Frankreichs Pionierarbeit in der industriellen Verwendung der Sonnenenergie
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Frankreich
BIS zur Mitte des letzten Jahrhunderts verbrannte der Mensch Holz, um den größten Teil seines Brennstoff- und Energiebedarfs zu decken. Doch mit dem Beginn des Industriezeitalters wurde immer mehr Energie benötigt, um die ständig wachsende Zahl von Maschinen anzutreiben. Man begann daher weltweit, Kohle nutzbar zu machen. Im Jahre 1910 wurden drei Viertel des Energiebedarfs der Menschheit durch Kohle gedeckt.
Um das Jahr 1859 begann man, eine andere Art fossilen Brennstoffs zu benutzen, nämlich Mineralöl (Petroleum). Seine industrielle Verwendung sollte die der Kohle bei weitem übertreffen. Durch die Erfindung des Verbrennungsmotors wurde die Entwicklung von Motorfahrzeugen aller Art — Personenwagen, Lastwagen und Flugzeuge — erheblich vorangetrieben.
Die zunehmende industrielle Verwendung von Kohle und Erdöl hat eine entscheidende Rolle bei der Verschmutzung der Erde gespielt. Der Grund dafür ist, daß diese Brennstoffe nicht vollständig verbrennen. Statt dessen setzen sie große Konzentrationen an Gasen frei — Kohlenmonoxyd, Stickstoffoxyde und Schwefeloxyde — sowie feste Partikeln.
Wie in anderen Industrienationen nimmt auch in Frankreich die Verschmutzung zu. Bei Restaurierungsarbeiten am Louvre in Paris stellte man fest, daß das Mauerwerk erheblich unter den korrosiven Auswirkungen der Luftverschmutzung gelitten hat. Einige Steinblöcke hatten sieben Zentimeter von ihrer ursprünglichen Dicke verloren. Heute frißt die Korrosion jährlich drei Millimeter vom Mauerwerk weg, hundertmal soviel wie zu Beginn des Jahrhunderts.
In den letzten Jahren wurde die Kernenergie als potentieller Ersatz für Erdöl eingeführt. Ihre industrielle Verwendung stößt aber auf viele Schwierigkeiten. Erstens besteht die Gefahr radioaktiver Verseuchung durch einen Reaktorunfall. Zweitens ist das ökologische Gleichgewicht gefährdet. Man befürchtet, daß die Flüsse und Seen durch immer zahlreicher werdende Kernkraftwerke zu stark erwärmt und dadurch geschädigt werden. Um nämlich seine Apparatur zu kühlen, zieht ein Kernkraftwerk eine gewaltige Menge kaltes Wasser aus einem nahe gelegenen Fluß oder See ab. Das erwärmte Wasser wird dann wieder zurückgeleitet. Steigt aber die Temperatur eines Sees oder Flusses, so wird der Sauerstoffgehalt des Wassers herabgesetzt. Das bewirkt nicht nur ein Fischsterben, sondern auch ein vermehrtes Algenwachstum, und die Algen entziehen dem Wasser, wenn sie absterben, weiteren Sauerstoff.
Diese beunruhigenden Tatsachen bekräftigen die Notwendigkeit, eine umweltfreundliche Energiequelle zu finden. Die Sonne entspricht diesem Erfordernis genau. Obwohl die Sonnenenergie die Erde nur periodisch und abgeschwächt erreicht, ist sie großzügig über die Erdoberfläche verteilt, so daß jeder Quadratkilometer Land und Meer täglich mehrere Millionen Kilowattstunden erhält. Diese Form der Energie ist von Natur aus in Fülle vorhanden, und das erklärt, weshalb eine Anzahl Länder, darunter Frankreich, begonnen haben, Pionierarbeit in der industriellen Verwendung der Sonnenenergie zu leisten.
Die Nutzbarmachung der Sonnenenergie
Während eines Besuches in Paris im Oktober 1774 erzählte der englische Chemiker Joseph Priestley dem französischen Chemiker Antoine Lavoisier von einem Experiment, bei dem er Quecksilberoxyd mit Hilfe von Sonnenstrahlung, die durch starke Linsen konzentriert wurde, erhitzt hatte. Lavoisier wiederholte dieses Experiment und kam zu dem Schluß, die atmosphärische Luft sei im wesentlichen ein Gemisch von zwei verschiedenen Gasen, die er „lebenerhaltende Luft“ (Sauerstoff) und „nichtlebenerhaltende Luft“ (Stickstoff) nannte. Somit war es schon im 18. Jahrhundert möglich, mit Hilfe der Sonnenstrahlung hohe Temperaturen zu erzeugen. Seit Jahrzehnten folgen die Forscher des C.N.R.S. oder Centre national de la recherche scientifique (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) den Fußstapfen Lavoisiers. Im Jahre 1946 wurde in Meudon, einem Vorort von Paris, der erste Sonnenofen in Betrieb genommen, und dort wurden verschiedene Experimente bei hohen Temperaturen (3 000 °C) durchgeführt.
