Auch Afrika bleibt nicht vom Wandel der Werte verschont
„ICH hatte die Kleider gesehen, die meine Brüder mitgebracht hatten, und wußte von ihnen, was man dort verdienen konnte. Sie hatten uns von den Straßenleuchten erzählt, von den Kinos, den Tanzlokalen, den Frauen und den klugen Männern der Stadt. Mein Vater wollte nicht, daß ich fortging. Ohne meinen Eltern auf Wiedersehen zu sagen, bestieg ich den Bus und fuhr in die große Stadt.
Ich traute meinen Augen nicht, als ich dort ankam, und wünschte nur, diesen Schritt schon früher gewagt zu haben. In der Stadt war alles ganz anders als auf dem Dorf. Jedes Haus war hell erleuchtet. Alles war unfaßbar und faszinierend — die Betriebsamkeit, der Nervenkitzel und der Glanz. Jeder vermittelte den Eindruck, reich, selbstbewußt und erfolgreich zu sein. Anscheinend lebte es sich hier leicht, und man hatte die Möglichkeit, es zu etwas zu bringen, und zwar schnell. Ich war froh, der dunklen, stillen Hütte meines Vaters entronnen zu sein, wo ich nur ein Junge war, ein Bote, ein Handlanger, jemand, der niedere Dienste verrichtete. Doch das hier war Leben!“
So begann das Erlebnis eines Afrikaners, der die Freuden einer anderen Welt kennenlernen wollte — das Leben in einer Großstadt.
Er glaubte, sein Umzug in die Stadt und die Aussicht, mehr materielle Güter zu besitzen, seien das Sprungbrett zum Glück. Viele teilen diese Ansicht. Vielleicht auch du. Der Wandel, der in Afrika vor sich geht, vollzieht sich auch anderswo bzw. hat sich schon vollzogen.
Ein Wandel, der Sinn und Herz berührt
Menschen, die ein ganz einfaches Leben gewohnt waren, haben nun plötzlich die Möglichkeit, unzählige faszinierende Güter zu besitzen. Die Wirkung, die das auf Sinn und Herz dieser Menschen ausübt, wird in einem afrikanischen Gedicht „Das Lied von Lawino“ geschildert. Ein junger Mann, der gerade seine Ausbildung in der Stadt abgeschlossen hat, kehrt in sein Dorf zurück. Er hat seiner Frau eine Uhr mitgebracht. Die Frau hat bis dahin noch nie eine Uhr gesehen. Sie sagt: „Ich bin sehr stolz auf die Uhr. Sie anzusehen macht Freude. Und wenn Besucher kommen, werden sie tief beeindruckt sein.“ Ja, dieses neue „Spielzeug“ verlieh ihrem Leben Glanz und etwas Erregendes, auch steigerte es ihr Ansehen. Wer von uns hat nicht schon, wenn er etwas Neues gesehen hat, den Wunsch verspürt, es zu besitzen, weil sein Leben dadurch angenehmer würde?
Alle Errungenschaften der heutigen Technik haben jedoch ihren „Preis“ — sie kosten Geld, und zwar nicht wenig. Jeder muß sich fragen: Wieviel dafür zu opfern, bin ich bereit? Um in den Genuß gewisser Annehmlichkeiten unserer modernen Zeit zu kommen, mag man sogar menschliche Werte opfern müssen. Das ist nicht nur in Afrika so, sondern auch in anderen Gebieten der Welt.
Damit der Leser sich ein richtiges Bild davon machen kann, was für Werte in Afrika geopfert werden, möchten wir uns kurz die „traditionelle Lebensweise“ genauer besehen, die Jahrtausende für die afrikanische Gesellschaft typisch war.
Traditionelle Werte
Man weiß, daß im alten Afrika großartige technische Leistungen vollbracht wurden. Die größte Leistung der afrikanischen Kultur liegt jedoch auf einem anderen Gebiet.
