Ein Brief aus Kyoto
Von sieben Missionaren der Watchtower Society in Kyoto, Japan
Lieber Freund!
Unsere Zuteilung, wo wir uns niedergelassen haben, ist wunderbar. Es ist ein Paradies, das vollständig von Bergen umgeben ist. Die Stadt Kyoto selbst ist ein Schmuckkasten voller altertümlicher Paläste, Skulpturen, Malereien, Landschaftsgärten und lieblichen, kleinen Menschen, die sich mit leuchtenden farbigen Kimonos kleiden.
Neulich hatten wir die Gelegenheit, das weltberühmte Kirschblütenfest zu besuchen. Wir gingen zuerst in den Kaiserpalast und in den Park. Im ganzen Park, der etwa 81 ha groß ist, sahen wir die prächtigsten Kirschbäume in Blüte, die man sich denken kann. Es wurde uns erzählt, daß es zehn verschiedene Arten dieser blühenden Kirschbäume gibt. Einige davon kommen nur in Kyoto vor.
Als wir uns dem Kaiserpalast näherten, wurden wir buchstäblich von Hunderten kleiner Verkäufer umzingelt, die alles erdenkliche verkaufen wollten, vom getrockneten Tintenfisch und Seepolypen bis zu niedlichen Puppen, wofür Kyoto sehr bekannt ist. Diese kleine Episode erinnerte uns an unsere amerikanischen Zirkusse und an die Karnevalszeit. Ehe wir den kaiserlichen Garten betraten, mußten wir gebückt durch eine Pforte hindurchgehen; als wir dann unsere Augen aufmachten, waren wir einfach sprachlos und von Ehrfurcht ergriffen, als wir die herrlichen Wolken rosafarbiger Blüten sahen, die sich bis zum Boden neigten. Die meisten Zweige müssen mit kleinen Pfählen gestützt werden, damit sie nicht abbrechen. Als wir uns von unserer Bewunderung erholten, gingen wir weiter auf einem Blütenweg und konnten so den ganzen Garten übersehen, der auch wegen seiner Schwertlilien berühmt ist. Es schien uns, daß man die Art der japanischen Gärten an den Wasseranlagen und der einheitlichen Aufstellung der Steine erkennen kann. Es ist wohl überflüssig, zu sagen, daß wir tief beeindruckt waren, als wir diese Schönheit mit dem so einfachen Hintergrund sahen. Die Umgebung ist so schön, daß sie einen Menschen sprachlos machen kann.
Wir wurden hungrig und es kam uns gelegen, daß wir an einem japanischen Restaurant vorbeikamen. Wir bestellten Reis mit Curry und eine Tasse ocha (japanischer Tee). Man muß schon sagen, die Japaner wissen wirklich, wie man Reis zubereitet. Er gelingt ihnen immer und ist stets leicht und flaumig. Das Essen wurde durch eine Portion Eiskrem gekrönt, die — nebenbei gesagt — mit einer amerikanischen Maschine hergestellt war.
Wie es schien (zumindest uns) war der Höhepunkt des Kirschfestes der „zweite Nachtisch“, wobei der berühmte Kirschtanz von zwei Gruppen der hübschesten Geishas (Tänzerinnen) in Japan ausgeführt wird. Diese jungen Damen sind von Kindheit an in der Tanzkunst, im Singen, für die Teezeremonie und im Spielen der Harfe geschult. Als wir das Theater betraten, waren wir erstaunt, daß es fast leer war. Aber fünf Minuten vor Beginn strömten die Leute durch jede Tür, sogar auf den Balkon. Mehr Zeit brauchten sie nicht, denn innerhalb weniger Minuten gab es keinen Platz mehr, der noch frei war.
Die Lichter erloschen. Der Vorhang erhob sich langsam und die Leute hielten beim Anblick der rosafarbigen Blüten über den Köpfen der lieblichen Geishas, die in vielfarbige Kimonos gekleidet waren, den Atem an. Ihre Bewegungen waren sehr genau und graziös und der Eindruck wurde noch durch die entfalteten Fächer vergrößert, die jede von ihnen beim Tanzen bewegte. Einige Teile der Vorstellung waren dramatisch, wobei hervorragende Schauspieler in alte Kostüme gekleidet auftraten. Aber wir begriffen nicht den Höhepunkt, weil wir die Sprache noch nicht verstehen.
Wir können nicht umhin, zu sagen, daß unsere Zuteilung wunderbar, farbig, abwechslungsreich, belehrend und mit viel Spaß verbunden ist. Wir sind von der Landschaft und den Leuten einfach fasziniert.