Über fünfzig Jahre lang dem „Ruf nach Mazedonien“ gefolgt
VON EMMANUEL PATERAKIS ERZÄHLT
Vor über 1 900 Jahren erging an den Apostel Paulus eine einzigartige Einladung: „Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!“ Bereitwillig nutzte Paulus diese neue Gelegenheit, „die gute Botschaft zu verkündigen“ (Apostelgeschichte 16:9, 10). Die Einladung, die ich erhielt, reicht zwar nicht so lange zurück, aber es ist immerhin schon fünfzig Jahre her, daß ich dem Ruf Folge leistete, neue Gebiete zu erschließen, getreu der Geisteshaltung, die in Jesaja 6:8 zum Ausdruck kommt: „Hier bin ich! Sende mich.“ Meine zahlreichen Reisen haben mir den Spitznamen „Der ewige Tourist“ eingetragen, doch meine Tätigkeit hatte mit Tourismus so gut wie gar nichts zu tun. Mehr als einmal fiel ich nach Erreichen meines Hotelzimmers auf die Knie und dankte Jehova für seinen Schutz.
AM 16. Januar 1916 wurde ich in eine tiefreligiöse orthodoxe Familie in Hierápetra (Kreta) hineingeboren. Von meiner frühesten Kindheit an nahm meine Mutter meine drei Schwestern und mich sonntags mit in die Kirche. Mein Vater blieb derweil lieber zu Hause und las in der Bibel. Ich hegte tiefe Bewunderung für meinen Vater, einen ehrlichen, gütigen und barmherzigen Mann, und sein Tod in meinem zehnten Lebensjahr war für mich ein schwerer Schlag.
Ich erinnere mich, mit fünf Jahren in der Schule einen Text gelesen zu haben, in dem es hieß: „Alles um uns herum verkündet die Existenz Gottes.“ Mit zunehmendem Alter war ich davon absolut überzeugt. Daher schrieb ich mit elf einen Aufsatz, der Psalm 104:24 zum Thema hatte: „Wie viele sind deiner Werke, o Jehova! Sie alle hast du in Weisheit gemacht. Die Erde ist voll deiner Erzeugnisse.“ Die Wunder der Natur faszinierten mich — selbst so einfache Dinge wie ein Samen, der mit kleinen Flügeln ausgestattet ist, damit er vom Wind aus der unmittelbaren Umgebung des Mutterbaums weggetragen werden kann. Ich gab meinen Aufsatz ab, und in der darauffolgenden Woche las ihn mein Lehrer zunächst der ganzen Klasse und dann der ganzen Schule vor. Damals kämpften die Lehrer gegen kommunistische Vorstellungen an und freuten sich darüber, wie ich die Existenz Gottes verteidigte. Mir jedenfalls machte es große Freude, meinem Glauben an den Schöpfer Ausdruck zu verleihen.
Antworten auf meine Fragen
An mein erstes Zusammentreffen mit Zeugen Jehovas Anfang der 30er Jahre kann ich mich noch lebhaft erinnern. Emmanuel Lionoudakis hatte in allen Städten und Ortschaften Kretas gepredigt. Ich nahm mehrere Broschüren von ihm entgegen, von denen mir jedoch die Broschüre mit dem Titel Wo sind die Toten? besonders ins Auge sprang. Meine Furcht vor dem Tod war so groß, daß ich es nicht einmal fertigbrachte, das Zimmer zu betreten, in dem mein Vater gestorben war. Je öfter ich diese Broschüre durchlas, die davon handelt, was die Bibel über den Zustand der Toten sagt, desto deutlicher spürte ich, wie die abergläubische Furcht von mir wich.
Einmal im Jahr, im Sommer, besuchten Zeugen Jehovas unseren Ort und brachten mir weiteren Lesestoff. Ganz allmählich wuchs mein Verständnis der Heiligen Schrift, doch ging ich weiter in die orthodoxe Kirche. Dann kam durch das Buch Befreiung eine Wende. Darin wurde deutlich der Unterschied zwischen der Organisation Jehovas und der Organisation Satans aufgezeigt. Von da an studierte ich regelmäßiger die Bibel und alle Veröffentlichungen der Watch Tower Society, deren ich habhaft werden konnte. Jehovas Zeugen waren damals in Griechenland verboten, weshalb ich nachts im geheimen studierte. Dennoch war ich so begeistert von dem, was ich lernte, daß ich mich nicht zurückhalten konnte, jedem davon zu erzählen. Es dauerte auch nicht lange, da begann die Polizei sich für mich zu interessieren und mir zu allen Tages- und Nachtzeiten Besuche abzustatten, um nach den Veröffentlichungen zu suchen.