Basil Davidson schreibt in seinem Buch Afrikanische Königreiche: „Indessen darf man sich nicht auf die großen politischen Reiche und deren Errungenschaften beschränken. Im Schatten ihres Glanzes steht das bescheidene, aber eindrucksvolle Leben des dörflichen Afrika. Mit Gemeinschaften, die Männer gleich Brüdern nebeneinanderstellten, mit Moralgesetzen, die das soziale Leben ordneten, mit Glaubensformen, welche die geistigen Aspekte des Lebens über die materiellen stellten, schuf das afrikanische Dorf ein soziales Gefüge, das überwiegend ohne übergeordnete Autorität funktionierte. Hier zeigt Afrika sein ganzes Genie — in seiner Fähigkeit, ein Gemeinwesen zu organisieren ... Vor hundert Jahren stand Afrika bereits ... im Zenit einer langen und fruchtbaren sozialen Entwicklung, die sich — spezifisch afrikanisch — mehr mit dem harmonischen Ablauf des Zusammenlebens als mit dem materiellen Fortschritt befaßt hatte.“
FAMILIENLEBEN: In der internationalen Presse konnte man über die traditionellen afrikanischen Gesellschaften lesen: „Kinder, alte Menschen und Kranke werden immer betreut; es fehlt ihnen weder an Nahrung noch an einem Obdach, solange sie einen Angehörigen oder einen Stammesbruder haben, der ihnen noch etwas abgeben kann.“ Die Familie arbeitete gemeinsam, und die Dörfer bildeten eine enge Gemeinschaft — mehrere Haushalte waren zu einer großen Familie zusammengefaßt. (In manchen Dörfern ist das heute noch so.) Die Kinder wuchsen in der Geborgenheit einer solchen Familie auf.
GASTFREUNDSCHAFT: Im alten Afrika war sie etwas Selbstverständliches. Jeder Fremde wurde willkommen geheißen. Eine weiße Schriftstellerin, die eine Zeitlang unter einigen der „unkultiviertesten“ Stämme Afrikas lebte, schrieb: „Die Gastfreundschaft der Nuba ist sehr groß.“ Und über die Massai wird berichtet: „Sie haben eine ganz besondere Gesinnung entwickelt: menschliche Würde, Herzlichkeit, Humor und Liebe zur Familie und zu den Freunden. Ich fand, daß die Massai etwas ganz Besonderes entwickelt hatten.“
RECHTSPFLEGE: In jedem Dorf gab es einen Häuptling, Dorfälteste und ein Gerichtswesen. Delikte wurden bestraft, und die Rechtsbrecher wurden aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Jedermann fühlte sich geborgen; es herrschte eine entspannte Atmosphäre, und die Leute hatten ein herzliches Verhältnis zueinander.
Liebe zur Familie, Gastfreundschaft und Rechtspflege — sind das nicht unschätzbare Werte, insbesondere in einer kalten Welt, in der ein schönes Familienleben und gute Freunde eine Seltenheit geworden sind und in der die Gesetzlosigkeit überhandnimmt? Für die traditionelle afrikanische Gesellschaft war alles das etwas Kostbares. Aber was geschieht jetzt mit diesen Werten?
Welche Veränderungen gehen vor sich?
FAMILIENLEBEN: „Bereits klopfen bei uns die Probleme der Wohlstandsgesellschaft energisch an die Tür: Drogenabhängigkeit, Probleme mit den Jugendlichen und rasanter Anstieg der Zahl der Ehescheidungen“ (Ebomuche Oguuh-ibe, afrikanischer Schriftsteller).
„Die Eltern versäumen ihre Pflichten. ... Heute wird nicht mehr nach den für die afrikanische Familie charakteristischen Erziehungsprinzipien gehandelt“ (Francis Uzoeshi, Afrikaner, Student).
GASTFREUNDSCHAFT: „Man ist nicht mehr so gastfrei, weil man unbekannten Besuchern nicht traut — es könnten Diebe sein!“ (Bantu Customs). Ferner können es sich viele nicht leisten, häufig Gäste zu bewirten, ohne ihren Lebensstandard zu gefährden und die Ernährung ihrer eigenen Familie.
RECHTSPFLEGE: „Dem Verbrechen muß endlich der Kampf angesagt werden“. „Ein brutales Land“. „Der Kampf gegen die Korruption“ (Schlagzeilen aus afrikanischen Zeitungen).
„Die Menschen sind so hartherzig und selbstsüchtig geworden, daß es ihnen sogar gleichgültig ist, wie es ihrem nächsten Nachbarn ergeht. Das steht ganz im Gegensatz zu der Auffassung der traditionellen afrikanischen Gesellschaft, wonach alle Menschen Brüder sind“ (Oguuh-ibe, afrikanischer Schriftsteller).
Was bewirkt diesen Wandel?
Einer Gruppe junger Mütter im südlichen Afrika wurde die Frage gestellt: „Was verursacht größere Probleme: Bier oder Geld?“ Übereinstimmend antworteten sie: „Geld.“ Natürlich ist es nicht das Geld an und für sich, sondern das, was man tut, um zu Geld zu kommen, und wofür man es ausgibt.
