Liegt es am Fernsehen?
Die Wurzeln der Gewalttätigkeit
● Dr. Leonard Eron hat beobachtet, welche Langzeitwirkung Gewalttätigkeit im Fernsehen auf Kinder hat. Dieser Forscher, der Professor der Sozialwissenschaften an der Universität von Illinois am Chicago Circle ist, sagte im Interview, daß gewalttätiges Verhalten erlernt ist und das Fernsehen dabei eine große Rolle spielt.
Warum war Ihre Studie einzigartig?
Wir beobachteten über einen Zeitraum von einundzwanzig Jahren eine Gruppe junger Leute, um festzustellen, was dazu beitrug, daß einige äußerst aggressiv wurden. Im Jahre 1960 begannen wir mit 875 Achtjährigen. Zehn Jahre später interviewten wir 475 aus dieser Gruppe und andere Gleichaltrige. Soeben haben wir eine zwanzigjährige Studie über mehr als 400 dieser Personen abgeschlossen.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?
Je größer die Vorliebe eines achtjährigen Kindes für Gewalttätigkeit im Fernsehen ist, um so größer ist seine Feindseligkeit in diesem Alter und auch noch zehn Jahre später. Unsere Studie ist in fünf Ländern nachgeahmt worden. Uns liegen die Ergebnisse von Finnland und Polen vor. Sie bestätigen unsere Befunde.
Meinen Sie, daß Gewalttätigkeit im Fernsehen bei Kindern Aggressionen hervorruft oder daß eben gewalttätige Kinder gern Gewalttaten sehen?
Zu unserer Überraschung stellten wir fest, daß Achtjährige, die nicht aggressiv waren, sich aber viel Gewalttätigkeit im Fernsehen ansahen, im Alter von 19 Jahren bedeutend gewalttätiger waren als junge Leute, die im Alter von acht Jahren äußerst aggressiv waren, sich aber wenig Gewalttätigkeit im Fernsehen ansahen.
Inwiefern bewirkt Gewalttätigkeit im Fernsehen Aggressionen?
Sie lehrt eine bestimmte Art, Probleme zu lösen. Diese Lösungen werden ständig wiederholt. Kinder sehen, wie der Hauptdarsteller eines Spielfilms oder eines Zeichentrickfilms erfolgreich gewalttätige Methoden anwendet, und versuchen das gleiche.
Ist Gewalttätigkeit im Fernsehen die einzige Ursache?
Nein. Eine große Rolle spielt die Erziehung des Kindes. Gemäß unserer Feststellung wurden Kinder aggressiver, wenn die Eltern miteinander stritten, das Kind ablehnten oder grobe Strafen anwendeten. Unsere Studie zeigte jedoch, daß ein Kind, das das Empfinden hatte, seine Eltern bestraften es aus Liebe, weniger aggressiv wurde und daß die Strafe half. Liebevolle Eltern wenden gewöhnlich keine harten Strafen an.
Was übt einen größeren Einfluß aus — Gewalttätigkeit im Fernsehen oder gewalttätige Eltern?
Das ist schwer zu sagen. Aber wir haben festgestellt, daß bei dem Versuch, vorauszusehen, wie gewalttätig ein Achtjähriger im Alter von 19 Jahren sein würde, seine Fernsehgewohnheiten ein genauerer Hinweis waren als alles andere, sei es Streit zwischen den Eltern oder der soziale Status. In unserer neuen dreijährigen Studie von Chicago korrigierten wir die Einstellung einiger Kinder, die sich viel Gewalttätigkeit im Fernsehen ansahen. Sie wurden weniger aggressiv, obwohl andere Bereiche ihres Lebens unverändert blieben.
Was können Ihrer Meinung nach Eltern gegen dieses Problem unternehmen?
Sie sollten überwachen, was sich ihre Kinder ansehen. Außerdem können sie den Kindern erklären, daß das, was sie im Fernsehen beobachten, nicht die Wirklichkeit ist und daß man Probleme nicht lösen kann, indem man jemanden verprügelt. Unsere geringen Bemühungen, zu erklären, wie unrealistisch das Fernsehen ist, hatten bedeutende Erfolge. Wieviel größer doch die Wirkung wäre, wenn Eltern das tun würden!