Jehovas Segen macht reich
Von Maude Yuille erzählt
DER Weise schrieb: „Der Segen Jehovas, er macht reich, und keinen Kummer fügt er neben ihm hinzu.“ (Spr. 10:22, Fußnote) Ich möchte jetzt erzählen, wie mir meine eigenen Erfahrungen die Richtigkeit dieser Worte gezeigt haben.
An dem Tage, an dem ich geboren wurde, lieferte uns der Bäckerssohn Alston Yuille Brot. Doch vergingen über zwanzig Jahre, bis wir uns kennenlernten. Er war Ingenieur auf einem Regierungsamt in Mobile, Alabama, und ich war Hochschullehrerin. Sein Bruder hatte von einem „Kolporteur“ drei Bücher der Schriftstudien gekauft und sie seiner Mutter gegeben. Sie gab sie Alston. Als er die Bücher las, wurde er so beunruhigt, daß er sie weglegte. Er konnte sie jedoch nicht vergessen. Schließlich nahm er ein Notizbuch zur Hand und las, weil er wegen seines Mißtrauens nicht einmal eine Konkordanz zu Hilfe nehmen wollte, die Bibel von 1. Mose bis zur Offenbarung durch und notierte jede Bezugnahme auf das Leben nach dem Tode. Als er die Bibel zu Ende gelesen hatte, war er überzeugt, daß die Hölle das Grab ist. Nachdem ich ihn kennengelernt hatte, konnte er mir viele Glaubensfragen beantworten.
Bereits als Kind war ich sehr religiös. Ich glaubte wirklich, daß es einen Gott gibt, und ich wollte ihn besser kennenlernen. Darum schloß ich mich mit zwölf Jahren der Baptistenkirche an. Ich kam aber im Verständnis der Bibel nicht weiter. Als ich meine Freunde vom Baptistenseminar über verschiedene Dinge fragte, schalten sie mich wegen mangelnden Glaubens. Die Evangelisationsgottesdienste, die ich besuchte, stellten den Menschen, nicht Gott in den Vordergrund. Während meines Studiums auf der Universität Alabama verlor ich sogar mein Interesse daran, die Sonntagsschule und die Kirche zu besuchen.
Am 24. September 1913, in jenem „letzten ‚normalen‘ Jahr der Geschichte“, heirateten Alston Yuille und ich. Der erste Weltkrieg brach aus. Dann suchte uns ein tropischer Sturm heim und entriß uns unseren ganzen Besitz. Das einzige, was übrigblieb, war das mit einer Hypothek belastete Farmland. Im Februar 1917 wurde Alston nach Kalifornien geschickt. An einem Sonntag sah er eine „Karte der Zeitalter“ vor einem Versammlungssaal der Bibelforscher, ging in den Saal und stellte sich vor. Er begann, die Zusammenkünfte zu besuchen. Bald schrieb er mir und bat mich, ihm zuliebe die Schriftstudien zu lesen.
Was hatte ich inzwischen getan? Als ich 1914 Pastor Russell über „Harmagedon“ predigen gehört und das Photodrama der Schöpfung gesehen hatte, war ich von der Einfachheit der Botschaft und der Aufrichtigkeit der Sprecher beeindruckt gewesen, doch war ich mit sehr vielen Dingen auf einmal beschäftigt. Jetzt war es anders. Der beängstigende Gedanke ging mir immer wieder durch den Sinn: „Das Christentum hat versagt!“ Ich faßte einen Entschluß: Ich wollte Alstons Bücher lesen! Ich begann an einem Abend mit einem davon und konnte die ganze Nacht nicht aufhören zu lesen. Nun gingen mir die Augen auf! Nicht das Christentum, sondern die Christenheit hatte versagt! Sofort schrieb ich Alston und berichtete, daß ich die Schriftstudien gerne läse. Unsere Briefe kreuzten sich. Nachdem ich zu ihm nach Stockton, Kalifornien, gefahren war, besuchten wir die Zusammenkünfte der Bibelforscher regelmäßig. Die Brüder in der kleinen Versammlung dort halfen mir, den Predigtdienst von Haus zu Haus aufzunehmen.
