Wurde Jesus im Winter geboren?
„HEFTIGE Schneefälle legen Verkehr in Jerusalem lahm“. „Anhaltende Schneefälle suchen den Norden heim“. Solche Schlagzeilen waren im Winter 1992 — einem der kältesten Winter des Jahrhunderts in Israel — für israelische Leser der Jerusalem Post keine Seltenheit.
Im Januar lagen auf dem Gipfel des Hermon 7 bis 12 Meter Schnee, und dabei war der Winter noch längst nicht vorbei. Von den Golanhöhen und Obergaliläa bis nach Jerusalem und dem nahe gelegenen Bethlehem (siehe Titelseite), ja bis zum Negeb im Süden wurde das israelische Alltagsleben auf eine zwar reizvolle und sanfte, doch hochwirksame Weise lahmgelegt. In einem Artikel der Jerusalem Post hieß es: „Schwere Schneefälle haben gestern das fertiggebracht, was einem Granathagel letzte Woche nicht gelungen war: daß ganze Siedlungen von der Umwelt abgeschnitten wurden und die Bewohner ihre Häuser nicht mehr verlassen konnten.“
Nicht nur die Bewohner der Städte wurden durch den harten Winter in Mitleidenschaft gezogen. Meldungen zufolge erfroren Hunderte von Kühen und Kälbern sowie Tausende von Hühnern, weil die Temperatur nachts plötzlich unter den Gefrierpunkt sank. Darüber hinaus forderten starke Eisregen ihren Tribut. Zwei Hirtenjungen, die eines Tages verzweifelt versuchten, eine Anzahl ihrer Schafe zu retten, die von einer Überschwemmung überrascht worden waren, wurden selbst weggespült und ertranken in dem Wildbach.
Dieser Winter war für den Nahen Osten zwar kein typischer Winter, doch die israelische Zeitschrift Eretz berichtete: „Nach den meteorologischen Aufzeichnungen der letzten 130 Jahre ist Schnee in Jerusalem eine üblichere Erscheinung, als man allgemein erwarten würde ... In den Jahren 1949 bis 1980 hatte die Stadt Jerusalem 24 Winter mit Schnee.“ Ist das aber nur für Meteorologen oder für die Allgemeinheit von Interesse, oder hat es etwa auch für Erforscher der Bibel eine Bedeutung?
Welche Bedeutung hat es für Erforscher der Bibel?
Bei dem Gedanken an die Geburt Jesu sehen viele Leute in ihrer Vorstellung sogleich die rührselige Krippenszene vor sich, wie sie zur Weihnachtszeit oft dargestellt wird. Das Jesuskind liegt, warm eingewickelt und von seiner Mutter behütet, in der Krippe, und die Landschaft ringsum ist in eine sanfte weiße Schneedecke gehüllt. Entspricht diese volkstümliche Vorstellung der biblischen Beschreibung dieses historischen Ereignisses?
Der Bibelschreiber Lukas gibt einen genau dokumentierten Bericht über die Geburt Jesu wieder: „Es waren auch Hirten in derselben Gegend, die draußen im Freien lebten und in der Nacht über ihre Herden Wache hielten. Und plötzlich stand Jehovas Engel bei ihnen, und Jehovas Herrlichkeit umleuchtete sie, und sie gerieten in große Furcht. Der Engel aber sprach zu ihnen: ‚Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine gute Botschaft großer Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden wird, denn euch ist heute in Davids Stadt [Bethlehem] ein Retter geboren worden, welcher Christus, der Herr, ist. Und dies ist euch ein Zeichen: Ihr werdet ein Kindlein finden, das in Wickelbänder eingebunden ist und in einer Krippe liegt.‘ Und plötzlich befand sich bei dem Engel eine Menge der himmlischen Heerschar, die Gott pries und sprach: ‚Herrlichkeit Gott in den Höhen droben und Frieden auf Erden unter Menschen guten Willens‘“ (Lukas 2:8-14).
Wenn man diesen Bericht heute einem Durchschnittsisraeli vorlesen und ihn dann fragen würde, zu welcher Jahreszeit das gewesen sein könnte, würde er wahrscheinlich antworten: „Irgendwann zwischen April und Oktober.“ Warum? Die Antwort ist einfach. Weil von November bis März in Israel die kalte Regenzeit ist und der 25. Dezember in die Winterzeit fällt. Die Hirten wären nicht draußen im Freien auf den Feldern gewesen, um nachts über ihre Herden Wache zu halten. In Anbetracht der eingangs angeführten Berichte ist dies gut verständlich. Bethlehem, wo Jesus geboren wurde, liegt im Bergland, nur einige Kilometer von Jerusalem entfernt. Selbst in Jahren, in denen das Wetter nicht so extrem ist, wird es im Winter nachts dort ziemlich kalt (Micha 5:2; Lukas 2:15).