Meine erste Zusammenkunft besuchte ich 1936 im 120 Kilometer entfernten Iráklion. Ich war überglücklich, mit Zeugen Jehovas zusammenzusein. Die meisten von ihnen waren einfache Leute, hauptsächlich Bauern, aber sie halfen mir, mich davon zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gefunden hatte. Auf der Stelle gab ich mich Jehova hin.
Meine Taufe war für mich ein unvergeßliches Erlebnis. Im Jahr 1938 nahm Bruder Lionoudakis zwei andere, mit denen ich die Bibel studierte, und mich in einer stockdunklen Nacht mit an den Strand. Nach einem Gebet tauchte er uns im Wasser unter.
Verhaftet
Mein erster Tag im Predigtdienst war, gelinde gesagt, ereignisreich. Ich traf einen alten Schulfreund, der Priester geworden war, und wir führten ein ausgezeichnetes Gespräch. Doch anschließend erklärte er mir, er müsse mich entsprechend den Anweisungen seines Bischofs verhaften lassen. Während wir im Büro des Bürgermeisters auf die Ankunft der Polizei aus dem Nachbarort warteten, liefen draußen die Leute zusammen. Daher nahm ich das griechische Neue Testament, das sich in dem Büro befand, und fing an, der Menge eine Ansprache, gestützt auf Matthäus, Kapitel 24, zu halten. Zunächst wollten die Leute nicht zuhören, aber der Priester griff vermittelnd ein. „Laßt ihn reden“, sagte er, „es ist unsere Bibel.“ Eineinhalb Stunden lang konnte ich zu den Leuten sprechen. Mein erster Tag im Predigtdienst bot mir also auch gleich eine Gelegenheit für meinen ersten öffentlichen Vortrag. Weil die Polizei nach Ende meiner Ansprache immer noch nicht eingetroffen war, beschlossen der Bürgermeister und der Priester, mich von einigen Männern aus dem Ort bringen zu lassen. Nach der ersten Wegbiegung rannte ich so schnell ich konnte, um nicht von den Steinen getroffen zu werden, die sie mir nachwarfen.
Am darauffolgenden Tag erschienen an meinem Arbeitsplatz zwei Polizeibeamte in Begleitung des Bischofs und verhafteten mich. Auf der Polizeiwache konnte ich ihnen an Hand der Bibel Zeugnis geben, doch weil in meiner biblischen Literatur die gesetzlich vorgeschriebene Druckerlaubnis des Bischofs fehlte, wurde ich wegen Proselytenmacherei und dem Verteilen nicht genehmigter Schriften angezeigt. Bis zur Gerichtsverhandlung setzte man mich auf freien Fuß.
Die Verhandlung fand einen Monat später statt. In meiner Verteidigung wies ich darauf hin, daß ich lediglich dem Predigtgebot Christi gehorche (Matthäus 28:19, 20). In Erwiderung sagte der Richter sarkastisch: „Mein Kind, derjenige, der dieses Gebot gegeben hat, ist gekreuzigt worden. Unglücklicherweise bin ich nicht befugt, dir eine ähnliche Strafe aufzuerlegen.“ Ein junger Rechtsanwalt, den ich nicht kannte, stand jedoch zu meiner Verteidigung auf und sagte, angesichts der Tatsache, daß der Kommunismus und der Atheismus überhandnähmen, solle das Gericht stolz drauf sein, daß es junge Männer gebe, die bereit seien, das Wort Gottes zu verteidigen. Anschließend kam er zu mir und beglückwünschte mich herzlich zu meiner Verteidigungsschrift, die in den Akten lag. Beeindruckt, weil ich noch so jung war, bot er mir an, kostenlos meine Verteidigung zu übernehmen. Statt zu der Mindeststrafe von drei Monaten wurde ich nur zu 10 Tagen Gefängnis und einer Geldstrafe von 300 Drachmen verurteilt. Derlei Widerstand bestärkte mich lediglich in meinem Entschluß, Jehova zu dienen und die Wahrheit zu verteidigen.
