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  • Stark im Glauben trotz sieben Jahre Gefängnis in Rotchina
  • Der Wachtturm verkündet Jehovas Königreich 1966
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Der Wachtturm verkündet Jehovas Königreich 1966
w66 1. 2. S. 77-88

Stark im Glauben trotz sieben Jahre Gefängnis in Rotchina

SIEBEN Jahre Einzelhaft — das ist eine lange Zeit. Glaubst auch du an etwas so fest, daß du bereit wärst, eine solch harte Prüfung auf dich zu nehmen, während du frei werden könntest, wenn du Zugeständnisse machen würdest? Ein Mensch, der eher bereit ist, eine mehrjährige Gefängnisstrafe auf sich zu nehmen, als seine Religion aufzugeben, muß einen starken Glauben haben. Was könnte ein solcher Mensch aber tun, um in den langen Jahren der Einsamkeit in einer Gefängniszelle seinen Geist zu beschäftigen und im Glauben stark zu bleiben?

Das Interesse an den Erlebnissen eines Mannes, der das alles mitgemacht hatte, veranlaßte 34 708 Personen, am 30. Oktober 1965, um 10 Uhr vormittags, im New Yorker Yankee-Stadion zusammenzukommen. Diese Zusammenkunft war ihnen höchstens vier Tage vorher angekündigt worden, aber sie waren da — aus allen Gebieten des Nordostens der Vereinigten Staaten, ja selbst aus Kanada, Kalifornien und Florida!

Sie waren gekommen, um Stanley Ernest Jones, einen Mann, den die meisten nur dem Namen nach kannten, zu hören. Sie waren gekommen, weil er, ihr christlicher Bruder, kurz vorher aus einem Gefängnis im kommunistischen China entlassen worden war. Sie glaubten, daß das, was er ihnen sagen würde, sie geistig stärken und ihnen helfen würde, in den schwierigen Zeiten, die auch für sie noch kommen mögen, ihre Lauterkeit Gott gegenüber zu bewahren. Sie waren auch gekommen, weil ihnen das eine Gelegenheit bot, einem Diener Jehovas, der in einer solch langen Prüfung ausgeharrt hatte, ihre herzliche Liebe zu beweisen.

An diesem Sonnabend, dem 30. Oktober, wich die Nacht einem klaren, kalten Morgen. Es war nur etwa sechs Grad über dem Gefrierpunkt. Die Zuhörer, die den ersten und zweiten Rang des Yankee-Stadions füllten, waren mit Wolldecken und Thermosflaschen ausgerüstet, um sich vor der Kälte zu schützen. Ruhig und ernst hörten sie dem Redner zu. Schon seine ersten Worte gingen ihnen zu Herzen:

„Brüder, nachdem ich sieben Jahre in Einzelhaft war und mit keinem einzigen Zeugen Jehovas sprechen konnte, bin ich nun doch etwas überwältigt, an diesem Vormittag mit so vielen von euch hier zusammen sein und zu euch sprechen zu können. Seit dem Kongreß in Cleveland im Jahre 1946 war ich nie mehr unter so vielen Brüdern.“

ALS MISSIONAR IN SCHANGHAI

Durch seine Schilderungen nahm Bruder Jones seine Zuhörer im Geiste mit nach Schanghai (China), wohin er und sein Partner, Harold King, im Jahre 1947, nachdem sie die Watchtower Bible School of Gilead absolviert hatten, als Missionare gesandt worden waren. Die Chinesen waren freundlich und nahmen ihre Tätigkeit gut auf. China befand sich damals jedoch mitten in einem Bürgerkrieg, und Ende 1949 erreichten kommunistische Truppen die Küstenstadt Schanghai. Eines Nachts, als die beiden Missionare schon im Bett waren, hörten sie, wie die Schüsse immer näher kamen und dann allmählich verstummten. Als sie am anderen Morgen zum Fenster hinausschauten, sahen sie kommunistische Soldaten auf den Straßen. Von da an waren sie hinter dem „Bambus-Vorhang“!

Die Missionare anderer Religionsgemeinschaften verließen China zu Hunderten. Was sollten diese Zeugen Jehovas tun? „Ja, was würden wir in einer solchen Situation tun?“ fragten sich die Zuhörer während sie Bruder Jones weiter zuhörten.

„Nun, wir mußten entscheiden, was wir tun wollten. Sollten wir bleiben und den Brüdern beistehen, oder sollten wir uns wie viele andere Ausländer auf und davon machen? Wir zögerten nicht lange, sondern beschlossen zu bleiben, denn wir hatten diese Brüder liebgewonnen. Wir wußten, daß es vielen noch an Reife mangelte, und wären wir gegangen, so wären wir uns wie Hirten vorgekommen, die ihre Herde beim ersten Anzeichen von Gefahr im Stich lassen.

Etwa zwölf Monate konnten wir weiter frei wirken, und unser Werk gedieh. Dann, im Jahre 1951, wurden wir auf die Polizeiwache bestellt, und man sagte uns: ‚Sie dürfen nicht mehr von Haus zu Haus predigen.‘ Im Königreichssaal könnten wir weiter predigen, und auch Bibelstudien dürften wir bei den Menschen durchführen, nur von Haus zu Haus dürften wir nicht gehen. Wir sagten das unseren chinesischen Brüdern, und wir freuten uns sehr über ihre Reaktion; sie sagten nämlich: ‚Diese Vorschrift gilt nur euch Ausländern; für uns gilt sie nicht. Wir setzen die Predigttätigkeit fort, und vielleicht finden wir Menschen, die interessiert sind und die ihr dann durch ein Bibelstudium belehren könnt.‘ Das taten wir auch. Statt daß unser Werk also eingeschränkt wurde, dehnte es sich zur Überraschung der Behörden immer mehr aus.“

DIE SCHWIERIGKEITEN NEHMEN ZU

Im Jahre 1955, sagte Bruder Jones, sei ihr kleiner Saal stets so überfüllt gewesen, daß sie ein größeres Gebäude für ihre Zusammenkünfte hätten mieten müssen. Doch schon am ersten Sonntag, als sie es hätten benutzen wollen, habe ihnen die Polizei den Zugang verwehrt und gesagt: „Sie haben einen Saal; Sie bleiben dort.“ Die Regierung war offensichtlich entschlossen, ein weiteres Wachstum zu verhindern.

