Er fängt Haie im Schlaf
Ein Bericht, wie er dem „Awake!“-Korrespondenten auf den Leeward-Inseln erzählt wurde
„HAIE!“ Bei diesem Warnruf begibt sich im allgemeinen auch der Mutigste schnell in Sicherheit. Für uns westindische Fischer jedoch kann ein solcher Ruf Fleisch auf dem Tisch und einen beträchtlichen Verdienst bedeuten.
Eines dieser menschenfressenden Geschöpfe zu fangen ist jedoch keine leichte Aufgabe. Und nachdem ich meinen Lebensunterhalt 32 Jahre lang als Fischer verdient habe, bin ich überzeugt, daß meine „Schlafmethode“, wie ich sie nenne, der sicherste Weg ist. Mit dieser Methode kann man den Hai im Schlaf fangen. Gestatte, daß ich dies näher erkläre.
Vor einigen Jahren begann ich, mit Reusen zu fischen, die aus einem mit Maschendraht überzogenen Holzrahmen bestanden. Diese Reusen sind sechseckig und haben als Öffnung zwei sich nach innen verengende Trichter, durch die Fische und andere Meerestiere eindringen und so gefangen werden. Sie haben gewöhnlich einen Durchmesser von einem Meter und werden an einem schweren Stein verankert. Ich lege sie etwa drei Kilometer von meiner Heimatinsel Anguilla (im Karibischen Meer) entfernt aus.
Ich hatte jedoch ständig Probleme mit großen Haien. Sie rammten meine Reusen und zerstörten sie; dann taten sie sich an den freigelassenen Fischen gütlich. Kleinere Haie drangen manchmal sogar in die Reusen ein und verzehrten ihren Inhalt.
Nachdem ich eines Nachts stundenlang frustriert gewartet hatte, um einen dieser Diebe mit einem Köder an der Leine zu fangen, kam mir ein Gedanke: Warum dem Hai nicht eine Falle stellen und ihn mit Leichtigkeit fangen, während ich zu Hause friedlich schlafen würde?
Ich arbeitete einen Plan aus, aber mein Partner war skeptisch. Er kannte die recht wilde Natur des Haies unter normalen Umständen und meinte, wir seien weit besser daran, wenn wir wegen des Verlustes von ein paar Fischen nicht Kopf und Kragen riskieren würden. Ich aber war sicher, daß es längst nicht so gefährlich sein würde, wie er dachte, und suchte mir zusammen, was ich brauchte, um meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Eine einfache, aber wirkungsvolle Falle
Die Falle selbst war sehr einfach. Ich nahm ein sechs Meter langes, fünf Millimeter dickes Stahlseil und befestigte es an einem 20 Kilo schweren Stein. Das andere Ende machte ich an einem großen Stück Holz fest, das als Boje dienen sollte. Am anderen Ende dieser Holzboje befestigte ich ein zweites Stahlseil von der gleichen Länge. Am Ende war ein großer Fischhaken angebracht, an dem ein Fisch als Köder hing. Ich ließ den Stein in der Nähe meiner Reusen auf den Meeresboden sinken (4 Meter unter der Oberfläche), und die Boje trieb auf dem Wasser. Dann ruderte ich langsam an Land, zuversichtlicher denn je zuvor, daß ich einen großen Fang machen würde, wenn wieder ein Hai in die Nähe meiner Reusen käme.
Am nächsten Morgen fuhren mein Partner und ich wie gewöhnlich aufs Meer hinaus. Etwa 500 Meter von der Boje entfernt, bemerkte ich gleich, daß ein Ende aus dem Wasser ragte und das andere untergetaucht war. Zu unserer großen Freude hing die Hälfte eines 1,50 Meter langen Haies am Haken. Ein größerer Hai hatte die andere Hälfte gefressen. Seit ich meine Methode anwende, habe ich über 500 Haie gefangen, z. B. Zitronenhaie, Schwarzspitzenhaie, Tigerhaie, Braunhaie, Ammenhaie und Königsfischer. Sie waren alle 1 bis 3 Meter lang.
