Warum die Bischöfe jetzt dagegen aufstehen
„NOCH nie ist die Menschheit der Selbstzerstörung so nahe gewesen wie jetzt.“ Mit diesen Worten warnte die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die im vergangenen Sommer in Vancouver (Kanada) tagte, vor der drohenden Gefahr einer nuklearen Katastrophe. Sie rief zur Beendigung des Wettrüstens auf, indem sie erklärte: „Die atomare Abschreckung ist moralisch unannehmbar, weil bei diesem Konzept der Einsatz von Kernwaffen intendiert wird.“
Wenige Monate zuvor, im Mai 1983, veröffentlichten die katholischen Bischöfe der USA die endgültige Fassung eines langen Briefes, der überschrieben war „Die Herausforderung des Friedens — Gottes Verheißung und unsere Antwort“. Darin rieten sie dringend zur Abrüstung und sprachen sich dafür aus, „die Erprobung, Produktion und Stationierung neuer nuklearer Waffensysteme anzuhalten“. Sie beteuerten: „Es [darf] kein Mißverständnis über unsere tiefe Skepsis hinsichtlich der moralischen Akzeptanz jedes Einsatzes von Kernwaffen geben.“
Das sind zwei der bedeutenderen Erklärungen, die in letzter Zeit von Kirchenführern gegen Kernwaffen abgegeben wurden. Gewisse Kreise haben auf die Stellungnahme der Bischöfe in der Frage der Atomrüstung begeistert reagiert. Wie die Zeitung New York Times schrieb, sagte ein presbyterianischer Geistlicher darüber: „Aus dem Brief spricht eine Stimme des sittlichen Gewissens, die sich nicht nur an die Katholiken wendet, sondern an alle Amerikaner und an jeden anständigen Menschen ... Gott segne die katholischen Bischöfe.“
Es gab aber auch Kritik. Der amerikanische Philosoph Sidney Hook schrieb: „Der Standpunkt der Bischöfe verrät Unwissenheit, ist unrealistisch und moralisch verantwortungslos.“ Und die Führerin der Anti-Feministinnen-Bewegung Phyllis Schlafly soll gesagt haben, die Erklärung der Bischöfe sei gefährlich, weil sie die Katholiken auf den Weg des „Pazifismus ... und der Abrüstung sowie der Liebe zu den Russen“ führe.
Wenn man bedenkt, daß die Geistlichen jahrhundertelang Kriege unterstützt haben und daß man in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg von dieser Seite noch Worte zugunsten der Kernwaffen gehört hat, stellen die kritischen Erklärungen gegen die Atomrüstung schon eine erstaunliche Kehrtwendung dar. Was ist der Grund dafür?
Vierzig Jahre zu spät
Der Brief der amerikanischen Bischöfe enthält eine Art Begründung: „Das heutige Zerstörungspotential der Atommächte bedroht den Menschen und die Zivilisation, die wir langsam aufgebaut haben, und sogar die Schöpfungsordnung selbst.“ Das ist jedoch seit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki vor fast 40 Jahren so. Warum hörte man damals aus diesen Lagern keine Proteste?
In dem Dokument der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen heißt es: „Wir glauben, daß jegliche Absicht, Massenvernichtungswaffen einzusetzen, eine furchtbare Verletzung des Geistes Christi ist, der in uns wohnen sollte.“ Traf das nicht auch zu, als im letzten Weltkrieg Hunderttausende von der Zivilbevölkerung ums Leben kamen? Doch damals gab es wenige Kirchenführer, die dagegen protestierten.
Der Kernphysiker Harold M. Agnew äußerte seine Meinung ganz unverblümt: „Meiner Meinung nach sind sie Heuchler, weil sie offenbar finden, der konventionelle Krieg sei okay, ein Atomkrieg dagegen nicht. Zufolge des Zerstörungspotentials der Kernwaffen sind zum erstenmal in der Geschichte auch die, die entscheiden, ob ein Krieg geführt wird oder nicht, ebenso gefährdet wie die jungen Leute, die traditionsgemäß an die Front geschickt werden, um die Entscheidungen der älteren auszuführen. In einem Atomkrieg bleiben die Weinkeller, der Reichtum und anderer materieller Besitz der Kirchen und derjenigen, die die Entscheidungen fällen, nicht verschont. Wenn es zu einem solchen Krieg kommt, trifft es uns alle.“
Vielleicht verhält es sich tatsächlich so, wie der Kolumnist der New York Times, James Reston, schrieb: „Die Kirche unterstützt die Friedensbewegung, und die Friedensbewegung verleiht der Kirche bei ihrem Kampf, in der Welt gehört zu werden, neue Kraft und Wirkung“ (Kursivschrift von uns). Sind die Bischöfe vielleicht auch bemüht, Einfluß und Prestige wiederzuerlangen, indem sie sich an die Spitze der immer populärer werdenden Anti-Atomwaffen-Bewegung stellen?
Noch eine weitere Frage müssen wir aufwerfen:
Wird sich etwas ändern?
