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Jetzt weiß ich, wie die Akupunktur funktioniertErwachet! 1980 | 22. November
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Jetzt weiß ich, wie die Akupunktur funktioniert
„MICH NADELN LASSEN? Es schmerzt schon genug, wenn ich mich beim Nähen in den Finger steche, wozu soll ich mich da noch nadeln lassen?“ Das war meine erste Reaktion, als man mir empfahl, es mit der Akupunktur zu versuchen.
Man erklärte mir, daß sie nicht schmerzhaft sei (außer bei Alarmpunkten). Akupunktur — ein von den alten Chinesen entwickeltes Verfahren, das etwa 250 Jahre vor Christus in Japan eingeführt wurde — ist die orientalische Kunst, mit Hilfe feiner Nadeln verschiedene Körperstellen anzuregen oder zu beruhigen. Sie soll dreierlei bewirken. Erstens soll sie Patienten, die operiert werden müssen, beruhigen. Bei diesen Operationen kann es sich um das Ziehen von Zähnen, die Entbindung eines Kindes durch Kaiserschnitt oder um eine Gehirnoperation handeln. Man hält die Beruhigung durch Akupunktur für vorteilhaft, weil es dabei nicht zu den unangenehmen Nebenwirkungen wie Erbrechen und Schwindel kommt, die auftreten, wenn man den Patienten mit Arzneimitteln sediert. Man hat sie als „Spritze“ bezeichnet, die sediert, ohne abhängig zu machen. Die zweite Wirkung der Akupunktur ist Entspannung und die dritte eine Regulierung der Funktion bestimmter Organe. An den beiden letzteren Punkten war ich besonders interessiert.
Ich machte große Augen, als ich die Akupunkturnadeln sah. Da ich sie mir ungefähr wie Nähnadeln vorgestellt hatte, war ich angenehm überrascht, daß sie zwar 5 bis 7 Zentimeter lang, aber doch sehr fein waren. Gewöhnlich sind sie 0,1 mm dick, in einigen Fällen bis 0,2 mm oder noch dicker. Die feinen Nadeln haben die Japaner, als sie die Akupunktur einführten, entwickelt. Früher hatte man die Nadeln aus Stein oder Metall verfertigt. Doch die Nadeln, mit denen man in Japan behandelt, sind fast immer aus Silber oder rostfreiem Stahl. Die Japaner benutzen auch kleine metallene „Leitröhrchen“.
Der Akupunkteur bei der Arbeit
Um besser diagnostizieren zu können, fühlte der Akupunkteur mir den Puls. Sein Interesse am Puls beruht auf der chinesischen Theorie von der Energie. Die Europäer würden vielleicht Lebenskraft dazu sagen. Der Akupunkteur prüft auch, ob die Muskeln verspannt sind. Er erkundigte sich nach meinen Symptomen und betrachtete prüfend meine Hautfarbe und meinen Gesichtsausdruck. Dann fragte er mich, ob mich etwas belaste. „Eigentlich ja“, gab ich zur Antwort. Eine persönliche Angelegenheit machte mir zu schaffen. Aber wieso merkte er das? „Heute lächeln Sie nur mit dem Mund, aber das übrige ihres Gesichtes lächelt nicht“, erklärte er.
Ja, einem tüchtigen Akupunkteur entgeht kein körperlicher oder seelischer Faktor, der sich auf die Gesundheit des Patienten auswirkt. Es wäre wünschenswert, wenn alle Ärzte diese Fähigkeit besäßen.
Das Einstechen der Nadeln
Nachdem er den Unterleib untersucht und festgestellt hatte, daß der Dickdarm nicht richtig arbeitete, führte er eine Nadel etwa 2,5 cm unterhalb des Mittelpunktes meines Brustkorbes ein. Kurz darauf begannen die Nerven an diesem Punkt zu vibrieren, als ob der Nerv für kurze Zeit durch Elektrizität erregt worden wäre. Ich warf einen Blick auf meinen Unterleib: Vier Nadeln bewegten sich leicht wie winzige entlaubte Bäumchen. Obschon ich einem Nadelkissen glich, fühlte ich keine Stiche. Nachdem die Nadeln plaziert waren, gab mein Bauch gurgelnde Geräusche von sich.