PIONIERDIENST
Am 25. Dezember 1917 gaben wir uns beide Jehova hin und ließen uns zur Versinnbildlichung dieses Schrittes am Sonntag vor dem Gedächtnismahl 1918 im Wasser untertauchen. Das Gesuch um die Freilassung unserer Brüder aus dem Zuchthaus in Atlanta und ein Hinweis im Wachtturm bewogen mich dazu, den Pionierdienst aufzunehmen. Ich begann Oktober 1919 damit, als die Zeitschrift Das goldene Zeitalter herausgebracht wurde. Damals ließen wir Probenummern zurück und besuchten die Abnehmer nach einer Woche wieder. Mein erster Abonnent, eine Presbyterianerin, interessierte sich für die Bibel. Ich besuchte sie wiederholt. Sie erkannte die Wahrheit und dient Gott heute noch treu. Am Anfang fiel es mir etwas schwer, gleichzeitig meinen Haushalts- und Pionieraufgaben nachzukommen. Doch ging es mit der Zeit immer besser.
1922 besuchten wir unseren ersten Kongreß. Er fand in Cedar Point (Ohio, USA) statt. Dann übten wir ein Jahr lang in Alabama den Pionierdienst aus. Unsere glücklichen Erfahrungen zeigten uns immer wieder, daß der Segen Jehovas reich macht. Eines Abends kamen wir erschöpft an einem kleineren Ort an und fanden eine gemütliche Pension, wo wir übernachten konnten. Nach dem Abendbrot half ich der Frau des Inhabers beim Geschirrspülen, und wir unterhielten uns über die Tätigkeit, die mein Mann und ich ausübten. Die Frau erklärte, daß es in der örtlichen Kirche Schwierigkeiten gebe, durch die ihr Glaube sehr geprüft worden sei. Nachdem wir mit dem Geschirr fertig waren, kam sie mit ihrem Mann auf unser Zimmer, wo wir ihnen bis Mitternacht Zeugnis geben konnten. Sie hörten der Wahrheit gespannt zu. Sie wollten für die Übernachtung und für die Mahlzeiten, die wir eingenommen hatten, kein Geld annehmen, doch behielten sie gern einen Satz Bücher.
Wir wußten, daß an einem bestimmten Ort viel Gleichgültigkeit und Widerstand herrschten, doch lag er in unserem Gebiet, und deshalb mußte man auch dort Zeugnis geben. Wir konnten nicht einmal eine Schrift kostenlos abgeben. Wir fuhren dann heimwärts, hatten aber nicht genug Geld, um Benzin für den Wagen zu kaufen. Auch sah es nicht danach aus, als wenn wir ein Abendbrot bekämen. Wir hielten unterwegs an, um einen Interessierten wieder zu besuchen. Er nahm eine Bibel, die ganze Literatur, die wir bei uns hatten, und abonnierte die beiden Zeitschriften. Wir waren nun mit dem Gebiet fertig und kehrten nach San Francisco zurück, wo ich den Pionierdienst fortsetzte. Es war ein glücklicher Tag, als Alston später den Vollzeitdienst wieder aufnehmen konnte, um ihn nie wieder aufgeben zu müssen.
Durch Jehovas unverdiente Güte durften wir all die denkwürdigen Kongresse in den Vereinigten Staaten besuchen, die nach dem Jahre 1923 stattfanden. Der Kongreß 1931 in Columbus, Ohio, auf dem der Name „Jehovas Zeugen“ angenommen wurde, war außergewöhnlich. Ebenso Washington im Jahre 1935, wo wir lernten, wer „die große Volksmenge“ bildet. Die Kongresse waren stets Quellen der Erfrischung. Wir konnten dort sozusagen „die Batterie neu aufladen“.
