„Jetzt bring’ ich dich um!“
Ein Sexualtäter dringt in ein christliches Haus ein
GROBE Hände drückten mir den Hals zu. Ich versuchte verzweifelt, zu schreien.
„Hör auf! Hör auf zu schreien, dann tu’ ich dir nichts“, forderte er und drückte noch fester zu.
Aber ich glaubte ihm nicht und hörte nicht auf ihn. Ich versuchte, weiter zu schreien. Ich zerkratzte ihm das Gesicht, schlug ihm die Brille von der Nase und riß ihm die falschen Zähne aus dem Mund. Als er verzweifelt darum kämpfte, mich in seine Gewalt zu bekommen, stach ich ihm mit den Fingernägeln tief in die Augenhöhlen. Und ich schrie. Als er seine Finger vor meinem Mund hatte, biß ich mit aller Kraft zu.
Man mag es glauben oder nicht, aber ich fürchtete mich nicht — die Angst kam erst später. Jetzt war ich wütend! Dieser widerliche Kerl sollte nicht so einfach in unser Haus eindringen und mich vergewaltigen, weder hier noch anderswo!
Doch er gab nicht auf. Er griff nach einem Gürtel und fesselte mir die Hände auf dem Rücken — das schaffte er mehrere Male, da es mir wiederholt gelang, mich zu befreien. Mit einem Arm umklammerte er meinen Hals, und mit der freien Hand tastete er auf dem Boden nach seinem Gebiß und seiner Brille. In diesem Moment konnte ich mich losreißen und fing unerklärlicherweise an, Gegenstände durch das Zimmer zu schleudern, wobei ich schrie, als hätte ich den Verstand verloren.
Der Angreifer war einen Moment lang wie betäubt, hielt inne und fragte: „Was ist mit dir los?“ In diesem Augenblick rannte ich aus dem Zimmer, aber er faßte mich, zwang mich ins Schlafzimmer und warf mich aufs Bett. Als er meine Hände wieder gefesselt hatte, gelang es ihm, mich teilweise zu entkleiden. Ich wand mich und trat um mich, um ihn mir vom Leib zu halten. Ich haßte seine schmutzige Sprache und die schmutzige Tat, zu der er mich zwingen wollte.
Ein letztes Mal befreite ich meine Hände von dem Gürtel, stieß den Mann weg und rannte zur Haustür. Ich hatte schon die Hand an der Klinke, aber als ich sie herunterdrückte, packte er mich von hinten und schleuderte mich zu Boden. Es gelang mir, ein Küchenmesser zu ergreifen, und ich hieb es ihm gegen die Beine. „So!“, schrie er. „Jetzt bring’ ich dich um!“ Er schlug auf meinen Kopf ein, und ich fiel in Ohnmacht.
Ich sehe nun ein, daß ich achtsamer hätte sein sollen. Außerhalb unseres Hauses war ich immer auf der Hut gewesen, Gefahren und Unruhestiftern aus dem Weg zu gehen. Längere Strecken legte ich stets in Begleitung meines Mannes zurück. Ich mied Orte, wo sich Kriminelle aufhalten konnten, und kleidete mich anständig. Aber ich hatte einfach nie damit gerechnet, daß ein Sexualtäter die Frechheit besitzen würde, mich direkt in unserem Haus anzugreifen.
Dieser Mann arbeitete auf der Baustelle neben unserem Haus. Der Bauunternehmer hatte bei uns ein Kabel angeschlossen, um die Baugeräte mit Strom zu versorgen. Gelegentlich, wenn die Leitung überlastet war, kam ein Arbeiter in unser Haus und drückte im Keller die Sicherung wieder hinein. Das war eine praktische Lösung, aber sie war nicht weise.