Dann wandte sich der Akupunkteur meinen Füßen zu. Während er mich behandelte, saß er nach japanischer Art auf der Binsenmatte (Tatami) vor mir. Ein Punkt am linken Fuß, auf der Innenseite, etwa drei Finger breit über dem Knöchel, beeinflußt den Darm; und dort wurde eine weitere Nadel plaziert. Obwohl die Nadel nur 10 Sekunden steckengelassen wurde, kribbelte mir das Bein mehrere Tage lang.
Ich war von Anfang an beeindruckt, weil der Akupunkteur nie nach den richtigen Punkten suchen mußte. Er wußte genau, welcher Punkt welches innere Organ beeinflußt, und war sehr geschickt im Einführen der Nadeln. Er war gründlichst ausgebildet in Anatomie und wußte über die Körperorgane und ihre Funktion bestens Bescheid. Er wußte, welche Hautstelle und welcher Muskel mit welchem Organ verbunden sind. Er macht Gebrauch von seinem durch langjährige Übung vorzüglich entwickelten Tastsinn. Der japanische Akupunkteur erlernt sein Metier, indem er an sich selbst übt.
Die Nadeln werden verschieden gehandhabt. Die Nadeln, die er auf meinem Bauch plazierte, stach er bis in eine gewisse Tiefe ein und zog sie nach etwa fünf Minuten wieder heraus. Als er Hals und Schultern behandelte, plazierte er die Nadeln und arbeitete dann damit. Die Nadel wird in einem Röhrchen, das der Akupunkteur in der linken Hand hält, plaziert. Das Röhrchen ist etwas kürzer als die Nadel. Mit dem rechten Zeigefinger drückt er die Nadel in die Haut und zieht dann das Röhrchen zurück. Während man kaum eine Bewegung bemerkt, hält der Akupunkteur die Nadel mit der linken Hand und bringt sie mit der rechten Hand in die richtige Tiefe. Gleichzeitig ruhen an der Stelle des Einstichs die Finger der linken Hand auf der Haut. So kann er fühlen, wie hart der Muskel ist, den er „nadelt“. Mit der rechten Hand spürt er, was die Nadel unter der Haut durchdringen muß. In meinem Fall bemerkte ich zwei Reaktionen: eine an den Nerven an der Stelle des Nadeleinstiches und die andere an dem Organ oder Körperabschnitt, der durch diesen Akupunkturpunkt beeinflußt wird.
Nach der Behandlung ruhte ich etwa 30 Minuten, und als ich aufstand, hatte ich das Gefühl, eine große Last sei von meinen Schultern genommen worden. Die übliche Verspannung in meinem Nacken war verschwunden. Es war, als hätte mich jemand tüchtig massiert; und dieses Gefühl hielt zwei bis drei Tage an.
An dieser Stelle muß ich erwähnen, daß nicht jeder Patient gleich gut auf Akupunktur reagiert. Außerdem sind gewöhnlich mehrere Behandlungen notwendig, um eine Verbesserung zu erzielen. Ein Patient, der gut auf die Behandlung reagiert, muß sich vielleicht nur ein- bis sechsmal behandeln lassen. Leidet er an starken Schmerzen, ist eine tägliche Behandlung ratsam. Ein Narkosearzt am Maimonides Medical Center in New York bemerkte: „Kein Patient kann gleich behandelt werden wie der andere. Man kann nicht vorgehen wie beim Kochen nach einem Kochbuch. Der Akupunkteur muß genau beobachten, wie der Patient reagiert.“
Was ist Akupunktur?
Viele neigen dazu, die Akupunktur als einen geheimnisvollen Hokuspokus abzutun oder als eine Behandlung mit Placeboeffekt oder psychologischer Wirkung. Auf meine Erkundigungen hin wurde ich daran erinnert, daß Unwissenheit oft Argwohn zur Folge hat. So wurde beispielsweise Wilhelm Röntgen, der Entdecker der nach ihm benannten Strahlen, als Quacksalber verschrien.
