Der Papst bei der UNO — Was hat sein Besuch bewirkt?
AUF seinem Flug über den Atlantik zu den Vereinten Nationen in New York überschritt Papst Johannes Paul II. die 1 000 000-Kilometer-Reisemarke. Es war der 4. Oktober 1995, und der Papst befand sich auf seiner 68. Auslandsreise. Zweifellos ist er der am weitesten gereiste Papst in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche.
Der Papst landete an einem regnerischen Mittwoch auf dem Internationalen Flughafen Newark (New Jersey); anläßlich seines Besuches waren so strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden wie noch nie zuvor für einen Würdenträger. Man schätzt, daß insgesamt 8 000 Bundesbeamte und Beamte der Stadt New York zum Schutz des Papstes abgestellt waren. In einem Bericht hieß es, es handle sich um „einen ausgeklügelten Schutzschild“, der auch Hubschrauber und Taucher einschloß.
Der Zweck des Besuches
In seiner Rede auf dem Flughafen erinnerte der Papst daran, daß sein Vorgänger, Papst Paul VI., sich an die UNO-Vollversammlung mit folgendem Aufruf zum Frieden gewandt hatte: „Keinen Krieg mehr, nie wieder Krieg!“ Johannes Paul II. sagte, er statte der UNO erneut einen Besuch ab, um seine „tiefe Überzeugung auszudrücken, daß die Ideale und Vorsätze, die diese weltweite Organisation vor einem halben Jahrhundert ins Leben gerufen haben, mehr denn je unverzichtbar sind in einer Welt, die nach einem Ziel sucht“.
Bei der Vesper in der Sacred Heart Cathedral in Newark gab der Papst wiederum zu verstehen, daß die Vereinten Nationen seine Unterstützung besitzen würden, indem er sagte: „Diese Organisation besteht zu dem Ziel, dem Gemeinwohl der Menschheitsfamilie zu dienen, und deshalb ist es angebracht, daß der Papst dort als Zeuge der Hoffnung spricht, die das Evangelium schenkt.“ Außerdem sagte er: „Unser Gebet um Frieden ist deshalb auch ein Gebet für die Organisation der Vereinten Nationen. Der hl. Franz von Assisi ... leuchtet auf als ein großer Förderer und Baumeister des Friedens. Laßt uns seine Fürsprache auf das Werk der Vereinten Nationen für Gerechtigkeit und Frieden in aller Welt herabflehen.“
In seiner Rede vor der UNO sprach der Papst anerkennend von den gewaltlosen politischen Veränderungen, die 1989 in Osteuropa stattfanden, wo mehrere Länder ihre Freiheit wiedererlangt haben. Er rief dazu auf, echten Patriotismus statt extremen Nationalismus zu zeigen. Der Papst sprach über die Ungerechtigkeiten des heutigen Systems und sagte: „Wenn Millionen Menschen Armut leiden — und das bedeutet Hunger, Unterernährung, Krankheit, Analphabetentum und Entwürdigung —, müssen wir uns ... daran erinnern, daß niemand das Recht hat, den anderen zum eigenen Nutzen auszubeuten.“
Dem fügte er hinzu: „Wie sollte man angesichts dieser enormen Herausforderungen nicht die Rolle anerkennen, die der Organisation der Vereinten Nationen zukommt?“ Die UNO müsse ein geistiges Zentrum werden, „in dem sich alle Nationen der Welt zu Hause fühlen“. Er betonte, wie wichtig es sei, die „Solidarität der gesamten Menschheitsfamilie“ zu fördern.
Wahrer Frieden — Aus welcher Quelle?
Bestimmt äußerte Papst Johannes Paul II. viele edle Gedanken. Wies er die Weltführer in seiner langen Rede jedoch zu irgendeiner Zeit auf Gottes Lösung für die Probleme der Menschheit hin, nämlich auf Gottes Königreichsherrschaft durch Jesus Christus? (Matthäus 6:10). Nein. Tatsächlich zitierte der Papst in seiner Rede vor den Vereinten Nationen kein einziges Mal die Bibel. Ganz im Gegenteil, er sagte: „Mit der Hilfe der Gnade Gottes können wir im kommenden Jahrhundert und für das nächste Jahrtausend eine der Menschenperson würdige Zivilisation, eine wahre Kultur der Freiheit errichten.“ Erforscher der Bibel mögen den Eindruck haben, als sei dies eine Wiederholung ähnlicher Gedanken, die die Bewohner des alten Babels vor über 4 000 Jahren äußerten; sie dachten, sie könnten die Menschheit durch menschliche Mittel vereint halten. Sie sagten: „Auf! Laßt uns eine Stadt und auch einen Turm bauen mit seiner Spitze bis in die Himmel, und machen wir uns einen berühmten Namen“ (1. Mose 11:4). Gemäß dieser Betrachtungsweise werden somit die politischen Führer, repräsentiert durch die UNO, eine neue Zivilisation schaffen, die sich auf Freiheit gründet.