Die geschichtlichen Ereignisse zur Zeit der Geburt Jesu lassen ebenfalls erkennen, daß Jesus nicht im Wintermonat Dezember geboren wurde. Maria, die Mutter Jesu, mußte, obwohl hochschwanger, von ihrem Wohnort Nazareth nach Bethlehem reisen. Joseph und sie unternahmen diese Reise, um der Einschreibeverordnung des römischen Herrschers, Cäsar Augustus, nachzukommen (Lukas 2:1-7). Die Juden waren über die römische Regierung und ihre hohen Steuerlasten ohnehin schon empört und standen kurz vor einem Aufstand. Warum hätten die Römer sie also noch unnötigerweise verärgern sollen, indem sie verlangt hätten, daß sich viele wegen der Einschreibung bei dem äußerst schlechten und sogar gefährlichen Winterwetter auf eine Reise begeben hätten? Ist es nicht vernünftiger, anzunehmen, daß diese Verordnung zu einer für das Reisen günstigeren Zeit erlassen wurde — im Frühling oder im Herbst?
Biblisch begründete Berechnungen
Der historische und der sichtbare Tatbestand lassen erkennen, daß für die Geburt Jesu weder der Dezember noch ein anderer Wintermonat in Frage kommt. Übrigens enthüllt die Bibel durch eine Prophezeiung die Jahreszeit, in der Jesus geboren wurde. Wo ist diese Prophezeiung zu finden?
Das 9. Kapitel des Buches Daniel enthält eine der eindrucksvollsten Prophezeiungen über den Messias. Diese Prophezeiung beschreibt sein Kommen und sein Abgeschnittenwerden durch den Tod, wodurch ein Loskaufsopfer zur Sühnung der Sünde bereitgestellt und die Grundlage geschaffen wurde, auf der gehorsame Menschen ‘Gerechtigkeit auf unabsehbare Zeiten’ erlangen können (Daniel 9:24-27; vergleiche Matthäus 20:28). Gemäß dieser Prophezeiung sollte sich das alles im Verlauf von 70 Jahrwochen abspielen, die im Jahr 455 v. u. Z. begannen, als der Befehl zum Wiederaufbau Jerusalems gegeben wurde (Nehemia 2:1-11).a Aufgrund der Zeiteinteilung in dieser Prophezeiung kann man erkennen, daß der Messias zu Beginn der 70. Jahrwoche erscheinen sollte. Das geschah, als sich Jesus im Jahr 29 u. Z. zur Taufe darstellte und dadurch seine Aufgabe als Messias offiziell übernahm. „Zur Hälfte der Woche“ oder nach dreieinhalb Jahren sollte der Messias durch den Tod abgeschnitten werden, und die unter dem mosaischen Gesetz dargebrachten Schlachtopfer sollten keinen Wert mehr haben (Hebräer 9:11-15; 10:1-10).
Aus dieser Prophezeiung ist ersichtlich, daß die Dienstzeit Jesu dreieinhalb Jahre dauerte. Jesus starb im Frühjahr 33 u. Z., am Passahtag, das heißt am 14. Nisan (nach dem jüdischen Kalender). Der 14. Nisan jenes Jahres entspräche dem 1. April (Matthäus 26:2). Rechnet man dreieinhalb Jahre zurück, müßte Jesus Anfang Oktober 29 u. Z. getauft worden sein. Von Lukas erfahren wir, daß Jesus bei seiner Taufe ungefähr 30 Jahre alt war (Lukas 3:21-23). Demnach wäre er ungefähr Anfang Oktober geboren worden. Das würde mit dem Bericht des Lukas übereinstimmen, der besagt, daß zu jener Zeit immer noch Hirten „draußen im Freien lebten und in der Nacht über ihre Herden Wache hielten“ (Lukas 2:8).
Aus welcher Quelle?
