Kann die Welt je selbst Einheit zustande bringen?
KÖNNTE der Traum von einer Welteinheit jemals durch die Bemühungen der Welt verwirklicht werden? Ist es möglich, daß eines der Elemente, die in den Angelegenheiten der Welt tonangebend sind, die Menschheit diesem Ziel entgegenführt?
Die Welt hat jahrtausendelang sowohl mit verschiedenen Regierungen als auch mit verschiedenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen experimentiert. Hat sich eines davon jemals als eine zur Einheit führende Kraft erwiesen? Könnte heute irgendeines davon den tragischen entzweiten Zustand, in dem sich die Menschheitsfamilie befindet, in das Gegenteil verkehren? Wenn nicht, wer oder was wäre dazu in der Lage?
Die politische Geschichte
Die politische Führung hat sich, was die Angelegenheiten des Menschen betrifft, als eine einflußreiche Kraft erwiesen. Doch leider zeigt die Geschichte deutlich, daß sie keine vereinigende Kraft ist. Im Gegenteil, nachdem es die Welt jahrtausendelang mit jeder möglichen politischen Ideologie versucht hat, ist sie mehr gespalten als je zuvor. Es gibt heute mehr unabhängige Staaten und unterschiedliche politische Systeme als zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte.
Wenn menschliche Regierungen eine zur Einheit führende Kraft wären, sollte der Beweis dafür bis heute erbracht worden sein. Statt dessen sind in jedem Jahrhundert Ströme von Blut geflossen in einem Krieg nach dem anderen — insgesamt waren es Tausende von Kriegen. Und in unserer Zeit sind durchaus keine allmählichen Fortschritte zur Einheit zu beobachten, denn die Menschheit ist im 20. Jahrhundert hoffnungsloser entzweit als je zuvor. Durch zwei fürchterliche Weltkriege wurde das Leben von etwa 70 Millionen Menschen verkürzt. Und als ob das nicht genug wäre, sind, wie in dem vor kurzem erschienenen Buch War in Peace (Krieg in Friedenszeiten) berichtet wird, allein nach dem Zweiten Weltkrieg in etwa 130 militärischen Konflikten in über hundert Ländern 35 Millionen Menschen umgekommen. Man stelle sich das vor — in einer Zeit sogenannten Friedens!
Ein Grund für diesen beklagenswerten Zustand ist, daß die Menschen an althergebrachten politischen und nationalen Bindungen festhalten. Durch diese Bindungen ist die Menschheit völlig entzweit worden, und einer arbeitet gegen den anderen. Der Historiker Arnold Toynbee sagte deshalb, der Nationalismus sei „in Wahrheit die führende Religion“, weil ihm viele Menschen Anbetung und Gehorsam zollten. Toynbee erklärte, daß durch diese Anbetung souveräner Staaten deren jeweilige Angehörige zu Gegnern werden, „da diese Religion ein Ausdruck von Ichbezogenheit ist“. Und er vertrat den Standpunkt: „Ichbezogenheit ist die Ursache allen Streits.“
Politische Uneinigkeit hat heute verheerendere Folgen als je zuvor, denn wir sind im Atomzeitalter schon weit fortgeschritten. In jeder Nation herrscht Angst vor einem Atomkrieg, besonders angesichts der Kapazität heutiger Kernwaffen. Jonathan Schell schreibt in dem Buch Das Schicksal der Erde: „Was in Hiroschima geschah, ist noch nicht einmal ein winziger Bruchteil dessen, was die heute auf der Welt vorhandenen Atomwaffen anrichten könnten.“
Schell schreibt weiter: „Die Politik führt sich folglich selbst ad absurdum, wenn sie mit der einen Hand für eine Zukunft aufbaut, deren Zerstörung sie mit der anderen Hand vorbereitet. Jedesmal, wenn ein Politiker verspricht, eine bessere Welt für unsere Kinder und Enkelkinder zu schaffen ..., widerlegt ihn die Gefahr der Vernichtung mit dem tödlichen Argument: Vielleicht wird es keine Kinder oder Enkelkinder mehr geben.“
Gerade diese Situation wurde von Jesus Christus für unsere Zeit mit den prophetischen Worten aus Lukas 21:25, 26 vorausgesagt: „Auf der Erde [wird es] Angst und Bangen unter den Nationen [geben], die wegen des Tosens des Meeres und seiner Brandung weder aus noch ein wissen, während die Menschen ohnmächtig werden vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über die bewohnte Erde kommen.“ Ist dies nicht eine treffende Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der geteilten Menschheit?