Jemand könnte denken, es sei für einen Hai eine Quälerei, längere Zeit an einer Leine zu hängen, die an einem großen Stein befestigt ist. Das ist jedoch nicht unbedingt der Fall, denn ein Experte schrieb: „Das kleine Gehirn und das unterentwickelte Nervensystem schützen den Hai vor Schmerz und Furcht. Daher ist es für den Menschen äußerst schwierig, eine wirkungsvolle Vorrichtung zur Abwehr von Haien herzustellen.“
Es wäre jedoch falsch zu denken, es sei etwas Leichtes, einen geköderten Hai an Land zu bringen, wenn er noch lebt. Das ist ganz bestimmt keine leichte Arbeit.
Nichts für Zaghafte
Gestatte mir nun, von zwei meiner schwierigsten Begegnungen mit 3-Meter-Haien zu erzählen. Die erste hatte ich mit einem großen Schwarzspitzenhai, der an einem schwarzen Fleck an den Flossenspitzen erkannt werden kann. Als ich zu der Boje kam, die sich in der Nähe meiner Fischreusen befand, bemerkte ich, daß eines dieser großen Geschöpfe an meinen Spezialhaken gegangen war. Mein Partner meinte, wir sollten den Hai nicht anrühren, da er für unser kleines 3-Meter-Boot zu groß erschien. Doch als ich ihn durch eine Tauchermaske beobachtete, konnte ich sehen, daß er sehr ermüdet war und am Grund auf dem Rücken trieb.
Mein Freund protestierte zwar, aber ich war sicher, daß wir den Hai fangen könnten, wenn es uns gelänge, ihn in dieser Stellung (mit dem Bauch nach oben) an die Oberfläche zu ziehen. Mit Hilfe eines langen Greifhakens zog ich ihn sachte nach oben. Glücklicherweise machte er keine Anstrengungen zu kämpfen. Bald hatten wir ihn längsseits. Nun schnell die Eingeweide heraus! Jetzt lagen seine zwei Schichten Leber frei. Diese brachten genügend Auftrieb, so daß der Kadaver an der Oberfläche blieb, während wir ihn an den Strand ruderten.
Wie ich einen Königsfischer an Land brachte
Ein Beispiel für die Gefahren, die mit dem Haifischfang verbunden sind, ist mein Erlebnis mit einem 3 Meter langen Königsfischer, den ich vor ein paar Jahren fing. Als ich an die Stelle kam, wo dieser menschenfressende Hai in die Falle gegangen war, vergewisserte ich mich vorsichtig, ob er richtig am Haken hing. Nun sah ich, wie groß er war, und fragte mich, ob ich in meinem kleinen Boot wohl allein mit ihm fertig würde. Doch der Gedanke daran, daß ein Hai von dieser Größe mir fast zwei Monatslöhne einbringen würde (700 Dollar in unserer Währung oder 269 US-Dollar), verlieh mir Mut. Nachdem ich die Situation nochmals überprüft hatte, beschloß ich, das Seil, an dem der Hai hing, von der Boje abzuhängen und den Fisch dann an Land zu ziehen.
Nun begann die harte Arbeit. Mit dem Monstrum im Schlepptau stemmte ich meine ganzen 92 Kilogramm in die Riemen und machte mich auf den Weg nach der nächsten Bucht, die etwa 500 Meter entfernt war. Zuerst hatte ich wenig Schwierigkeiten. Der Hai folgte wie ein Lamm. Doch etwa 100 Meter vom Strand entfernt, begann der Bursche heftigen Widerstand zu leisten. Er riß das kleine Boot hin und her und peitschte mächtig das Wasser auf. Je heftiger der Hai zog, desto verzweifelter riß ich die Ruder.
