Ein Besuch in Zentralamerika
DER Mittwoch, 30. November 1949, war der Tag, da N. H. Knorr, Präsident der Watch Tower Bible & Tract Society, mit einem seiner Sekretäre, R. E. Morgan, New York zu einem dienstlichen Besuche der Zweigstellen der Gesellschaft und der Missionarheime in Zentralamerika verlassen sollte, wobei auch drei Länder an der Nordküste des südamerikanischen Kontinents und verschiedene Inseln in Niederländisch-Westindien an die Reihe kamen. Die zwei Brüder sollten an Kongressen anwesend sein und auf ihrer Reise Vorträge in den hauptsächlichsten Städten halten. Die Vorbereitungen auf die Reise wurden vierzehn Tage vor dem Abreisedatum unterbrochen, da Bruder Knorr einen heftigen Anfall von Blinddarmentzündung bekam. Man hoffte, der Entzündung durch Behandlung zu wehren, damit sie nachlasse und eine Operation unnötig werde. Doch war dies der dritte Anfall im Verlauf zweier Jahre, und die Ärzte hielten eine Operation für unvermeidlich. So wurde denn um 20 Uhr des 16. November eine Blinddarmoperation vorgenommen. Dies bedeutete natürlich, dass Bruder Knorr die Reise nicht gemäss dem Programm antreten konnte, das allen Zweigbüros der Watch Tower Society in dem zu besuchenden Gebiet zugestellt worden war, wiewohl er sechs Tage nach der Operation wieder an seinem Pult sass, das heisst am 22. November wieder arbeitete.
Da Jehovas Zeugen in diesen Ländern den Besuch von Vertretern aus dem Hauptbüro der Gesellschaft erwarteten und da Vorbereitungen zu Kongressen und die Bekanntmachung öffentlicher Vorträge, die Bruder Knorr halten sollte, bereits im Gange waren, hiess er Bruder Morgan seine Anstalten zur Reise fortsetzen und die Reise über Mexiko bis Nikaragua allein machen. Bruder Morgan musste alle Sprechaufgaben übernehmen und den Präsidenten bei den öffentlichen Vorträgen vertreten. Bruder Knorr beschloss, für genügendes Zuheilen der Wunde einige Wochen Zeit einzuräumen und somit New York am 17. Dezember zu verlassen und dann je zwei Tage in den ersten sechs zu besuchenden Ländern zu verbringen und schliesslich Bruder Morgan am 30. Dezember in Kostarika einzuholen. Auf diese Weise hoffte Bruder Knorr in der Lage zu sein, wichtige Dinge in Verbindung mit dem Königreichswerk zu erledigen, Zweigbüros zu inspizieren, Probleme der Ausdehnung und der Missionarheime zu erörtern und zu den Ortsgruppen zu sprechen, denen Bruder Morgan schon gedient hatte, und auch nicht zu verfehlen, die Gilead-Absolventen in diesen Ländern zu besuchen und ihnen Rat zu erteilen.
Früh am Morgen des 30. November begleitete eine Anzahl Geschwister aus dem Bethel Brooklyn, darunter auch Bruder Knorr, der sich um diese Zeit ganz wohl fühlte und jeden Tag arbeitete, Bruder Morgan an den Flughafen in Newark, New Jersey. Schwerer Dunst lastete an jenem Morgen über der Stadt und besonders über dem Flugfeld; doch pünktlich um 9 Uhr gaben die Flughafen-Lautsprecher das Abfahrtssignal für den Eastern Airline Kurs 501 nach Houston, Texas, an. Die Geschwister, die Bruder Morgan das Abschiedsgeleite gaben, wünschten ihm des Herrn Segen zu seiner Reise, und innerhalb weniger Minuten donnerte das riesige „Constellation“-Flugzeug eines neuen Typus die Piste hinab und verschwand auf seinem Fluge nach Südwesten bald in Dunst und Nebel. Mit seiner luftdruckregulierten Kabine flog es auf einer Höhe von über 3000 Meter und überquerte den südöstlichen Teil der Vereinigten Staaten mit mehr als 480 Kilometer Geschwindigkeit in der Stunde. Der Flug verlief grösstenteils glatt. Einige Minuten vor 14 Uhr bat der Pilot, man möchte die Sitzgürtel anschnallen, und pünktlich um 14.05 Uhr berührten die Räder unten die Piste von Houston. Der Platzbestellung gemäss ging die Reise nach Mexiko-Stadt mit der Pan American World Airways um 15.30 Uhr weiter, doch gab es eine Verspätung von dreissig Minuten wegen Reparaturen, die man am Pan American DC-4 vorzunehmen hatte. Doch nicht viele Minuten nach 16 Uhr war der „Clipper-Archer“ schon über dem Golf von Mexiko und schlug den geraden Weg nach der Hauptstadt von Alt-Mexiko ein.
