Die Todesverkäufer und ihre Kundschaft
„Der Junge, der raucht, kennt all die Warnungen, daß es einen umbringt, nur zu gut. Und ich glaube, die Warnungen sind berechtigt; es bringt einen um. Ich denke, jeder, der so dumm ist, Rauch in seinen Bauch zu saugen, muß dafür büßen. In meinem ganzen Leben habe ich keine einzige Zigarette geraucht. Ich habe mit Tabak mein Glück gemacht. ... Wir haben unser Land nur dadurch aufgebaut, daß wir den restlichen Dummköpfen der Welt Tabak verkaufen“ (James Sharp, langjähriger Tabakpflanzer in Kentucky, in dem Werk „Merchants of Death—The American Tobacco Industry“ [Todesverkäufer — die amerikanische Tabakindustrie] von Larry C. White).
DIESE freimütige Aussage spricht Bände, aber es bleiben einige Fragen. Warum rauchen weltweit mehr als eine Milliarde Menschen? Wieso halten sie an dieser Gewohnheit fest, obwohl sie wissen, daß sie mit ihrem Leben spielen? Mit dem Tabak verhält es sich ähnlich wie mit Drogen: Es gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Gibt es keinen gewinnträchtigen Absatzmarkt, versiegt das Angebot. Doch warum wird geraucht?
„Sucht“ ist hier das Schlüsselwort. Hat das Nikotin erst im Körper Fuß gefaßt, verlangt dieser täglich nach seinem Quantum. Mit der Sucht geht die Gewohnheit einher. Bestimmte Situationen mögen gewohnheitsmäßig das Verlangen nach einer Zigarette auslösen. Das kann gleich nach dem Aufstehen sein, bei der ersten Tasse Kaffee, nach dem Essen, bei Streß oder in Pausen am Arbeitsplatz oder bei der Entspannung. Als Auslöser kommen Dutzende scheinbar harmlose Gewohnheiten in Frage.
Warum sie rauchten
Erwachet! befragte einige ehemalige Raucher, um die Beweggründe für das Rauchen zu beleuchten. Ray beispielsweise — jetzt Mitte 50 — war Bootsmann bei der Marine. Er erklärte: „Mit etwa 9 Jahren rauchte ich das erste Mal, und mit 12 fing ich richtig an. Ich kann mich erinnern, daß ich deswegen bei den Pfadfindern rausgeworfen wurde.“
Erwachet!: „Was machte das Rauchen interessant?“
Ray: „Es ‚gehörte sich‘ für einen ‚richtigen Kerl‘. Es zeugte von ‚Männlichkeit‘. Ich erinnere mich an Werbung aus dieser Zeit mit rauchenden Feuerwehrleuten und Polizisten. Später dann, bei der Marine, war ich der Meinung, das Rauchen würde mir bei meiner aufreibenden Arbeit in der Navigation helfen.
Ich rauchte etwa eineinhalb Päckchen [30 Zigaretten] am Tag und hätte keinen Tag ohne Zigarette begonnen. Natürlich rauchte ich Lunge. Rauchen ohne Lungenzüge ist witzlos.“
Bill, ein Künstler aus New York, ebenfalls in den Fünfzigern, berichtete ähnliches:
„Ich begann als 13jähriger. Ich wollte wie die Erwachsenen sein. Als mich das Rauchen erst einmal in den Klauen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. Die Zigarette war wie ein Freund. Das ging so weit, daß ich mich wieder anzog und ungeachtet des Wetters eine Packung für den nächsten Tag kaufen ging, wenn ich beim Schlafengehen bemerkte, daß ich keine Zigaretten mehr hatte. Täglich rauchte ich ein bis zwei Packungen. Ich war zugegebenermaßen süchtig. Auch trank ich viel. Beides schien zusammenzugehören, besonders in den Bars, in denen ich eine Menge Zeit verbrachte.“
Amy, jung und kontaktfreudig, fing mit 12 Jahren an. „Zuerst war es der Gruppenzwang. Dann, als ich 15 war, starb mein Vater, und die seelische Belastung förderte das Rauchen. Doch später hat mich hauptsächlich die Werbung beeinflußt, vor allem eine Anzeige, in der es hieß: ‚Der Weg war weit, Liebes.‘ Ich war ein Karrieretyp und machte eine Ausbildung als OP-Schwester. Bald rauchte ich drei Packungen am Tag. Besonders gern rauchte ich nach dem Essen und am Telefon, und ich telefonierte oft.“ Bemerkte sie irgendwelche Auswirkungen? „Morgens hustete ich und hatte Kopfschmerzen. Ich war auch nicht mehr gut in Form. Schon die Treppen zu meiner Wohnung brachten mich außer Atem. Dabei war ich erst 19!“
Harley, ehemaliger Marineflieger aus Aberdeen (Süddakota, Vereinigte Staaten), der jetzt in den Sechzigern ist, begann mit dem Rauchen während der Weltwirtschaftskrise im Alter von 5 Jahren. Warum? „Alle Kinder in meiner Heimatstadt rauchten. Wer rauchte, war ‚hart‘.“
Er erklärte freimütig: „Es war wirklich ein Genuß für mich. Ich inhalierte tief, hielt den Rauch in der Lunge und blies gern Rauchringe in die Luft. Es ging so weit, daß ich nicht mehr ohne meine Zigarette auskam. Der Tag begann und endete mit einer Zigarette. Bei der Marine rauchte ich zwei bis drei Packungen am Tag und jeden Monat ein Kistchen Zigarren.“
Bill, Ray, Amy und Harley haben das Rauchen aufgegeben wie Millionen andere — allein in den Vereinigten Staaten über 43 Millionen. Doch die Tabakhändler haben nicht kapituliert. Ihre Suche nach neuen Märkten geht weiter.