Überall förderte man die kommunistische Infiltration: in Fabriken, Büros, Schulen, Krankenhäusern, in den Wohnvierteln und auf den Straßen. Politische Komitees organisierten wöchentliche Versammlungen, in denen die kommunistische Doktrin gelehrt wurde. Die „Ausrichtungsbewegung“ wurde ins Leben gerufen, durch die das Denken und Handeln der Menschen ausgerichtet werden sollte. Das bedeutete nicht nur, daß die Menschen so weit gebracht werden sollten, daß sie fortschrittlich denken und ihre Arbeitsmethoden verbessern würden, sondern besonders, daß sie ihre alten politischen Ansichten aufgeben und statt dessen die Ideen des kommunistischen Systems annehmen würden. Den Arbeitern wurde gesagt, sie sollten nicht nur einander, sondern auch sich selbst kritisieren. Jede ungünstige Bemerkung, die einmal über das kommunistische Regime gemacht wurde, sollte offen bekannt werden. Man setzte die Arbeiter unter Druck, damit sie andere Personen angaben, und diese wurden dann unaufhörlich belästigt, bis sie schließlich zugaben, etwas Verkehrtes gesagt zu haben, und Reue bekundeten.

Wie verhielten sich aber Personen, die sich als Christen ausgaben? Viele Kirchen wurden angewiesen, ihre Verbindungen mit dem Ausland abzubrechen. Manche Geistliche wurden aus den Kirchen vertrieben, und andere wurden angewiesen, besondere Kurse zu besuchen, in denen sie in der kommunistischen Staatsführung unterrichtet wurden. Auf diese Weise entwickelte man eine „patriotische“ Kirchenbewegung oder Kirchenorganisation.

„Obwohl diese Entwicklung rings um uns her vor sich ging, konnten wir Zeugen Jehovas uns nicht daran beteiligen. Unsere Brüder wußten das und hielten sich davon fern. Jesus Christus sagte, wir seien ‚kein Teil der Welt‘, so, wie er ‚kein Teil der Welt‘ sei. Würde jemand von uns ein ‚Freund der Welt‘, so würde er sich zu einem ‚Feind Gottes‘ machen.“ — Joh. 17:16; Jak. 4:4.

„Die Schwierigkeiten im Predigtwerk häuften sich deshalb. Brüder, die von Haus zu Haus gingen, wurden von den Mitgliedern dieser politischen Komitees oft auf die Polizeiwache gebracht. Anfänglich wurden sie nach ein bis zwei Stunden wieder freigelassen, doch dann wurden eines Tages drei unserer christlichen Schwestern in Haft behalten. Wir fragten uns, wie wohl unsere chinesischen Brüder auf diese Schwierigkeiten reagieren würden, und waren überglücklich, als wir sahen, daß sie voll Freude herauskamen, weil sie ‚gewürdigt worden waren, um seines Namens willen in Unehre zu kommen‘. [Apg. 5:41] Sie waren entschlossen, trotz allem weiter zu predigen. Wir rieten ihnen, vorsichtig zu sein, um, wenn möglich Schwierigkeiten zu vermeiden, aber sie glaubten zuversichtlich, allem, was kommen könnte, gewachsen zu sein.

Dann wurde Schwester Nancy Yuan vom Dienst von Haus zu Haus weg zur Polizeiwache geführt und in Haft behalten. Sie hatte vier Kinder, von denen eines erst ein Jahr alt war. Ich setzte mich mit einem Rechtsanwalt in Verbindung und bat ihn um Hilfe. Er sagte: ‚Wir können nichts tun. Wenn die Sache in den Händen der Polizei liegt, können wir nicht eingreifen.‘ Ihre Mutter schickte ihr eine Bibel, die aber wieder zurückgeschickt wurde. Diese Schwester wurde vier Jahre in Haft behalten, bevor sie schließlich vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Wie ihr Urteil ausfiel, weiß ich nicht. Eine andere Schwester, eine Lehrerin und gleichfalls Mutter von vier Kindern, wurde ebenfalls verhaftet.“

Ein Seufzer des Mitgefühls ging durch die Reihen der Zuhörer, als sie von diesen Vorfällen hörten.

Bruder Jones berichtete von seinen Bemühungen, den internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas zu besuchen, der im Jahre 1958 in New York stattfand. Sein Gesuch um eine Ausreisegenehmigung wurde von der chinesischen Regierung jedoch ohne Erklärung abgelehnt. Nach diesem Kongreß reiste ein Bruder von Hongkong nach Schanghai, um die Brüder dort zu besuchen, aber man gestattete ihm nicht, an Land zu gehen. Die Brüder konnten lediglich auf einem kleinen Fährboot an seinem Schiff vorbeifahren, ihm winken und ihm einen Gruß zurufen, weiter nichts. Das sollte für viele Jahre die letzte Begegnung mit einem Bruder von außerhalb gewesen sein.

MISSIONARE VERHAFTET

„Eines Morgens, als wir gerade dabei waren, das Frühstück zuzubereiten“, fuhr Bruder Jones fort, „schaute Bruder King aus dem Fenster und sah einige Polizisten durch das Tor laufen. Er sagte: ‚Mich wundert wohin sie gehen.‘ Es dauerte nicht lange, bis wir es wußten, denn im nächsten Augenblick hämmerten sie an unsere Tür. Als wir die Tür öffneten, standen sie mit vorgehaltener Pistole vor uns, forderten uns nach echter ‚Gangsterart‘ auf, die Hände hochzuhalten und legten uns dann Handschellen an. Darauf führten sie eine gründliche Hausdurchsuchung durch, packten die Schriften der Watch Tower Society in Säcke und fuhren uns in Personenkraftwagen nach der Strafanstalt. Man führte mich in eine Zelle, in der ich die ganze Zeit allein war.“

Nun begannen die vielen Verhöre. Bruder Jones und Harold King waren der „reaktionären Tätigkeit gegen die Regierung des chinesischen Volkes“ angeklagt. Diese Anklage umfaßte zwei bestimmte Punkte: 1. ihre Lehren und ihre Predigttätigkeit und 2. ihre persönlichen Äußerungen, das heißt das, was sie in den vorangegangenen neun Jahren zu anderen Leuten gesagt hatten. Die Polizei hatte im Laufe der Zeit zweifellos Material gegen sie gesammelt. Bruder Jones erzählte über ihre Methoden folgendes:

„Man beanstandete, daß wir das Königreich Gottes als einzige Hoffnung verkündeten. Man sagte uns, die alten Imperialisten seien aus China vertrieben worden und nun sei das Land in den Händen des Volkes. Das Volk müsse nun gemeinsam ein neues China und eine ‚neue Welt‘ aufbauen. Jedermann müsse mithelfen. ‚Wenn Sie Neutralität lehren, dann sind Sie gegen die Regierung‘, sagte man uns, und das Königreich zu predigen sei staatsfeindlich. Ich weiß nicht, ob man dachte, man könne durch unsere Verhaftung die Verkündigung der Königreichsbotschaft unterbinden und Gottes Vorhaben, diese Königreichsherrschaft über die ganze Erde aufzurichten, verhindern. Wir wissen aber, daß keine Regierung, sie mag noch so erbittert gegen Gottes Diener kämpfen, verhindern kann, daß sich Gottes Königreich über die ganze Erde ausbreitet und daß es alle seine Feinde vertilgt. Wir wissen, daß der Tag, an dem das geschieht, nicht mehr fern ist. Wie lächerlich, daß sich ein Volk von 650 Millionen vor fünfzig Zeugen Jehovas fürchten und sich veranlaßt sehen sollte, solche Maßnahmen zu ergreifen!“

Die Zuhörer reagierten mit leisem Gelächter auf diese unvernünftige Haltung der kommunistischen Regierung Chinas. Bruder Jones schilderte dann weiter, wie man bemüht war, ihm ein Geständnis abzuringen, indem man ihm eine mildere Strafe anbot.