MEXIKO
Einige Minuten nach 20 Uhr begannen in der Ferne die Lichter der Stadt Mexiko aufzuleuchten. Als wir über die Stadt flogen und nach Westen kreisten, war der Himmel oben pechschwarz, aber das Flimmern der vielfarbigen Lichter unten zeugte von der Tatsache, dass Mexiko eine moderne Stadt ist und bei Nacht vom Himmel aus nicht anders erscheint als irgendeine andere grosse amerikanische Stadt. Das Flugzeug vollzog eine glatte Landung auf der Piste des Aeropuerto Central am Rande der Stadt. Und da waren schon alle Gilead-Absolventen zugegen, die in Mexiko-Stadt erzieherische Arbeit leisten, zusammen mit einigen Gliedern der mexikanischen Bethelfamilie. Sie fragten sich, wo Bruder Knorr sei, da das mexikanische Büro die Nachricht, er komme zwei Wochen später, nicht erhalten hatte, obwohl man wusste, dass Bruder Knorr krank gewesen war. Einige dachten, ein Mitreisender, der mit Bruder Morgan aus dem Flugzeug stieg, sei ein Bruder aus dem Bethel Brooklyn, und sie gaben diesem Herrn einen ebenso königlichen Empfang und schüttelten seine Hand ebenso energisch wie die von Bruder Morgan. Er musste von mexikanischer Gastfreundschaft sicher einen guten Eindruck empfangen haben! Erst als einige vom „Empfangskomitee“ der mindestens dreissig Geschwister sagten: „Wartet noch auf den andern Bruder“, erfuhren alle, dass Bruder Morgan allein reiste.
Nach all dieser Erregung begab sich die Gruppe ins Heim der Geschwister. Dort versammelten sich alle um die Tische im Esszimmer, um die letzten Bilder des neuen Brooklyner Bethels und der Druckerei zu betrachten und von Freunden daheim zu sprechen, und darüber, wie die Dinge denn in den Vereinigten Staaten gingen. Dies war Bruder Morgans erste Reise in ein fremdes, interessantes Land, und sie erfreute ihn.
Der Donnerstag und Freitag wurden der Inspektion des Büros La Torre del Vigia de Mexico, A. C., gewidmet. Obwohl Jehovas Zeugen in Mexiko eben drei sehr erfolgreiche Bezirksversammlungen hinter sich hatten, versammelte sich doch eine stattliche Zahl Menschen in Mexiko-Stadt zu einer vierten Versammlung dortzulande in diesem Jahre. Es waren hauptsächlich die Glieder der Teilgruppen von Mexiko-Stadt anwesend. Alle am Werk der Zeugen Jehovas Interessierten wurden eingeladen zum besonderen Vortrag, betitelt „Freiheit den Gefangenen“. Am Freitagabend fanden sich 670 Geschwister zur Eröffnungsversammlung ein. Für Bruder Morgan war dies ein neues Erlebnis, und die bunte Gruppe machte Eindruck auf ihn — Menschen aus allen Ständen des Lebens, jeder durch seine Kleidung gekennzeichnet, doch alle zu den „andern Schafen“ des Herrn gehörend. Zu sehen, wie Kleine in einem rebozo oder Schal an der Brust der Mutter oder auf ihrem Rücken getragen werden, war ein eigentümlicher Anblick, wenn man es sonst gewohnt ist, die Kleinen im Kinderwagen oder in den Armen einer Mutter herumgetragen zu sehen. Die Kinder jeden Alters waren ungewöhnlich ruhig und verursachten nie eine Störung. Alle Gesichter strahlten Fröhlichkeit und Freude aus. Nach einigen Worten der Begrüssung übermittelte der Sprecher die lieben Grüsse und besten Wünsche von Bruder Knorr und drückte auch dessen Bedauern aus, nicht bei ihnen sein zu können.