Der Angreifer hatte offensichtlich geplant, mich in einem günstigen Augenblick zu erwischen. Er muß gedacht haben, ich würde vor Schreck erstarren und die Tat verschüchtert und unter Schockwirkung über mich ergehen lassen. Ich war tatsächlich schockiert, als er auf mich losstürzte, aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Auch hielt ich nicht inne, um zu überlegen, was ich tun sollte. Ich reagierte einfach — schrie, kratzte, trat und biß. Das war das Beste, was ich tun konnte, weil ihn mein heftiger Widerstand verunsicherte. Es gab mir von Anfang an Auftrieb, zu wissen, daß er sich selbst und mich nicht völlig in der Gewalt hatte. So war ich um so entschlossener zu kämpfen und hatte die Hoffnung zu siegen.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich auf dem Vordersitz eines fahrenden Autos. Er hatte den Gürtel nun wie eine Hundeleine um meinen Hals gezogen und hielt ihn straff, während er fuhr. Als mein Sinn allmählich wieder klar wurde, durchfuhr mich wie ein Blitz das Bewußtsein, wo ich mich befand und wie ich dorthin gelangt war, und mich packte sofort von neuem die Wut.
Ich stieß mit dem Ellbogen gegen das Lenkrad und versuchte verzweifelt, das Auto von der Straße abzubringen. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, daß diesem Verstörten nun mehr daran gelegen war, mich loszuwerden, als mich zu vergewaltigen. Er würde mich ermorden, damit ich ihn später nicht identifizieren könnte. Ich war zwar nach fast einer Stunde ständigen Kämpfens erschöpft, aber mein verbissener Widerstand hatte auch an seinen Kräften gezehrt. Müde und verwirrt fuhr er schließlich an den Straßenrand und stieß mich aus dem Auto. Ein anderer Autofahrer hielt an und brachte mich ins Krankenhaus.
Ich hatte gewonnen! Er hatte mich nicht vergewaltigt! Ich war Siegerin, nicht Besiegte! Ich hatte ein reines Gewissen, und meine Selbstachtung und meine Würde hatten keinen Schaden genommen. Außerdem hatte ich meine Lauterkeit gegenüber dem allmächtigen Gott, Jehova, bewahrt.
Das soll nicht heißen, daß ich mich während meines Krankenhausaufenthalts in den nächsten Tagen stolz und großartig fühlte. Ich war arg mitgenommen, hatte überall Verletzungen und sah schrecklich aus. Die Angst, die ich während des Angriffs nicht gehabt hatte, kam nun wie Flutwellen über mich. Fruchtlose Gedanken darüber, was hätte passieren können, nahmen meinen Sinn gefangen. Zu dieser Zeit wurde ich von Kriminalbeamten vernommen und erfuhr zu meinem Entsetzen, daß dieser Unmensch sechs Wochen zuvor bedingt aus dem Gefängnis entlassen worden war, nachdem er eine Strafe wegen Vergewaltigung verbüßt hatte.
Am Tag meiner Entlassung aus dem Krankenhaus erwartete mich auf der Polizeiwache das Trauma einer Gegenüberstellung mit diesem Mann. Ja, ich hatte fest vor, ihn anzuzeigen. Er sollte bestraft werden — das schuldete ich den anderen Frauen, die er angreifen würde. Ich schuldete es auch meinem Gerechtigkeitsempfinden und wollte mir selbst bestätigen, daß ich mein Leben im Griff habe. Ihn aus der Reihe herauszufinden war nicht schwer. Es war derjenige mit dem Verband am Kopf und der Gipshand.
In den Wochen nach dem Erlebnis trösteten mich im Krankenhaus und dann zu Hause die vielen Karten, Briefe und Besuche meiner Glaubensbrüder aus der Ortsversammlung der Zeugen Jehovas. Einige sagten, sie seien stolz auf mich. Manche wußten nicht, was sie sagen sollten, zeigten aber durch ihren Besuch ihre Anteilnahme. Andere nannten mich eine Heldin, was ich ohne falsche Bescheidenheit nicht bin. Da ich mich nicht in Sicherheit bringen konnte, wandte ich einfach das an, was ich durch mein Bibelstudium gelernt hatte, und es funktionierte.