Als ich ein andermal verhaftet wurde, fiel dem Richter auf, wie gut ich aus der Bibel zitieren konnte. Mit den Worten „Sie haben Ihre Pflicht getan. Jetzt kümmere ich mich schon um ihn“ forderte er den Bischof auf, sein Büro zu verlassen. Dann nahm er seine Bibel zur Hand, und wir redeten den ganzen Nachmittag über Gottes Königreich. Solche Begebenheiten spornten mich an, trotz aller Schwierigkeiten weiterzumachen.
Zum Tode verurteilt
Als ich 1940 zum Militärdienst einberufen wurde, erläuterte ich in einem Brief, weshalb ich dem Einberufungsbefehl nicht Folge leisten könne. Zwei Tage später wurde ich verhaftet und von Polizeibeamten schwer geschlagen. Dann schickte man mich an die Front nach Albanien und stellte mich vor ein Militärgericht, weil ich mich weigerte zu kämpfen. Die Militärbehörden gaben mir zu verstehen, ihnen sei ziemlich egal, ob ich im Recht sei oder nicht; für sie sei wichtig, welchen Eindruck mein Verhalten bei den anderen Soldaten hinterlassen könnte. Ich wurde zum Tode verurteilt, doch wegen eines Verfahrensfehlers wurde die Strafe zu meiner großen Erleichterung in zehn Jahre Zwangsarbeit umgewandelt. Die nächsten Monate meines Lebens verbrachte ich unter äußerst schwierigen Bedingungen in einem Militärgefängnis in Griechenland. Unter den gesundheitlichen Folgen habe ich noch heute zu leiden.
Nur weil ich im Gefängnis war, hörte ich aber keineswegs auf zu predigen. Im Gegenteil! Da viele sich wunderten, was ein Zivilist in einem Militärgefängnis zu suchen hat, ließen sich Gespräche mühelos beginnen. Eines dieser Gespräche mit einem aufrichtigen jungen Mann führte dazu, daß ich mit ihm im Gefängnishof die Bibel studierte. 38 Jahre später traf ich ihn bei einem Kongreß wieder. Er hatte die Wahrheit angenommen und diente als Aufseher in einer Versammlung auf der Insel Lefkás.
Als die deutsche Wehrmacht 1941 in Jugoslawien einmarschierte, wurden wir nach Süden in ein Gefängnis in Preveza verlegt. Während des Transports wurde unser Konvoi von deutschen Jagdbombern angegriffen, und wir Gefangenen erhielten keine Nahrungsmittel. Das wenige Brot, das ich hatte, war bald aufgebraucht, und so betete ich zu Gott: „Wenn es dein Wille ist, daß ich verhungere, nachdem du mich von der Todesstrafe befreit hast, dann geschehe dein Wille.“
Am nächsten Tag nahm mich ein Offizier während des Appells zur Seite, und als er erfuhr, woher ich kam, wer meine Eltern waren und weshalb ich im Gefängnis war, befahl er mir, ihm zu folgen. Er brachte mich ins Offizierskasino in der Stadt, führte mich zu einem Tisch, auf dem sich Brot, Käse und gebratenes Lammfleisch befanden, und sagte mir, ich solle mich bedienen. Ich erklärte, mein Gewissen lasse es nicht zu, zu essen, da die anderen 60 Gefangenen nichts zu essen hätten. Der Offizier erwiderte: „Ich kann sie nicht alle durchfüttern! Dein Vater war meinem Vater gegenüber sehr großzügig. Ich fühle mich dir gegenüber verpflichtet, nicht aber gegenüber den anderen.“ „Dann mache ich auf dem Absatz wieder kehrt“, entgegnete ich. Er überlegte einen Augenblick, gab mir dann eine große Tasche und sagte, ich könne soviel Nahrungsmittel mitnehmen, wie ich hineinbekäme.