Darauf nahm ein vorzügliches Dienstprogramm seinen Anfang. Es endete mit einer halbstündigen Ansprache des reisenden Vertreters über die Verantwortlichkeiten der Diener in der Gruppenorganisation. Der Samstagmorgen war für den Felddienst bestimmt, und der Nachmittag wurde Ansprachen gewidmet, die alle durch Gilead-Absolventen gegeben wurden, wovon zwei Brüder gebürtige Mexikaner sind. Am Samstagabend sprach Bruder Morgan wieder, wobei er einen Gilead-Absolventen als Dolmetscher brauchte. Obwohl die mexikanischen Geschwister kein Königreichsdienst-Liederbuch haben, sondern nur den gedruckten Text davon, schien es, als ob ihr Gesang viel lebhafter und mitreissender sei, als wenn dieselben Lieder in Englisch gesungen werden. Am Sonntagnachmittag versammelten sich 850 Personen zum besonderen Vortrag „Freiheit den Gefangenen“. Viele Menschen guten Willens waren zugegen, einige waren das erstemal bei einer solchen Zusammenkunft. Der Kongress schloss am Sonntagabend mit einem Bericht über die Vergrösserung der Gebäulichkeiten der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten und einer Zusammenfassung, wie das Zeugniswerk in andern Ländern der Welt vorwärtsgeht. Annähernd 950 Personen erfreuten sich dieser letzten Versammlung und baten Bruder Morgan, allen ihren Mitarbeitern, die er auf seiner Reise antreffe, ihre lieben Grüsse zu übermitteln. Um 11 Uhr am Dienstagmorgen des 6. Dezember verabschiedete sich Bruder Morgan von den Geschwistern im mexikanischen Büro und bestieg ein Pan American DC-4 für die Reise nach dem südlichgelegenen Guatemala.
ABREISE DES PRÄSIDENTEN
Die mexikanischen Geschwister verbrachten sehr gesegnete Tage mit Bruder Morgan. Sie waren nicht betrübt, weil Bruder Knorr nicht bei ihnen gewesen war, denn sie wussten, dass sie in etwa zehn Tagen einen zweiten Besuch erhalten sollten, diesmal vom Präsidenten der Gesellschaft. Wenn er auch nicht so lange bleiben konnte, bedeutete es doch zwei Besuche von jemandem aus dem Hauptbüro, und darüber freuten sie sich. Schnell verfloss die Zeit, und der 17. Dezember war da, ehe man sich’s versah. Dies war der Tag, da Bruder Knorr ankommen sollte. Zur vorgesehenen Zeit verliess er New York und verabschiedete sich von den verschiedenen Geschwistern, die ihn zum Flughafen begleitet hatten. Er reiste die gleiche Strecke wie Bruder Morgan. Das Wetter war jedoch nicht so günstig, denn beim Flug über den Staat Louisiana und das östliche Texas geriet das Flugzeug in Böen und in einen sehr schweren Regensturm. Etwa der Hälfte der Reisenden wurde übel. Bruder Knorr, schon Luftveteran, berührte das Auf und Ab des hüpfenden Flugzeuges nicht, doch taten ihm die vielen Passagiere in ihrer Bedrängnis leid. Bei prasselndem Regen landete man in Houston, Texas. Alle Passagiere mussten durch Wasserlachen waten, um unter Dach zu kommen. Das Flugzeug war beträchtlich verspätet, und man fragte sich, ob das für Mexiko bestimmte Pan American-Flugzeug wohl auf die Ankunft dieses Eastern Airline-Flugzeuges gewartet hatte. Nach Rückfrage bei der Pan American-Gesellschaft erfuhr man, dass ihr Flugzeug ebenfalls verspätet sei und erst um 19 Uhr abfliege. Das bedeutete eine Wartezeit am Flughafen von zweieinhalb Stunden.
