Äquatorialguinea — Eine Schatzkammer voller Überraschungen
Von unserem Korrespondenten in Äquatorialguinea
ES GIBT ein Land in Afrika, wo noch Elefanten und Gorillas im Dschungel umherstreifen; ein Land, an dem die Kommerzialisierung fast unbemerkt vorübergegangen ist und in dem Kinder Passanten noch zuwinken. Dieses Land ist außerhalb Afrikas nur wenigen bekannt.
Sein Name — Äquatorialguinea — ist nicht irreführend. Das Land, das etwa so groß ist wie Belgien, liegt knapp oberhalb des Äquators. Im Dezember 1990 besuchte ich die beiden Hauptlandesteile: die Insel Bioko sowie Mbini, einen schmalen Festlandstreifen auf dem afrikanischen Kontinent.
Die erste Überraschung erlebte ich, als ich erfuhr, daß die meisten der 350 000 Einwohner außer ihrer Stammessprache auch fließend Spanisch sprechen. Ich fand heraus, daß Äquatorialguinea zufolge einer Eigentümlichkeit in der Kolonialgeschichte das einzige spanischsprachige Land in Afrika wurde.
Verbindung zu Europa
Als der portugiesische Seefahrer Fernão do Pó 20 Jahre vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Golf von Guinea auf Forschungsfahrt war, entdeckte er die üppig bewachsene Vulkaninsel Bioko. Er war von ihrer Schönheit so bezaubert, daß er sie Formosa („Schönheit“) nannte. Viel später bezeichnete Sir Henry Stanley, ein anderer berühmter Entdecker, die Insel als „das Juwel des Ozeans“.
Allerdings wurde die urtümliche Schönheit der Gegend jahrhundertelang durch den schändlichen Sklavenhandel verdorben. Wegen ihrer strategisch günstigen Lage waren die Inseln Bioko und Corisco (eine weitere Insel Guineas, nahe der Küste vor Mbini gelegen) ideal als Zwischenstation für das Einschiffen afrikanischer Sklaven nach Amerika geeignet. Hunderttausende von Sklaven passierten diese Inseln zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert.
Im Jahr 1778 traten die Portugiesen ihren Besitzanspruch auf Bioko und die angrenzende Küste an die Spanier ab, um einen Konflikt zwischen beiden Ländern über Gebietsansprüche im weit entfernten Südamerika beizulegen. So gewann Spanien eine eigene Quelle zum Erwerb von Sklaven in Afrika und erhob im Gegenzug keine Ansprüche mehr auf portugiesisches Gebiet in Brasilien.
Die Grenzen waren jedoch nicht eindeutig festgelegt, und es gab nur wenige spanische Siedler. Als im 19. Jahrhundert die europäischen Nationen auf Kolonien in Afrika Jagd machten, ergriffen Frankreich und Deutschland vom Festland Äquatorialguineas Besitz, während die Insel Bioko von Großbritannien beansprucht wurde. Erst im Jahr 1900 wurden die Grenzen Äquatorialguineas endgültig festgelegt, und danach blieb es eine spanische Kolonie, bis es 1968 die Unabhängigkeit erlangte.
„Ein Lächeln wird erwidert“
Die Bewohner Äquatorialguineas sind ein buntes Völkergemisch. Auf der Insel Bioko leben die Bubi, während in den beiden größten Städten die hochgewachsenen Hausa überwiegen. Sie kamen als Einwanderer aus dem Norden und sind die wichtigsten Kaufleute Guineas. Auf dem Festland bilden die Fang den größten Volksstamm; sie stellen den überwiegenden Teil der Staatsbediensteten. Guineer lächeln gerne, was das Sprichwort der Fang bestätigt: „Ein Lächeln wird erwidert.“
Althergebrachte Bräuche und handwerkliche Fertigkeiten werden nach wie vor gepflegt. Ich war fasziniert, zu beobachten, wie die Guineer ihre einfachen Häuser aus Material bauen, das im Wald zu finden ist. Fischer stellen auch heute noch ihren eigenen Einbaum her und gehen auf traditionelle Weise dem Fischfang nach.