Zum Beispiel verlassen viele Männer, die bis dahin auf dem Land gewohnt haben, ihre Familie und fahren in die Stadt, um mehr Geld zu verdienen. Die Frau muß dann die Feldarbeiten und die Kindererziehung allein bewältigen. In der Stadt fühlen sich die Männer einsam, deshalb beginnen sie, übermäßig zu trinken und sich mit Frauen einzulassen. Es gibt sogar Männer, die sich eine sogenannte Stadtfrau nehmen — eine Frau, die bereit ist, in wilder Ehe zu leben. Für den Mann bedeutet das zusätzliche Ausgaben, so daß es ihm nicht mehr möglich ist, Geld nach Hause zu schicken, und das wiederum belastet die bereits gestörten Beziehungen zu seiner Familie noch mehr. Er mag nur noch ein- bis zweimal jährlich in sein Dorf zurückkehren.
Es kommt aber auch vor, daß die ganze Familie in die Stadt zieht; und in vielen Fällen geht die Frau dann auch arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern. Wenn die Kinder noch klein sind, werden sie oft von einem Hausmädchen betreut, das selbst noch sehr jung ist. Das bedeutet, daß die Kinder nicht richtig erzogen werden, und das wiederum hat in vielen afrikanischen Städten zu einem enormen Anstieg der Jugendkriminalität und der Unsittlichkeit geführt. In Afrika ist das ein besonders schweres Problem, weil dort die Hälfte der Bevölkerung noch keine 16 Jahre alt ist.
Wie verheerend sich das Verlangen nach Geld und Gütern auswirkt, kann man deutlich beim Nubastamm beobachten. Leni Riefenstahl, die längere Zeit bei den Nuba lebte, berichtet, daß sie früher ihre Kisten, in denen sie ihre Foto- und Filmausrüstung hatte, monatelang unverschlossen im Freien stehenlassen konnte. Später war das nicht mehr möglich. Sie schreibt: „Diese betrübliche Erscheinung ist damit zu erklären, daß einige der Nubamänner infolge sehr schlechter Erntejahre in die Städte gehen mußten, um etwas Geld zu verdienen, wofür sie sich ein Rind oder einige Ziegen kaufen konnten. In den Städten sahen sie, daß man mit Geld alles kaufen kann. Dies übte eine verheerende Wirkung auf sie aus.
Die Nuba hatten früher fast alles, was sie zum Leben brauchten, selbst erzeugt. Leni Riefenstahl schreibt weiter: „Sie kannten nichts anderes und waren mit dieser Lebensform glücklich und zufrieden. Geld erzeugt unter diesen Naturkindern Neid und den Wunsch, auch in den Besitz von Geld oder Werten zu kommen — eine Eigenschaft, die ihnen früher fremd war. Die nicht aufzuhaltende Zivilisation wird in naher Zukunft auch die Masakin-Nuba erfassen und sie umformen“ (Die Nuba, 1973).
In dem Bestreben, die modernen Errungenschaften zu erwerben, sind viele noch in eine andere Schlinge geraten.
Versklavende Kreditkäufe
„Die Zahlungserleichterungen für Kreditkäufe sind eine schreckliche Gefahr“, schrieb ein afrikanisches Ehepaar. „Auf Raten zu kaufen erscheint so simpel und so günstig. Doch das ist eine Täuschung. Die Tatsache, daß man einfach in ein Geschäft gehen und sich ein Kleid kaufen kann, ohne sofort dafür bezahlen zu müssen, ist eine große Versuchung. Ans Zahlen, nun, daran kann man später denken. Wenn ,später‘ kommt und man die Rechnung erhält, merkt man, daß das Geld fehlt, um sie zu begleichen, und dann fängt es an, ,lustig‘ zu werden. Man wird der Sklave dieser Abzahlungsgeschäfte, weil man dem Wunsch nach etwas Neuem nicht zu widerstehen vermochte. Ich kenne Leute, die eine neue Stereoanlage besitzen, einen neuen Wagen, schöne neue Möbel, aber nicht genug Geld haben, um sich Lebensmittel zu kaufen, weil sie alles noch abzahlen müssen. Mann und Frau gehen arbeiten, und die Kinder verwildern.“
Das ergeht aber nicht nur den Afrikanern so. Auch in anderen Ländern sind die Leute zufolge von Kreditkäufen tief verschuldet. Zum Beispiel muß jeder zwanzigste Amerikaner über 60 Prozent seines gesamten Einkommens für Ratenzahlungen ausgeben.
