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Erwachet! 1984
g84 8. 6. S. 20-23

„Aber dann verschwinden ja die Wasserfälle!“

Vom Awake!-Korrespondenten in Brasilien

„KANN man denn nichts tun, um die Wasserfälle zu retten?“ wurde der brasilianische Präsident João Figueiredo gefragt, als er im September 1982 das neue, gigantische Wasserkraftwerk bei Itaipú (bedeutet in der Tupí-Guaraní-Sprache „Singender Stein“) besuchte. Welch treffende Andeutung der Auseinandersetzungen über den Bau des Kraftwerks!

Die Menschen, die dort aufgewachsen waren und ihr Leben lang das Land bewirtschaftet hatten, waren das Donnern ihrer geliebten Wasserfälle von Sete Quedas gewohnt. Doch — so unglaublich es war — die Wasserfälle sollten binnen weniger Wochen verschwinden, begraben unter einem riesigen See, der durch das Aufstauen des Paraná entstehen würde. Die Antwort des Präsidenten: „Wenn ich Sete Quedas rette, was soll ich dann mit dem Riesenprojekt von Itaipú machen?“ bestätigte lediglich, daß die Tage der Wasserfälle gezählt waren.

Das Projekt von Itaipú war Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Industriellen und Ökologen. Vom Standpunkt Brasiliens aus, das jährlich 10 Milliarden Dollar für Ölimporte ausgibt, ist „Itaipú nicht einfach ein neues Kraftwerksprojekt, sondern ein Symbol für den Traum von der Entwicklung Brasiliens“. Ein enthusiastischer Minister erklärte sogar: „Der Bau von Itaipú ist eine Frage des Überlebens der Zivilisation.“

Um welchen Preis?

Die Wasserfälle von Sete Quedas am mächtigen Paraná darf man nicht verwechseln mit ihren bekannteren Nachbarn, den Wasserfällen am Rio Iguaçu, einem Nebenfluß des Paraná. In der Encyclopædia Britannica heißt es über Sete Quedas: „Der Fluß hat eine 3 km lange Schlucht durch den roten Sandstein gegraben. ... Das Ergebnis ist ein gewaltiges, doch kaum bekanntes Naturschauspiel. Der Fluß, der sich zu einem 4,5 km breiten See ausweitet, wird plötzlich durch die nur 100 m voneinander entfernten Wände der Schlucht verengt. So stürzt das Wasser in einem ohrenbetäubenden Crescendo, das bis zu 30 km weit zu hören ist, durch mehrere Flußbetten und über ungefähr 18 Wasserfälle insgesamt etwa 100 m in die Tiefe.“

Die Einheimischen bezeichnen es als den Ort, wo der mächtige Paraná wild wird. Ein Professor für Geographie meinte: „Es gibt in der ganzen Welt keine Gruppe von Wasserfällen, die schöner ist als diese.“ Kein Wunder, daß die Ökologen die „Beerdigung“ der Wasserfälle für einen zu hohen Preis halten. Zusammen mit Biologen, Naturfreunden, Reisebüros und natürlich den Einheimischen klagten sie: „Aber dann verschwinden ja die Wasserfälle!“ Und sie verschwanden tatsächlich!

Am 13. Oktober 1982 wurde der Kanal geschlossen, durch den während des Dammbaus das Wasser des Paraná umgeleitet wurde. Der Fluß begann zu steigen — zuerst nur ganz langsam, aber später bis zu einem Meter in der Stunde. Fünf Tage danach machten sich die Auswirkungen bereits 145 km stromaufwärts bei den Wasserfällen von Sete Quedas bemerkbar. Stück um Stück verloren sie an Höhe, während das Wasser stieg. Ihr ohrenbetäubendes Grollen ließ allmählich nach, als ein Wasserfall nach dem anderen unter dem sich ausdehnenden See verschwand und nur ein paar Wellen hinterließ, die andeuteten, daß dort einmal eine seltene Naturschönheit gewesen war. Als sich letztlich sogar diese Wellen glätteten, blieb nur noch ein riesiger, ruhiger See, der eine unheimlich anmutende Stille verbreitete. Ja, Sete Quedas war verschwunden!

Die Natur ist der Verlierer

Der neue Itaipúsee, der an der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay liegt, ist etwa 140 m tief und bedeckt über 780 Quadratkilometer Ackerland und 600 Quadratkilometer unberührten Wald. Eine vorläufige Studie ergab, daß es in diesem Gebiet mindestens 117 tropische Pflanzenarten, 90 Fischarten und Dutzende von Landtierarten einschließlich des Jaguars, des Tapirs, des Stachelschweins und des Hirsches gab. Mit den Wasserfällen wurde auch eine Anzahl historischer und archäologischer Stätten in dem nassen Grab begraben. Noch mehr Grund zur Sorge waren die einhunderttausend Menschen, denen man wegen des Projekts das Land enteignet hatte und die in andere Gebiete umgesiedelt werden mußten. All das waren gewichtige Argumente derjenigen, die sich gegen den Bau des Itaipúdammes aussprachen.

