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Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich 1995
w95 1. 6. S. 20-25

Uns wurde eine Perle von hohem Wert anvertraut

VON RICHARD GUNTHER ERZÄHLT

Es war im September 1959. An Bord des italienischen Passagierschiffes Julio Caesar überquerten wir den Atlantischen Ozean von New York nach Cádiz (Spanien). Die Watch Tower Society hatte mich und meine Frau Rita sowie Paul und Evelyn Hundertmark als Missionare Spanien zugeteilt. So manche Herausforderung sollte auf uns zukommen. Doch wie kam es dazu, daß wir uns für die Missionarlaufbahn entschieden?

RITA und ich ließen uns 1950 in New Jersey (USA) als Zeugen Jehovas taufen. Schon bald danach trafen wir eine Entscheidung, die schließlich dazu führte, daß uns eine Perle von hohem Wert anvertraut wurde. In unserer Versammlung gab es genügend Brüder und Schwestern, die das Gebiet bearbeiteten. Daher fühlten wir uns verpflichtet, dorthin zu gehen, wo ein größerer Bedarf an Predigern bestand. Auf dem internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas in New York, der im Sommer 1958 stattfand, bewarben wir uns um den Missionardienst.

Bald danach wurden wir eingeladen, die Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen, und innerhalb eines Jahres waren wir als Missionare auf dem Weg nach Spanien. All das Neue und die vielen Verpflichtungen nahmen uns völlig gefangen, so daß wir damals gar nicht erfaßten, was uns in Wirklichkeit anvertraut worden war. Jesus hatte von einer Perle von hohem Wert gesprochen (Matthäus 13:45, 46). Obwohl Jesu Gleichnis eine andere Bedeutung hatte, war das Vorrecht des Missionardienstes für uns mit einer solchen Perle vergleichbar. Rückblickend schätzen wir dieses kostbare Vorrecht des Dienstes in Jehovas Organisation jetzt um so mehr.

Ein unvergeßliches Erlebnis

Damals wurde der Gilead-Schulkurs in der landschaftlich schönen Gegend der Finger Lakes im Staat New York durchgeführt. Dort verbrachten wir sechs herrliche Monate; wir gingen völlig im Bibelstudium auf und erfreuten uns echter christlicher Gemeinschaft — getrennt von dem Trubel und den Sorgen der Welt. Unsere Mitstudenten kamen aus aller Herren Länder, zum Beispiel aus Australien, Bolivien, Griechenland, Großbritannien und Neuseeland. Der Tag der Abschlußfeier kam viel zu schnell herbei. Im August 1959 hieß es Abschied nehmen, und mit Tränen in den Augen machten wir uns auf den Weg in unsere entsprechenden Missionarzuteilungen. Einen Monat später setzten wir unseren Fuß auf spanischen Boden.

Eine neue Kultur

In der südlich gelegenen Hafenstadt Algeciras — unweit des gigantischen Felsens von Gibraltar — gingen wir von Bord. Noch in derselben Nacht bestiegen wir vier, das heißt Rita und ich sowie die Hundertmarks, einen Zug nach Madrid. Wir gingen zum Hotel Mercador und warteten, bis Mitarbeiter des spanischen Zweigbüros, die im Untergrund tätig waren, Kontakt mit uns aufnahmen. In Spanien herrschte der Diktator Generalissimus Francisco Franco. Das bedeutete, daß die einzige offiziell anerkannte Religionsorganisation die katholische Kirche war. Es war nicht erlaubt, irgendeine andere Religion öffentlich zu praktizieren, und die Predigttätigkeit der Zeugen Jehovas von Haus zu Haus war verboten. Selbst religiöse Zusammenkünfte waren nicht gestattet, so daß sich Jehovas Zeugen — damals gab es in Spanien 1 200 Zeugen Jehovas in 30 Versammlungen — nicht in Königreichssälen versammeln konnten, wie das in anderen Ländern üblich war. Wir mußten uns heimlich in Privatwohnungen treffen.

Spanischkurs und der Anfang

Die erste Herausforderung bestand im Erlernen der Sprache. Im ersten Monat verbrachten wir damit 11 Stunden täglich: 4 Stunden hatten wir vormittags Unterricht, und 7 Stunden lernten wir allein. Im zweiten Monat gab es vormittags keine Veränderung, aber nachmittags predigten wir von Haus zu Haus. Man stelle sich das vor: Mit unseren geringen Sprachkenntnissen — nur mit einer auswendig gelernten Einleitung, die auf einer Karte stand — gingen Rita und ich ganz allein von Haus zu Haus!