In dem Wunsche, einige Geschwister in Houston zu sehen, telephonierte Bruder Knorr dem Gruppendiener, und bald danach erschienen fünfzehn Geschwister am Flughafen und verbrachten die Wartezeit bei ihm. Es gab viel Interessantes zu besprechen, und bestimmt schätzte er es, dass sie ihm Gesellschaft leisteten bis um 21.30 Uhr, als sie heimgingen. Durch die Unterhaltung war die Zeit wie im Fluge vergangen. Die Pan American-Gesellschaft schob aber den Flug jede halbe Stunde weiter hinaus, bis schliesslich Mitternacht herankam. Einer der Motoren des DC-4 lief nicht richtig und musste zweimal auseinander genommen werden, bevor man die Ursache fand. Etwa eine Viertelstunde nach Mitternacht wurde der Motor angelassen und summte so normal wie die andern drei. Alle Passagiere waren an Bord, und durch dichten Nebel rollte das Flugzeug davon. Die Piste hinabeilend, konnte man nur die wenigen Lichter sehen, die den Weg bezeichneten, doch schon in wenig Minuten war man in der Höhe, über den Wolken, und sah die Sterne des Himmels. Müde und matt wie er war, schlief der Präsident der Gesellschaft auf dem ganzen Wege nach Mexiko-Stadt, wo man um 4.30 Uhr morgens eintraf. Die Pan American-Gesellschaft hatte die Geschwister, die schon früher zum Flughafen gekommen waren, unterrichtet, dass das Flugzeug erst am Morgen in Houston abfliegen werde. Deshalb hatten sie das Warten aufgegeben und waren heimgegangen mit Ausnahme eines einzigen Bruders, der später in der Nacht nochmals nachfragte und vernahm, dass das Flugzeug zwischen 3.30 und 4.30 morgens eintreffen werde. So wartete er denn, bis Bruder Knorr ankam. Es war gut, Bruder Teran, einen Gileaditer und gebürtigen Mexikaner, vorzufinden. Die beiden nahmen ein Taxi ins Bethelheim und traten ein, ohne dass man sie hörte oder dass sie jemand störten, und hatten jenen Morgen einige Stunden guten Schlafes.
Der Sonntag war ein geschäftiger Tag; er wurde im Gespräch mit Absolventen der Gileadschule und Gliedern der Bethelfamilie verbracht. Anstalten wurden getroffen, um 19 Uhr zu zwei Teilgruppen von Mexiko-Stadt und um 20 Uhr zu drei andern Teilgruppen zu sprechen. Der erste Saal war gedrängt voll, und es gab nur noch Raum zum Stehen. Bruder Perez, der verantwortliche Diener, übersetzte der Gruppe das, was Bruder Knorr ihr zu sagen hatte. Darauf führte man diesen eilends im Auto von einem Saal zum andern, damit er dort um 20 Uhr seine Ansprache beginnen konnte. An den zwei Versammlungen waren 550 Personen anwesend. Es wurde an diesen zwei Versammlungen bekanntgegeben, dass zufolge der Zahl der Verkündiger in Mexiko-Stadt und der drei überfüllten Säle, die sie benutzten, die Gesellschaft sogleich Anstalten treffe, die fünf Teilgruppen in zwölf aufzuteilen und in allen Teilen der Stadt Teilgruppen einzurichten, so dass für die Interessierten diese Versammlungen leicht erreichbar seien und man ihnen in bezug auf Felddienst bessere Aufmerksamkeit widmen könne. Diese Vorkehrung wurde mit Begeisterung aufgenommen, denn die Geschwister in Mexiko sind auf Ausdehnung bedacht.