Andererseits machten die Befürworter des Kraftwerksprojekts geltend, daß keines dieser Argumente wichtig genug sei, um einen Aufschub des Baus zu rechtfertigen. Sie argumentierten wie folgt: „Es würden nur geringfügige Enteignungskosten entstehen, die in den Gesamtkosten des Damms eingerechnet seien. Man würde Anstrengungen unternehmen, um Tiere einzufangen und in Reservate zu bringen, die eigens für diesen Zweck eingerichtet werden sollten. Zweifellos würde der riesige See, der sich bilden würde, mehr Touristen anlocken als Sete Quedas. Ihr stärkstes Argument war natürlich, daß man eine neue Energiequelle brauchte, um die enormen Ausgaben für die Ölimporte abzubauen.

Wie ging die Auseinandersetzung aus? „In dem Kampf zwischen Fortschritt und Natur ist die Natur der Verlierer“, antwortete die Zeitschrift Veja. Im Jahre 1973 wurden daher Schritte unternommen, um mit dem Bau des Wasserkraftwerks zu beginnen, das das größte der Welt werden und somit Grand Coulee Dam in den Vereinigten Staaten übertrumpfen sollte. Fast zehn Jahre später war der Bau beendet. Am 5. November 1982 wurden die Hebel betätigt, so daß sich die Schleusentore öffneten und den Paraná wieder normal weiterfließen ließen, nachdem hinter dem Staudamm der See entstanden war. Die Installation der Turbinen und Generatoren sollte später erfolgen.

Ein internationales Projekt

Der Bau des Wasserkraftwerks war ein binationales Unternehmen, bei dem sich Brasilianer und Paraguayer die Arbeit und die Kosten teilten. Dasselbe wird mit der Energie geschehen, die erzeugt werden soll. Ursprünglich auf zwei Milliarden Dollar geschätzt, sind die Baukosten auf über 14 Milliarden gestiegen. Die Inflation forderte ihren Tribut.

Trotz allem war auf beiden Seiten der Jubel groß, als der Bau zwei Monate vor dem Termin fertig wurde. In einer von Itaipú Binacional herausgegebenen Broschüre heißt es: „Das Projekt von Itaipú ist das größte binationale Unternehmen der Geschichte und trägt wesentlich dazu bei, die Wirtschaft der beiden Länder anzukurbeln und die Bande der brüderlichen Freundschaft zwischen Brasilien und Paraguay noch mehr zu festigen.“

Doch diese „Bande der brüderlichen Freundschaft“ wurden zeitweise stark belastet. Eines der ersten Probleme hatte mit der zukünftigen Elektrizitätserzeugung des Kraftwerks zu tun, das damals noch im Planungsstadium war. Der binationale Vertrag sah vor, daß die beiden Länder je die Hälfte der Energie erhalten sollten. Überschüssige Elektrizität, die nicht von Paraguay verbraucht werden würde, könnte nur von Brasilien gekauft werden. Aber da ergab sich ein Problem: Paraguay verwendet 50-Hertz-Wechselstrom, Brasilien dagegen 60-Hertz-Wechselstrom.

Die Lösung? Nach langen, zeitweise offenbar hitzigen Diskussionen wurde schließlich beschlossen, daß neun der Generatoren 50-Hertz-Wechselstrom und die anderen neun 60-Hertz-Wechselstrom erzeugen sollten. Jegliche Elektrizität, die Brasilien von Paraguays Überschüssen kaufen würde, sollte in Gleichstrom verwandelt, in Brasiliens Industriegebiete weitergeleitet und dort in 60-Hertz-Wechselstrom verwandelt werden. Dieses salomonische Urteil löste das Problem — aber mit einem Mehraufwand von 450 Millionen Dollar.

Das Projekt „Tierjagd“

Angesichts dieses gigantischen Unternehmens magst du dich fragen: „Was ist aus dem Versprechen geworden, die Flora und die Fauna des Seegebiets zu retten?“ Das Versprechen wurde nachweislich eingehalten. Dieses Nebenprojekt bezeichnete man als „mymba kuera“ (Tupí-Guaraní für „Tierjagd“). Ein Spezialteam aus 156 ausgewählten Personen wurde zwei Jahre im voraus darin geschult, die vielen Tierarten zu erkennen, mit Haken, Netzen, Schlingen, Fallen und Narkosewaffen umzugehen sowie Käfige für Säugetiere, Schlangen und Spinnen zu bauen.