„Man wollte mich unbedingt zu einem Geständnis zwingen. Ich sagte, ich fühlte mich keiner Schuld bewußt. Man erwiderte mir jedoch: ‚Denken Sie einmal über die Verbrechen, die Sie begangen haben, nach.‘ Das heißt, ich sollte mich fragen: ‚Habe ich wirklich etwas Schlechtes getan? Habe ich gegen das Gesetz verstoßen?‘ Die Beamten denken, der Gefangene fühle sich schließlich vielleicht doch in einem bestimmten Punkt schuldig und spreche darüber und dann würden sie etwas erfahren, was sie noch nicht wüßten. Sie geben ihm deshalb Zeit zum Nachdenken. Sagt er nichts, dann sagen möglicherweise sie etwas. In meinem Fall sagten sie: ‚Sie verleumdeten die chinesische Presse.‘ Doch wann? Wie? Das sagten sie nicht. Sie wollten, daß mir etwas einfalle. Nach einer gewissen Zeit sagten sie es doch selbst. Ich hätte die chinesische Presse verleumdet, als diese berichtet habe, die amerikanischen Truppen würden in Korea bakteriologische Waffen anwenden.

Nun konnte ich mich erinnern, daß vor Jahren einmal berichtet worden war, man habe in Nordkorea eine mit Bakterien infizierte Ratte gefunden. Es hieß damals, das sei ein Beweis dafür, daß die Amerikaner diese Ratte in Nordkorea abgeworfen hätten, um unter der Bevölkerung Bakterien zu verbreiten. Vielleicht hatte ich, als man mir das erzählte, gesagt: ‚Das scheint mir weiter nichts als Propaganda zu sein.‘ Nun sollte ich aber zugeben, daß das, was ich damals gesagt hatte, eine Verleumdung und ein Verbrechen gewesen sei.

Auch hatte mich eine Frau, mit der ich ein Bibelstudium durchführte, einmal kurz vor dem Studium gefragt, ob ich jemals in Hongkong gewesen sei. Ich sagte nein. Darauf sagte sie: ‚Wie ich gehört habe, soll es eine sehr schöne Stadt sein. Vielleicht fahre ich einmal dorthin in Urlaub.‘ Gestützt auf diese unschuldige Bemerkung wollte die Polizei nun sagen, diese Frau sei mit dem Leben auf dem Festland nicht zufrieden, sie sei mit der Regierung nicht zufrieden, wolle weg und sei daher gegen die Regierung. In einem freien Land könnte man wegen so etwas, was wir lediglich Gebrauch der ‚Redefreiheit‘ nennen würden, niemals eingesperrt werden.

Man mußte jedoch einen Grund haben, um unsere chinesischen Brüder verhaften und unser Werk stillegen zu können. Man erhob daher Anklagen gegen die Gesellschaft. Man sagte, die Watch Tower Society sei keine religiöse Organisation; sie stehe ‚im Dienst der amerikanischen Regierung‘, der Präsident der Gesellschaft sei ein ‚imperialistischer Agent‘; ich sei nicht nach China gesandt worden, um zu predigen, sondern um den Kommunismus zu bekämpfen. All das schrieb man in Form von Frage und Antwort nieder. Man formulierte die Antworten dabei zum Teil so, wie ich sie gegeben hatte, und zum Teil so, wie ich sie hätte geben sollen, und dann las man mir das Schriftstück vor. Natürlich war ich nicht bereit, es zu unterschreiben. Man sagte mir: ‚Gehen Sie wieder in Ihre Zelle zurück, und denken Sie darüber nach.‘ Etwa eine Woche später wurde ich nachts geweckt und wieder in das Verhörzimmer geführt. Man las mir dieses Schriftstück wiederum vor. Ich erklärte jedoch deutlich, daß die Watch Tower Society eine religiöse Organisation sei, die die gute Botschaft von Gottes Königreich predige. Man schickte mich wieder in meine Zelle zurück, damit ich weiter nachdenke, und gab mir ein Blatt Papier mit, auf dem ich diese Dinge selbst aufschreiben sollte. Statt dessen schrieb ich eine Erklärung zur Verteidigung der Gesellschaft und unseres Werkes in Schanghai nieder und gab dieses Schreiben ab. Man war darüber sehr erbost, forderte mich aber nie mehr auf, dieses Schriftstück zu unterschreiben.“

Nach vier Monaten wurde Bruder Jones mitgeteilt, er werde nun für sechs Monate in ein „schönes Haus“ in einem „prächtigen Garten“ kommen, wo er dann nachdenken könne. Dort hörte er jedoch täglich von morgens fünf bis abends neun durch einen Lautsprecher in der Nähe laute Musik, Reden und Richtlinien für die Bauern, die in der Umgebung wohnten und auf den Feldern arbeiteten. Nach sechs Monaten war seine Gesundheit ziemlich angegriffen, und er war froh, in die mehr oder weniger berüchtigte Schanghaier Strafanstalt zurückzukehren. Nun begann ein Jahr intensiver „politischer Schulung“, bei der sein „Lehrer“ die Fehler und Übeltaten der kapitalistischen Völker geschickt herausstellte und den Kommunismus als die Lösung aller Probleme der Menschheit hinstellte. Wie dachte Bruder Jones hierüber?

„Wenn ich ihm so zuhörte, dachte ich jeweils: ‚Ihr erkennt also die Fehler und Mängel und wißt, daß etwas anderes kommen muß; aber ihr könnt die Sache auch nicht ändern. Ich weiß, daß auch ihr Fehler macht. Ihr begeht Verbrechen auf eure Art, und die Menschen müssen von euch ebenso befreit werden wie von den anderen.‘ Ich dachte deshalb, während er mit mir sprach, stets über das Königreich, die wahre Hoffnung, nach. Diese Infiltration vermochte meine Gedanken daher nicht zu beeinflussen. Da ich durch die Erkenntnis über Gottes Königreich stark geworden war, meiner Sache sicher war und nie auch nur einen Augenblick zweifelte, konnte ich nicht erschüttert werden, und ich bin überzeugt, daß es euch ebenso erginge, obwohl schon viele Weltmenschen erschüttert wurden.

