Ein entzweites Land — Worin besteht die Lösung?
EIN Weißer, der 1955 Angola — damals eine portugiesische Kolonie — besuchte, stellte überrascht fest, daß er über Nacht zum „Aristokraten“ aufgestiegen war. In den Geschäften, auf Ämtern und bei anderen Behörden brauchte er nicht wie die Schwarzen Schlange zu stehen.
Noch vor zwei Jahrzehnten war das in vielen afrikanischen Ländern allgemein üblich.
Dann gelangten in den 60er Jahren die Schwarzen in den Ländern, wo die Weißen in der Minderheit waren, nach und nach an die Macht. In Südafrika dagegen hielten Millionen von Weißen, die jahrzehntelang geglaubt hatten, mit göttlicher Vollmacht zu herrschen, die Zügel der Regierung und der Wirtschaft fest in der Hand. Wie war es zu dieser Situation gekommen?
Im Jahre 1652 landeten am Kap die ersten weißen Siedler, die Niederländer. Als sie die mit Tierhäuten bekleideten Bewohner des Landes sahen — Hottentotten und Buschmänner —, fühlten sie sich aufgrund ihrer fortgeschritteneren Kultur überlegen. Bald kam es zu Reibereien.
Die weißen Bauern siedelten sich im Jagdgebiet der Buschmänner an. Diese waren daraufhin verärgert und stahlen ihnen das Vieh. Der kleine Buschmann wurde wie ein Tier gejagt, und im 19. Jahrhundert ist er beinahe ausgerottet worden. Die Hottentotten wurden unterjocht. Die Pocken dezimierten sie stark, und die wenigen Überlebenden gingen in anderen Rassen auf.
Im 18. Jahrhundert kam es zur Begegnung der weißen Bauern (Buren) mit den Xhosa — sie kamen mit einer Einwanderungswelle aus dem Norden. Wieder brachen Streitigkeiten aus. Es wurde erbittert gekämpft. Unterdessen brachten die Briten das Kap in ihren Besitz. Vielen Buren behagte die Herrschaft der Briten aber nicht, und deshalb zogen sie in den 1830er Jahren weiter nach Norden. Nachdem sie große Schwierigkeiten durchgemacht und zahlreiche Konflikte ausgetragen hatten, errichteten sie jenseits der Flüsse Oranje und Vaal neue Staaten. Wie die Briten, so praktizierten auch die Buren die Rassentrennung.
Die Buren waren Kalvinisten, Anhänger der Niederländischen Reformierten Kirche. Sie lasen eifrig in der Bibel, dennoch fühlten sie sich der schwarzen Rasse überlegen — viele glaubten, die Schwarzen seien von Gott verflucht.
Die Kirche billigt die Apartheid
Als im 19. Jahrhundert die Zahl der nichtweißen Bekehrten zunahm, stellte sich bei vielen Weißen ein Unbehagen ein. Daraufhin fällte die Kirchensynode 1857 eine historische Entscheidung: „Wegen der Schwachheit einiger [Weißer] ... nimmt die Gemeinde aus den Heiden [Nichtweißen] ihre christlichen Vorrechte in einem separaten Gebäude oder einer separaten Institution wahr.“ Die Kirche billigte somit die Trennung.
Der Spaltungsprozeß hielt an. Heute gibt es separate niederländische reformierte Kirchen für Weiße, Schwarze, Mischlinge und Inder.
Im letzten Teil des 19. Jahrhunderts war ein weiterer entzweiender Trend zu beobachten. Bis dahin waren zahlreiche kirchliche Missionen gegründet worden, und zwar hauptsächlich britische, und somit waren sie fest in weißer Hand. „Die afrikanischen Geistlichen“, so James Kiernan, Professor der Sozialanthropologie an der Universität von Natal, „faßten diesen Ausschluß [der afrikanischen Geistlichen aus der Leitung] als Diskriminierung auf und reagierten mit der Gründung eigener Kirchen.“ Die erste entstand 1892 in Johannesburg. Heute gibt es in Südafrika etwa 4 000 religiöse Gruppen, denen hauptsächlich Schwarze angehören.
Das 20. Jahrhundert begann mit dem Kampf „christlicher“ Weißer — britischer Imperialisten und burischer Nationalisten — um die Vormacht. Dank ihrer zahlenmäßigen Übermacht nahmen die Briten die Republiken der Buren ein und gründeten mit ihnen zusammen später die Südafrikanische Union.
Doch die Buren, heute Afrikaander genannt, gewannen politisch die Oberhand, als ihre Nationalpartei 1948 aufgrund des Nachdrucks, mit dem sie die Apartheidpolitik (Rassentrennungspolitik) verfolgte, die Wahl für sich entschied und sie so an die Macht gelangten. Ein Kommentar in der Tageszeitung Die Transvaler lautete: „Wir haben die Apartheidpolitik ... auf den christlichen Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit aufgebaut.“ Durch eine Flut von Gesetzen und Verordnungen wurde die Rassentrennung anschließend ausgebaut.
Viele Weiße sind sich weder bewußt, wie schlecht die Lebensbedingungen in den Siedlungen der Schwarzen sind, noch können sie erfassen, welche Demütigungen die Apartheid mit sich bringt. Das ist die Folge davon, daß Schwarze und Weiße für sich leben und gesellschaftliche Kontakte fehlen. Bei nahezu allen Schwarzen ruft die Apartheidpolitik Groll hervor. Und mit diesem Groll hat man die Hitze der Auseinandersetzungen geschürt.