Der Montag wurde den Problemen gewidmet, die sich auf die Arbeit im Büro und das Feld im allgemeinen beziehen. In Mexiko gibt es neun Kreise, und nun wird das Land in noch mehr Kreise eingeteilt, damit bessere Vorkehrungen für Kreisversammlungen getroffen werden können. Ein Kreisdiener in Mexiko muss körperlich stark und in der Wahrheit reif sein. Um in einigen der abgelegenen Orte von Gruppe zu Gruppe zu reisen, erfordert es vieles Wandern, Reisen zu Pferd, Übernachten im Freien und das Erdulden von allerlei Beschwerden, wobei man nie sicher ist, ob man gutes Trinkwasser hat, und wobei man von Malaria und andern Krankheiten usw. bedroht wird. Die Geschwister in Mexiko sind jedoch wie der Apostel Paulus gerne bereit, alles um Christi willen zu erdulden. Viele kleine Gruppen von einzelstehenden Verkündigern benötigen den Dienst des Kreisdieners, und es wurden Anstalten getroffen, mit ihnen in Berührung zu treten und sie regelmässig zu besuchen. Dreieinhalb Jahre vorher hatte Bruder Knorr Mexiko besucht, und in jenem Jahre hatte man dort im Durchschnitt 3094 Verkündiger. Diese Zahl haben sie im Jahre 1949 fast verdoppelt, indem sie einen Durchschnitt von 5547 und während des Jahres den Höhepunkt von 6733 erreichten. Die Zahl der Gruppen ist von 223 auf 306 angestiegen. Diese ganze Ausdehnung hat bewirkt, dass sich die Geschwister über den Segen freuen, den der Herr zu ihrer Arbeit gibt. Mehr als 200 Pioniere widmen ihre ganze Zeit dem Dienste, und viele ziehen hinaus in abgelegene Gegenden.
Der Widerstand gegen das Werk kommt hauptsächlich von der katholischen Kirche. Jahrelang ist es in Mexiko ihre Taktik gewesen, das Volk in Unwissenheit zu behalten, während Jehovas Zeugen nun eine Zeitlang denen, die nicht lesen und schreiben können, dies beigebracht haben. Die Behörden in Mexiko haben sich kräftig bemüht, die Bildung des Volkes zu heben. Dies hat natürlich in den Augen der Katholiken nicht Gnade gefunden. Sie konnten ihre vielen Anhänger in der ganzen Welt dadurch an sich ketten, dass sie das Volk in Unwissenheit liessen, doch haben sie einen Tag der Abrechnung zu erwarten. Wenn auch die Kirche aus der Regierung hinausgeworfen worden ist und in Staatsangelegenheiten wenig zu sagen hat, hat sie doch immer noch grossen Einfluss bei Menschen, die aus katholischen Familien stammen und nichts anderes als das katholische System kennen. Die Kirche möchte ihre verlorene Macht in Mexiko zurückerlangen, doch kann sich die gegenwärtige Generation deutlich des Übels erinnern, das sie der Nation zugefügt hat. Auffallend sind die Überbleibsel einiger Kircheninstitutionen, die, wenn man sie so bleiben lässt, das Volk stets an die Tyrannei der religiösen Inquisition erinnert, die einst in Mexiko herrschte. Nichts war „heilig“ an den Jahren, da die katholische Kirche das Land beherrschte. In einem der Klöster des sechzehnten Jahrhunderts, das noch ziemlich gut erhalten geblieben ist, finden wir prächtige Gärten, welche unterirdische Kerkerverliesse bedecken, wo religiöse Gefangene in stockfinsterer Dunkelheit in Ketten waren. In ihrer Bosheit ersannen die Priester eine Methode, Gefangene wahnsinnig zu machen, indem sie ihnen Wasser aufs Haupt tropfen liessen. Immer noch erhalten ist die Kalkgrube, wo die Leichname der Opfer vernichtet wurden. Stätten wie solche sprechen für sich selbst hinsichtlich der „heiligen Jahre“ katholischer Herrschaft.
Es ist gut, zu sehen, wie Gottes Wort nun in die Wohnungen der Menschen gelangt. Und die Mexikaner freuen sich und machen die gute Botschaft der Errettung kund, indem sie ‚Gott wahrhaftig sein lassen, wenn auch jeder Mensch sich als Lügner erwiese‘. Am Montag, dem 19., verliess Bruder Knorr die Stadt Mexiko, um seine Arbeit in Guatemala aufzunehmen, nachdem er mit den mexikanischen Geschwistern sehr angenehme Tage verbracht hatte.