In dieser Zeit suchte ich oft eine Gelegenheit zu predigen. Ich fühlte mich stets dazu gedrängt. Doch sobald ich versuchte, über die Bibel zu sprechen, ließ man mich nicht weiterreden. Ein Mann sagte einmal, er sei in der Religion und in der Bibel bewandert. Ich dachte, ich könnte ihm gewisse Dinge noch besser erklären und er habe ein gutes Herz. Sein Gesichtsausdruck wechselte jedoch sogleich, und er sagte wütend: ‚Halten Sie mir nur keine Predigt!‘ Ich konnte diesen Kommunisten also nicht predigen, aber ich hatte es wenigstens versucht. Ich konnte mir stets mit Befriedigung sagen: ‚Du bist trotzdem immer noch eine Zeuge, predigst immer noch oder versuchst es wenigstens‘, und das tat mir immer wieder gut. Ich weiß, daß ihr, wenn ihr von Haus zu Haus geht und predigt, aber euch niemand anhört, hinterher auch denkt: ‚Ich habe es immerhin versucht; ich bin dennoch ein Zeuge.‘“

EIN KOMMUNISTISCHES GERICHTSVERFAHREN

„Nach zwei Jahren Gefängnis und kurz bevor ich vor Gericht kam, sagte man mir: ‚Sie können einen Rechtsbeistand haben, aber er darf Sie nicht verteidigen.‘ ‚Er kann das Gericht um Milde bitten‘, sagte man mir, ‚und das Gericht wird auf ihn hören.‘ Zuerst kam ich zu einer Voruntersuchung. Es waren keine Zuhörer im Gerichtssaal, und auch mein Rechtsanwalt war nicht da. Am nächsten Morgen wurden wir vor Gericht gestellt. Etwa achtzig Personen saßen im Saal. Ich wurde nicht aufgefordert, zu gestehen oder nicht zu gestehen. Ich wurde lediglich von einem Richter verhört. Er fragte mich unter anderem: ‚Wurden Sie von dem Imperialisten Nathan Knorr nach China geschickt? Organisierten Sie Gruppen, die die Tätigkeit unterirdisch fortsetzen sollten, falls Ihre Kirche verboten würde? Sandten Sie eine Liste nach Hongkong mit den Namen derer, die in diesem Fall die Zeitschrift Der Wachtturm erhalten sollten?‘

Ich führte in meinen Antworten lediglich Tatsachen an. Ich war bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen. Ich wußte, daß die Sache völlig in den Händen Jehovas lag, und machte mir daher keine Sorgen. Ich fühlte mich unbeschwert und war fest überzeugt, daß Jehova Gott Herr der Lage sei und der Ausgang seinem Willen entsprechen würde.

Am darauffolgenden Morgen wurden wir wieder vor das Gericht geführt, und der Richter verlas das Urteil. Harold King sollte mit fünf Jahren Gefängnis bestraft und danach des Landes verwiesen werden. Ich erhielt sieben Jahre und sollte dann ebenfalls ausgewiesen werden.“

LANGE GEFÄNGNISJAHRE

„Das Schanghaier Stadtgefängnis ist ein riesiger Gebäudekomplex, der aus neun großen Zellenblocks besteht, von denen jeder mindestens tausend Gefangene faßt. Mir fiel besonders die trostlose Eintönigkeit des Ganzen auf. Die Gefangenen trugen keine Sträflingskleidung, sondern ihre eigene Kleidung, die im Laufe der Jahre einfach geflickt wurde, so daß man bei manchen von der ursprünglichen Kleidung überhaupt nichts mehr sah. Man hatte den Eindruck, sie gingen nur noch in Flicken. Sie boten wirklich ein trauriges, trostloses Bild, besonders wenn sie bei warmem Wetter draußen herummarschierten, um etwas Bewegung zu haben, oder, besser gesagt, herumschlichen. Es schien, als ob sie nur Haut und Knochen wären.

Durch das Gefängnis führte ein Flur, von dem aus man durch eine Menge vergitterte Türen zu den Zellen gelangte. Die Zellen waren wie große Schränke. Sie hatten außer der Tür weder ein Fenster noch sonst eine Öffnung. Sie waren etwa 2,5 Meter lang, 1,5 Meter breit und etwa 2,5 Meter hoch. Ein Holzrost bedeckte fast den ganzen Boden; es war gerade noch genügend Platz, um die Tür zu öffnen. Nachts breitete ich mein Bettzeug darauf aus und schlief so auf dem Boden. Anfänglich war es nicht sehr angenehm, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich doch etwas daran. Ich kannte jeden Riß in der Mauer und jede Erhebung im Boden. Ich fühlte mich schließlich so zu Hause, daß ich mir, als ich eine andere Zelle beziehen mußte, anfangs richtig fremd vorkam und mich erst wieder an mein neues Heim gewöhnen mußte.

Im Sommer war es im Gefängnis sehr heiß, und in den ersten vier Jahren wurde ich so sehr von Wanzen geplagt, daß ich manchmal kaum schlafen konnte. Schlaflosigkeit und Verhöre hatten zur Folge, daß ich zeitweise an Schwindelanfällen litt und mich ärztlich behandeln lassen mußte. Ich kam aber darüber hinweg. Im Winter war es bitter kalt. Es wurde nicht geheizt, und ich mußte genügend anziehen, so wie ihr heute morgen auch. Ich zog jeweils meine dicke wollene Unterwäsche an, darüber vier wollene Pullover, eine wattierte Weste und eine wattierte Jacke, und manchmal fror ich trotzdem noch.“

DAS HAUPTPROBLEM: DIE ZEIT

„Ich hatte sehr viel Zeit zur Verfügung. Ich bat den Aufseher um eine Bibel. Er wurde etwas verlegen und sagte weder ja noch nein. Gerade um jene Zeit besuchte mich ein Vertreter der britischen Regierung, und ich fragte ihn, ob er mir eine Bibel schicken würde. Das tat er auch, aber ich habe sie nie erhalten.