Wer gehört zu den Zielgruppen?
In den Industrieländern hören mehr Männer auf zu rauchen, und viele ehemalige Kunden sind gestorben, nicht zuletzt, weil sie geraucht haben. So mußte sich die Tabakindustrie nach neuer Kundschaft umsehen. Teilweise wurde zur Ankurbelung des Verkaufs die Werbestrategie geändert. Man sponsert Sportereignisse wie Tennis- und Golfturniere und versucht so erfolgreich, dem Rauchen ein sauberes Image zu verleihen. Auch was die Zielgruppen betrifft, wurde die Strategie geändert. Gehört man vielleicht selbst zu einer dieser Gruppen?
Zielgruppe Nummer eins: Frauen. Seit Jahrzehnten raucht eine kleine Minderheit der Frauen, ermutigt und unterstützt durch das Beispiel von Filmschauspielerinnen wie z. B. Gloria Swanson, die schon 1917 im Alter von 18 Jahren rauchte. Als Begründung für ihre Verpflichtung zu einer ihrer ersten Rollen erklärte ihr der Direktor: „Ihr Haar, Ihr Gesicht, die Art, wie Sie sitzen, wie Sie eine Zigarette halten ... Sie sind genau die, die ich suche.“
Ein leuchtendes „Vorbild“ der 40er Jahre war Lauren Bacall, die zusammen mit ihrem Mann, Humphrey Bogart, einem starken Raucher, in einigen Filmen zu sehen war. Doch der „weibliche“ Absatzmarkt hinkte immer weit hinter dem „männlichen“ her — wie auch die Zahl der Krebsfälle. Jetzt holen die Frauen jedoch rasant auf — beim Rauchen und beim Lungenkrebs.
In den letzten Jahren hat sich die Werbung in eine neue Richtung entwickelt, teilweise bedingt durch das sich ändernde Rollenverständnis vieler Frauen und den heimtückischen Einfluß der Tabakwerbung. Welche Botschaft wird den Frauen übermittelt? Von der Firma Philip Morris wird neben vielen anderen Marken „Virginia Slims“ hergestellt, eine Marke, die auf die moderne Frau abzielt. Die Anzeige für diese Zigarette ist die, die auch Amy angezogen hatte: „Der Weg war weit, Liebes.“ Die Anzeige zeigt eine mondäne Frau mit einer Zigarette zwischen den Fingern. Aber viele Frauen müssen sich fragen, wohin sie der Weg geführt hat. Innerhalb der letzten zwei Jahre hat der Lungenkrebs den Brustkrebs als Todesursache bei Frauen überflügelt.
Ein andere Marke lockt die Frauen mit Sonderangeboten: „5 gratis pro Packung!“ Oder: „50 gratis je Stange!“ Einige Frauenzeitschriften enthalten sogar Gutscheine für Gratispackungen.
Ein anderes einfaches Werbemittel ist die Erotik. Die Einladung einer Marke lautet: „Entdecke mehr Genuß.“ Dazu gehört eine Suchanzeige mit dem Wortlaut: „GESUCHT! Großer, schlanker Fremder für dauerhafte Beziehung. Gutes Aussehen und großartiger Geschmack Voraussetzung. Voller Sehnsucht nach brennendem Rauchabenteuer.“ Die Zigarette präsentiert sich schlank und in dunkler Verpackung. Warum wohl?
Auch die Mode wird als Angelhaken gebraucht. Eine Marke wird als „Hymne auf Stil und Geschmack von YVES SAINT LAURENT“ gepriesen. Ein weiterer Köder liegt für Gewichtsbewußte bereit: Eine Anzeige bringt zum Bild eines schlanken Fotomodells die Beschreibung: „Ultra Lights — Der leichteste Stil“.