„Der Brief der [amerikanischen] Bischöfe hat als ein Lehrdokument den Zweck, einen moralischen Einfluß auf die Frage Krieg und Frieden auszuüben.“ Das sagte gemäß der Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists der Theologe Richard B. Miller. Wie groß wird dieser „moralische Einfluß“ der Kirchenführer wirklich sein?
Werden die Verantwortlichen in der UdSSR auf die Warnungen der Bischöfe hören? Oder darf damit gerechnet werden, daß die Vereinigten Staaten ihren Kurs plötzlich ändern? Als die katholischen Bischöfe dabei waren, ihren Brief abzufassen, soll, wie berichtet wurde, die Regierung sogar versucht haben, die Bischöfe zu bewegen, ihn etwas mehr mit der Regierungspolitik in Einklang zu bringen.
Und wie verhält es sich mit den Männern und Frauen, die in der Rüstungsindustrie arbeiten? Die amerikanischen Bischöfe stellten es ihnen frei, weiterhin darin zu arbeiten, sofern sie möchten. Und sie versäumten es, die Angehörigen der Streitkräfte zu ermuntern, sich nicht an Kernwaffen ausbilden zu lassen. Die meisten derer also, die mit der Herstellung und dem Einsatz von Atomwaffen zu tun haben, werden vermutlich genügend Gründe dafür finden, alles beim alten zu lassen.
Was sie vergaßen
In Wirklichkeit haben die Bischöfe eine falsche Antwort auf eine falsche Frage gegeben. Der nukleare Rüstungswettlauf ist lediglich ein Symptom. Das eigentliche Übel, an dem die Menschheit leidet, sitzt tiefer. Selbst wenn es den Bischöfen gelingen würde, die Politiker zu veranlassen, die Kernwaffen abzuschaffen, würden andere Gefahren an die Stelle der Atomgefahr treten, es sei denn, man könnte das grundlegende Problem lösen.
Aus den Worten des Apostels Johannes geht hervor, daß das Problem viel komplizierter ist, als die meisten Leute es sich vorstellen. Er schrieb: „Die ganze Welt liegt in der Macht dessen, der böse ist“ (1. Johannes 5:19). Somit sind unsichtbare Intelligenzen daran beteiligt, Satan, der Teufel, eingeschlossen, den die Bibel als „Gott dieses Systems der Dinge“ bezeichnet (2. Korinther 4:4).
Heute gibt es allerdings viele Leute, die nicht glauben, daß es einen Satan gibt. Aber die Bischöfe gehören bestimmt nicht dazu. Und sie müssen wissen, daß — wie es in der Bibel heißt — Satan das rebellische Verhalten der Menschen dazu benutzt hat, seine Ziele zu verwirklichen, ähnlich einem Schachspieler, der die Figuren auf dem Schachbrett hin und her schiebt. Wenn Menschen sich bemühen, durch politische Mittel einen dauerhaften Frieden zu schaffen, gleichen sie Schachfiguren, die sich bemühen, miteinander Frieden zu schließen, dabei aber den Schachspieler, der sich über sie beugt, ignorieren. Satan ist für vieles, was heute auf der Erde geschieht, verantwortlich, und jeder Lösungsvorschlag, in dem dieser Einfluß außer acht gelassen wird, muß scheitern (Offenbarung 12:12).
Wie steht es mit den Worten: „Das heutige Zerstörungspotential der Atommächte bedroht ... sogar die Schöpfungsordnung selbst.“? Glauben die Bischöfe, daß der Mensch, der die Macht besitzt, der Erde großen Schaden zuzufügen, das auch tun wird? Haben sie vergessen, daß Gott durch den Apostel Johannes voraussagen ließ, er werde „die ... verderben, die die Erde verderben“? (Offenbarung 11:18).
Vor fast 2 000 Jahren ließ Gott also vorhersagen, daß der Mensch einmal in der Lage sein würde, die ‘Erde zu verderben’, erklärte aber auch, daß er das nicht zulassen werde. Vielmehr lautet seine Verheißung: „Er hat die Erde auf ihre festen Stätten gegründet; sie wird auf unabsehbare Zeit oder für immer nicht zum Wanken gebracht werden“ (Psalm 104:5).
Das eigentliche Problem — und seine Lösung
In der zweiten Fassung ihres Briefes sprachen die amerikanischen Bischöfe von „einer Welt souveräner Staaten ohne zentrale Autorität“. Damit kommen sie dem eigentlichen Problem — und seiner Lösung — sehr nahe. Es geht um ein Regierungsproblem.
Wieviel Leid hat die Menschheit doch schon erduldet, weil sie von selbstsüchtigen, nationalistischen Regierungen beherrscht wurde, die alle „in der Macht dessen“ lagen, „der böse ist“! (1. Johannes 5:19). Wenn die Menschheit unter einer Herrschaft vereint wäre, die in der Macht Jehovas Gottes, des Gerechten, läge, würde sie nicht von einer nuklearen Katastrophe bedroht, und all die vielen anderen Probleme wären auch nicht vorhanden.