Ich erinnere mich, wie ich in Vallecas, einem Arbeiterviertel von Madrid, an einer Tür klopfte. Mit meiner Karte in der Hand (die mir helfen sollte, falls ich steckenbleiben würde) sagte ich auf spanisch: „Guten Tag. Wir verrichten ein christliches Werk. In der Bibel heißt es ... [Wir lasen einen Text.] Diese Broschüre möchten wir Ihnen gern zurücklassen.“ Die Dame schaute uns nur an und nahm die Broschüre entgegen. Beim Rückbesuch bat sie uns herein, und während wir redeten, schaute sie uns wieder nur an. Wir richteten ein Bibelstudium ein und studierten mit ihr, so gut wir konnten. Beim Studium hörte sie zu und schaute uns an. Nach einer gewissen Zeit gestand sie schließlich, daß sie nicht verstanden habe, was wir bei unserem ersten Besuch gesagt hatten. Nur das Wort Dios (Gott) hatte sie verstanden, und das hatte ihr genügt, um zu wissen, daß es sich um etwas Gutes handeln müsse. Sie nahm beständig an Erkenntnis zu und ließ sich schließlich als Zeugin Jehovas taufen.

Spanisch zu lernen fiel mir äußerst schwer. Auf den Fahrten durch die Stadt lernte ich die Zeitformen der Verben auswendig. Was ich in der einen Woche gelernt hatte, hatte ich in der nächsten wieder vergessen. Es war sehr entmutigend. Mehrere Male hätte ich fast die Flinte ins Korn geworfen. Da mein Spanisch unmöglich war, mußten die einheimischen Brüder viel Geduld aufbringen, denn ich hatte unter ihnen die Führung inne. Bei einem Bezirkskongreß gab mir ein Bruder einmal eine handgeschriebene Bekanntmachung, die ich vorlesen sollte. Da ich seine Schrift nicht richtig lesen konnte, sagte ich: „Bringt bitte eure muletas [Krücken] morgen mit zum Stadion.“ Es hätte heißen müssen: „Bringt eure maletas [das Gepäck] morgen mit zum Stadion.“ Natürlich lachten alle, aber ich war furchtbar verlegen.

Anfangsschwierigkeiten in Madrid

Jene ersten Jahre in Madrid waren in emotioneller Hinsicht für Rita und mich sehr schwierig. Unser Zuhause und unsere Freunde fehlten uns sehr. Jedesmal, wenn ein Brief aus den Staaten eintraf, überkam uns großes Heimweh. Solche nostalgischen Momente wühlten uns sehr auf, aber sie gingen vorüber. Schließlich hatten wir ja unser Zuhause, Angehörige und Freunde zurückgelassen, um dafür eine Perle von höherem Wert zu erhalten. Wir mußten uns erst eingewöhnen.

Am Anfang wohnten wir in Madrid in einer etwas schäbigen Pension. Wir hatten ein Zimmer mit Vollpension. Es war ein kleiner, dunkler Raum mit Strohmatratzen; und die Monatsmiete verschlang unsere bescheidene monatliche Zuwendung. Zu Mittag aßen wir gewöhnlich in der Pension, und das Abendessen hielt die Wirtin im Ofen warm, so daß wir spätabends noch etwas zu essen hatten. Doch oft hatten wir tagsüber und abends, wenn wir unterwegs waren, großen Hunger. Wenn unsere Zuwendung aufgebraucht war, kauften wir von unseren begrenzten persönlichen Mitteln die billigste Tafel Schokolade, die wir bekommen konnten. Nach dem Besuch des Zonenaufsehers der Gesellschaft änderte sich jedoch diese Situation. Er sah unsere mißliche Lage und meinte, wir könnten nach einem kleinen Apartment Ausschau halten, das als Missionarheim dienen sollte. Dann wäre Schluß damit, in einem in der Küche der Pension aufgestellten Bottich ein Bad zu nehmen. Statt dessen sollten wir eine Dusche haben sowie einen Kühlschrank, um Nahrungsmittel aufzubewahren, und einen elektrischen Kocher, damit wir Mahlzeiten zubereiten könnten. Für diese Erleichterung waren wir sehr dankbar.