Jeden Tag strömen Tausende Guineer auf die Märkte von Bata und Malabo, den beiden größten Städten des Landes. Bei einem Besuch auf dem Markt lernte ich diese Menschen und ihre Lebensweise näher kennen. Hier kann man vom gebrauchten Schraubenschlüssel bis zum Affen (Affenfleisch eignet sich hervorragend für Eintöpfe) alles mögliche kaufen. Ein Sortiment von Flaschen voll starkem, hausgemachtem Waschmittel kämpft mit ordentlich aufgehäuften Bohnen und Knoblauchzehen um den Platz. Zeit ist in Guinea nicht so wichtig, und mir fiel auf, daß die Marktbuden anscheinend nie schlossen, jedenfalls nicht vor Einbruch der Nacht oder bevor alles verkauft war.
In vielen Dörfern des Fangstammes sah ich eine große Gemeindehütte. Wie man mir erklärte, wird sie Casa de la Palabra („Haus des Wortes“) genannt. Dort kommen die Dorfbewohner zusammen, um ihre Streitigkeiten beizulegen, nachdem beide Seiten ihre Beschwerden oder „Worte“ vorgetragen haben. Die Hütte ist ringsum offen, so daß jeder dem Verfahren zuhören kann.
Der tropische Regenwald — ein bewahrenswerter Schatz
Mehr als alles andere wird Guinea für meine Begriffe durch den Äquatorwald verkörpert. Sobald wir die Städte verlassen hatten, kam es uns angesichts des üppigen Pflanzenwachstums im Dschungel so vor, als würden wir durch einen grünen Tunnel fahren. Grün ist die Farbe Guineas, ein Grün in allen Schattierungen, ein Grün, das nach jedem tropischen Regenschauer glänzt wie neu. Wuchernde Kriechpflanzen, dichte Bambusbüsche und Hunderte von Baumarten bilden zusammen einen grünen Mantel, der das Land bedeckt. Auf unserer Erde, an der Raubbau getrieben wird, ist der tropische Regenwald — unordentlich und doch harmonisch — es wert, bewahrt zu werden.
Große Teile Äquatorialguineas sind noch von unberührtem Regenwald bedeckt, und einige dieser Gebiete sollen zu Nationalparks erklärt werden. Außerdem ist der Wald nicht nur schön anzusehen. Er gibt den Guineern Nahrung, Brennstoff und sogar Arznei. Es verwundert daher nicht, daß ein mächtiger tropischer Baum — der Kapokbaum — das guineische Staatswappen ziert.
Ich konnte nicht umhin, von der Schönheit Biokos beeindruckt zu sein, einer Schönheit, die schon die europäischen Entdecker vor fünfhundert Jahren bewunderten. Bioko ist eine von Vulkankratern übersäte, gebirgige Insel. Einige Krater sind zu Seen geworden, was die Landschaft noch abwechslungsreicher macht. Der höchste Vulkanberg der Insel erhebt sich nahezu 3 000 Meter über dem Meeresspiegel, und an seinen bewaldeten Hängen leben vielerlei exotische Vögel und Schmetterlinge — Farbtupfer in einem Meer von Grünpflanzen.
Winzige Nektarvögel, die hoch oben an den Berghängen zwischen Büschen und Blumen umherschwirrten, zogen mich in ihren Bann. Wie Juwelen schimmerte das grünrote Gefieder der Männchen im Licht der Nachmittagssonne. Gleich den amerikanischen Kolibris ernähren sie sich vom köstlichen Nektar großer Blüten oder von Insekten, die sie zwischen den Blütenblättern aufspüren.