Als ich nur noch 4 Meter vom Strand entfernt war, sprang ich in die Brandung, die mir bis zur Hüfte ging, und hielt natürlich immer noch das Seil, an dem der Hai hing. Ich schlang es um Hüfte und Arme und ging langsam zurück, bis ich den Hai etwa einen halben Meter aus dem Wasser gezogen hatte. Dann zog ich das Boot aufs Land, machte das Seil daran fest und begab mich nun eiligst auf die Suche nach etwas, womit ich den riesigen Fisch töten konnte. Es war jedoch nichts zu sehen. Nachdem ich etwa 400 Meter gelaufen war, entdeckte ich schließlich ein großes Stück Treibholz. Zu meinem Entsetzen zerfiel es beim ersten Schlag, was zur Folge hatte, daß der Riese anfing zu toben.
Verzweifelt rannte ich wieder los, um eine Waffe zu finden, diesmal mindestens 600 Meter weit. Ich kehrte mit einer soliden Holzkeule zurück, und irgendwie gelang es mir, den Königsfischer zu besiegen. Erschöpft versuchte ich nun, diesen 300 Kilo schweren Riesen ins Boot zu rollen, damit ich ihn an einen Ort transportieren könnte, wo ich Hilfe finden würde. Aber er rührte sich nicht. Als ich keinen anderen Ausweg mehr sah, stieß ich ihn wieder ins Wasser und zog ihn mit meinem Boot über einen Kilometer weit an eine Stelle, wo ich Hilfe fand.
Wirklich nützlich
Alle Teile dieses gefährlichen Meerestieres sind eßbar, mit Ausnahme seiner rasiermesserscharfen Zähne. Auf den Inseln verbreitet sich schnell die Nachricht vom Fang eines Haies, und die Hausfrauen kommen direkt ans Boot, um Portionen für ihre Mahlzeiten zu kaufen. Haifischfleisch kann man für ein Eintopfgericht, zum Schmoren und als Steaks verwenden. Vielleicht ist eine Haifischflossensuppe mehr nach deinem Geschmack.
Es mag dich überraschen, zu erfahren, daß die Leber einiger Haie fast 10 Prozent des Gesamtgewichts ausmacht. Ich habe Haifischlebern gesehen, die 1,50 Meter lang und fast 1 Meter breit waren. Man hängt sie in die Sonne, damit ihr kostbares, vitaminreiches Öl heraustropft. Es dauert etwa zwei Wochen, alles Öl herauszuziehen. Wenn man sie auskocht, geht es allerdings viel schneller. Einige Fischer ziehen es vor, dies an einem abgelegenen Ort zu tun, da der Gestank widerlich ist. Im Durchschnitt gibt eine Haifischleber dieser Größe 30 bis 40 Liter Öl. Die Inselbewohner gebrauchen es als Medizin gegen Kopfgrippe, Epilepsie, Lungenentzündung, Rheumatismus und eine Menge andere Krankheiten.
Bis jetzt bin ich nicht ein einziges Mal von einem Hai gebissen worden. Allerdings habe ich mir einmal beim Schlachten meinen Finger an einem Zahn geschnitten. Die Schmerzen, die diese kleine Wunde verursachte, hielten stundenlang an und überzeugten mich davon, daß der Biß eines Haies den sicheren Tod bedeuten kann.
In letzter Zeit hört man in unserer Gegend nicht mehr oft den Ausruf „HAIE!“ Ich nehme an, daß wir die meisten großen gefangen haben, oder vielleicht hat sich unter den Haien inzwischen meine „Schlafmethode“ herumgesprochen.
[Diagramm auf Seite 18]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
HAIFALLE
BOJE
SEIL MIT HAI VON BOJE WEGNEHMEN
HANF- ODER STAHLSEIL
STAHLSEIL (6 mm)
FISCHREUSE
KÖDER UND HAKEN
STEIN