Angesichts solch schrecklicher Aussichten mag man sich fragen: Könnten nicht die Vereinten Nationen die Menschheitsfamilie vereinen, wenn kein einzelnes politisches System dazu in der Lage ist? Die Antwort lautet „Nein!“ Warum? Weil die UNO nur ein Spiegelbild unserer zerstrittenen Welt ist. Der UNO-Generalsekretär gab zu: „Wir sind zweifellos weit von der Charta der UNO abgewichen.“ Die Resolutionen der Organisation werden, wie er sagte, „von denen, die meinen, es sich leisten zu können, zunehmend abgelehnt oder ignoriert“. Seine Schlußfolgerung lautete daher: „Wir sind einer neuen internationalen Anarchie gefährlich nahe.“ Somit wird die Glaubwürdigkeit der UNO als ein einigender Faktor der Menschheit von ihren eigenen Führern aufgrund der Geschichte bezweifelt.
Wenn wir den Tatsachen ins Auge sehen, müssen wir zugeben, daß, geschichtlich betrachtet, kein politisches System der unvollkommenen Menschen in der Lage war, die Menschheit zu vereinen, auch wenn die führenden Persönlichkeiten noch so aufrichtig waren. Deshalb sagt Gottes Wort in Psalm 146:3 passenderweise: „Setzt euer Vertrauen nicht auf Edle noch auf den Sohn des Erdenmenschen, bei dem es keine Rettung gibt.“
Wirtschaftliche Unordnung
Gibt es irgendein Wirtschaftssystem in der Welt, das eine einigende Kraft wäre, so daß die gesamte Menschheitsfamilie Nutzen aus der Fähigkeit der Erde ziehen könnte, überreiche Erträge hervorzubringen? Wiederum antwortet die Geschichte mit Nein. Kein einziges Wirtschaftssystem des Menschen hat je ein Modell für einen gemeinsamen Versuch geliefert, mit dem den Interessen der ganzen Menschheit gedient gewesen wäre. Jedes Wirtschaftssystem hat für Millionen große Unzufriedenheit und Härten mit sich gebracht.
In den letzten Jahren hat die Weltwirtschaft eine Krise nach der anderen erlebt. Die Schulden unterentwickelter Länder sind enorm gestiegen, nicht aber ihre Zahlungsfähigkeit. Selbst die Schulden der am höchsten entwickelten Länder haben astronomische Höhen erreicht. Die Armut breitet sich aus. Millionen sind arbeitslos. Jedes Jahr verhungern weitere Millionen oder sterben an Krankheiten, die auf Unterernährung zurückzuführen sind. An vielen Armen auf der ganzen Erde hat sich die Wahrhaftigkeit des prophetischen Wortes Gottes aus Offenbarung 6:6 bestätigt: „Zwei Pfund Weizen oder sechs Pfund Gerste für den Lohn eines ganzen Tages“ (Die Bibel in heutigem Deutsch). Ja, in manchen Ländern bekommt man für einen Tageslohn kaum noch einen Laib Brot.
Ungeachtet der zeitweiligen Verbesserungen nach rückläufigen Tendenzen oder Krisen, gibt die Wirtschaft mehr oder weniger das Bild ab, das in der New York Times mit den Worten gezeichnet wurde: „Die Weltwirtschaft sieht sich ihrer größten Bedrohung in der Nachkriegszeit gegenüber, was ihre Struktur und ihr Wachstum betrifft. Inflation, Rezession, Massenarbeitslosigkeit sowie ein außerordentlicher Druck auf Handel und Finanzen stellen für die der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit dienenden Prinzipien und Institutionen eine gewaltige Belastung dar.“ Und der französische Zeitungsherausgeber André Fontaine erklärte: „Ich sehe keine Regierung in der heutigen Welt, die fähig zu sein scheint, mit den großen wirtschaftlichen Problemen unserer Zeit fertig zu werden. In Wirklichkeit sind dies nämlich Weltprobleme, und kein Land kann sie im Alleingang lösen.“
Das ist des Pudels Kern. Die Wirtschaftsprobleme der Welt verlangen vereintes, weltumspannendes Handeln. Aber es sind zu viele selbstsüchtige Interessen im Spiel, als daß die Weltführer eine dauerhafte Lösung finden könnten.