Bei der Akupunktur handelt es sich weder um Aberglauben noch um eine reine psychosomatische Therapie, was Berichte eines Tierarztes aus Mito (Japan) bestätigen. Dieser Tierarzt behandelt Haustiere mit vier elektrisierten Nadeln. Wie der Tierarzt berichtet, stillt diese Behandlung bei Kühen, die eine Magenoperation hatten, die starken Schmerzen danach und fördert die Genesung. Die Behandlung wird auch erfolgreich bei neugeborenen Kindern angewandt. Klinische Versuche zeigten außerdem, daß Körperteile und -funktionen reagieren, wenn Akupunktur angewandt wird. Versuche, die in Japan und in Europa durchgeführt wurden, ergaben, daß die Einführung von Nadeln an einem bestimmten Akupunkturpunkt die Produktion der roten Blutkörperchen fördern kann, so daß ihre Zahl innerhalb von 24 Stunden von einer abnormal geringen Menge auf die normale Menge ansteigt.
Der Akupunkteur, der mich „nadelte“, erklärte die Behandlung wie folgt: „Akupunktur ist einfach die Methode, die wir zur Behandlung von Krankheiten anwenden. Dem Patienten gefällt das Persönliche an dieser Behandlung, was bei der westlichen Medizin leider manchmal fehlt. Mit Hilfe der Akupunktur können wir Schmerzen lindern und Leiden beheben — mit anderen Worten, wir können jemandem, der krank ist, helfen, wieder einigermaßen gesund zu werden.“
Jetzt weiß ich, wie die Akupunktur funktioniert. (Eingesandt.)
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„Die Unwissenheit des Menschen ist riesengroß“Erwachet! 1980 | 22. November
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„Die Unwissenheit des Menschen ist riesengroß“
Der bekannte Biologe und Forschungswissenschaftler Dr. med. Lewis Thomas meint, der Mensch sollte seine Umwelt, die Schöpfung, ehrfürchtig bewundern. In der Zeitschrift „Smithsonian“, herausgegeben vom U.S. National Museum, heißt es, daß Dr. Thomas in seinen Schriften darauf aufmerksam mache, „wie wenig wir Menschen über die Welt wissen. Das, was der Mensch weiß, ist nichts im Vergleich zu dem, was er nicht weiß“, schreibt er.
In einem Interview mit der Zeitschrift „Smithsonian“ bemerkte Dr. Thomas: „Den heutigen Wissenschaftlern bereiten die Naturgesetze viel mehr Kopfzerbrechen als den Wissenschaftlern vor 100 Jahren.“ Er veranschaulichte das wie folgt: „Lord Kelvin, ein führender Physiker, der um die Jahrhundertwende lebte, sagte, daß auf dem Gebiet der Physik kaum noch etwas zu entdecken sei, und wäre er ein junger Mann, würde er sich nicht für das Physikstudium entscheiden, weil es kaum noch etwas zu erforschen gebe, außer einigen nebensächlichen Dingen. Doch seither ist die Quantentheorie, die Relativitätstheorie, die Quantenmechanik und wer weiß, was noch alles, entwickelt worden.
Ich glaube, daß diese Entwicklung nie enden wird, denn wir besitzen nun einmal einen unersättlichen Wissensdurst und sind ständig am Forschen, am Suchen, am Ergründen. Wir werden nie alle Rätsel lösen können. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir einmal alles wissen, so daß jeder aufatmend sagen kann: ,Jetzt verstehen wir alles.‘ Das wird für uns immer unerreichbar bleiben. ... Wir erforschen jetzt die Natur mit einer viel besseren Ausrüstung als je zuvor. Aber anstatt alles besser zu verstehen, wird uns alles noch unverständlicher.“
Timothy Ferris, der das Interview für die Zeitschrift „Smithsonian“ mit Dr. Thomas machte, erinnerte sich daran, daß Dr. Thomas in seinen Schriften erwähnt, wie der Mensch auf die Wunder, die er vor Augen habe, reagieren sollte: „Sie führen die Embryologie an und die Tatsache, daß sich das Gehirn aus einer einzigen embryonalen Zelle entwickelt, und schreiben: ,Die Menschen sollten den ganzen Tag in all ihren wachen Stunden voller Staunen miteinander über nichts anderes als über diese Zelle sprechen!‘“ Und sollte man nicht auch den staunend bewundern, der diese wunderbare Zelle geschaffen hat? (April 1980, S. 127—142).
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