Das Jahr 1931 stach sehr hervor. Nachdem wir den Namen Jehovas Zeugen und die Broschüre Das Königreich — die Hoffnung der Welt erhalten hatten, nahmen wir den Straßendienst mit der Broschüre auf. Zuerst mußten wir uns daran gewöhnen, an belebten Kreuzungen des Stadtkerns San Franciscos zu stehen und „‚Das Königreich, die Hoffnung der Welt‘ — fünf Cent!“ auszurufen. Doch bald taten wir diesen Dienst gern. Dann kam der Sonderfeldzug, in dem die Broschüre „Königreich“ Geschäftsleuten, Politikern und Geistlichen überbracht werden sollte. Ich war eingeteilt, Geschäftsleute zu besuchen. Ich fragte mich, wie ich wohl an alle diese Menschen herankommen könnte. Doch machte es „der Segen Jehovas“ leicht, und ich hatte einige beglückende Erfahrungen: Ein großer Herr blickte auf mich herunter, als ich ihm die Broschüre anbot, lächelte und fragte: „Fünf Cent? Ist das meine ganze Verpflichtung?“ Dann überreichte er mir zwei Halbdollarmünzen. Ein weiterer Herr war nicht da, als ich vorsprechen wollte. Ich ließ die Broschüre und meine Besuchskarte zurück. Er schrieb mir ein paar Zeilen, bedankte sich bei mir für die Broschüre und fügte dafür fünf Dollar bei.
Später folgte die Rundfunktätigkeit. Brüder in der Nähe des San Franciscoer Hafens waren Eigentümer eines Rundfunksenders, dessen Kennzeichen KFWM (später KROW) war. Sonntags sendeten wir ein einstündiges religiöses Programm, das aus einer Ansprache, biblischen Fragen und Antworten und Musik bestand. Während der Woche brachten wir Sendungen von allgemeinem Interesse, die als fünfzehnminütige „Gespräche“ über Themen aus der Zeitschrift Das goldene Zeitalter ausgearbeitet waren. Wir Pioniere besuchten die Menschen, die sich für die Sendungen interessierten. Ich freue mich, daß ich an der damaligen Tätigkeit teilnehmen konnte.
Die Divisions-Feldzüge begeisterten uns. Alle Verkündiger eines großen Gebietes versammelten sich an einem Ort, wo die Behörden das Werk bekämpft hatten. Wie die Heuschrecken zogen wir ein. Wir teilten der Polizei mit, daß wir unseren Dienst beginnen würden, und besuchten dann jede Wohnung und klärten die Bewohner des Ortes über unser Werk auf. Es kam uns wie eine Kriegsfeldzug vor, als ein Wagen nach dem anderen vom „Treffpunkt“ aus abfuhr und wir ausstiegen und leise zu arbeiten begannen, ein jeder in seinem zugeteilten Gebiet. Durch die damaligen Feldzüge wurde ein kraftvolles Zeugnis für die Wahrheit gegeben.
Die Jahre vergingen schnell. Jeder Tag brachte viele schöne Erfahrungen. Als dann Richter Rutherford im San Franciscoer Civic Auditorium sprach, erhielt ich die Namen einiger interessierter Personen, u. a. auch den Namen eines Gärtners in „Union Square“. Als ich ihn besuchen wollte, war er nirgends zu finden. Deshalb kehrte ich um. Ich war nicht einmal bis zur nächsten Querstraße gekommen, als sich das Gewissen meldete: „Hier wohnt ein Mensch, der sich für die Wahrheit interessiert, und du läufst, statt ihn zu suchen, wie ein Jona davon! Dabei läßt du vielleicht ein Schaf des Herrn im Stich!“ Ich ging also wieder hin. Ich fand den Interessierten im Geräteschuppen. Er bestellte einen vollständigen Satz der Veröffentlichungen der Gesellschaft und abonnierte unsere beiden Zeitschriften. Als ich hinging, um sie zu liefern, sprach er gerade mit einem anderen Mann, der Interesse zeigte und Bücher bestellte. Beide Männer nahmen die Wahrheit an. Der Mann, dem der Gärtner Zeugnis gegeben hatte, hieß Rosselli. Er war viele Jahre als Pionier tätig, anfangs in San Francisco, wo wir zusammen viele glückliche Erfahrungen hatten, und dann, da er ungebunden war, im Ausland: auf Hawaii, auf den Philippinen, in Alaska, Spanien, Italien und Portugal. Er wurde aus Portugal ausgewiesen. Seine Gesundheit war zerrüttet, und er kehrte nach San Francisco zurück. Dort belehrte er seinen Masseur, Peter Carrbello, über die Wahrheit. Peter und seine Frau absolvierten die Gileadschule, gingen als Missionare nach Brasilien und waren im Kreisdienst und im Bethelheim in Rio de Janeiro tätig. Ich hatte nicht das Vorrecht, eigene Kinder zu bekommen, doch sind mir diese theokratischen „Kinder“ und „Enkelkinder“ ein beglückender Trost.