Man schuf im voraus bleibende Schutzgebiete, in denen geschultes Personal die Tiere während der Anpassung an ihre neue Umgebung füttern und pflegen sollte. Das Personal mußte bereit sein, die Arbeit in kürzester Zeit zu bewältigen. Warum? Weil man erkannte, daß während der zwei Wochen, in denen sich der riesige See bilden würde, durch den steigenden Wasserspiegel kleine Inseln entstehen würden. Die Tiere würden naturgemäß auf diesen Inseln Zuflucht suchen. Da jedoch der Wasserspiegel noch weiter steigen würde, würden die meisten dieser Inseln schließlich vom Wasser überschwemmt und die Tiere ertränkt werden. Folglich mußten die Rettungsarbeiten abgewickelt werden, solange die Inseln noch aus dem Wasser herausragten.

Einer genauen Zählung zufolge entstanden 667 kleine Inseln, von denen indes nur 44 übrigblieben, als das Wasser seinen Höchststand erreichte. Bereits in den ersten Tagen wurden genügend Tiere gerettet, um eine „Arche Noah“ zu füllen, und als die Tierjagd vorüber war, hatte man etwa 9 200 Tiere eingefangen und in die speziellen Reservate gebracht.

Die Jagd hatte auch eine humorvolle Note. Ein kleiner Affe entkam aus seinem Käfig und öffnete die Türen der Nachbarkäfige, so daß eine große Zahl Schlangen und Spinnen fliehen konnte. Es entspann sich ein munteres Such-und-Fang-Spiel, bevor der Ganove wieder hinter Gitter gebracht werden konnte.

Man sammelte 110 Arten von Palmen, wilden Ananas und Zierpflanzen. Dazu gehörten mehrere Orchideenarten, von denen drei nur in diesem Gebiet existierten. So wurde ein Großteil der heimischen Flora gerettet.

Auf Wanderschaft waren auch die einhunderttausend Bewohner des Gebietes. Schon Monate vor der Entstehung des Sees konnte man beobachten, wie sich Familien mit Lastwagen, Fuhrwerken und zu Fuß auf den Weg machten und alles, was ihnen lieb und teuer war, mit in die neue Heimat nahmen. Manche Familien nahmen sogar ihre verstorbenen Angehörigen mit, um sie am neuen Wohnort wieder zu begraben. Sämtliche Friedhöfe wurden geleert, und selbst Leichname, die nicht von Hinterbliebenen mitgenommen wurden, begrub man auf anderen Friedhöfen. Kein Wunder, daß man dem großen Tag mit gemischten Gefühlen entgegensah! Ein Einheimischer, der sich keine Mühe gab, seine Tränen zu verbergen, sagte: „Als ich den See sah, wurde mir ganz weh ums Herz. Ich will ihn nie wieder sehen.“ Ein anderer schluchzte, als er beobachtete, wie der See allmählich die Wasserfälle verschlang: „Es ist, als würde ich hier meinen Bruder begraben. Die Wasserfälle gehörten zu unserer Familie.“

Die Auseinandersetzung ist nicht vorüber

Der 5. November 1982 kam und ging. Der mächtige Paraná fließt wieder normal — aber ohne die Wasserfälle von Sete Quedas. An ihrer Stelle steht, allerdings weiter stromabwärts, ihr riesiger „Grabstein“ aus Beton. Die Industrie hat gewonnen und die Natur verloren. Doch die Auseinandersetzung geht weiter. In der Zeitung Estado de S. Paulo hieß es: „Auf der einen Seite steht die Natur mit all ihrer Schönheit und Vielfalt, auf der anderen Seite die Göttin ‚Technokratie‘.“

Interessanterweise äußert man jetzt Besorgnis über die Veränderungen des Wetters. Es wird berichtet, daß bereits Veränderungen des Luftdrucks festgestellt worden sind. Erhöhte Luftfeuchtigkeit, stärkere Winde und ständiger Regen in einem großen Gebiet Südbrasiliens und in den Nachbarländern geben Anlaß zu Spekulationen. Manche schreiben die Veränderungen dem neuen See zu. Andere bestreiten mit ebenso großer Überzeugung, daß der See irgendwelche Veränderungen des Wetters hervorrufen könnte. Niemand weiß es mit Sicherheit.

Eines jedoch ist gewiß: Die Wasserfälle von Sete Quedas sind verschwunden und existieren nur noch in der Erinnerung. Statt dessen stehen jetzt die 18 Turbinen des „Singenden Steines“, Itaipú. Schließlich wird eine nach der anderen beginnen, sich zu drehen, und Millionen von Menschen mit Strom versorgen. Nur die Zeit wird zeigen, ob sie das Herz ebenso vieler Menschen gewinnen werden wie die verschwundenen Wasserfälle von Sete Quedas.

[Karte auf Seite 21]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Wasserfälle von Sete Quedas

Paraguay

Paraná

Neu entstandener See

Brasilien

Itaipú

Rio Iguaçu

Iguaçu-Fälle

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