Soziale Probleme türmen sich auf
Soziale Probleme spiegeln ebenfalls die zunehmende Uneinigkeit der Menschheit wider. Haß und Voreingenommenheit, Verbrechen und Gewalttätigkeit, Terrorismus und bewaffnete Konflikte — und das auf allen Kontinenten — sind Symptome einer kranken Welt. Das Leben ist gefährlich geworden, besonders in vielen Großstädten. Als in Italien ein Polizeibeamter einem Häftling mitteilte, er werde in kurzem aus dem Gefängnis entlassen, erwiderte dieser laut einem Bericht in La Nazione: „Mir liegt nichts daran, aus dem Gefängnis zu kommen. Wir leben in einer schwierigen Zeit. Ich bleibe lieber im Gefängnis. Draußen kann man zu leicht getötet werden.“
Da sind auch menschliche Schwächen, durch die Familien entzweit werden und die Lebensqualität in jedem politischen System untergraben wird. Fast überall nehmen die Scheidungsziffern zu; mancherorts endet fast die Hälfte aller neugeschlossenen Ehen vor dem Richter. Sowohl in der östlichen als auch in der westlichen Welt hat eine Flucht vor der Wirklichkeit in Form übermäßigen Trinkens eingesetzt. Die Folge ist u. a., daß Trunkenheit am Steuer Tag für Tag neue Opfer fordert, so daß jährlich eine Gesamtzahl von etwa 300 000 Verkehrstoten zu verzeichnen ist.
Die Plage der Drogenabhängigkeit bringt für Millionen Kummer und Sorgen mit sich. Die weitverbreitete Freizügigkeit auf sexuellem Gebiet hat zu einer enormen Ausbreitung furchtbarer Geschlechtskrankheiten geführt, von denen einige unheilbar sind. Damit einher geht eine Flut unerwünschter Schwangerschaften und vorsätzlicher Schwangerschaftsabbrüche.
Die Situation entspricht genau dem, was in einer biblischen Prophezeiung für unsere Zeit mit den Worten vorhergesagt wurde: „In den letzten Tagen [werden] kritische Zeiten dasein ..., mit denen man schwer fertig wird.“ In dieser Prophezeiung werden Verhältnisse aufgezählt, die sich so anhören, als ob man die Tageszeitung lesen würde. Es wird gesagt, daß die Menschen ‘eigenliebig sein werden, geldliebend, hochmütig, den Eltern ungehorsam, undankbar, nicht loyal, ohne natürliche Zuneigung, für keine Übereinkunft zugänglich, ohne Selbstbeherrschung, Vergnügungen mehr liebend als Gott’ (2. Timotheus 3:1-5).
Die sozialen Probleme werden noch dadurch verschlimmert, daß jährlich 800 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben werden. Das sind über zwei Milliarden Dollar täglich! Doch jedes Jahr sterben Millionen Kinder und auch viele Erwachsene an Unterernährung. Es läßt sich also nicht leugnen: Die sozialen Probleme und Unterschiede nehmen zu. Hunderte von Millionen enttäuschter und unterdrückter Menschen haben keine Hoffnung. Und kein soziales System der Welt kann diese Probleme lösen, weil man sie nicht gemeinsam anpackt.
Heute steht mit Sicherheit eindeutig fest, daß es kein politisches, kein wirtschaftliches und kein soziales System in der Welt gibt, das im Interesse der Menschheit als eine einigende Kraft wirken kann. Aber wie verhält es sich mit den Religionsorganisationen? Können wir sie als einen einigenden Faktor betrachten? Ja was können wir überhaupt als eine Kraft ansehen, durch die unsere erbärmlich gespaltene Menschheitsfamilie geeint werden kann? Diese Fragen werden in den folgenden beiden Artikeln behandelt.
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Die Menschheit ist heute in der Lage, alles Leben auf der Erde zu vernichten
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Hunderte von Millionen Menschen hungern