Was aber prophezeit die Bibel über die Zukunft der menschlichen Regierungen und der UNO? Die Bibelbücher Daniel und Offenbarung vermitteln ein klares Bild darüber, was sie erwartet. Daniel sagte vorher, daß Gott in den letzten Tagen seine Königreichsherrschaft aufrichten würde, vergleichbar mit einem großen Stein, der ‘nicht mit menschlichen Händen gehauen wurde’. Was wird das Königreich tun? „In den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nie zugrunde gerichtet werden wird. ... Es wird alle diese Königreiche zermalmen und ihnen ein Ende bereiten, und selbst wird es für unabsehbare Zeiten bestehen.“ Die menschlichen Regierungen werden durch eine gerechte Herrschaft ersetzt werden, die der ganzen Menschheit zugute kommen wird (Daniel 2:44, 45).
Was wird mit der UNO geschehen? In Offenbarung, Kapitel 17 wird die UNO (sowie ihr kurzlebiger Vorgänger, der Völkerbund) als ein scharlachfarbenes wildes Tier beschrieben, das „in die Vernichtung hinweggehen [wird]“ (Offenbarung 17:8).a Jehova wird nicht durch irgendeine unvollkommene menschliche Einrichtung wahren Frieden herbeiführen, ganz gleich, wie aufrichtig es die Anhänger dieser Einrichtung auch meinen mögen. Wahrer Frieden wird durch Gottes verheißenes Königreich kommen, an dessen Spitze der auferweckte Christus Jesus steht. Auf dieses Königreich stützt sich die Erfüllung der göttlichen Verheißung, die wir in Offenbarung 21:3, 4 lesen können. Dort heißt es: „Siehe! Das Zelt Gottes ist bei den Menschen, und er wird bei ihnen weilen, und sie werden seine Völker sein. Und Gott selbst wird bei ihnen sein. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen.“
Der Papstbesuch — Wieviel hat er bewirkt?
Wurden die katholischen Gläubigen ermuntert, ihre Bibel herauszuholen und die Bibeltexte nachzulesen, wenn sich der Papst in seinen Ansprachen auf die Bibel bezog? Tatsache ist, daß die allermeisten nicht einmal eine Bibel dabeihatten. Der Papst nannte selten einen bestimmten Bibeltext, um seinen Zuhörern das Nachlesen in der Bibel zu erleichtern.
Ein Beispiel dafür ist die Rede des Papstes im Giants-Stadion (New Jersey). Er sagte zu den etwa 83 000 Anwesenden: „Wir warten auf die Wiederkunft des Herrn als Richter über die Lebendigen und die Toten. Wir erwarten seine Wiederkunft in Herrlichkeit, das Kommen des Reiches Gottes in der Fülle. Das ist die ständige Einladung des Psalms: ‚Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!‘“ Aber welchen Text aus den Psalmen zitierte er? Und wen meinte er mit „Herr“? Jesus oder Gott? (Vergleiche Psalm 110:1.) Gemäß L’Osservatore Romano, der Vatikanzeitung, zitierte er Psalm 27:14, wo es genauer heißt: „Hoffe auf Jahwe und sei stark! Sei tapferen Mutes und hoffe auf Jahwe!“ (Jerusalemer Bibel). Ja, wir sollten unsere Hoffnung auf Jahwe oder Jehova setzen, den Gott des Herrn Jesus (Johannes 20:17).
Haben katholische Geistliche und Führer im Laufe der Geschichte den Frieden unter den Völkern gefördert? Hat die Unterweisung der katholischen Kirche dazu beigetragen, daß Auseinandersetzungen auf Grund ethnischer oder rassischer Unterschiede oder Stammesfehden beigelegt wurden? Das Gemetzel, zu dem es 1994 in Ruanda, einem Land im Osten Zentralafrikas, kam, sowie die Vernichtungskriege im ehemaligen Jugoslawien in den letzten paar Jahren zeigen, daß sich tiefsitzende Haßgefühle und Vorurteile in den Herzen der Menschen in der Regel nicht durch religiöse Lehren beseitigen lassen. Jede Woche gewohnheitsmäßig die Beichte abzulegen oder regelmäßig die Messe zu besuchen wird nichts an dem Denken und Handeln der Menschen ändern. Dazu bedarf es einer wesentlich stärkeren Antriebskraft, einer Antriebskraft, die nur dann erzeugt wird, wenn das Wort Gottes in Sinn und Herz eines Gläubigen eindringen kann.
