Winzige Flugakrobaten
HUSCH! Die Fliegenklatsche schnellt durch die Luft auf die umherschwirrende Fliege zu. Doch die Fliege weicht der Klatsche geschickt aus, gerät in dem Luftzug für einen Augenblick ins Trudeln, fängt sich wieder und landet dann — dem plumpen Versuch, ihr den Garaus zu machen, zum Hohn — nach einer eleganten Drehung kopfüber an der Decke. Ein wirklich erstaunlicher Kunstflug! Tatsächlich kann sich die allgegenwärtige Familie der Fliegen der besten Kunstflieger in der Insektenwelt rühmen, nicht zuletzt dank einem Paar wunderbar konstruierter Gleichgewichtsorgane: den Schwingkölbchen oder Halteren.
Winzigen Stengeln gleich, die mit einem ausgeprägten Knubbel abschließen, ragen die beiden Halteren direkt hinter den zwei Flügeln aus dem Thorax der Fliege. (Siehe Bild auf der nächsten Seite.) Schlägt eine Fliege mit den Flügeln, fangen auch die Halteren an zu schlagen — im gleichen Rhythmus, Hunderte von Malen in der Sekunde. Halteren sind eigentlich winzige Gyroskope, die das Insekt beim Fliegen unterstützen. Sie senden Signale zum Gehirn der Fliege, sobald sie die Flugrichtung ändert, zum Beispiel wenn das kleine Tierchen von einem Windstoß erfaßt wird oder vom Luftzug einer Fliegenklatsche oder Zeitung, die beängstigend nahe vorbeizischt. Die Halteren melden der Fliege sofort, wenn der Körper ins Schieben oder Rollen geraten ist oder sich neigt, geradeso wie das ein Gyroskop im Flugzeug dem Piloten anzeigt — wenn auch wesentlich weniger genau! Die Fliege korrigiert daraufhin schnell und mühelos ihre Flughaltung.
Anders als übliche Kreiselgyroskope ähneln die Halteren eher einem Pendel. Doch hängen oder stehen sie nicht vertikal zum Fliegenkörper, sondern ragen aus dessen Seiten heraus. Einmal in Bewegung versetzt, schlagen oder schwingen sie wie Pendel ständig in eine Richtung, entsprechend den Gesetzen der Dynamik. Ändert der Fliegenkörper seine Lage im Raum, verdrehen sich die schwingenden Halteren durch die Einwirkung äußerer Kräfte an ihrem Ansatz, was dort von Nerven registriert wird. Das Gehirn wertet diese Nervensignale aus und bewirkt über die Flügel automatisch eine Korrektur der Flughaltung — all das in blitzartiger Geschwindigkeit.
Die Halteren gehören wirklich zu den Besonderheiten, mit denen nur die Fliegen ausgestattet sind — jene Familie der Zweiflügler mit gut und gern 100 000 Arten, zu denen Bremsen, Stubenfliegen, Schmeißfliegen, Taufliegen, Tsetsefliegen, Sandfliegen und Erdschnaken gehören. Von allen Familien fliegender Insekten sind die Fliegen dank ihres genial konstruierten Gyroskops in der Luft mit Abstand am wendigsten. Obwohl häufig verachtet, zeugt auch dieses Insekt von der wissenschaftlichen Genialität des Schöpfers.
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Schieben
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Rollen
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Neigen
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Waffenfliege (Vergrößerung), Halteren markiert
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© Kjell B. Sandved/Visuals Unlimited
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Stubenfliege
Erdschnake
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Animals/Jim Harter/Dover Publications, Inc.
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Century Dictionary