GUATEMALA
Über das Gebiet von Guatemala nach der Kapitale, Guatemala-Stadt, fliegend, konnte Bruder Morgan zur Linken des Flugzeuges drei mächtige Vulkane sehen: Agua, Acatenango und Fuego; von denen der Fuego (was „Feuer“ bedeutet) der einzige noch tätige dieser drei ist. Um 14.20 Uhr flog das Flugzeug über den Amatitlan-See auf einer Höhe von nur etwas über hundert Meter und liess sich dann auf der betonierten Rollbahn südlich Guatemala-Stadt, in einem der besten Flughäfen von Zentralamerika nieder. Die Einwanderungskontrolle war sehr kurz, doch wurde im Flughafen Bruder Morgans Gepäck vier Stunden lang zurückbehalten, um es zu desinfizieren. Dies war eine behördliche Vorsichtsmassnahme gegen die Verbreitung der Maul- und Klauenseuche. Jeder Passagier musste auch für denselben Zweck durch nasses, chemisch behandeltes Sägemehl laufen, und allen wurde ihr Gepäck auf gleiche Weise behandelt. Doch in etwa zwanzig Minuten waren der Zweigdiener, sämtliche Gilead-Absolventen und die Gruppenverkündiger, die hergekommen waren, um die Besucher aus New York zu begrüssen, unterwegs ins Heim der Zweigstelle, 11 Avenida Norte No. 8, Guatemala-Stadt. Auf dem Heimweg kamen wir an der Stelle vorbei, wo ein mächtiges Sportzentrum erbaut wird. Man beeilt sich, dasselbe für die lateinamerikanischen Sportspiele zu Beginn 1950 fertig zu haben. Die Stadt Guatemala ist ganz modern mit ihren vielen Autobussen und ihren schönen neuen Wagen. Gleichzeitig sieht man neben dem „neuen Zeitalter“ die vielen ins Joch gespannten Ochsen, von Pferden gezogene Karren und barfüssige Indianer, die mächtige Lasten auf Kopf und Rücken tragen. Das schöne Missionarheim besteht aus sieben Schlafzimmern, einem modernen Badezimmer, einer Küche und drei Patios (Hofräumen). Der grösste Patio ist eingeschlossen und bildet einen idealen Königreichssaal, wo bequem 200 Personen Platz finden. Dies ist bestimmt für das Werk des Herrn in Guatemala ein vorzügliches Hauptlokal.
Am Mittwochmorgen bestiegen der Zweigdiener, Bruder Munsterman, und Bruder Morgan das Flugzeug nach Quetzaltenango, einer Stadt nordwestlich von der Hauptstadt, die etwa 35 000 Einwohner zählt. Hier befindet sich ein Missionarheim, und die Geschwister leisten gute Arbeit. Für jenen Nachmittag hatten sie einen öffentlichen Vortrag im Teatro Zarco veranstaltet, in einem der verschiedenen Kinos der Stadt. Die Gilead-Absolventen hegten einige Besorgnis und fragten sich, was wohl geschehen werde und wie viele Leute wohl mitten in der Woche zu einem Vortrag kämen. Es gibt in Quetzaltenango noch keine Gruppe, und zum öffentlichen Vortrag waren früher einmal nur siebenunddreissig erschienen. Um 15 Uhr waren nicht mehr als zwanzig bis dreissig Personen anwesend, und so wurde beschlossen, eine Viertelstunde zuzuwarten, um noch einigen Leuten Zeit zu geben, sich von ihrer Mittagssiesta aufzuraffen. Um die Zeit, da der Vortrag „Freiheit den Gefangenen“ gut im Gange war, lauschten 145 Personen. Jedermann war erfreut über die Anwesendenzahl, und es ist zu hoffen, dass diese Veranstaltung dem Werk in Quetzaltenango Antrieb geben wird. Eine Gruppe ist dort jetzt im Werden. Am Donnerstagmorgen kehrten alle Gilead-Absolventen mit den Brüdern Morgan und Munsterman in die Hauptstadt zurück, um dem Kongress dort beizuwohnen.