Gibt es eine Lösung?
Innerhalb und außerhalb Südafrikas verstärkt sich der Druck gegen die Apartheidpolitik. Kürzlich entschloß sich die Regierung zu Veränderungen von großer Tragweite. Sie führte einige Reformen durch und hob eine Anzahl von Apartheidgesetzen auf. Man hält es jedoch für unmöglich, daß die Probleme Südafrikas für alle zufriedenstellend gelöst werden können. Viele, Schwarze wie Weiße, möchten die Veränderungen auf friedlichem Wege herbeiführen, doch einige Weiße, die eine harte Linie verfolgen, beharren auf dem Status quo. Beide Lager sind in Extremisten und Gemäßigte gespalten. Die Schwarzen sind außerdem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Stämmen geteilt.
Welche Lösung wird von kirchlicher Seite befürwortet? Eine geistig-religiöse Lösung? Das Reich Gottes? Nein, die Kirchen haben die politische Arena betreten. Manche Geistliche fordern sogar zu zivilem Ungehorsam auf und verhandeln mit Führern von Befreiungsbewegungen, die für Gewaltanwendung eintreten. Deshalb bemängeln Kirchgänger häufig, daß sie „zuviel über Politik und zuwenig über Gott“ hören.
Die innere Zerrissenheit der Kirchen macht den Wirrwarr komplett. In den verschiedenen Zweigen der Niederländischen Reformierten Kirche wird die Apartheid jetzt heftig kritisiert. Viele Geistliche, schwarze wie weiße, verurteilen sie. Die Westliche Kapsynode entschied im Oktober 1983, daß Rassendiskriminierung „sündhaft“ sei und die Kirche künftig Menschen aller Rassen offenstehen solle.
Am 29. August 1985 erkannte das Presbyterium von Stellenbosch, ein anderes regionales Gremium der Niederländischen Reformierten Kirche, offiziell an, daß die Rassentrennung „den biblischen Grundsätzen der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit widerspricht“ und daß die „Apartheid menschliches Leid verursacht hat“. Auch die anglikanischen Kirchen werden von innerer Zerrissenheit in Rassenfragen geplagt. Aufrichtige Menschen, die in dem Glauben erzogen wurden, die Apartheid sei der „Wille Gottes“, stehen vor einem Rätsel und sind verwirrt.
Die einzige Lösung
Südafrika steht seit Jahren im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Mittlerweile ist es „in“, mit dem Finger auf dieses Land zu zeigen. Allerdings sind viele Länder, die das tun, selbst nicht besser, wenn nicht gar schlimmer. Das führt uns zu einer höchst bedeutsamen Erkenntnis: Der Geist und die Macht des Menschen sind überfordert, wenn es darum geht, die Probleme Südafrikas — und nicht nur die Südafrikas, sondern die der ganzen Welt — ein für allemal wirklich zu lösen.
Die Weltgeschichte gleicht einer ellenlangen Liste von Fehlleistungen, Ungerechtigkeiten, Kämpfen und Bluttaten. Und im 20. Jahrhundert spitzt sich die Lage noch zu, da die Welt, der ständig die Furcht vor einem nuklearen Krieg im Nacken sitzt, von einer Krise in die andere taumelt.
Anfang unseres Jahrhunderts erkannte man die Notwendigkeit einer höchsten Kontrollbehörde, der alle Nationen unterstellt wären. Doch die Versuche mit dem Völkerbund und den Vereinten Nationen sind fehlgeschlagen. Gibt es denn eine höchste Exekutive, die aufräumen und Frieden und Einheit schaffen will und kann? Ja, das Königreich Gottes.
„Es wird alle diese [von Menschen aufgerichteten] Königreiche zermalmen und ihnen ein Ende bereiten“ und so die Erde von Gewalttat, Ungerechtigkeit und allem Bösen befreien. Dann beginnt die tausendjährige Friedensherrschaft Christi. Unter dieser Herrschaft werden die Menschen gerecht behandelt werden ungeachtet ihrer Rasse, Hautfarbe oder Herkunft (Daniel 2:44; Psalm 37:10; Apostelgeschichte 10:34, 35).
Millionen Menschen in allen Ländern der Welt, auch in der Republik Südafrika, haben ihre Hoffnung auf das Königreich Gottes gesetzt, auf die Herrschaft Gottes. Gestützt auf biblische Prophezeiungen, die sich bereits erfüllt haben, glauben sie, daß Gottes Königreich bald die Herrschaft über die ganze Erde übernehmen wird. Unter dieser Herrschaft werden die Menschen aller Rassen vereint werden (Lukas 21:28-31).
Eine herzerfreuende Demonstration einer solchen Einheit waren die zwei besonderen Kongresse, die im Dezember 1985 in Südafrika stattfanden. Im nächsten Artikel wird darüber berichtet.
[Herausgestellter Text auf Seite 4]
Die Kirche billigte die Apartheid „wegen der Schwächen einiger“
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Die Apartheid wurde als der Wille Gottes präsentiert
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Viele Geistliche der Niederländischen Reformierten Kirche verurteilen die Apartheid