Das Fernsehen — Wie es sich auf uns auswirkt
BEI den meisten Leuten ist das Fernsehen zu einem festen Bestandteil des Lebens geworden. In den USA betrachten manche das Fernsehgerät als den wichtigsten Gegenstand im Haus. In China ist es als neues Statussymbol an die Stelle des Fahrrads und der Nähmaschine getreten. Immer mehr Briten begeben sich in ärztliche Behandlung wegen Magenbeschwerden, Rückenschmerzen und schlechter Durchblutung der Beine, weil sie so viele Stunden vor ihrem „Telly“ (Fernsehgerät) sitzen.
Weltweit sind 465 Millionen Fernsehgeräte in Gebrauch — eines auf 10 Erdbewohner —, und manche sind bis zu sechseinhalb Stunden am Tag eingeschaltet. Dieser Vormarsch des Fernsehens ist zum Brennpunkt vieler Forschungsarbeiten und Studien geworden.
Die Macht des visuellen Mediums
„Das Fernsehen hat eine umwälzende Macht, die mindestens so groß ist wie die der Druckpresse und möglicherweise ebenso groß wie die des Alphabets“, erklärte Professor Neil Postman in einem Interview für die Zeitschrift U.S. News & World Report. Eigentlich überrascht das nicht, da das Fernsehen im wesentlichen ein visuelles Medium ist. Aber im Unterschied zu Druckschriften vermittelt es durch die Bewegung, den Ton und die häufig farbigen Bilder dem Betrachter das Gefühl, er sei mitten im Geschehen. Auf diese Weise beansprucht es die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters — Körper, Sinn und Gefühl. Dadurch wird wiederum seine Kritik- und Analysierfähigkeit geschwächt oder gar überwältigt, so daß alles, was sich auf dem Bildschirm abspielt, völlig glaubwürdig und akzeptabel erscheint.
Werbefachleute sind sich dieser einzigartigen Macht des Fernsehens offensichtlich bewußt. Jedes Jahr geben Firmen Milliarden für Werbesendungen aus, die nur e i n Ziel haben — den Zuschauer zu bewegen, ihre Produkte zu kaufen. Bezeichnenderweise sagen solche Werbesendungen, wie zum Beispiel die für Designer-Jeans, nichts über die Qualität oder den Preis der Ware aus, sondern stellen den Prestigewert in den Vordergrund, den sie den künftigen Käufern versprechen, die bereit sind, für das im Fernsehen angepriesene Produkt das Doppelte oder Dreifache des üblichen Preises zu zahlen.
Ein weiteres Merkmal des Fernsehens ist die Möglichkeit, rund um die Erde ein großes Publikum mehr oder weniger gleichzeitig zu erreichen. Zum Beispiel wurde berichtet, daß weltweit 600 Millionen Fernsehzuschauer im selben Augenblick sahen, wie der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, und etwa eine Milliarde Menschen verfolgte die 20. Olympischen Spiele live über das Fernsehen.
Da die Fernsehanstalten ständig darum bemüht sind, immer größere Kreise mit populären Programmen zu erreichen, werden sie eigentlich Schiedsrichter des öffentlichen Geschmacks und der öffentlichen Meinung. Durch die Programmgestaltung diktieren sie, was die Zuschauer sehen und wann sie es sehen. Sie bestimmen auch, welche sozialen oder politischen Probleme wichtig genug sind, diskutiert zu werden. Man darf jedoch nicht vergessen, daß der ausschlaggebende Faktor gewöhnlich nicht das öffentliche Interesse oder Wohl, sondern die Einschaltquote ist.
Wie sich das Fernsehen auf Kinder auswirkt
Die meisten Experten der Fernsehbranche stimmen darin überein, daß insbesondere Kinder dem ausgesetzt sind, was sie im Fernsehen verfolgen. Eine grundlegende Ursache dafür ist ihr großer Einsatz an Zeit und Aufmerksamkeit für das Fernsehen. Professor Postman erklärte das folgendermaßen: „Das Fernsehen ist ein Medium, das Kinder schon im Alter von etwa 36 Monaten erfassen können. Von diesem frühen Alter an übt das Fernsehen ständig Einfluß aus.“
Wie wirkt sich dieser ständige Einfluß auf Kinder aus? „Ich kann die Fernsehsüchtigen sofort erkennen“, bemerkte eine Kindergärtnerin mit 20 Jahren Berufserfahrung. „Gewöhnlich sind es die Kinder, die beim Spielen die Fernsehhelden nachahmen — diejenigen, die sich auf den Tisch stellen und sich ein Handtuch oder eine Schürze über die Schultern hängen, damit sie einen Umhang wie Superman haben. Oft rennen sie ziellos umher, stoßen andere und schreien. Die Fernsehsüchtigen sind diejenigen, die nicht stillsitzen und beim Vorlesen einer Geschichte nicht zuhören können, ohne fortzulaufen und ständig zu stören. Wenn ich aber einen Film vorführe, sitzen sie bewegungslos da und starren auf die Leinwand.“
Das „Starren“ ist eindeutig eine vom Fernsehen herrührende Gewohnheit. Sie ruft bei Kindern ein weiteres Problem hervor — schlechte Lesefertigkeit. Beim Lesen müssen die Augen Zeile für Zeile hin und her wandern, während das Gehirn die Bedeutung des Gelesenen entschlüsselt. „Was allgemein nicht erkannt wird“, bemerkte Dr. Edgar Gording, Direktor des Gording Institute of Developmental Vision, „ist die Tatsache, daß gewohnheitsmäßiges Fernsehen das Auge dahingehend schult, sich nicht zu bewegen.“ (Es gibt auch immer mehr Beweise dafür, daß bei Kindern die Auffassungsgabe, die Phantasie, der Gesprächsstoff und der Wortschatz unter übermäßigem Fernsehen leiden.)