Ist so etwas möglich? Jesus beantwortet diese Frage durch die Worte in seinem Mustergebet, das viele Schulkinder auswendig kennen: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden“ (Matthäus 6:10, Herder-Bibel). Kirchenführer sprechen manchmal vom Reich Gottes. Aber gewöhnlich erklären sie nicht, daß es sich dabei um eine Regierung handelt, die über Herrschergewalt verfügt und die jetzt in Funktion ist. Bald wird sie auch gegen die Regierungen unserer Erde vorgehen. „In den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nie zugrunde gerichtet werden wird. ... Es wird alle diese Königreiche zermalmen und ihnen ein Ende bereiten, und es selbst wird für unabsehbare Zeiten bestehen“ (Daniel 2:44).
Gott hat die Macht, Satans Treiben ein Ende zu setzen. Das wird er durch sein Königreich tun (Offenbarung 20:1-3). Außerdem verfügt er über die Macht, dem wahnwitzigen Tun der Nationen Einhalt zu gebieten. Er kann und wird „Recht sprechen unter vielen Völkern und die Dinge richtigstellen hinsichtlich mächtiger Nationen in der Ferne“ (Micha 4:3). Wird er die Menschen von der nuklearen Bedrohung befreien? Ja, und zudem wird er dafür sorgen, daß es überhaupt keinen Krieg mehr geben wird. „Kriege läßt er aufhören bis an das äußerste Ende der Erde. Den Bogen zerbricht er, und den Speer zersplittert er; die [Kriegs-]Wagen verbrennt er im Feuer“ (Psalm 46:9).
Die todbringenden Feuerbälle, die sich im August 1945 über Hiroschima und Nagasaki erhoben, haben uns mit einmaliger Deutlichkeit vor Augen geführt, daß die Menschheit Gottes Königreich benötigt. Wir wissen nicht, ob noch weitere Kernwaffen zum Einsatz kommen werden. Ganz sicher aber wissen wir, daß Gott nicht zulassen wird, daß der Mensch die Erde zerstört. Er wird nicht zulassen, daß das Menschengeschlecht ausgelöscht wird, und er wird nicht zulassen, daß die Menschen für immer in Furcht gehalten werden (Jesaja 45:18).
Ist das Königreich Gottes eine realistische Hoffnung? Die Bischöfe sind anscheinend anderer Meinung, denn sie bieten politische Lösungen an. Wir empfehlen jedoch dem Leser, die Sache selbst zu prüfen, um festzustellen, wie er jetzt in Einklang mit der einzigen realen Lösung handeln kann.
Nur Gott hat die Macht, uns aus der gegenwärtigen gefährlichen Situation zu retten. Er hat verheißen, es zu tun.
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Die Lehre vom „gerechten Krieg“
Die Christenheit hat den Krieg von jeher gutgeheißen, und ihre Theologen haben die Lehre vom „gerechten Krieg“ entwickelt. Diese Lehre wird wie folgt erklärt: Ein Krieg ist „gerecht“,
● wenn er von einer zuständigen Autorität erklärt wird (d. h. von einer rechtmäßigen Obrigkeit),
● wenn er in einer gerechten Sache geführt wird,
● wenn er in rechter Absicht geführt wird (d. h., wenn man auf Versöhnung aus ist und unnötige Zerstörung vermeidet),
● wenn er das letzte Mittel ist,
● wenn die Wahrscheinlichkeit des Erfolges besteht
● und wenn die Verhältnismäßigkeit des Schadens, der entsteht, in einem angemessenen Verhältnis zu dem Guten steht, das man zu erreichen hofft. In einem „gerechten“ Krieg darf auch die Zivilbevölkerung auf keinen Fall mit Absicht angegriffen werden.
Viele Kirchenführer sind der Ansicht, im Zeitalter der Kernwaffen sei die Lehre vom „gerechten Krieg“ wegen der ungeheuren Zerstörungskapazität dieser Waffen überholt. Ist es jedoch erst heute an der Zeit, die Richtigkeit dieser Lehre anzuzweifeln?
Wie war es denn im Zweiten Weltkrieg, um nur ein Beispiel zu erwähnen? In jenem Krieg segneten die Kirchenführer beide Parteien. Gewiß konnten nicht beide Seiten in einer gerechten Sache kämpfen oder in der rechten Absicht. Damals wurden Städte wie London, Dresden und Tokio bombardiert, wobei eine ungeheure Zahl von Zivilpersonen ums Leben kam. Die Geistlichen fuhren dennoch fort, den Krieg zu unterstützen.
Die Führer der Christenheit waren stets bereit, einen Krieg als „gerecht“ zu bezeichnen, wenn er von dem Land geführt wurde, in dem sie lebten, selbst wenn es bedeutete, daß die Glieder ihrer Herde gegen Glaubensbrüder in anderen Nationen kämpfen und sie töten mußten. In dieser Beziehung haben sie keinen christlichen Geist bekundet, sondern einen Geist wie der amerikanische Patriot Stephen Decatur, der wegen seiner Äußerung berühmt wurde: „Recht oder Unrecht — mein Vaterland!“