Wunderbare Erfahrungen in Madrid

Das Predigen von Haus zu Haus wurde mit großer Umsicht durchgeführt. Ein Vorteil dabei war das geschäftige Treiben in Madrid, denn dadurch waren wir sozusagen abgeschirmt und fielen nicht weiter auf. Wir bemühten uns, weder durch unsere Kleidung noch durch unser Verhalten als Ausländer Aufmerksamkeit zu erregen. Unsere Predigtmethode von Haus zu Haus sah so aus: Wir betraten ein Mehrfamilienhaus und klopften an einer Tür; nachdem wir mit dem Wohnungsinhaber gesprochen hatten, verließen wir nicht nur das Gebäude, sondern auch die Straße und das Gebiet. Man mußte stets damit rechnen, daß der Wohnungsinhaber die Polizei rufen würde, und daher war es nicht weise, sich länger in der Nachbarschaft aufzuhalten. Obwohl Paul und Evelyn Hundertmark nach dieser vorsichtigen Predigtmethode vorgingen, wurden sie verhaftet und 1960 des Landes verwiesen. Sie gingen in das Nachbarland Portugal und verbrachten dort einige Jahre, wobei sich Paul um die Arbeiten im Zweigbüro kümmerte, die im Untergrund getan werden mußten. Derzeit ist er Stadtaufseher von San Diego (Kalifornien).

Doch schon bald kam es zu einem Ausgleich, von dem wir profitierten. Nur wenige Monate später mußten sechs Missionare, die Portugal zugeteilt worden waren, das Land verlassen. Das führte zu einer positiven Entwicklung. Eric und Hazel Beveridge — mit denen wir zusammen die Gileadschule besucht hatten — mußten Portugal verlassen und durften in Spanien einreisen. So kam es, daß wir uns im Februar 1962 wieder zum Hotel Mercador begaben, diesmal, um Eric und Hazel willkommen zu heißen.

In dieser Anfangszeit in Madrid erlebten Rita und ich, wie heuchlerisch es in religiösen Kreisen zugehen kann. Wir führten ein Bibelstudium mit einem Ehepaar durch, Bernardo und Maria. Sie wohnten in einer armseligen Hütte, die Bernardo aus allen möglichen Baumaterialien, die er finden konnte, zusammengezimmert hatte. Wir studierten spätabends, und danach boten sie uns gewöhnlich Brot, Wein und etwas Käse an oder was sie gerade hatten. Ich stellte fest, daß der Käse amerikanischem Käse glich. Eines Abends nach dem Studium sahen wir die Dose, in der der Käse aufbewahrt wurde. Darauf stand in großer Schrift in englischer Sprache: „Vom amerikanischen Volk für das spanische Volk — unverkäuflich“. Wie kam diese bedürftige Familie zu dem Käse? Durch die katholische Kirche verteilte die Regierung den Käse an die arme Bevölkerung. Doch der Priester verkaufte ihn!

Produktiver Dienst bei Angehörigen des Militärs

Nicht lange danach ereignete sich etwas Erfreuliches, das sich nicht nur für uns, sondern auch für einige andere als segensreich erweisen sollte. Vom Zweigbüro erhielten wir die Mitteilung, daß wir einen jungen Mann namens Walter Kiedaisch besuchen sollten, der beim Stützpunkt der amerikanischen Luftwaffe in Torrejón, einige Kilometer außerhalb von Madrid, stationiert war. Wir besuchten ihn und seine Frau und begannen nicht nur mit den beiden, sondern auch mit einem zweiten Ehepaar, das bei der Luftwaffe arbeitete, die Bibel zu studieren.

Damals führte ich durchschnittlich fünf Bibelstudien mit Angehörigen der Luftwaffe durch — natürlich alle auf englisch. Sieben Personen aus diesen Studien ließen sich später taufen, und nachdem sie in die Staaten zurückgekehrt waren, wurden vier der Männer zu Ältesten ernannt.

Wegen des Verbots gab es damals nur wenige Möglichkeiten, Bücher, Zeitschriften und Bibeln ins Land zu bekommen. Doch einiges an Literatur gelangte durch Touristen und unsere amerikanischen Kuriere nach Spanien. Das Zweigbüro hatte mir die Verantwortung für ein geheimes Literaturdepot übertragen. Es befand sich in einem Lagerraum hinter einem Schreibwarengeschäft in Vallecas. Die Frau des Besitzers war eine Zeugin Jehovas. Der Besitzer war zwar kein Zeuge, doch er schätzte unser Werk und gestattete mir trotz des damit verbundenen großen Risikos für sich und sein Geschäft, in diesem hintersten Winkel die Literatur versandfertig zu machen, damit sie in verschiedene Städte des Landes geschickt werden konnte. Da dieser Raum, in dem allerlei Gerümpel sowie viele Kartons herumstanden, stets als ein Lagerraum erkennbar sein mußte, mußte ich einen Packtisch und Bücherregale bauen, die ich in Sekundenschnelle aufstellen und ebensoschnell wieder verschwinden lassen konnte. Am Abend wartete ich, bis niemand mehr im Geschäft war, und machte mich dann schnell mit den Paketen davon.