Gemäss Berichten hatte die Stadt Guatemala am Mittwochabend einen befremdenden Anblick geboten. Nach 18 Uhr sah man in den Strassen viele Feuer, zwei oder drei im Bereich eines Blocks. Die Kirchenglocken begannen unaufhörlich zu läuten, und die Luft widerhallte von Feuerwerk. Es war der Vorabend der Jahresfeier der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria, und Hunderte von Feuern wurden überall angezündet, um die bösen Geister wegzuschrecken. In gewissen Fällen werden glühende Kohlen in die Wohnungen genommen, damit dort kein böser Geist Zuflucht nehme. Am Donnerstag konnte dann beobachtet werden, wie ein grosses Bildnis der „Jungfrau“ von einer Kirche in die andere getragen wurde. Diesem Bildnis folgten acht andere Bilder, die alle Engel darstellen sollten. Am Freitagabend wurde diese Zeremonie wiederholt, als man die „Jungfrau“ und ihre Engel in die Kirche, aus der sie kamen, zurückführte. Es ist eine feierliche Prozession und sieht in der Nacht, weil Laternen und Kerzen auf Stangen herumgetragen werden, etwas unheimlich aus. Die Leute stehen am Strassenrand, um die Prozession vorbeigehen zu sehen, und manche gehen mit und verkaufen allerlei Nahrungsmittel und kleinere Schmucksachen. Die Männer, welche die Statue der „Jungfrau“ auf den Schultern tragen, zahlen per Block einen bestimmten Betrag, um sie tragen zu dürfen. Und jene, die sie tatsächlich in die Kirche zurücktragen, was als das grösste Vorrecht der Feier betrachtet wird, zahlen am meisten. Dies veranschaulicht bestimmt die Notwendigkeit einer Befreiung der Gefangenen.
Am Donnerstagabend wurde in der Stadt Guatemala eine gute Dienstversammlung im Salón del Reino abgehalten, und am Freitagabend waren zur Eröffnung der Versammlung 184 Geschwister anwesend. Da gab es junge und alte Leute, denn der Älteste ist ein Bruder von 80 Jahren. Er war hundertneunzig Kilometer weit gereist, um dem Kongress beizuwohnen, und dachte, dies sei vielleicht sein letzter, als er sagte: „Ich bin doch schon ziemlich alt zum Reisen!“ Seine Vision vom Königreich aber ist klar, und er ist ein tätiger Verkündiger. Er wünscht ernstlich, für die Predigttätigkeit in seiner Stadt Hilfe zu erhalten. Eine Schwester, die acht Kinder hat und jede Woche mehrere Bibelstudien abhält, war ebenfalls dort. Viele legen im Predigen des Wortes grossen Eifer an den Tag.
Der Samstag wurde dem Felddienste gewidmet, besonders der Verbreitung von 60 000 Flugzetteln, die am Donnerstag soeben von Brooklyn eingetroffen waren. Ein volles Ansprachenprogramm füllte den Samstagnachmittag und -abend aus. Am Sonntagmorgen symbolisierten sieben Brüder und neun Schwestern ihre Weihung in einem kleinen Teich im Park am Saum der Stadt. Am öffentlichen Vortrag waren am Sonntagnachmittag 425 zugegen, was die Herzen aller Geschwister froh stimmte. Somit waren es 173 mehr als an irgendeinem früheren öffentlichen Vortrag im Lande. Alle stimmten überein, dass dies der beste Kongress gewesen sei, den man in Guatemala je erlebt habe.