Als Ergebnis der Forschungsarbeiten an einfachen Prototypen, die 1949 in Mont Louis in den französischen Pyrenäen durchgeführt wurden, wurde der Sonnenofen von Odeillo entwickelt. Nach langwierigen Änderungs- und Vervollkommnungsarbeiten wurde er schließlich im Jahre 1970 in Betrieb genommen. Und so hat Frankreich heute in Font-Romeu-Odeillo-Via, in der Nähe von Mont Louis, in einer Höhe von 1 600 Metern einen großen Sonnenofen. Diese schöne Bergregion erhält außergewöhnlich viel Sonnenschein, und dadurch ist es möglich, daß der 1 000-Kilowatt-Ofen eine Temperatur von 3 800 °C erreicht.
Es gibt verschiedene Methoden, Sonnenstrahlung einzufangen, zum Beispiel mit Hilfe von Glasscheiben, die nach dem Prinzip des Treibhauseffekts Temperaturen von annähernd 100 °C — der Siedepunkt des Wassers — erzeugen können. Diese Methode wird hauptsächlich zur Beheizung von Häusern und zum Erhitzen und Destillieren von Wasser verwendet. Werden höhere Temperaturen gewünscht, so müssen die Sonnenstrahlen durch geeignete optische Geräte konzentriert werden.
Je höher die im Brennpunkt (der Stelle, an der sich alle Strahlen vereinigen) gewünschte Temperatur sein soll, desto stärker muß die Konzentration sein. Will man Zehntausende Spiegelungen von der gleichen Lichtquelle auf eine kleine Stelle konzentrieren, so ist das aufgrund der Bewegung der Erde um die Sonne keine leichte Aufgabe. Diese Schwierigkeit ist jedoch beim Sonnenofen in Odeillo, bei dem im Brennpunkt über 20 000 Bilder übereinandergelagert sind, überwunden worden. Dieses bemerkenswerte Ergebnis ist die Frucht langwieriger Forschungsarbeiten.
Der Sonnenofen
Im wesentlichen besteht der Sonnenofen von Odeillo aus drei verschiedenen Elementen: 1. Planspiegeln, 2. einem großen Parabolspiegel und 3. dem Ofenhaus, in dessen Inneren sich der Brennpunkt befindet. Wie auf dem Schema dargestellt, treffen die Sonnenstrahlen Dutzende von Planspiegeln und werden auf den Parabolspiegel reflektiert, der die Strahlen wiederum zum Ofenhaus lenkt.
Die 63 beweglichen Planspiegel, von denen jeder aus 180 ebenen Glasscheiben besteht, sind in acht Stufen in Reihen hintereinander angeordnet. Die Spiegel sind je 45 Quadratmeter groß, und die einzelnen Reihen sind gegeneinander verschoben, um jeglichen Schatten in dem Lichtstrahl, der auf den Parabolspiegel gerichtet ist, zu vermeiden. Aufgrund der Erdrotation ändert sich die Stellung der Sonne am Himmel ständig. Jeder Planspiegel kann jedoch mit Hilfe von optischen und elektronischen Geräten der Sonne auf ihrer nie endenden Reise folgen. Die Spiegel werden von hydraulischen Winden bewegt.
Der große, unbewegliche Parabolspiegel ist an einem 40 Meter hohen und 54 Meter langen Betongebäude befestigt. Er besteht aus 9 500 Spiegeln, von denen jeder 45 cm im Quadrat groß ist. Jede Facette dieses riesigen Spiegels mußte mechanisch geschliffen, ausgerichtet und angepaßt werden, damit im Brennpunkt die größtmögliche Konzentration erreicht wurde. Wie bereits erwähnt, erhält der Parabolspiegel diese Strahlung durch 63 bewegliche Planspiegel.
Alle Strahlen, die vom Parabolspiegel reflektiert werden, vereinigen sich im Brennpunkt. Dieser befindet sich im 18 Meter entfernten Ofenhaus. Er hat einen Durchmesser von 45 Zentimetern. Die auf diesen elliptischen Punkt konzentrierte Energie beträgt 1 000 Kilowatt. Durch die hohe Konzentration kann eine Temperatur von 3 800 °C erreicht werden. An dieser Stelle sind verschiedene Forschungsgeräte aufgestellt.