Bei der Rückkehr ins Gefängnis stellte ich die Tasche ab und sagte: „Meine Herren, das ist für Sie.“ Zufällig war ich am Abend zuvor beschuldigt worden, ich sei für die Misere der anderen Gefangenen verantwortlich, weil ich nicht mit ihnen zur Jungfrau Maria betete. Ein Kommunist hatte mich indes verteidigt. Als dieser jetzt die Nahrungsmittel sah, sagte er zu den anderen: „Wo ist denn eure ‚Jungfrau Maria‘? Ihr habt behauptet, wegen dieses Mannes sterben zu müssen, und ausgerechnet er bringt uns jetzt etwas zu essen.“ Dann wandte er sich mir zu und sagte: „Emmanuel, komm, und sprich ein Dankgebet.“
Kurz darauf veranlaßte das Vorrücken der deutschen Truppen die Gefängniswärter zur Flucht, so daß meine Gefangenschaft endete. Ich schlug mich bis nach Patras durch, um dort Zeugen Jehovas zu treffen, bevor ich mich Ende Mai 1941 nach Athen aufmachte. In Patras konnte ich etwas zum Anziehen und Schuhe bekommen und zum ersten Mal nach über einem Jahr ein Bad nehmen. Bis zum Ende der deutschen Besetzung wurde ich beim Predigen immer wieder von deutschen Soldaten angehalten, jedoch nie verhaftet. Einer von ihnen sagte: „In Deutschland erschießen wir Zeugen Jehovas. Aber hier in Griechenland wünschten wir, alle unsere Feinde wären Zeugen Jehovas!“
Tätigkeit nach dem Krieg
Als hätte Griechenland nicht schon genug Kämpfe erlebt, war das Land von 1946 bis 1949 auch noch von einem Bürgerkrieg zerrissen, was Tausende von Menschen das Leben kostete. Die Brüder benötigten viel Ermunterung, um in einer Zeit stark zu bleiben, wo man schon verhaftet werden konnte, wenn man nur die Zusammenkünfte besuchte. Mehrere Brüder wurden wegen ihrer neutralen Haltung zum Tode verurteilt. Trotz alledem nahmen viele Menschen die Königreichsbotschaft an, und jede Woche ließen sich ein oder zwei taufen. Von 1947 an arbeitete ich tagsüber im Büro der Gesellschaft in Athen, und abends besuchte ich die Versammlungen als reisender Aufseher.
Zu meiner großen Freude wurde ich 1948 eingeladen, die Wachtturm-Bibelschule Gilead in den Vereinigten Staaten zu besuchen. Allerdings gab es ein Problem. Weil ich als vorbestraft galt, konnte ich mir keinen Paß beschaffen. Doch ein Mann, mit dem ich die Bibel studierte, war mit einem General befreundet und erreichte, daß ich nach wenigen Wochen einen Paß erhielt. Dann wurde mir wieder angst und bange, als ich nicht lange vor meiner geplanten Abreise wegen der Verbreitung des Wachtturms verhaftet wurde. Ein Polizist brachte mich zum Chef der Staatssicherheitspolizei von Athen, der sich zu meiner größten Überraschung als einer meiner Nachbarn entpuppte. Der Polizist erklärte, weshalb ich verhaftet worden war, und übergab dem Mann die Zeitschriften. Mein Nachbar zog daraufhin einen Stapel Ausgaben des Wachtturms aus seinem Schreibtisch hervor und sagte zu mir: „Mir fehlt noch die neuste Ausgabe. Darf ich mir ein Exemplar nehmen?“ Wie erleichtert war ich doch, die Hand Jehovas in solchen Situationen zu spüren!
Die 16. Klasse der Gileadschule im Jahr 1950 zu besuchen war eine bereichernde Erfahrung für mich. Nach Abschluß der Schule wurde ich nach Zypern geschickt, wo ich bald herausfand, daß die Geistlichkeit dort genauso erbittert Widerstand leistete wie in Griechenland. Oft sahen wir uns einer Menge religiöser Fanatiker gegenüber, die von einem orthodoxen Priester zur Raserei gebracht worden waren. 1953 wurde mein Visum für Zypern nicht verlängert, weshalb ich nach Istanbul gesandt wurde. Auch hier konnte ich nicht lange bleiben. Wegen politischer Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland mußte ich trotz guter Ergebnisse im Predigtwerk eine neue Zuteilung antreten: Ägypten.