Ein wahrer Christ, der in seinem Lebenswandel Änderungen vornimmt, tut dies nicht auf Grund von Emotionen, die durch religiöse Bräuche geweckt werden, sondern weil er verstandesmäßig erfaßt hat, was der Wille Gottes den einzelnen betreffend ist. Der Apostel Paulus sagte: „Hütet euch davor, euch den Regeln und Sitten anzugleichen, die in dieser Welt gelten. Wandelt euch! Werdet anders! Fangt bei der Erneuerung eurer Gedanken an! Denn ihr sollt verstehen und erfassen, was Gott will: was gut ist und ihm gefällt, was auf ihn als auf das Ziel auch eures Lebens zugeordnet ist“ (Römer 12:2, Zink). Ein Studium des Wortes Gottes, durch das eine genaue Erkenntnis des göttlichen Willens vermittelt wird, führt zu Verhaltensänderungen. Es erzeugt eine geistige Kraft, die jemandes Sinn antreibt, so daß er einen christlichen Lebenswandel führt (Epheser 4:23; Kolosser 1:9, 10).
Steht die Kirche an einem „Scheideweg“?
Die spanische Zeitung El País schrieb über Papst Johannes Paul II., er besitze für einen Fünfundsiebzigjährigen ein „außergewöhnliches Charisma“, und eine amerikanische Zeitung nannte ihn einen „Meister im Umgang mit den Medien“. Der Papst geht geschickt mit der Presse um und versteht es, zu Menschenmassen und zu Kindern Kontakt herzustellen. Auf seinen Reisen tritt er als ein gewandter Repräsentant des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt auf. Der Vatikan genießt zwar die offizielle Anerkennung der Vereinten Nationen, doch die Tatsache, daß der Papst dieser Organisation seinen Segen spendet, garantiert noch lange nicht, daß auch Jehova Gott dies tut.
Die Reaktionen auf den Papstbesuch waren unterschiedlich. Viele jener Katholiken, die sich eine Karte für die im Freien abgehaltene Messe besorgt hatten, fühlten sich hinterher emotional aufgerichtet. Einige katholische Kirchenobere standen dem Besuch des Papstes und seinen möglichen Auswirkungen jedoch negativer gegenüber. Die New York Times zitierte Timothy B. Ragan, Vorsitzender des Katholischen Nationalen Zentrums für pastorale Leitung. Er sagte, der Papstbesuch sei eine „vertane Gelegenheit“ gewesen. Zwar habe er sehr vielen Menschen Auftrieb gegeben und sei ein feierlicher Höhepunkt gewesen, aber viele katholische Kirchenobere hätten keine Gelegenheit bekommen, vom Papst angehört zu werden und einen Dialog mit ihm zu führen. Zahlreiche Katholiken haben das Gefühl, sie müßten sich mit einem Monolog des Papstes begnügen, wenn es um Themen wie Zölibat, Geburtenkontrolle oder Scheidung geht.
Manche bedeutende katholische Geistliche räumen ein, daß „die Kirche an einem Scheideweg steht“, und sie befürchten, daß viele Katholiken, „insbesondere die jungen Leute, vergessen, was es eigentlich genau bedeutet, ein Katholik zu sein“. Nach Ansicht von James Hitchcock, einem katholischen Traditionalisten, „liegt das Problem in einem entzweienden kalten Krieg zwischen einer zunehmend konservativ eingestellten Hierarchie und einem ein wenig liberalen ‚mittleren Management‘“.
Darüber, wie sich der Papstbesuch auf die Krise in den Reihen der katholischen Kirche auswirken wird, sagte Hitchcock: „Er kommt hierher, er wird vergöttert, er geht wieder — und alles bleibt beim alten. Meiner Ansicht nach hat er enttäuschend wenig erreicht.“ Offensichtlich hat der Papst die Gelegenheit verpaßt, den politischen Führern bei seinem Besuch der Vereinten Nationen zu sagen, wo die Quelle wahren Friedens zu suchen ist.
Wenn auch in der Charta der Vereinten Nationen sowie durch Propaganda das Ziel betont wird, „Frieden und Sicherheit“ zu schaffen, sollte man sich nicht täuschen lassen. Die Bibel sagt warnend: „Wann immer sie sagen: ‚Frieden und Sicherheit!‘, dann wird plötzliche Vernichtung sie überfallen wie die Geburtswehe eine Schwangere; und sie werden keinesfalls entrinnen“ (1. Thessalonicher 5:3). Wahrer Frieden und wahre Sicherheit werden nur durch den Willen Gottes geschaffen und nur auf Gottes Weise — durch seine Königreichsherrschaft, nicht durch die Vereinten Nationen.
[Fußnote]
a Weitere Einzelheiten über diese Prophezeiung aus der Offenbarung sind in dem Buch Die Offenbarung — Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe!, Seite 240—251 zu finden, das 1988 von der Wachtturm-Gesellschaft herausgegeben wurde.
[Bildnachweis auf Seite 22]
Fotos: UNO