Mit der Zeit fielen mir immer mehr Bibeltexte ein, und ich schrieb sie alle auf. Ich kann mich erinnern, daß ich oft an 1. Petrus 4:12, 13 dachte, wo es heißt: ‚Laßt euch durch das, was unter euch brennt und was euch als Prüfung widerfährt, nicht befremden, als ob euch etwas Befremdendes zustoße ... freut euch weiterhin, insofern ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid.‘ Dieser Bibeltext gefiel mir, denn manchmal könnte es einen tatsächlich befremden, wenn man so viele Schwierigkeiten durchmachen muß und wegen der guten Botschaft angeklagt und sogar beschuldigt wird, sich persönlich vergangen zu haben. Solche Anschuldigungen könnten einen zermürben. Die Bibel gab mir jedoch Zuversicht und sagte mir: ‚Betrachte es nicht als etwas Befremdendes, sondern freue dich darüber.‘

Ich dachte auch an Offenbarung 2:10: ‚Fürchte dich nicht vor den Dingen, die zu leiden du im Begriffe bist ... Der Teufel wird fortfahren, einige von euch ins Gefängnis zu werfen, ... damit ihr zehn Tage lang Drangsal habet. Erweise dich treu selbst bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.‘ Dieser Bibeltext gab mir Mut. Er gab mir vor allem die Gewißheit, daß wir nicht Gott, sondern dem Teufel mißfielen. Der Teufel wirft die Diener des Herrn ins Gefängnis, und wir sollten uns vor nichts fürchten, was er uns tun kann. Schließlich werden wir nur ‚zehn Tage lang‘ Drangsal haben. Mit anderen Worten, die Drangsal wird ein Ende haben. Alles hat zur bestimmten Zeit ein Ende. Darum harren wir einfach aus; Gott hilft uns, standhaft zu bleiben.

Ich dachte auch oft an 1. Petrus 1:7, wo davon die Rede ist, daß die Prüfung unseres Glaubens wertvoller sei als Gold. Und im Gefängnis wird unser Glaube geprüft. Wird Gott stets mit uns sein? Werden wir aus dieser Prüfung richtig hervorgehen? Gestützt auf diese Bibeltexte glaubte ich diese Frage mit Ja beantworten zu können, und ich weiß, daß alle, die in eine solche Lage kommen, aus diesen Texten Trost und Zuversicht schöpfen können.“

TAGESTEXT, GEBET, LEKTÜRE

„Nachdem ich mir genügend Schrifttexte aufgeschrieben hatte, suchte ich mir jeden Tag einen als Tagestext aus, schrieb ihn ab und brachte ihn irgendwo an, wo ich ihn gut sehen konnte, damit ich ihn den ganzen Tag betrachten konnte.

Zu der Zeit erhielt ich auch die chinesische Zeitung, und darin erschien jeweils der Mondkalender. Ich konnte also feststellen, wann Neumond war. Davon ausgehend, konnte ich die Zeit der Feier des Gedächtnisses an den Tod Christi errechnen. Wenn nach meinen Berechnungen die Gedächtnismahlfeier in den Versammlungen begonnen hatte, saß ich jeweils in der Zelle, betete zu Gott und rief mir alle Bibeltexte, die mit dem Gedächtnismahl in Verbindung stehen, ins Gedächtnis. Ich suchte mir vorzustellen, wie sich unsere Brüder nun versammelten, und dachte daran, daß in den nächsten vierundzwanzig Stunden die verschiedenen Versammlungen das Gedächtnismahl feierten. All das half mir, meine Gedanken auf das Königreich gerichtet zu halten und im Geiste mit den Brüdern verbunden zu bleiben, was mir das Gefühl verlieh, daß ich zu ihnen gehörte; denn das, was ich am meisten vermißte, war ein Bruder — jemand, mit dem ich hätte reden und der mir aus dem Worte Gottes etwas hätte sagen können, was mir zum Ansporn gewesen wäre.

Auch von meiner Schwester in England erhielt ich Zeitungen, und in diesen erschien hier und da ein Bibeltext. In einer Zeitung war auch regelmäßig die Predigt eines Geistlichen abgedruckt. Ich las diese Predigt stets durch in der Hoffnung, einige Bibeltexte zu finden. Aber es ist erstaunlich, wie oft dieser Mann eine ganze Predigt schreiben konnte, ohne auch nur einen Bibeltext anzuführen.

Ein Bibeltext, den ich in einer Zeitung fand, gab mir für die vielen noch vor mir liegenden Monate großen Trost. Es war Römer 12:12. Die Wiedergabe lautete: ‚Seid fröhlich in der vor euch liegenden Hoffnung. In Schwierigkeiten bleibt standhaft. Seid beharrlich im Gebet.‘ Ich fand diesen Text sehr passend. Obwohl mir meine Lage mitunter hoffnungslos erschien — denn es mußten noch viele Jahre vergehen —, lag dennoch eine Hoffnung vor mir, die Hoffnung auf das Königreich. Würde ich sterben, so hatte ich die Hoffnung auf eine Auferstehung. Ich brauchte also nicht traurig zu sein. Dieser Bibeltext sagte mir, ich solle in der vor mir liegenden Hoffnung fröhlich sein. Je mehr ich über diese Hoffnung nachdachte, desto glücklicher wurde ich. Ich fühlte mich stärker, und die Schwierigkeiten wichen. Auf diese Weise konnte ich, wie der Text sagte, in Schwierigkeiten standhaft bleiben.

Ich hätte früher herauskommen können, wenn ich versucht hätte, Menschen zu gefallen, wenn ich hier und da einen Kompromiß eingegangen wäre. Man sagte mir immer wieder, meine Strafe werde herabgesetzt, wenn ich Zugeständnisse mache. Ich sah aber, daß ich diese Zugeständnisse nicht machen konnte. Würde man einmal in einer kleinen Sache nachgeben, dann kämen sie bald und wollten, daß man ein weiteres Zugeständnis macht, bis man schließlich gegen seine eigenen Brüder aussagen würde. Das können wir aber nicht tun, und so ist es am besten, man läßt sich überhaupt nicht auf Kompromisse ein, auch wenn es ihnen nicht gefällt. Ich mußte standhaft bleiben und auf Jehovas Befreiung warten. Um das tun zu können, mußte ich auch den weiteren Rat befolgen: im Gebet beharrlich zu sein.

Zu Beginn meiner Haftzeit konnte ich inbrünstig zu Jehova beten. Wird man aber nicht mehr durch andere Brüder angeregt, so hat man mit der Zeit — wie ich jedenfalls feststellte — das Gefühl, das Gebet sei nur noch eine Routinesache und deshalb nicht mehr so wirksam. Man neigt vielleicht sogar dazu, es zu vernachlässigen. Das ist im Laufe vieler Jahre durchaus möglich. Doch da war ein Bibeltext, der sagte: ‚Seid beharrlich im Gebet.‘ Mit anderen Worten: ‚Fahre also fort, deine Gebete sind wirksam und können dich stärken.‘ Das taten sie auch. Sie richteten mich wieder auf, wenn ich entmutigt war.