Als ich noch im Gefängnis gesessen hatte, war mir oft Psalm 55:6, 7 in den Sinn gekommen. David wünschte sich, in die Wildnis oder Wüste fliehen zu können. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich eines Tages wirklich dort landen würde. 1954 traf ich nach einer mehrtägigen, ermüdenden Reise mit dem Zug und dem Nildampfer schließlich an meinem eigentlichen Bestimmungsort ein: Khartum im Sudan. Ich wollte nur noch duschen und dann ins Bett gehen. Allerdings vergaß ich, daß es Mittag war. Mit dem Wasser, das aus einem Behälter auf dem Dach stammte, verbrühte ich mich derart, daß ich mehrere Monate lang einen Tropenhelm tragen mußte, bis sich meine Kopfhaut einigermaßen erholt hatte.
Mitten in der Sahara, Tausende von Kilometern von der nächsten Versammlung entfernt, fühlte ich mich oft einsam, aber Jehova stützte mich und gab mir die Kraft weiterzumachen. Manchmal kam die Ermunterung aus einer Richtung, aus der ich sie am wenigsten vermutet hätte. Eines Tages traf ich den Direktor des Museums von Khartum. Er war aufgeschlossen, und wir führten ein schönes Gespräch. Als er erfuhr, daß ich griechischer Abstammung sei, fragte er mich, ob ich ihm den Gefallen tun würde, mit ihm ins Museum zu gehen und einige Inschriften auf Artefakten zu übersetzen, die man in einer Kirche aus dem sechsten Jahrhundert gefunden habe. Man stelle sich meine Freude vor, als ich nach fünf Stunden in einem stickigen Keller auf einer Untertasse den Namen „Jehova“ in Form des Tetragrammatons entdeckte! In Europa stößt man nicht selten in Kirchen auf den Gottesnamen, aber mitten in der Sahara ist das höchst ungewöhnlich!
Nach dem internationalen Kongreß 1958 wurde ich beauftragt, als Zonenaufseher die Brüder in 26 Ländern und Gebieten im Nahen und Mittleren Osten und rund um das Mittelmeer zu besuchen. Häufig geriet ich in brenzlige Situationen und wußte nicht, wie ich wieder herauskommen sollte, doch Jehova sorgte jedesmal für einen Ausweg.
Ich war immer beeindruckt, wie fürsorglich sich Jehovas Organisation um Zeugen Jehovas kümmert, die in manchen Ländern isoliert sind. Einmal traf ich beispielsweise mit einem indischen Bruder zusammen, der auf einem Ölfeld arbeitete. Offenbar war er der einzige Zeuge im ganzen Land. In seinem Spind hatte er in 18 Sprachen Publikationen, die er seinen Arbeitskollegen gab. Obwohl er sich in einem Land aufhielt, in dem jede fremde Religion strikt verboten war, ließ unser Bruder seine Verantwortung nicht außer acht, die gute Botschaft zu predigen. Seine Kollegen waren beeindruckt, daß eigens ein Vertreter seiner Glaubensgemeinschaft gesandt worden war, um ihn zu besuchen.
Im Jahr 1959 besuchte ich Spanien und Portugal. In beiden Ländern herrschte eine Militärdiktatur, und das Werk der Zeugen Jehovas war strikt verboten. In nur einem Monat konnte ich über hundert Zusammenkünfte abhalten und die Brüder ermuntern, trotz der Schwierigkeiten nicht aufzugeben.
Nicht mehr allein
Über 20 Jahre lang hatte ich für Jehova als Junggeselle im Vollzeitdienst gestanden, doch plötzlich war ich des ständigen Reisens ohne feste Bleibe müde. Zu jener Zeit lernte ich Annie Bianucci kennen, eine Sonderpionierin in Tunesien. Wir heirateten 1963. Annies Liebe zu Jehova und zur Wahrheit, ihre Liebe zum Dienst, gekoppelt mit ihrer ausgezeichneten Lehrfähigkeit, sowie ihre umfassenden Sprachkenntnisse erwiesen sich in unserem Missionardienst und im Kreisdienst in Nordafrika, Westafrika und Italien als echter Segen.
