Lektionen, die der Mensch nicht gelernt hat
Der Geschichtsunterricht in den Schulen orientiert vielfach nur über vergangene Ereignisse, Schlachten, Dokumente und berühmte Personen. Nach Auffassung des englischen Schriftstellers H. G. Wells erschöpft sich „der knappe Geschichtsunterricht“ in der Schule sozusagen in „einer langweiligen und größtenteils wieder vergessenen Namensliste von Königen und Präsidenten“.
Für denkende Menschen sollte die Geschichte jedoch eine Lampe sein, die die Irrtümer der Vergangenheit und der Gegenwart erhellt. Auch sollte sie einen gewissen hoffnungsvollen Ausblick in die Zukunft vermitteln. Der Leser ist nun eingeladen, sich mit einigen bemerkenswerten Lektionen der Geschichte zu befassen, um zu sehen, was die Menschen versäumt haben, daraus zu lernen.
1. LEKTION — Regierungswechsel: Wie das Beispiel der Französischen Revolution zeigt, ist es meist so, daß nichts Besseres nachkommt, daß es zwar den Anschein hat, vieles würde sich ändern, während sich in Wirklichkeit kaum etwas ändert. So kann es sein, daß eine Gewaltherrschaft die andere ablöst. In westlichen Demokratien wie in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Großbritannien kommt durch Wahlen von Zeit zu Zeit eine andere Partei an die Macht. Aber zu wesentlichen Änderungen führt das jeweils nicht.
Interessant sind die Worte des französischen Dichters Paul Valéry: „Alle Politiker haben Geschichtsbücher gelesen; man könnte indessen glauben, sie hätten sie nur gelesen, um daraus zu lernen, auf welche Weise man die gleichen Miseren erneut herbeiführt.“ Warum ist das so? Weil sich folgende Worte der Bibel immer wieder bewahrheiten: „Es steht nicht bei dem Manne, der da wandelt, auch nur seinen Schritt zu richten“ (Jeremia 10:23).
Was sollten wir daraus lernen? „Setzt euer Vertrauen nicht auf Edle noch auf den Sohn des Erdenmenschen, bei dem es keine Rettung gibt“ (Psalm 146:3). In der Regel ist kein Verlaß auf die Versprechungen von Menschen. Sie mögen sich gewissenhaft bemühen, dennoch darf man nicht erwarten, daß sie imstande sind, eine völlig zufriedenstellende Regierung zu schaffen. Das kann nur Jehova Gott. Er wird es auch tun, und zwar durch sein Königreich, in dem Jesus Christus König sein wird (Matthäus 6:9, 10; Jesaja 9:6, 7; Daniel 2:44).
2. LEKTION — Religion und Politik: Die Geschichte zeigt, daß die Priester der etablierten Religionsgemeinschaften, wenn sie das Volk politisch beeinflußten, zu allen Zeiten als Werkzeuge zur Aufrechterhaltung des Status quo dienten, und das oft im Interesse der herrschenden Klasse. Ein typischer Fall sind die Bemühungen der katholischen Kirche inner- und außerhalb Europas, nach dem Verfall des Römischen Reiches im fünften Jahrhundert u. Z. den Fortbestand des Feudalismus zu sichern. Über tausend Jahre lang arbeitete die Kirche eng mit Königen, Zaren und dem Adel zusammen in dem Bestreben, die Privilegien der Machtelite zu bewahren.
Dafür erhielt die Kirche Land (im Feudalsystem die Grundlage der Macht), und Äbte und Bischöfe durften den Titel „Lord“ führen bzw. sich „Fürstabt“ oder „Fürstbischof“ nennen. Der Papst war höchstwahrscheinlich der mächtigste Herrscher in der Christenheit. Wie groß seine Macht war, zeigt eine Liste von Primatsrechten, die Papst Gregor VII. im 11. Jahrhundert herausgab. Dazu zählte „das Recht, Kaiser abzusetzen“ und „jedes Dekret zu annullieren“.