Vorteile des Sonnenofens
Der Sonnenofen bietet wesentliche Vorteile gegenüber anderen Öfen. In dem folgenden Auszug aus einer Veröffentlichung des C.N.R.S. wird eines seiner wesentlichen Merkmale hervorgehoben: „In der Grundlagenforschung stellen Sonnenöfen ein einmaliges Mittel dar, um Experimente, die zwischen 1 000 und 3 800 °C erfordern, unter Bedingungen von extremer Reinheit durchzuführen.“ Der Grund dafür ist, daß der Sonnenofen die Verarbeitung von Stoffen bei hohen Temperaturen durch die Konzentrierung von Wärmestrahlung ermöglicht, im Gegensatz zu Hochfrequenzöfen, bei denen die Stoffe in einem Tiegel geschmolzen werden.
Der Sonnenofen von Odeillo macht es sehr leicht, schwer schmelzbare Oxyde zu schmelzen, das heißt Oxyde, die nur bei sehr hohen Temperaturen schmelzen (über 2 000 °C), sowie bestimmte Metallegierungen, die ebenfalls schwer schmelzbar sind.
Sonnenöfen sind auch sehr leicht zu bedienen. Sie können schnell und einfach in Betrieb gesetzt werden. Außerdem haben sie nicht den Nachteil der Bombardierung durch Elektronen, die in gewissen Heizsystemen vor sich geht, bei denen Stoffe im Vakuum verarbeitet werden müssen. Und schließlich — was durchaus nicht unterschätzt werden darf — wird die Wärmeenergie, die in Odeillo zur Verfügung steht, praktisch ohne Betriebskosten gewonnen.
Das Sonnenkraftwerk
Ein Meilenstein auf dem Gebiet der Sonnenenergie wurde am 19. November 1976 erreicht, als ein mit Sonnenwärme betriebenes Kraftwerk Strom für das französische Stromnetz lieferte.
Einfach ausgedrückt, funktioniert dieses experimentelle Sonnenkraftwerk wie folgt: Eine zur Wärmeübertragung geeignete Flüssigkeit, „Gilotherm“ genannt, wird in einem Kessel im Brennpunkt des Odeillo-Komplexes auf 335 °C erhitzt. Mit Hilfe von einem Vorratstank und drei Austauschern liefert diese Flüssigkeit 270 °C heißen Dampf. Der Dampf treibt dann einen Turbinengenerator an, der Strom erzeugt.
In Südfrankreich werden in der Nähe von Marseilles mit verschiedenen Arten von Spiegeln Tests durchgeführt. Nachdem Frankreich auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet hat, erwägt man, dort einen Prototyp von 1 Megawatt Leistung aufzustellen, und versucht, im Jahre 1980 10 Megawatt zu erreichen.
Künftige Verwendungsmöglichkeiten der Sonnenenergie
Die französische Zeitung Le Monde hob den gewaltigen Anwendungsbereich der Sonnenenergie für die industrielle Verwendung wie folgt hervor: „Da die Sonnenenergie überall vorhanden und billig ist, scheint sie den Bedürfnissen der weniger entwickelten Länder sehr angepaßt zu sein. ... Anscheinend ist sie besonders zum Pumpen von Wasser in abgelegenen Gegenden geeignet. In Lateinamerika und Afrika wird der Wasserbedarf in mehreren Dörfern jetzt durch Pumpstationen gedeckt, die mit einfachen und zuverlässigen [Sonnenkraft-]Anlagen betrieben werden, die zum größten Teil im eigenen Land hergestellt werden können und die gegenüber Dieselmotoren immer mehr wettbewerbsfähig werden.“
Frankreich hat mit Brasilien, Iran, Ägypten und Algerien Verträge zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sonnenenergie geschlossen. In der Zeitschrift L’Express hieß es diesbezüglich: „Die südlichen Länder sind im Vorteil, denn dort kann die Sonnenenergie zuerst genutzt und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden, bevor sie den dunstigen, industrialisierten Norden erobern kann.“
Arabische Länder, wie Saudi-Arabien, würden gern bei der Erforschung der Sonnenenergie mitarbeiten. Die französische Technologie ist in der Lage, auf die saudiarabischen Vorschläge einzugehen, denn wie M. Jean-Claude Colli, französischer Delegierter am Ministerium für neue Energiequellen, sagte, ist Frankreich „gegenwärtig praktisch die einzige Nation, die Sonnenkraftwerke zum sofortigen Betrieb anbietet“.
Im Jahre 1978 hat Frankreich das Budget für neue Energiequellen drastisch erhöht. Die Ausgaben für Sonnenenergie haben sich verdoppelt. Diese Bemühungen zeigen, daß Energieprobleme fortschreitend durch die Verwendung sauberer Energiequellen gelöst werden können, wie zum Beispiel durch die Sonne, den Wind, das fließende Wasser und die Gezeiten. Der Mensch braucht wirklich nicht die ‘Erde zu verderben’, um seinen wachsenden Energiebedarf zu decken (Offb. 11:18).
[Diagramm auf Seite 17]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Sonnenstrahlen
Parabolspiegel
Planspiegel
Brennpunkt