Als Frau wie jede andere hatte ich oft das Bedürfnis nach Zuspruch, während ich mich wieder erholte. Es gab einige sehr trostlose Tage. Eine Zeitlang wagte ich mich nicht in die Öffentlichkeit. Zwar gelang es mir an manchen Tagen, ein recht zuversichtliches Gesicht aufzusetzen, aber mein Mann kann ein Lied davon singen, daß ich manchmal erschauerte und keine Erleichterung fand, da mein Innerstes einfach überfordert war; es war sehr schwer, den Alptraum zu verarbeiten und zu überwinden. Wahrscheinlich die größte Hilfe, damit fertig zu werden, war das Bewußtsein, daß ich mit Jehovas Hilfe und nach meinen besten Kräften das Richtige getan hatte. In helleren Augenblicken fand ich manchmal sogar Grund, mich ein wenig zu freuen. Immer wieder trösteten mich die folgenden Verse aus der Bibel:
„Falls es geschehen sollte, daß ein jungfräuliches Mädchen mit einem Mann verlobt ist, und tatsächlich hat ein Mann sie in der Stadt gefunden und sich zu ihr gelegt, so sollt ihr sie beide zum Tor jener Stadt hinausführen und sie mit Steinen bewerfen, und sie sollen sterben, das Mädchen darum, daß sie in der Stadt nicht geschrien hat, und der Mann darum, daß er die Frau seines Mitmenschen erniedrigt hat. So sollst du das, was übel ist, aus deiner Mitte wegschaffen. Wenn jedoch der Mann das Mädchen, das verlobt war, auf dem Feld gefunden hat, und der Mann hat sie gepackt und hat bei ihr gelegen, so soll der Mann, der bei ihr gelegen hat, allein sterben, und dem Mädchen sollst du nichts tun. Das Mädchen hat keine Sünde, die den Tod verdient, denn wie wenn sich ein Mann gegen seinen Mitmenschen erhebt und ihn, ja eine Seele, tatsächlich ermordet, so ist es in diesem Fall. Denn auf dem Feld hat er sie gefunden. Das Mädchen, das verlobt war, schrie, aber da war niemand, der ihr zu Hilfe kam“ (5. Mose 22:23-27).
Ich bin aus tiefstem Herzen dankbar, daß ich diese einfachen Worte kannte. Sie zeigten mir, worin meine sittliche Pflicht bestand. Sie bewahrten mich davor, verwirrt und unsicher zu reagieren. Ich wußte genau, was ich tun mußte. Ich schrie und wehrte mich. Ich vertraute den biblischen Anweisungen und stellte fest, daß sie verläßlich sind. Mein Mann und ich beteten oft; so erlangte ich meine Stärke und mein Gleichgewicht wieder.
Ich wünsche keiner Frau, daß sie jemals einen solchen Angriff — von einer Vergewaltigung ganz zu schweigen — durchmachen muß. Allerdings kommt es in den USA alle 7 Minuten zu einer Vergewaltigung.a Ich für meinen Teil verließ mich auf Jehova, rief mir seine Worte in den Sinn und schrie. Außerdem wehrte ich mich.
Bald wurde dieser bedingt entlassene Sexualtäter, der mich angegriffen hatte, vor Gericht gebracht. Am 7. Februar dieses Jahres wurde er folgender Verbrechen für schuldig erklärt: versuchter Mord, widerrechtliches Eindringen, versuchte Vergewaltigung und Freiheitsberaubung.
Unser Vertrauen zu Gott muß über jegliche Menschenfurcht die Oberhand gewinnen. Wir sollten daher entschlossen sein, uns von folgenden Worten des Psalmisten David leiten zu lassen: „Auf Gott habe ich mein Vertrauen gesetzt, ich werde mich nicht fürchten. Was kann der Erdenmensch mir antun?“ (Psalm 56:11). (Eingesandt.)
[Fußnote]
a Uniform Crime Reports—Crime in the United States, 1983, U.S. Federal Bureau of Investigation.
[Kasten auf Seite 23]
Warum man sich gegen einen Angreifer vom ersten Augenblick an zur Wehr setzen sollte
1. Der Angreifer erschrickt vielleicht und läuft weg.
2. Man kann ihn womöglich außer Gefecht setzen und fliehen.
3. Der Trieb des Angreifers mag nachlassen, oder er ermüdet und macht sich davon.
4. Man erregt die Aufmerksamkeit anderer.
5. Man bewahrt ein reines Gewissen. (Selbst wenn man vergewaltigt wird, bleiben die Selbstachtung und der reine Stand vor Gott erhalten.)
6. Verletzungen, die man dem Angreifer beibringt, helfen der Polizei, ihn später zu identifizieren (z. B. Haut des Täters unter den Fingernägeln).