Die Herrscher im alten Babylon, im alten Ägypten, im Reich der Azteken, im hinduistischen Indien — ja wahrscheinlich in allen Kulturen der Vergangenheit — haben sich der Religion bedient, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Und um selbstsüchtiger Vorteile willen waren die geistlichen Mächte immer an einer Verbindung mit dem Staat interessiert. Was kann man aus alldem lernen? Wenn sich die Religion in die Politik einmischt und in die politische Lenkung des Staates eingreift, geht es dem Volk schlecht, auch führt es zu Verwirrung. Diese geistige Hurerei ist ein Grund, warum sie in Gottes Augen verabscheuungswürdig ist (Offenbarung 17:3-5). Außerdem lesen wir in der Bibel klar und deutlich, daß Gott nur die Form der Anbetung gutheißt, die sich ‘von der Welt ohne Flecken bewahrt’ (Jakobus 1:27).
3. LEKTION — Materieller Wohlstand: In gewissen Ländern und zu gewissen Zeiten in der Geschichte waren die Menschen sehr wohlhabend. Viele vertreten die Meinung, ein höherer Lebensstandard bewirke, daß man glücklicher und zufriedener sei. Doch was lehrt die Geschichte? Daß materieller Wohlstand nicht ausreicht, um die Menschen glücklich zu machen. Was ist außer den materiellen Dingen noch erforderlich?
In seinem Buch Aber Gott war da schreibt Ivar Lissner: „Mit einer geradezu erstaunlichen Kraft suchte das eigentümliche Wesen, das wir als Mensch bezeichnen ..., zu allen Zeiten über sich hinaus zu wachsen. Nie waren seine Anstrengungen nur auf das gerichtet, was er gerade zum Leben brauchte. Er suchte, er tastete, er griff über sich hinaus, er strebte zum Unerreichbaren. Dieses merkwürdige, dem Menschen innewohnende Streben, das ist seine Geistigkeit. ... Das eben unterscheidet den Menschen von Anfang an vom Tier, daß er nicht nur schlafen will, sich wärmen und essen ... Aus dem Urgrund der Religionen, aus der Suche nach Gott, sind alle Kulturen der Menschheit entstanden. Ohne Glauben, ohne Religion, ohne Gott ist Kultur nicht denkbar“ (Seite 11, 12).
Vor neunzehnhundert Jahren sagte Jesus Christus: „Glücklich sind die, die sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt sind, da das Königreich der Himmel ihnen gehört“ (Matthäus 5:3). Obwohl materieller Wohlstand gewisse Annehmlichkeiten ermöglicht, lehrt uns aber die Geschichte, daß der Mensch nur wahrhaft glücklich ist, wenn er seine geistigen Bedürfnisse berücksichtigt und befriedigt.
4. LEKTION — Bessere soziale Verhältnisse: Die Welt kann nur besser werden, wenn sich auch die Menschen bessern. Die Geschichte lehrt, daß „der Mensch über den Menschen zu seinem Schaden geherrscht hat“ (Prediger 8:9). Entwicklungen wie die Abschaffung der Sklaverei haben zweifellos zu einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse beigetragen. Indessen muß der Mensch dafür verantwortlich gemacht werden, daß immer noch Millionen in grausamen Kriegen ums Leben kommen. Sollen sich die sozialen Verhältnisse wirklich bessern, müssen die Menschen gelehrt werden, ihren Nächsten zu lieben (Matthäus 22:39). Aus der Bibel geht hervor, daß es tausend Jahre dauern wird, bis die Menschheit unter dem König Jesus Christus und seinen gesalbten Mitregenten die Vollkommenheit erreicht haben wird. Diese Zeit wird nun bald anbrechen. Die Menschen zur Vollkommenheit zu führen wird eine der vielen Aufgaben sein, die das Königreich Gottes erfüllen wird (Offenbarung 20:4-6; 21:1-5).
Ganz gewiß können wir aus der Geschichte vieles lernen. Doch wie steht es mit den erwähnten vier Lektionen? Wie können wir das, was sie lehren, auf uns persönlich anwenden?
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Man könnte glauben, die Politiker hätten die Geschichtsbücher nur gelesen, um daraus zu lernen, auf welche Weise man die gleichen Miseren erneut herbeiführt.