Wenn die Beweise doch dafür sprechen, daß Jesus Anfang Oktober geboren wurde, warum feiert man dann seine Geburt am 25. Dezember? Nach der New Encyclopædia Britannica wurde damit erst Jahrhunderte nach der Geburt Jesu begonnen: „Im 4. Jahrhundert übernahm man in den meisten Ostkirchen allmählich den 25. Dezember zur Feier der Geburt Christi. In Jerusalem hielt der Widerstand gegen die Weihnachtsfeier etwas länger an, aber schließlich akzeptierte man sie doch.“
Warum nahmen die angeblichen Christen diesen Brauch Jahrhunderte nach Christus so ohne weiteres an? Die New Encyclopædia Britannica wirft weiteres Licht auf dieses Thema: „Die traditionellen Weihnachtsbräuche stammen aus verschiedenen Quellen und sind das Ergebnis des zufälligen Zusammentreffens der Feier der Geburt Christi mit den heidnischen von der bäuerlichen Kultur und dem Sonnenkult geprägten Festen zur Zeit der Wintersonnenwende. In der römischen Welt waren die Saturnalien (17. Dezember) eine Zeit, in der man sich vergnügte und Geschenke austauschte. Der 25. Dezember galt ferner als das Geburtsdatum des iranischen Mysteriengottes Mithra, der Sonne der Gerechtigkeit.“
War das alles tatsächlich ein „zufälliges“ Zusammentreffen? Keineswegs! Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß es im vierten Jahrhundert u. Z. unter Kaiser Konstantin insofern zu einer Wende kam, als das Römische Reich, der ehemalige Verfolger des Christentums, zum Förderer des jetzt anerkannten „Christentums“ wurde. Je mehr der neue Glaube unter der allgemeinen Bevölkerung, die die Vorgeschichte des wahren Christentums nicht kannte, Fuß faßte, desto mehr begann sie ihre gewohnten heidnischen Feste unter Bezeichnungen ihres neugefundenen „christlichen“ Glaubens zu feiern. Welches Datum für die Feier der Geburt Christi hätte passender sein können als der 25. Dezember, der bereits als Geburtstag der „Sonne der Gerechtigkeit“ galt?
Spielt es eine Rolle?
Die ersten Nachfolger Jesu, die ja jüdischer Herkunft waren, feierten Jesu Geburtstag bestimmt nicht. In der Encyclopaedia Judaica wird gesagt: „Geburtstagsfeiern waren im traditionellen jüdischen Kultus unbekannt.“ Die ersten Christen hätten eine solche Feier nicht übernommen. Statt Jesu Geburtstag zu feiern, befolgten sie sein Gebot, seines Todes zu gedenken, und dafür hatten sie ein unanfechtbares Datum, nämlich den 14. Nisan (Lukas 22:7, 15, 19, 20; 1. Korinther 11:23-26).
Jahrhunderte vor Christus wurden die Juden, die damals Gottes auserwähltes Volk waren, vor dem bevorstehenden Exil in Babylon gewarnt und prophetisch auf dessen Ende hingewiesen mit den Worten: „Weichet, weichet, zieht von dort aus, rührt nichts Unreines an; geht aus ihrer Mitte hinaus, haltet euch rein, die ihr die Geräte Jehovas tragt“ (Jesaja 52:11). Sie sollten in ihre Heimat zurückkehren, um die reine Anbetung Jehovas wiederherzustellen. Es wäre für sie undenkbar gewesen, die unreinen heidnischen Bräuche und Anbetungsformen zu übernehmen, die sie in Babylon beobachten konnten.
Es überrascht daher nicht, daß gemäß 2. Korinther 6:14-18 diese Aufforderung auch an Christen erging. An Stelle der jüdischen Nation, die den Christus verworfen hatte, waren jetzt die Nachfolger Christi die Vertreter der reinen Anbetung. Ihnen fiel nun die Aufgabe zu, anderen zu helfen, aus der geistigen Finsternis in das Licht der Wahrheit zu kommen (1. Petrus 2:9, 10). Wie hätten sie das tun können, wenn sie die Lehren Christi mit Bräuchen und Feiertagen vermischt hätten, die aus dem Heidentum stammten?
Eine „weiße Weihnacht“ zu feiern mag bei der Allgemeinheit noch so beliebt sein, es läuft schließlich doch darauf hinaus, „das Unreine anzurühren“ (2. Korinther 6:17). Wer Gott und Christus wirklich liebt, sollte damit nichts zu tun haben.
Darüber hinaus haben wir festgestellt, daß das Weihnachtsfest nicht nur in heidnischen Festen wurzelt, sondern auch nicht mit der Wahrheit übereinstimmt, denn Jesus wurde im Oktober geboren. Ja, ganz gleich, welche Vorstellung jemand haben mag — Jesus wurde eindeutig nicht im Winter geboren.
[Fußnote]
a Eine eingehendere Behandlung dieser Prophezeiung ist in der Broschüre Wird es je eine Welt ohne Krieg geben?, Seite 26 zu finden, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft.
[Bild auf Seite 4, 5]
Das schneebedeckte Jerusalem, von Osten gesehen
[Bildnachweis]
Garo Nalbandian
[Bild auf Seite 6]
Schnee an der Mauer von Jerusalem
[Bild auf Seite 7]
Nur in der warmen Jahreszeit können Hirten mit ihren Herden nachts draußen auf den steinigen Hügeln bleiben, wie unten zu sehen
[Bildnachweis]
Garo Nalbandian