Das Fernsehen hat noch eine andere schwerwiegende Auswirkung auf Kinder. Die einst streng gehüteten, häßlichen Geheimnisse der Erwachsenenwelt — Ehebruch, Scheidung, Homosexualität, Inzucht, Korruption, Brutalität und Gewalttätigkeit — werden für die Kinder durch das Fernsehen vollständig sichtbar gemacht. Das Ergebnis? Die kindliche Unschuld schwindet.
Wie steht es mit den Erwachsenen?
Die meisten Leute, die ein Fernsehgerät haben, halten das Fernsehen für entspannend, bequem und harmlos. Doch seit Mitte der 70er Jahre ist viel über die schädlichen Auswirkungen des Fernsehens, vor allem auf dem Gebiet der Gewalttätigkeit, gesagt und veröffentlicht worden. Obwohl von den Fernsehanstalten Maßnahmen ergriffen worden sind, den Umfang der Gewalttätigkeit in Fernsehsendungen einzuschränken, schiebt sich in der blutroten Fernsehröhre eine andere gräßliche Tendenz in den Vordergrund. „Man beschneidet die Gewalttätigkeit, und die sexuelle Ausbeutung blüht auf“, sagte ein Medienspezialist. Sogar ein Mitarbeiter der Zensur einer Fernsehanstalt gab zu: „Bei der gegenwärtigen Programmgestaltung hat die Sexualität die Stelle der Gewalttätigkeit eingenommen.“
Die Fernsehanstalten verteidigen sich jedoch mit dem Argument, daß „die Fernsehzuschauer mit gespaltener Zunge sprechen“, weil Umfragen eindeutig beweisen, daß Sendungen, in denen es von Flirts und Anzüglichkeiten wimmelt, wie zum Beispiel viele Komödien und Spielfilme, zu den beliebtesten gehören. Es wird gesagt, man würde dem Publikum lediglich das bieten, was es wünsche.
Nicht nur die Qualität der Unterhaltung im Fernsehen ist fragwürdig, sondern aufgrund der Grenzen des Mediums ist es auch eine unzulängliche Nachrichten- und Informationsquelle. Warum? Weil es nicht nur diktiert, wann du deine Abendnachrichten siehst, sondern weil du möglicherweise auch die ganze Nachrichtensendung ansehen mußt, um nur etwas Bestimmtes, wie zum Beispiel den Wetterbericht, zu sehen. Bücher, Zeitschriften und Zeitungen dagegen kann man zu jeder Zeit in die Hand nehmen und lesen, und du kannst nach Bedarf etwas überfliegen, übergehen, beiseite legen und auswählen.
Die Alternative
Die japanische Tageszeitung The Daily Yomiuri berichtete, daß 42 Familien in der Stadt Kobe an einem kommunal geförderten Programm teilnahmen mit dem Ziel, „die geistigen Fesseln der Spielfilme und Komödien“ zu sprengen. Im Durchschnitt sieht eine Familie in Kobe etwa vier Stunden am Tag fern. Diese Familien — von Jungverheirateten in den 20ern bis zu Rentnern — entfernten für einen Monat den Anschluß ihres Fernsehgeräts, um herauszufinden, wie es sich ohne Fernsehen lebt. Was stellten sie fest?
Zunächst wurde ihnen klar, daß die „Entzugserscheinungen“ nicht völlig schmerzlos und nicht leicht zu überwinden waren. Eine Familie konnte keinen einzigen Tag ohne Fernsehen auskommen. Vier andere Familien gaben auf und wurden rückfällig. Wie erging es den übrigen? Beachte, was in dem Bericht zu lesen ist:
„Die Leute berichteten mit Begeisterung, welch eine Stille in ihr Haus einkehrte, daß sie früher ins Bett gingen und früher aufstanden, mehr lasen und sich im allgemeinen in einer besseren Geistesverfassung befanden.
Eine Mutter sagte, sie und ihr Mann hätten jetzt lebhafte Unterhaltungen mit ihren Kindern — eine Seltenheit, als das Fernsehgerät ihr allabendlicher Alleinunterhalter war.
Andere sagten, ihre Kinder, die vorher im Haushalt nie einen Finger gerührt hätten, würden jetzt ihr Bett machen und beim Geschirrspülen helfen.“
Bei vielen Fernsehteilnehmern scheint sich die Einstellung zu wandeln. Früher hielten es die meisten für undenkbar oder gar bemitleidenswert, kein Fernsehgerät zu haben. Heute sagen sie häufig, sie wünschten, sie hätten die Willenskraft oder den Mut, ohne dieses Gerät auszukommen oder zumindest ihre Fernsehgewohnheiten besser unter Kontrolle zu halten. Wenn du ebenso empfindest, dann laß dir versichern, daß jegliche Bemühung in dieser Richtung reichlich belohnt werden wird.
[Bild auf Seite 26]
Da gewohnheitsmäßiges Fernsehen die Augen dahingehend schult, sich nicht zu bewegen, beeinträchtigt es die Lesefertigkeit — so sagen die Experten.