefähr 400 Verkehrstote. Die Hälfte dieser tödlichen Verkehrsunfälle hängt mit Trunkenheit am Steuer zusammen. Während der Verkehr an Feiertagen um 4 Prozent zunimmt, steigt die Zahl der Verkehrstoten an solchen Tagen um 24 Prozent. Was ist die Ursache? „Feuchtfröhliche“ Stunden.
Aber dieses Problem existiert nicht nur in den Vereinigten Staaten. Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Portugal sind nur einige der Länder, in denen die Zahl der Verkehrstoten noch höher ist als in den Vereinigten Staaten.
Die neuzeitliche „Wiedererschaffung des Chaos“ am Silvesterabend führt noch zu weiteren Problemen. Ein New Yorker Vize-Polizeichef sagte: „Am Neujahrstag trinken die Leute viel und verlieren dann die Selbstbeherrschung.“ In den ersten paar Stunden des Jahres 1980 wurden in der Stadt New York 6 Leute ermordet, in der U-Bahn wurden 30 Verbrechen begangen, und auf dem Times Square, wo es von Menschen wimmelte, wurden 50 Personen verletzt und 51 verhaftet. In Reno (Nevada, USA) randalierten zu dieser Zeit Tausende drei Stunden lang, indem sie die Polizei mit Steinen bewarfen und Schaufenster zertrümmerten. War das lediglich ein „fröhlicher Anlaß“?
Was wirst du tun?
Sehr wahrscheinlich findest du — du magst dich für einen Christen halten oder nicht —, die Worte aus Sprüche 22:3 seien ein guter Rat: „Klug ist der, der das Unglück gesehen hat und darangeht, sich zu verbergen.“ Wenn du feststellst, daß das, was du für Silvester oder Neujahr vorhast, mit Gefahren verbunden sein könnte — zufolge übermäßigen Alkoholgenusses, unpassender Gesellschaft oder angetrunkener Autofahrer auf der Straße —, warum dann deine Pläne nicht ändern? Vielleicht bewahrst du dadurch dich und andere vor einem vorzeitigen Tod.
Angenommen, du hältst dich für einen Christen — würde das deine Ansicht über die Silvester- und Neujahrsfeiern beeinflussen? Kannst du dir den Apostel Petrus bei einer Silvesterfeier vorstellen? Beachte, was er in Kapitel 4, Vers 3 seines ersten Briefes schrieb: „Lange genug habt ihr in der zurückliegenden Zeit getan, wonach den Heiden der Sinn steht: Zügellos sich auszuleben, in Gier und Trunksucht, auf Gelagen mit Fressen und Saufen, bei unerlaubtem Götzendienst“ (Wilckens).
Wenn man bedenkt, woher die Silvester- und Neujahrsbräuche stammen, müßte man dann nicht annehmen, daß Petrus die heutigen Silvester- und Neujahrsfeiern als etwas ansehen würde, „wonach den Heiden der Sinn steht“?
„Aber ich nehme doch nicht jeden Abend an einem Gelage teil!“ mag der eine oder andere jetzt einwenden. „Das ist ein besonderer Anlaß — nur einmal im Jahr.“
Frage dich jedoch, wie es sich auf den Namen, den du bei Gott und den Menschen hast, auswirken könnte, wenn du „nur einmal“ „über die Stränge schlagen“ würdest.
„Tote Fliegen machen das Öl des Salbenbereiters stinkend, gärend. So wirkt ein wenig Torheit bei einem, der kostbar ist an Weisheit und Herrlichkeit“ (Prediger 10:1). Wie kostbares Öl durch eine einzige tote Fliege verdorben werden kann, so kann auch die in einer einzigen Nacht begangene Torheit einem guten Ruf schaden. Warum sich dieser Gefahr aussetzen? (Prediger 7:1).
Am diesjährigen Silvesterabend werden sich Tausende auf Partys vergnügen und dann im eigenen Wagen nach Hause fahren. Wie viele werden dabei einen Unfall verursachen, bei dem es Verletzte oder gar Tote geben wird? Tausende werden sich unter dem Einfluß von Alkohol unschicklich benehmen und sich dadurch lächerlich machen oder ihren Partner demütigen. Manch einer wird in einer solchen Gesellschaft der Verlockung zur Unmoral nicht widerstehen können.
Das sind einige der Gefahren, denen sich Tom an diesem Silvesterabend aussetzt. Wie steht es mit dir?