Es war wirklich ein Vorrecht, daran beteiligt zu sein, biblischen Lesestoff wie den Wachtturm und das Erwachet! sowie andere Literatur an die Versammlungen im ganzen Land zu schicken. Das waren aufregende Zeiten.

Rita hatte die Freude, mit 16 Personen die Bibel zu studieren; etwa die Hälfte von ihnen ließen sich später als Zeugen Jehovas taufen. Da war zum Beispiel Dolores, eine junge verheiratete Frau, die wegen einer Herzkrankheit die kalten Winter im Bett zubrachte. Im Frühling konnte sie aufstehen und sich etwas betätigen. Dolores hatte einen starken Glauben. Als daher die Zeit für den Bezirkskongreß in Toulouse (Frankreich) herankam, wollte sie unbedingt mitfahren. Der Arzt führte ihr vor Augen, wie unweise es in Anbetracht ihrer Herzbeschwerden sei mitzufahren. Nur in ihrem Hauskleid, mit Pantoffeln an den Füßen und natürlich ohne Gepäck ging sie mit zum Bahnhof, um sich von ihrem Mann, ihrer Mutter und von anderen zu verabschieden. Sie kämpfte mit den Tränen, und weil sie es nicht ertragen konnte, daß die anderen ohne sie wegfahren wollten, bestieg sie kurz entschlossen den Zug und fuhr mit nach Frankreich. Rita hatte keine Ahnung, was vorgefallen war. Wie überrascht war sie daher, als sie die strahlende Dolores auf dem Kongreß entdeckte!

Ein außergewöhnliches Bibelstudium

Der Bericht über unsere Zeit in Madrid wäre unvollständig, würden wir Don Benigno Franco, el profesor, unerwähnt lassen. Ein einheimischer Zeuge nahm mich mit zu einem älteren Herrn, der mit seiner Frau in einem ziemlich verfallenen Mehrfamilienhaus wohnte. Ich begann ein Bibelstudium mit ihm. Nachdem wir etwa eineinhalb Jahre studiert hatten, bat er darum, als ein Zeuge Jehovas getauft zu werden.

Dieser ältere Herr, Don Benigno Franco, war der Cousin von Francisco Franco, dem damaligen Diktator von Spanien. Don Benigno war offenbar immer ein freiheitsliebender Mensch gewesen. Während des spanischen Bürgerkrieges sympathisierte er mit der Republik und war gegen seinen Cousin, den General, der den Krieg schließlich gewann und eine katholische Diktatur einführte. 1939 wurde Don Benigno das Recht zu arbeiten aberkannt, und er erhielt nur das Nötigste für den Lebensunterhalt. So wurde also der Cousin des Generalissimus Francisco Franco, Caudillo von Spanien, ein Zeuge Jehovas.

Eine überraschende Einladung

Im Jahre 1965 lud uns der spanische Zweig ein, den Kreisdienst in Barcelona aufzunehmen. Das bedeutete, daß wir uns von all den lieben Brüdern, die uns in Madrid ans Herz gewachsen waren, verabschieden mußten. Der neue Aufgabenbereich war für mich auch gleichzeitig eine Prüfung. Ich fürchtete mich davor, denn ich habe immer an meinen Fähigkeiten gezweifelt. Ich weiß sehr wohl, daß Jehova es war, der mich dazu befähigte, in diesem Bereich des Dienstes erfolgreich zu wirken.

Jede Woche waren wir in einer anderen Versammlung zu Gast und wohnten bei den Brüdern. Wir lebten sozusagen aus dem Koffer, und nahezu jede zweite Woche hieß es umziehen. Das ist besonders für eine Frau nicht so einfach. Doch es dauerte nicht lange, und José und Roser Escudé, die in Barcelona wohnten, luden uns ein, für längere Zeit bei ihnen zu wohnen. Das war sehr liebevoll von ihnen, denn es bedeutete für uns, eine ständige Unterkunft zu haben, wo wir unsere Sachen lassen konnten und wohin wir sonntags abends zurückkehren konnten.

Die nächsten vier Jahre verbrachten Rita und ich im Kreisdienst in der Provinz Katalonien am Mittelmeer. Alle christlichen Zusammenkünfte wurden im geheimen in Privatwohnungen abgehalten, und beim Predigen von Haus zu Haus ging man sehr diskret vor, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Manchmal kam die ganze Versammlung am Sonntag zu einem „Picknick“ im Wald zusammen, besonders anläßlich eines Kreiskongresses.