Eine solche Situation wirkt sich verheerend auf Geist und Gemüt eines Menschen aus. Jemand, der zufolge von Ratenkäufen tief in Schulden steckt, schrieb: „Ich wurde arbeitslos, und die Arbeitslosenunterstützung reicht nicht aus, um die Raten, geschweige die Miete zu bezahlen und Lebensmittel zu kaufen. Ich habe sogar angefangen, mit Blutplasma zu handeln und Gelegenheitsarbeiten zu verrichten. Es macht mich halb wahnsinnig, mich immer vor den Vertretern der Kreditfirmen verstecken zu müssen. Ich bin ein richtiges Nervenbündel geworden.“
Nicht alle ändern sich
Natürlich handeln nicht alle Afrikaner unvernünftig und geben die wahren Werte auf, weil sie die „Segnungen“ der modernen Technik genießen möchten. In Afrika gibt es viele ehrliche und rechtschaffene Personen.
Ein Auslandskorrespondent, der sich für kurze Zeit in Afrika aufhielt, berichtete über einige unehrliche Afrikaner, schrieb aber dann ganz offen: „Allerdings muß ich auch ... den jungen Mann erwähnen, der kein Geld annehmen wollte, obschon er viele Stunden dafür aufgewandt hatte, mir eine Bewässerungsanlage zu zeigen. Ebenfalls erwähnt sei die Angestellte einer Wäscherei, die mir die 80 Naira zurückgab, die ich in der Tasche eines Hemdes hatte stecken lassen, das ich zum Waschen gegeben hatte. Ferner darf ich die Freundlichkeiten nicht vergessen, die mir ein Mann erwies, dem ich kurz zuvor die Meinung gesagt hatte“ (National Geographic, März 1979).
Nicht alle, die in eine Großstadt ziehen, ändern ihre Wertvorstellungen. Aus irgendwelchen Gründen mußten sie sich vielleicht zu diesem Schritt entschließen, aber sie halten an guten Grundsätzen fest und bleiben mit ihrer Familie verbunden. Sie betrachten die Lebensform realistisch, die die Jagd nach Geld und modernen Errungenschaften zum Mittelpunkt hat. Sie wissen, daß andere Dinge weit wertvoller sind.
Das gute Leben?
Vielleicht erinnert sich der Leser noch an den anfangs erwähnten jungen Mann, der glaubte, sein neues Leben würde ihn glücklich machen. Über sein weiteres Leben berichtet er folgendes:
„Ich wohne jetzt schon sechs Monate in der Großstadt. Auf der ersten Arbeitsstelle war die Arbeitszeit sehr lang, und die Arbeit nahm kein Ende, deshalb wechselte ich die Stelle, und später tat ich das noch einmal. Die Arbeitsbedingungen waren so ziemlich gleich, nur verdiente ich etwas weniger. Ich hatte mich an den Rhythmus des Stadtlebens gewöhnt — vor dem Zahltag war mein Portemonnaie stets leer, und dann, am Ende des Monats, verjubelte ich jeweils meinen ganzen Lohn. Schließlich mußte ich alles, was ich hatte, verpfänden; danach lebte ich wieder ein ruhiges Leben, so wie früher zu Hause.
Jeden Abend nach Arbeitsschluß ging ich auf die Straße, stellte mich hin und beobachtete, was vor sich ging. Ich sah immer das gleiche: Autoschlangen, gut angezogene Frauen in Taxen, die gleichen flottaussehenden jungen Männer. Woher hatten sie all das? Irgendwo war ein Trick dabei. Ich arbeitete wie nie zuvor, aber das Geld — ich verdiente so viel, wie ich es mir nie hätte träumen lassen — war so schnell verbraucht, wie ich es erwarb. Ich sah ein, daß Leute wie ich keine Chance hatten.“
Obgleich nicht alle, die in die Großstadt übersiedeln, so denken, erkennen doch viele, daß man durch materiellen Besitz unmöglich glücklich werden kann. Sie wünschen sich wieder das einfache Leben, das sie früher kannten. Doch das bedeutet nicht, daß sie sich nach der Armut zurücksehnen, in der manch einer lebte, auch möchten sie nicht, daß alles wieder so gehandhabt würde wie in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft. Was sie aber schmerzlich vermissen, sind die engen Familienbande, die Gastfreundschaft und ihre Rechtspflege — alles Dinge, die der modernen Zeit allmählich zum Opfer fallen.
Vielleicht findest du, daß auch dein Leben unter dem Materialismus leidet. Du möchtest vielleicht eine Änderung herbeiführen. Doch wie? Eine Methode, die bereits Tausenden von Menschen in ganz Afrika geholfen hat, wird in dem folgenden Artikel besprochen.