Am Montag, 12. Dezember, nach dem Mittagessen, drängten sich alle Geschwister vom Heim der Zweigstelle in den Autobus, der Bruder Morgan an den Flughafen bringen sollte, und binnen kurzem waren wir — unter beständigem Tuten des Chauffeurs — unterwegs. Bisweilen scheint es, dass die Bremsen dort als Sicherheitsfaktor erst nach dem Tuten kommen! Während wir die Strassen hinabfuhren, warfen wir schnell einen Blick auf den schönen Nationalpalast, welcher der Architektur der Stadt alle Ehre macht. Doch trägt dieser Bau immer noch die Zeichen von der letzten Revolution, denn seine hübsche Aussenseite von lichtgrünem Stein hat kleine Granatlöcher wie Pockennarben, und hier und dort sieht man ein grösseres Loch. Indes waren wir bald am Flughafen, und es schien, als ob der Besuch allzu kurz gewesen sei. Hier wiederum waren die Geschwister glücklich, dass der Besuch noch nicht ganz vorbei war, denn Bruder Knorr sollte in wenigen Tagen eintreffen. Am 20. Dezember kam er an.
Das Flugzeug, das Bruder Knorr aus der Stadt Mexiko herausführte, verliess die Stadt pünktlich; und da es mit dem Winde flog, kam es früh im Flughafen von Guatemala an. Bruder Knorr landete und passierte die gewohnten Eintrittsformalitäten, doch war niemand von den Geschwistern zu seinem Empfang anwesend. Sie waren alle sehr verlegen, als sie ankamen und Bruder Knorr schon dort vorfanden. Doch waren alle freudig, und man hätte aus der Freude, die sie zum Ausdruck brachten, schliessen können, dass ein Kongress in vollem Schwange sei. Sie hatten für jenen Abend eine Versammlung geplant und dazu alle Menschen guten Willens eingeladen. So musste man noch die Bestuhlung im Königreichssaal vornehmen, und wie erfreut waren wir, zu sehen, dass 225 Personen erschienen! Das behandelte Thema war der Jahrestext „Predige das Wort“, und es wurde darauf hingewiesen, wie wichtig es für die Geschwister ist, sich darauf vorzubereiten, allein zu stehen. Sie sollten nicht wirken, nur weil die Gesellschaft dort ein Zweigbüro oder ein Missionarheim unterhält, sondern jede Person, die in der Wahrheit ist, sollte bereit sein, damit weiterzufahren, sofern alle zerstreut werden sollten, gleich wie die Geschwister in Jerusalem, als die schwere Verfolgung wider die Urkirche einsetzte. Alle sollten bereit sein, überall „das Wort zu predigen“. Wiewohl sich in Guatemala gegen die Predigttätigkeit kein Widerstand erhoben hat und die Botschaft gut aufgenommen wird, muss erwartet werden, dass der Teufel von irgendwoher einen Druck ausüben wird, um die Ruhe der Organisation zu stören.
Es gab viele Probleme zu besprechen mit Bezug auf den Zweig und die Arbeit, die in Guatemala noch zu tun ist. Es leben in jenem Lande mehr als 3 1/2 Millionen Menschen, und gegenwärtig befinden sich dort durchschnittlich 188 Verkündiger und letztes Jahr als Höchstzahl 218. Die Ausdehnung in Guatemala ist jedoch auffallend, denn zur Zeit des letzten Besuches gab es dort im Durchschnitt nur fünfundzwanzig Verkündiger im ganzen Lande. Das war vor dreieinhalb Jahren. Diesmal wurden Pläne gemacht, weitere Gilead-Absolventen nach Guatemala zu senden, wahrscheinlich zehn, die in andern Städten arbeiten sollen. Auch werden die Gilead-Absolventen, die nun im Lande sind, nicht nur die Städte bearbeiten, wo sie wohnen, sondern an bestimmten Tagen in gewissen Monaten werden sie hinausziehen in einige der Dörfer, um zu sehen, was zur Gründung von Gruppen getan werden kann. Der Zweigdiener wird die vier schon gegründeten Gruppen noch weiter besuchen und auch eine Anzahl alleinstehender Geschwister. Es gibt in jenem Lande sehr viel zu tun, und die Geschwister sind begierig, es zu tun. Nach zwei glücklichen Tagen in Guatemala war der Präsident der Gesellschaft unterwegs nach San Salvador, wobei er der Route folgte, die sein Sekretär eingeschlagen hatte.