NACH BRASILIEN
Es wurde März 1936. Wir hatten geplant, einen Wohnwagen zu bauen, damit wir noch beweglicher wären und irgendwo dienen könnten. Dann erhielten wir aber einen Brief vom Präsidentenbüro. Man fragte Alston, was er von einer Zuteilung in Südamerika halte. Nun, der Gedanke war ihm nie eingefallen, aber er war bereit, überall dem Herrn zu dienen. Das war ich auch. So fuhren wir am 31. Mai von New Orleans mit der „Del Valle“ der Delta Line den Mississippi hinunter, über den Golf und weiter nach Rio de Janeiro. Von dort aus fuhren wir mit dem Zug nach São Paulo, wo das Zweigbüro der Gesellschaft war.
Als wir damals ankamen, gab es in Brasilien etwa sechzig Verkündiger. Zuerst konnte ich unsere brasilianischen Brüder nur anlächeln, doch fühlte ich mich bei ihnen wie zu Hause. Ich begann bei der Tochter einer Schwester in der Wahrheit Sprachunterricht zu nehmen. Jeden Abend kamen aber auch die Nachbarkinder, saßen auf unserer Haustreppe, stellten tausend Fragen und beantworteten einige von meinen. Wie sie doch über mein Portugiesisch lachten! Von ihnen lernte ich aber viel.
Etwa einen Monat nach unserer Ankunft hielten wir eine Versammlung in São Paulo ab, unsere erste in Brasilien! Wir waren hoch erfreut, als 110 Personen den öffentlichen Vortrag besuchten, den wir mit Lautsprecherwagen und über Radio angekündigt hatten. Dort herrschte der gleiche Geist, den wir früher immer auf größeren Versammlungen gekannt hatten.
Als ich in dieser ersten Zeit die Sprache lernte, war ich dankbar, daß wir Schallplatten für die Zeugnistätigkeit nach Brasilien hatten mitnehmen können. Die Lautsprecherausrüstung für den Wagen traf bald nach unserer Ankunft ein und wurde, während wir in São Paulo waren, wirkungsvoll gebraucht. Große Menschenmengen versammelten sich, als wir die Vorträge abspielen ließen, und nach dem Programm konnten wir viel Literatur abgeben.
VERFOLGUNG
In den finsteren Tagen des zweiten Weltkriegs wurden auch wir verfolgt. Brasilien soll zu neunzig Prozent katholisch sein, und seine politischen Sprecher nennen es „das größte katholische Land der Welt“. Der Einfluß der Hierarchie machte sich bemerkbar, als Literatur der Pioniere, die an kleineren Orten arbeiteten, beschlagnahmt wurde, Falschanklagen gegen uns erhoben wurden und als man versuchte, Verordnungen fälschlich gegen die Gesellschaft anzuwenden. Der Lautsprecherwagen war die besondere Zielscheibe solcher Angriffe.
An einem kleinen Ort hielten wir gegen Mittag unser letztes Programm ab. Der Priester schickte seine Kirchenbesucher zu uns: Sie sollten unseren Wagen bestürmen. Doch kamen auch der Bürgermeister und die Polizei. Der Bürgermeister erklärte, daß wir das Recht hätten, unsere Botschaft zu verbreiten. Er wurde gefragt, ob er und die Polizei bis zum Schluß des Programms bleiben würden. Er antwortete, daß sie es vorhätten und daß es keine Schwierigkeiten geben werde. Eine der Frauen, die der Priester geschickt hatte, erklärte nachher: „Das ist die Wahrheit!“ Nach dem Programm dankten wir dem Bürgermeister und schenkten ihm das Buch Reichtum. Dann fuhren wir weiter zur nächsten Ortschaft.