Dennoch war es für mich ein großes Problem, die Zeit auszufüllen. Wenn ich morgens um halb sechs aufstand, hatte ich den ganzen Tag vor mir. Man gab mir einige Zeitschriften, die jedoch voll Politik waren und die ich daher nicht las. So beschloß ich mir, wenn möglich, einige Lehrbücher zu beschaffen, damit ich studieren könnte. Ich erhielt dann einige Bücher über Mathematik und die Elektrizitätslehre und begann mich mit diesen zu beschäftigen. Die Bibel gebietet uns, über Dinge nachzudenken, die gut, förderlich, auferbauend und gerecht sind. [Phil. 4:8] Damit sind natürlich Dinge gemeint, die mit dem Glauben verbunden sind. Im Prinzip fand ich aber das Studium dieser Bücher ebenfalls gut und nützlich. Ich kam dadurch jedenfalls nicht auf Gedanken, die nicht förderlich oder nicht auferbauend gewesen wären. Und selbst wenn ich die Kenntnisse, die ich dadurch erlangte, auch später nicht anwenden könnte, so konnte ich mich zumindest geistig beschäftigen. Ich studierte also fleißig, bemühte mich, das Gelernte zu verstehen, und stellte fest, daß es für mich eine gute Denkübung war. Ich hatte dabei große Freude. Ja, die Lösung von mathematischen Problemen und von Fragen auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre fesselte mich sehr, und ich merkte auf einmal, daß ich darob nicht mein Bibelstudium vergessen durfte. Ich machte mich also deshalb wieder hinter meine Bibeltexte. Manchmal versuchte ich Bibeltexte in die chinesische Sprache zu übersetzen, lediglich um mich zu üben und um das Wort Gottes nicht zu vernachlässigen.

Einmal im Monat durfte ich Post von meinen Angehörigen empfangen. Ich schrieb ihnen jeweils, was ich erhielt, und sie schrieben mir, was sie geschickt hatten; auf diese Weise wußten wir, daß alles durchkam, und wenn etwas zurückbehalten wurde, wußte ich es auch.“

CHINESISCHE ZEUGEN JEHOVAS

Jehovas Zeugen in der ganzen Welt fragten sich, was nach der Verhaftung der Missionare wohl mit ihren chinesischen Brüdern und Schwestern geschehen sei. Bruder Jones teilte den Versammelten nun mit, was er wußte.

„Ich wußte, daß einige Brüder verhaftet worden waren. Ich hielt beständig nach ihnen Ausschau, und eines Tages, als ich mich photographieren lassen mußte, sah ich drei unserer Schwestern, unter anderem auch die eine, die vier Jahre vorher verhaftet worden war. Die Schwester war vier Jahre in Haft behalten worden, und statt daß sie dann entlassen wurde, wie man es hätte erwarten können, wurde sie vor Gericht gestellt und verurteilt, und sie war immer noch im Gefängnis. Es tat mir gut, diese Schwestern zu sehen. Wir konnten zwar nicht miteinander sprechen, einander aber mindestens zulächeln. Es war für mich eine Beruhigung zu wissen, daß sie zusammen waren und miteinander sprechen konnten. Auf Umwegen erfuhr ich auch, daß insgesamt noch fünf weitere Brüder eingesperrt, aber immer noch stark im Glauben und voller Zuversicht und Freude seien und sich sehr dafür interessierten, wie es mir und Bruder King ginge. Ich bin überzeugt, daß diese Brüder heute noch an der Wahrheit und an ihrer Lauterkeit festhalten.“

Diese erfreuliche Nachricht löste bei den Zuhörern stürmischen Beifall aus, und auch das, was Bruder Jones noch berichtete, wurde von ihnen mit großem Beifall aufgenommen. Er führte weiter aus:

„Von meiner Zelle aus konnte ich durch ein Flurfenster in einen Hof sehen. Wenn Gefangene eingeliefert oder entlassen wurden, konnte ich es oft sehen. Eines Tages schaute ich zufällig durch dieses Fenster und sah, wie ein Häftling, der einen großen Koffer auf der Schulter trug, hinausging. Ihm folgte ein zweiter und ein dritter, und ich dachte bei mir: ‚Diese Koffer habe ich doch schon gesehen, die kenne ich doch, die gehören doch Harold King.‘ Und hinter den Männern mit den Koffern kam tatsächlich Harold King und ging hinaus — in die Freiheit.

Ich freute mich sehr. Natürlich dachte ich: ‚Was wird mit mir geschehen? Wird man mich vielleicht früher entlassen?‘“

DIE LETZTEN ZWEI JAHRE

Die chinesischen Beamten begannen nun von neuem Bruder Jones psychologisch unter Druck zu setzen. Zuerst brachte man ihn in die Zelle, in der Harold King gewesen war, die sich in einem anderen Zellenblock befand. Man begann sich seiner anzunehmen und sorgte sogar dafür, daß er mit einem Wärter sprechen konnte. Diese Gespräche wurden jedoch bald in politische Bahnen gelenkt, und als Bruder Jones nicht darauf einging, wurden sie abgebrochen. Man ermunterte ihn jedoch, zu glauben, er werde bald entlassen. Als er beinahe sechs Jahre seiner Strafe verbüßt hatte, deutete alles darauf hin, daß er entlassen würde. Dann ignorierte man ihn wieder völlig, und er wußte, daß er mindestens noch ein Jahr bleiben müßte. Er sagte:

„Ich weiß, was geschehen war. Die Gefängnisverwaltung hatte dem Gericht einen Brief geschrieben und darin mitgeteilt, daß man mit meinem Verhalten zufrieden sei und daher meine Entlassung beantrage, aber das Gericht war nicht bereit, das Gesuch zu genehmigen. Ich hatte eben in meinen Briefen, die ich meinen Angehörigen schrieb, nie etwas über den Kommunismus erwähnt. Viele chinesische Häftlinge suchten durch ihre Briefe den Behörden zu gefallen. Sie begannen einen Brief zum Beispiel ungefähr so:

‚Es wird euch freuen zu erfahren, daß ich mich nun umschule. Ich befolge nun die Werke und Lehren unseres großen Führers Mao Tse-tung. Ich unterstütze die kommunistische Regierung und will im Interesse des Volkes arbeiten.‘

Erst nach dieser Einleitung schrieben sie etwas, was ihre Angehörigen anging. Das wurden sie natürlich in ihren Versammlungen gelehrt. Ja, die Häftlinge kannten die kommunistische Lehre sehr gut, aber sie beeinflußte ihre Herzen nicht, sie bewirkte bei ihnen keine Änderung. Ich weiß es, denn ich konnte es täglich beobachten, und auch die Wärter beobachteten es. Obwohl diese es gern sahen, daß die Häftlinge so schrieben, war es ihnen manchmal doch zuviel, und ich hörte, wie Wärter zu Gefangenen sagten: ‚Hört doch auf, in euren Briefen so zu schreiben, denn es ist euch damit ja doch nicht Ernst!‘ Ich schrieb nie so etwas. Ich schrieb stets, ich sei dankbar für das, was ich erhalte. Ich war respektvoll, machte aber keine Kotaus [demütige Ehrerweisungen], um ihnen zu gefallen. Darum mußte ich bis zum Ende bleiben.“

Etwa drei Wochen vor Ablauf seiner sieben Jahre wurde Bruder Jones von einigen Beamten auf fünf Besichtigungstouren geführt. Man zeigte ihm eine Fabrik, eine Kommune, eine Industrieausstellung, ein Kunstzentrum und ein Arbeiterdorf. Er sagte dazu:

„Alles, was ich sah, war nichts Außergewöhnliches. Sie bauen viel, aber sie haben nichts getan, was andere Länder nicht auch tun.