Wir werden immer mit Bewunderung an die vielen treuen Glaubensbrüder denken, die ihre Arbeitsstelle und ihre Freiheit aufs Spiel setzten und sich verausgabten, damit die Versammlung geeint und tätig blieb. Viele von ihnen ergriffen die Initiative und dehnten das Werk in die umliegenden Städte von Barcelona aus. Das bildete die Grundlage für die beachtenswerte Zunahme in Spanien, nachdem das Verbot 1970 aufgehoben worden war und Religionsfreiheit gewährt wurde.

Abschied von unserer Auslandszuteilung

In den 10 Jahren unseres Dienstes in Spanien wurde unsere Freude über diesen besonders gesegneten Dienst Jehovas wegen des Zustandes meiner Eltern getrübt. Mehr als einmal hätten wir unsere Zuteilung fast verlassen müssen, um für meine Eltern zu sorgen. Doch dank hilfsbereiter Brüder und Schwestern aus Versammlungen in der Nähe meiner Eltern konnten wir in Spanien bleiben. Ja, daß wir das Vorrecht hatten, diese Zeit im Missionardienst zu stehen, haben wir zum Teil anderen zu verdanken, die mit uns die Königreichsinteressen an die erste Stelle setzten.

Schließlich kehrten wir im Dezember 1968 nach Hause zurück, um für meine Mutter zu sorgen. In demselben Monat starb mein Vater, und meine Mutter war allein. Da wir noch relativ frei von Verpflichtungen waren und den Vollzeitdienst durchführen konnten, erhielten wir eine Zuteilung für den Kreisdienst, diesmal in den Vereinigten Staaten. In den darauffolgenden 20 Jahren dienten wir spanischsprachigen Kreisen. Wenn wir auch die Perle von hohem Wert — den Missionardienst — verloren hatten, wurde uns doch eine andere Perle anvertraut.

Predigen inmitten von Drogenabhängigen und Gewalttätern

Nun predigten wir zusammen mit vielen Brüdern und Schwestern in Stadtvierteln, wo kriminelle Vorfälle an der Tagesordnung waren. Schon in der allerersten Woche unseres Kreisdienstes entriß man Rita in Brooklyn (New York) die Handtasche.

Ein andermal waren Rita und ich mit einer Gruppe in einem anderen Stadtteil von New York im Haus-zu-Haus-Dienst tätig. Als wir um eine Straßenecke bogen, sahen wir einige Personen vor einem Loch in der Wand eines verlassenen Hauses stehen. Während wir weitergingen, bemerkten wir auf dem Bürgersteig einen jungen Burschen, der uns im Visier hatte. Ein anderer stand an der nächsten Straßenecke und achtete auf Polizeiwagen. Wir waren direkt in eine Gruppe geraten, die ihre Drogengeschäfte abwickelte. Der erste Aufpasser reagierte erschrocken, doch als er den Wachtturm sah, war er erleichtert. Schließlich hätte ich ein Polizist sein können. Er rief: “¡Los Atalayas! ¡Los Atalayas!” (Die Wachttürme! Die Wachttürme!) Sie wußten, wer wir waren, brachten uns mit den Zeitschriften in Verbindung, und alles war in Ordnung. Als ich nahe an dem jungen Burschen vorbeiging, sagte ich: “Buenos dias. ¿Cómo está?” (Guten Tag! Wie geht’s?) Er erwiderte den Gruß und bat mich, für ihn zu beten!

Eine schwierige Entscheidung

Im Jahre 1990 wurde mir klar, daß ich meine Mutter keinen Tag mehr allein lassen konnte. Wir hatten alles versucht, um im Reisedienst zu bleiben, aber es wäre unvernünftig gewesen, zu versuchen, beiden Aufgaben gerecht zu werden. Natürlich wollten wir, daß Mutter liebevoll versorgt wurde. Und erneut mußten wir eine Perle von hohem Wert, etwas für uns sehr Kostbares, aufgeben. Alle Perlen dieser Welt und alles, was man damit tun könnte, ist so gut wie nichts im Vergleich zu der Perle, als Missionar oder als reisender Aufseher in Jehovas Organisation zu dienen.

Rita und ich sind nun über 60 Jahre alt. Wir sind sehr zufrieden und freuen uns, in einer spanischsprachigen Versammlung tätig zu sein. Wenn wir die Jahre im Dienst Jehovas Revue passieren lassen, dann danken wir ihm, daß er uns Perlen von hohem Wert anvertraute.

[Bild auf Seite 23]

Rita und ich mit Paul und Evelyn Hundertmark (rechts) vor der Stierkampfarena in Madrid

[Bild auf Seite 24]

Bei einer Zusammenkunft („Picknick“) im Wald

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