Der Widerstand wurde stark. Alle paar Wochen schickte irgendeine Abteilung der Regierung jemanden, der die Gesellschaft „untersuchen“ sollte. Die Post unterlag der Zensur, und es war schwer, mit Brooklyn in Verbindung zu bleiben. Man sagte Alston, daß ihm sein Reisepaß weggenommen und kein neuer Paß gegeben werde, wenn er nach den Vereinigten Staaten reisen sollte. Man drohte, die Gesellschaft aufzulösen. Es war für Alston keine günstige Zeit wegzugehen. Deshalb schickte er mich 1940 zum Kongreß in Detroit, damit ich dem Präsidenten der Gesellschaft und Herrn Bankhead, dem damaligen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, einem langjährigen Collegefreund meines Mannes, unsere Schwierigkeiten im einzelnen berichten könnte. Ich dachte, daß irgendein Bruder aus Brooklyn nach Washington ginge, doch schrieb mir Bruder Rutherford, daß ich gehen sollte. Man stelle sich das einmal vor! Wie sollte ich die Aufgabe bloß erfüllen? „Der Segen Jehovas“ öffnete den Weg. Ich lieferte die Unterlagen ab, beantwortete einige Fragen und war um Mitternacht wieder im Flugzeug auf der Reise nach New Orleans. Von dort aus fuhr ich wieder mit dem Schiff den Mississippi hinunter und weiter heimwärts nach Brasilien. 1941 verlegte Bruder Rutherford das Zweigbüro nach Rio de Janeiro, wo, so hoffte man, es weniger Verfolgung geben würde. Das war tatsächlich der Fall.
IN RIO DE JANEIRO
Vergeblich suchten wir ein ganzes Jahr nach einem Haus, das wir hätten mieten können. Schließlich kaufte, unterstützt von örtlichen Brüdern, die Gesellschaft ein Haus. Es war in dem einzigen Teil von Rio de Janeiro gelegen, der nicht weiter als ein kurzer Spaziergang von den Bahnhöfen aller Züge nach den Vororten entfernt war. Jehovas Segen ruhte auf diesem Schritt. Die Kapitalanlage ist jetzt um ein Vielfaches mehr wert, als die ursprünglichen Kosten ausmachten. 1953, einige Jahre nach dem Kauf, wurde an die Rückseite des Hauses ein zweistöckiges Druckerei- und Bürogebäude angebaut, und jetzt baut die Gesellschaft auf der Straßenseite desselben Grundstücks ein schönes, neues Bethelheim. Welche Veränderungen habe ich doch erleben dürfen!
Bruder Knorr besuchte uns das erste Mal im Jahre 1945. Wir hatten uns auf einen Besuch des Präsidenten der Gesellschaft sehr gefreut. Seine Besuche sind stets segensreich gewesen. Durch sie hat das Werk immer einen starken Auftrieb erhalten. Das gleiche kann von den Besuchen der anderen Beamten der Gesellschaft, Bruder Franz und Bruder Henschel, gesagt werden. Dann kamen Gileadabsolventen an, die ihre Ausbildung verwenden wollten, um den brasilianischen Brüdern zu helfen. Manche hatten Schwierigkeiten eine Genehmigung für einen Daueraufenthalt zu bekommen. Die meisten sind jedoch hier bei uns geblieben, und wir freuen uns über ihre Hilfe.
1946 lud Bruder Knorr alle Zweigdiener (und ihre Frauen) ein, ein halbes Jahr im Brooklyner Bethel zu verbringen (ich werde die Zeit nie vergessen!), die Entlassungsfeier der siebenten Klasse der Gileadschule zu besuchen und dem „Kongreß fröhlicher Nationen“ in Cleveland, Ohio, beizuwohnen. Wir fuhren nach New York mit der „Santarém“ einem Schiff der Reederei Lloyd Brasileiro. Sie war mit Kaffee schwer beladen und lag ruhig auf dem Wasser. Ich hatte jeden Nachmittag mit dem Arzt und dem Zahlmeister ein Bibelstudium. Als ein spanischer Konsul aus Montevideo, der Kuba zugeteilt war, an Bord starb, bat mich der Arzt, mit der Witwe zu sprechen. Sie sprach Spanisch und ich Portugiesisch, doch konnten wir uns verständigen. Ich gab ihr das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ in Spanisch und hatte den Eindruck, daß sie es wertschätzte. Einer unserer Missionare besuchte sie später, nachdem sie nach Uruguay zurückgekehrt war. In dem Monat meiner Reise führten wir einen Broschürenfeldzug durch und konnten weit mehr als unsere persönliche Quote von 100 Broschüren verbreiten, indem wir allen Menschen auf dem Schiff Zeugnis gaben, vom Kapitän bis zu der Besatzung und den Passagieren.