Dann kam der 13. Oktober 1965, der Tag meiner Entlassung. Ich dachte, ich werde am Morgen entlassen, aber man behielt mich bis abends halb neun zurück. Das heißt, daß ich meine Strafe von sieben Jahren fast auf die Stunde genau verbüßen mußte — nur zehneinhalb Stunden schenkte man mir.“

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wurde Bruder Jones unter polizeilicher Bewachung in ein Hotel geführt, dann folgte eine zweitägige Eisenbahnfahrt nach Kanton, wo man ihn wieder in ein Hotel brachte, und das alles auf seine Kosten. Am nächsten Morgen wurde er an die Grenze zwischen China und Hongkong begleitet. Über das, was dort geschah, berichtete er folgendes:

„Ich stand dicht vor der weißen Linie. Die britische Polizei war auf der anderen Seite. Ich sah einen Engländer auf die Linie zukommen. Er schaute mich an und begann zögernd zu winken. Ich winkte ebenfalls etwas zögernd. Ich erkannte ihn nicht. Er ging weg und kam dann wieder, diesmal mit Bruder Charles, den ich sofort wiedererkannte. Die britischen Beamten sagten zu den Brüdern: ‚Kommen Sie, und nehmen Sie Herrn Jones in Empfang. Gehen Sie aber mit keinem Schritt über die weiße Linie!‘ Das taten sie auch nicht.“

AUF DER ANDEREN SEITE DES „BAMBUS-VORHANGS“

„Ich wurde über die Grenze gebracht und war überglücklich wieder unter den Brüdern zu sein. Es war ein überwältigendes Erlebnis nach meiner jahrelangen Einzelhaft. Ich bekam es aber bald mit der Angst zu tun; denn sie sagten mir, ich werde von Zeitungsreportern erwartet. In den sieben Jahren, in denen ich im Gefängnis war, hatte ich nie einen Augenblick daran gedacht, daß man sich für meinen Fall besonders interessiere. Ich wußte natürlich, daß unsere Brüder daran interessiert waren, und ich freue mich sehr, daß ihr daran interessiert wart, denn ich weiß, daß mir eure Gebete eine Hilfe waren.

Ihr könnt euch aber vorstellen, wie mir zumute war, als ich mich nun den Presseleuten gegenübersah. Wenn man so sieben Jahre eingesperrt ist und sich stets in acht nehmen muß, was man sagt, weil eine unschuldige Bemerkung oft als Beleidigung aufgefaßt wird, zieht man sich sozusagen in sein Schneckenhaus zurück und verhält sich still. Nun war ich wieder unter freien Menschen, aber es fiel mir nicht leicht, so plötzlich aus meinem Schneckenhaus herauszukommen und diese Freiheit zu genießen. Die Brüder in Hongkong waren mir eine große Hilfe. Ich hatte sogar Gelegenheit, mit ihnen am Dienst von Haus zu Haus teilzunehmen. Seit vierzehn Jahren ging ich zum erstenmal wieder von Haus zu Haus.“

Die über 34 000 Zeugen im Yankee-Stadion erlebten die Tage, die Bruder Jones nach seiner Entlassung erlebte, im Geiste mit, sie empfanden seine Freude mit und brachten dies durch begeisterten Beifall zum Ausdruck. Er erzählte, wie schön er es in Japan hatte, wo er in der Stadt Nagoja zu 230 und später in Tokio zu etwa 1000 Brüdern sprach. Seinen ersten Halt in den Vereinigten Staaten machte er in Honolulu (Hawaii), wo sich ebenfalls etwa 1000 Brüder versammelt hatten, um ihn zu hören. Er sagte über diese Erlebnisse:

„Sie hatten mich vorher nie gesehen; auch ich hatte sie vorher nie gesehen; sie hießen mich aber so herzlich willkommen, daß ich das Gefühl hatte, ich sei aus China zu einer großen Familie von Brüdern und Schwestern gekommen. Welch eine Freude und welch ein Segen ist es doch, zur Neuen-Welt-Gesellschaft zu gehören!“

Nach einem zweistündigen Aufenthalt in San Francisco, wo sich 200 Brüder zu Bruder Jones’ Empfang eingefunden hatten, traf er in New York ein. Er war von den Veränderungen, die in den zwanzig Jahren vor sich gegangen waren, seitdem er vier Monate als Vollzeitprediger in Manhattan tätig gewesen war und seitdem er einige Monate in der Druckerei der Watch Tower Society gearbeitet hatte, tief beeindruckt. Die Zuhörer im Yankee-Stadion waren jedoch überrascht, die bescheidenen Worte zu hören, mit denen Bruder Jones nun beschrieb, welchen Eindruck all das, was er gesehen hatte, auf ihn machte.

„Ich bin beeindruckt“, sagte er, „denn ich habe sieben Jahre lang nichts getan. In diesen sieben Jahren konnte ich kaum predigen. Nun komme ich heraus und sehe, daß ihr in diesen sieben Jahren fleißig gearbeitet habt. Ihr habt unablässig Tag für Tag gepredigt. Der Herr hat euch gesegnet und euch Wachstum geschenkt. All das zu sehen, nachdem ich nun wieder frei bin, begeistert mich, und es spornt mich an, mich ebenfalls möglichst schnell an die Arbeit zu machen.