Im August 1965 wurden meine Frau und ich nach Dakar (Senegal) geschickt, wo ich das Zweigbüro organisieren durfte. Senegal zeichnete sich durch eine beachtliche religiöse Toleranz aus, zweifellos dank des Präsidenten Léopold Senghor, eines der wenigen Staatsoberhäupter Afrikas, die während der schrecklichen Verfolgung der Zeugen Jehovas in Malawi in den 70er Jahren an Malawis Präsident Banda schrieben und für Jehovas Zeugen eintraten.
Jehovas reicher Segen
Als ich 1950 von der Gileadschule aus nach Zypern abreiste, hatte ich sieben Koffer bei mir. Bei meiner Abreise in Richtung Türkei waren es nur noch fünf. Aber weil ich so viel reiste, mußte ich mich an die Obergrenze von 20 Kilogramm für Fluggepäck gewöhnen, einschließlich meiner Unterlagen und meiner Minischreibmaschine. Einmal bemerkte ich gegenüber Bruder Knorr, dem damaligen Präsidenten der Gesellschaft: „Ihr bewahrt mich wirklich vor dem Materialismus. Ihr bringt mich dazu, mich mit 20 Kilogramm Besitz zu begnügen, und es geht mir gut dabei.“ Obwohl ich nicht viel besaß, fühlte ich mich deswegen nie benachteiligt.
Das Hauptproblem bei meinen Reisen war, in ein Land zu gelangen und es auch wieder verlassen zu können. In einem Land, wo unser Werk verboten war, fing ein Zollbeamter einmal an, meine Unterlagen durchzuwühlen. Das hätte für die Zeugen im Land sehr riskant sein können. Daher zog ich aus meiner Jacke einen Brief von meiner Frau und sagte zu dem Zollbeamten: „Wie ich sehe, lesen Sie gern Post durch. Hier ist noch ein Brief von meiner Frau. Möchten Sie den auch lesen?“ Er entschuldigte sich verlegen und ließ mich durchgehen.
Seit 1982 dienen meine Frau und ich in Nizza (Südfrankreich) als Missionare. Weil meine Gesundheit nicht mehr die beste ist, kann ich längst nicht mehr soviel tun wie früher. Aber das heißt nicht, daß unsere Freude nachgelassen hätte. Wir haben gesehen, daß unsere ‘mühevolle Arbeit nicht vergeblich’ gewesen ist (1. Korinther 15:58). Für mich ist es ein großer Grund zur Freude, daß zahlreiche Personen, mit denen ich die Bibel studieren durfte, und über 40 meiner Angehörigen Jehova treu dienen.
Die Opfer, die für mich damit verbunden waren, dem „Ruf nach Mazedonien“ zu folgen, bedauere ich in keiner Weise. Schließlich läßt sich kein Opfer, das wir bringen, mit dem vergleichen, was Jehova und sein Sohn, Christus Jesus, für uns getan haben. Wenn ich auf die 60 Jahre zurückblicke, seit ich die Wahrheit kenne, kann ich sagen, daß mich Jehova reich gesegnet hat. Treffend heißt es in Sprüche 10:22: „Der Segen Jehovas — er macht reich.“
Jehovas „liebende Güte ist besser als Leben“ — daran gibt es keinen Zweifel (Psalm 63:3). Je mehr die Unannehmlichkeiten zunehmen, die das Alter mit sich bringt, desto öfter bete ich wie der inspirierte Psalmist: „Zu dir, o Jehova, habe ich Zuflucht genommen. O möge ich niemals zuschanden werden! Denn du bist meine Hoffnung, o Souveräner Herr Jehova, meine Zuversicht von meiner Jugend an. O Gott, du hast mich gelehrt von meiner Jugend an, und bis jetzt tue ich ständig deine wunderbaren Werke kund. Und selbst bis ins Alter und bis zum Ergrauen, o Gott, verlaß mich nicht“ (Psalm 71:1, 5, 17, 18).
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Meine Frau Annie und ich