Einzigartige Fauna des Waldes
Der Äquatorwald beherbergt besonders auf dem Festland eine unglaubliche Vielfalt an wilden Tieren. Rotbüffel und Waldelefanten, die kleiner sind als ihre Artgenossen in der afrikanischen Savanne, leben im dichten Dschungel. Das vielleicht außergewöhnlichste Tier des Waldes ist jedoch der Gorilla, von dem es in ganz Afrika immer weniger Exemplare gibt. Ich spielte mit einem zahmen jungen Gorilla, dessen Mutter von Jägern getötet worden war. Sein wehmütiger Gesichtsausdruck ließ mich daran denken, wie ungewiß die Zukunft der Gorillas wegen der Behandlung durch den Menschen ist.
Vor fünfundzwanzig Jahren waren Zoologen in aller Welt überrascht, als sie von der Entdeckung eines Albinogorillas in Guinea hörten. Es war der erste Fall von Albinismus bei Gorillas, der bekannt wurde. Das Fell des Albinos war völlig weiß, seine Haut war rosa und seine Augen blau. Man nannte ihn Copito de Nieve („kleine Schneeflocke“) und brachte ihn schließlich in den Zoo von Barcelona in Spanien, wo er heute noch die Besucher begeistert.
Mir fiel im Wald als erstes auf, daß man die wenigsten Tiere wirklich zu Gesicht bekommt. Viele schlafen tagsüber, und deshalb wird der Dschungel erst nachts richtig lebendig. Sobald die Dämmerung hereinbricht, verlassen Tausende von Flughunden ihre Schlafbäume, um den Blätterbaldachin des Waldes zu durchsuchen, während Fischeulen entlang den Strömen und Flüssen ihre Runde machen. Großäugige Galagos oder Buschbabies hüpfen in den Zweigen herum, als wäre es heller Tag.
Tagsüber sind es vorwiegend Vögel und Schmetterlinge, die Leben und Farbe in den Wald bringen. Am auffallendsten sind die riesigen Schwalbenschwanzfalter mit ihren leuchtenden schwarzen und grünen Flügeln und ihren Flugkapriolen. Die Luft ist erfüllt von gegensätzlichen Lauten wie dem gedämpften Gurren der Grüntauben und dem heiseren Schreien der plumpen Nashornvögel.
Am Waldboden entdeckte ich auf einem umgestürzten Baumstamm eine blau-orange gefärbte Siedleragame auf ihrem Posten. Sie hockte bewegungslos da — nur die Zunge schnellte dann und wann heraus, um jede Ameise zu verspeisen, die in Reichweite kam.
Leider bekam ich keinen der einzigartigen Flußbewohner Guineas zu sehen. An den Ufern und Wasserfällen des Mbíaflusses lebt die größte Froschart der Welt, der Conraua goliath. Diese Frösche können ein Gewicht von über 3 Kilogramm erreichen und ausgestreckt bis zu 90 Zentimeter lang sein. Nach Angaben von Paul Zahl, einem Forscher von National Geographic, sind sie aufgrund ihrer kräftigen Schenkel in der Lage, Riesensprünge von 3 Metern zu machen.
Wenn in Äquatorialguinea die Sonne untergeht, ist sie nicht rot, sondern orange, was anzeigt, daß die Atmosphäre dort nicht so verschmutzt ist wie anderswo auf der Erde. Die Konsumgesellschaft ist noch nicht bis hierher vorgedrungen, und die Bäume des Waldes produzieren täglich frischen Sauerstoff. Auf der Erde sind nur sehr wenige Stellen übriggeblieben, wo die Natur noch so intakt ist. Hoffentlich gehört die Schatzkammer am Äquator noch recht lange dazu.
[Karten auf Seite 24]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
AFRIKA
Äquatorialguinea
ÄQUATOR
[Karte]
Bioko
Mbini
[Bilder auf Seite 25]
Fischer stellen auch heute noch ihre Einbäume her
Gemeindehütte („Casa de la Palabra“), wo Dorfbewohner zusammenkommen, um ihre Streitigkeiten beizulegen
[Bilder auf Seite 26]
Junger Gorilla
Afrikanische Fischeule
Riesengalago
Afrikanischer Schmetterling