Natürlich muß ich nun zuerst eine Menge studieren. Ich muß vom Paradies-Buch an alle Bücher lesen, die in der Zwischenzeit erschienen sind. Ich weiß, daß ich nicht viel lesen kann, während ich herumreise, aber ich fahre nun nach England zurück und besuche dort nach neunzehneinhalb Jahren zum erstenmal meine Eltern wieder, und dann werde ich mit Eifer ans Studium gehen.“

EIN GUTER RAT FÜR ALLE

„Ich hoffe, daß ich euch durch das, was ich euch erzählte, nicht allzusehr ängstigte und daß ihr nun nicht denkt, ihr könntet so etwas nicht überstehen. In Hongkong sagte ein Zeitungsreporter zu mir: ‚Ich könnte das Alleinsein nicht ertragen. Wenn ich sieben Jahre allein sein müßte, würde ich an den Wänden hochgehen.‘ Bei Jehovas Zeugen ist das anders; sie haben etwas, worüber sie nachdenken können. Wir haben geistige Nahrung zu uns genommen, von der wir zehren können, und das hilft uns, im Glauben stark zu bleiben. Das setzt natürlich voraus, daß wir studieren. Ohne Studium können wir innerlich nicht stark werden. Das beste ist also, ihr studiert weiter eure Bibel, besucht die Zusammenkünfte und stärkt euren Glauben. Dann werdet ihr, wenn Schwierigkeiten an euch herankommen, ‚feststehen‘ können.

Ihr kennt nun meinen Fall, da ich zu euch darüber gesprochen habe. Es ist nichts Aufsehenerregendes, nichts Heldenhaftes daran. Es ging dabei lediglich darum, auszuharren und am Glauben an Gott festzuhalten. Und das würdet ihr bestimmt auch tun, davon bin ich überzeugt.

In Honolulu kam eine Schwester zu mir und sagte bescheiden: ‚Sei mir bitte nicht böse, aber ich möchte dich gern etwas fragen: Warst du in den sieben Jahren jemals auch entmutigt und traurig?‘ Ich sagte zu ihr: ‚Ja, das war ich!‘ Manchmal war mir richtig langweilig, ich kam mir in meiner Lage völlig überflüssig vor und hatte das Gefühl, es sei alles Zeitverschwendung. Der Geist des Menschen will arbeiten, will sich beschäftigen und der Mensch kann lange studieren, und das Nachdenken kann ihm von Nutzen sein. Doch dann möchte der Geist eine Zeitlang Ruhe haben. Dann entsteht die Frage, wie man ihn während dieser Zeit beschäftigt hält. In dieser Lage kann jemand entmutigt werden.

Aber selbst in solchen Momenten dachte ich nie daran, einen anderen Ausweg zu suchen. Ich dachte nie daran, meine Handlungsweise zu ändern und einen Kompromiß einzugehen. Ich wußte, daß ich befreit würde. Nach einer gewissen Zeit fiel mir jeweils plötzlich wieder eine neue Möglichkeit ein, mich geistig zu beschäftigen. Ich wurde glücklich und unternahm wieder etwas. Wurde ich geistig etwas müde und gleichgültig, so wußte ich, daß ich diesen Punkt überwinden, mich dann wieder besser fühlen und wieder aufleben würde.

Ich sagte mir stets: ‚Wir sind Menschen. Wir haben menschliche Gefühle, menschliche Schwächen.‘ Und sollten wir auch einmal entmutigt sein, so ist das kein Fehler, denn es berührt unser Gefühl für die Wahrheit weiter nicht. Wir haben dennoch unsere Hoffnung. Wir harren einfach aus, und Gott belebt uns wieder, und wir fühlen uns wieder besser.

Einige Brüder wollten etwas über meine Eindrücke seit meiner Freilassung wissen. Sie wollten wissen, was ich über die Veränderungen in der westlichen Welt denke und über den Gegensatz zwischen dem Leben im Westen und dem Leben in China.

Es ist ein gewaltiger Gegensatz. In China verlangt man vom Volk heute, daß es Opfer bringe, um das neue China aufzubauen. Das Leben ist daher ziemlich hart, eintönig und wird streng überwacht. Ich bin nun in eine freiere Welt gekommen, in der sich die Menschen nett und in allen Farben kleiden. Alles verrät Leben, Tatendrang, Handlungsfreiheit und Wohlstand. Es ist, als ob ich in eine andere Welt gekommen wäre. Und schon beginne ich mir zu denken: ‚Diese prächtigen Wagen — wäre es nicht schön, auch einen zu haben?‘ Eine schöne Wohnung, schöne Kleider, ein gutes Fernsehgerät, erstklassige Radiomusik und dergleichen — all das zu haben wäre schön. Ich sehe diesen materiellen Wohlstand, und ich erkenne auch, daß diese Dinge eine Gefahr werden könnten.

Ich sehe, daß Weltmenschen ihr Glück vom Besitz solcher materieller Dinge abhängig machen. Würden ihnen diese Dinge plötzlich genommen, dann wäre ihr Glück dahin, und sie könnten nicht mehr weiterleben.

Wir sollten natürlich nicht so sein. Es ist nicht verkehrt, einen schönen Wagen und andere dieser Dinge zu besitzen. Wir können sie besitzen und uns daran erfreuen, und sie können für uns vollkommen harmlos sein, vorausgesetzt, daß wir sie nicht zum Quell unseres Glücks und unserer Freude machen. Und ich weiß, daß wir das nicht tun werden, sofern wir den geistigen Dingen den richtigen Platz einräumen, das heißt sie allem voranstellen.

Das ist also mein Eindruck, den ich von dieser anderen Welt, in die ich nun gekommen bin, gewonnen habe: Ich sehe den Wohlstand, erkenne aber auch, daß wir uns in acht nehmen müssen, daß uns dieser Wohlstand nicht zum Straucheln veranlaßt und zu Fall bringt.“

Der stürmische Beifall der Zehntausende war ein Beweis dafür, daß sie diesen zeitgemäßen Rat schätzten und mit ihm übereinstimmten. Sie freuten sich auch über die herzlichen Grüße, die Bruder Jones von den Brüdern aus Hongkong, Japan und Honolulu übermittelte, aber besonders zu Herzen gingen ihnen seine letzten Worte. Er sagte nämlich:

„Schließlich möchte ich noch sagen: Wenn die wenigen Brüder, die immer noch in China sind, wüßten, daß ich heute hier zu euch spreche, wollten bestimmt auch sie, daß ich euch allen ihre herzlichsten Grüße und besten Wünsche übermittle.“

Die zweistündige Zusammenkunft endete unter anhaltendem, tosendem Beifall. Nach einem Lied und einem Gebet zerstreuten sich die Zehntausende. Sie traten den Heimweg in die vielen Richtungen an, aus denen sie gekommen waren. Sie hatten viel gelernt, und bestimmt stieg von ihren Lippen manch ein inbrünstiges Gebet für ihre Brüder und Schwestern zum Himmel empor, die immer noch im kommunistischen China sind und sich bemühen, im Glauben stark zu bleiben.

[Bild auf Seite 78]

Stanley Jones spricht im Yankee-Stadion vor 34 708 Personen

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