Die Wachtturm-Studien, denen wir während unseres Aufenthalts im Bethel montags abends beiwohnten, bleiben unvergeßlich. Eine Anzahl Brüder aus England, die den Krieg erlebt hatten, waren dabei. Wie sie ihre Bibeln kannten! Sie führten eine Schriftstelle nach der anderen an, die die Gedanken der Abschnitte stützten. Nach meiner Meinung ist das Wachtturm-Studium am Montagabend wirklich der Mittelpunkt des Lebens der Bethelfamilie.
Alstons Gesundheit verschlechterte sich so schnell, daß einige meinten, wir sollten Bruder Knorr um die Erlaubnis bitten, dort in den Vereinigten Staaten zu bleiben. Eines Tages fragte ich Alston, was er davon halten würde, wenn Bruder Knorr entschiede, daß wir in den Vereinigten Staaten bleiben sollten. Blitzschnell antwortete er: „Meine Zuteilung ist in Brasilien. Wo ist deine?“ Meine war ebenfalls dort! Im Oktober kehrten wir nach Brasilien zurück. Am Sonntag vor dem Gedächtnismahl des Jahres 1948, genau dreißig Jahre nach seiner Taufe, vollendete Alston seinen irdischen Lauf. Es hatte ihm große Freude bereitet, den Monatsbericht für Dezember 1947 abzusenden. Der Bericht zeigte, daß in Brasilien mehr als 1000 Verkündiger tätig gewesen waren. Es entstand jetzt keine organisatorische Lücke. Alston starb am Sonntagmorgen, und ehe wir uns Montag früh als Bethelfamilie zum Frühstück hinsetzten, war Dillard Leathco zum Zweigdiener ernannt worden und hatte seine Arbeit bereits aufgenommen.
Glückliche Jahre des Dienstes sind inzwischen vergangen. Die Kongresse 1953 und 1958 im Yankee-Stadion waren Marksteine in meinem Leben. Doch war der Kongreß „Vereinte Anbeter“, der letztes Jahr stattfand, der großartigste von allen. Monatelang hatte ich auf dem Kalender das Bild des neuen Gebäudes betrachtet, wo zwei Mitarbeiter unseres brasilianischen Bethelheims die Gileadschule besucht hatten. Ich hatte gehofft, das Gebäude zu sehen. In meinen kühnsten Träumen wäre es mir jedoch nicht eingefallen, daß dieses Gebäude für die Woche des Kongresses meine Unterkunft sein sollte. Ja, ich durfte dort wohnen. Der Kongreß war eine wahre Freude!
Von New York fuhr ich nach Houston (Texas, USA), um einen zweiten Kongreß zu besuchen. Danach besuchte ich kurz meine nächsten Verwandten und überreichte ihnen die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift (engl.), die auf dem Kongreß freigegeben worden war. Dann ging es wieder nach Hause, wieder nach Brasilien, diesmal nicht mit dem Schiff, sondern mit einem Düsenflugzeug, damit ich den folgenden Monat einen Anteil an den Vorbereitungsarbeiten für unseren Kongreß „Vereinte Anbeter“ in Sao Paulo haben könnte.
Meine brasilianischen Brüder sind mir sehr ans Herz gewachsen. Wie reich bin ich jetzt doch, da ich nicht wie bei meiner Ankunft vor fünfundzwanzig Jahren nur sechzig, sondern 24 000 von ihnen habe! Das brasilianische Volk ist sehr gastfrei, herzlich und aufgeschlossen. Ich bin wirklich glücklich, daß ich ihnen Zeugnis geben und mit ihnen die Bibel studieren darf.
In der Urlaubszeit nehme ich gern eine jüngere Schwester mit und verbringe wieder einmal zwei kostbare Wochen als Pionier in nichtzugeteilten Gebieten. Es befriedigt mein Verlangen, „mata as saudades“ (stillt das Heimweh), wie die Brasilianer sagen. Das Bethelleben ist unvergleichlich! Ich würde es nicht gegen irgend etwas in der Welt eintauschen!
Wenn ich alles überlege, kann ich aufrichtig sagen: „Ich bin wirklich einen beglückenden Weg gegangen!“ Und ich bin überzeugt, daß er weitere Freuden bringen wird. Wie reich sind wir doch, Vollzeitdiener zu sein und den Segen Jehovas zu besitzen!