Warum haben es die Zigarettenproduzenten auf die Frauen abgesehen? Einen Anhaltspunkt liefert die Schätzung der Weltgesundheitsorganisation, daß „in den Entwicklungsländern mehr als 50 Prozent der Männer, aber nur 5 Prozent der Frauen rauchen, während es in den Industrieländern bei beiden Geschlechtern etwa 30 Prozent sind“. So tut sich der Tabakindustrie ein großer unerschlossener Markt auf, aus dem sie ungeachtet der möglichen gesundheitlichen Folgen Gewinn zu schlagen versucht. Und sie hat Erfolg. Gemäß der New York Times wird in einem Report des amerikanischen Gesundheitsdienstes vom Januar 1989 erklärt, daß „Kinder, insbesondere Mädchen, immer früher anfangen zu rauchen“. Das schließt sogar Grundschüler ein. Wie aus einer anderen Quelle hervorgeht, ist die Zahl der jugendlichen Raucherinnen in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren um 40 Prozent gestiegen. Doch Frauen sind nicht das einzige Ziel der Verkäufer von Krankheit und Tod.
Rassen als Zielgruppe
In seinem Buch Merchants of Death—The American Tobacco Industry führt Larry C. White aus: „Die Schwarzen sind für die Zigarettenmacher gute Abnehmer. Das Bundesamt für Gesundheitsstatistik meldete, daß 1986 [in den Vereinigten Staaten] mehr Schwarze als Weiße rauchten ... Das überrascht nicht, denn sie sind das spezielle Ziel der Zigarettenwerbung.“ Wieso? Gemäß dem Wall Street Journal hat sich bei ihnen „das ‚Nichtrauchen‘ noch längst nicht so durchgesetzt wie bei den anderen“. Daher ist ein schwarzer Kunde oft ein treuer Kunde, „bis daß der Tod sie scheidet“.
Wie richtet sich die Tabakindustrie an die schwarze Bevölkerung? White erklärt: „In Zeitschriften wie Ebony, Jet und Essence, die sich speziell an Schwarze wenden, wird im großen Stil für Zigaretten geworben. 1985 gaben die Zigarettenhersteller allein für die Werbung in Ebony 3,3 Millionen Dollar aus.“ Ein Hersteller veranstaltet jährlich eine Modenschau, die auf schwarze Frauen abzielt und bei der Gratiszigaretten verteilt werden. Ein anderer hat eine Zeitlang regelmäßig ein Jazzfestival gesponsert und unterstützt immer noch Musikfestivals, die bei Schwarzen beliebt sind. Welchen Stellenwert hat die schwarze Bevölkerung als Zielgruppe? Ein Sprecher von Philip Morris erklärte: „Das Geschäft mit den Schwarzen ist sehr wichtig und wirklich gewaltig.“
Aber es gibt einen noch wichtigeren Markt für die Tabakriesen — nicht Rassen oder Gruppen, sondern ganze Nationen.
[Herausgestellter Text auf Seite 7]
„Die Zigarette war wie ein Freund“
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RAUCHEN und das Raucherbein
Ein Fall in Kanada, über den kürzlich das Magazin Maclean’s berichtete, wirft Licht auf eine weitere „Raucherkrankheit“. Roger Perron begann mit 13 Jahren zu rauchen. Mit 27 litt er an der Winiwarter-Buerger-Krankheit, besser bekannt als Raucherbein. Ihm mußte ein Bein unterhalb des Knies abgenommen werden. Man warnte ihn vor weiteren Komplikationen, sofern er weiterrauche. In Maclean’s hieß es: „Doch Perron schlug die Warnung in den Wind, und 1983 mußte man ihm das andere Bein amputieren. Danach hörte er endlich auf.“ Jetzt verklagt er eine Tabakfirma auf Schadenersatz.
Was ist das für eine Krankheit? Sie „betrifft meist Männer, die rauchen. Kennzeichnend ist eine Entzündung der Arterien, Venen und Nerven. Weiße Blutkörperchen dringen in die Blutgefäßwände ein, so daß sich diese verdicken. Als erstes Symptom verfärbt sich gewöhnlich ein Zeh oder ein Finger bläulich, und man verspürt darin ein Kältegefühl. Da die Nerven ebenfalls entzündet sind, können die feinen Blutgefäße, die von ihnen kontrolliert werden, zusammengezogen werden, und es kann zu starken Schmerzen kommen. Zufolge der Überaktivität des sympathischen Nervensystems mag der Patient übermäßig an den Füßen schwitzen, obwohl sie sich kalt anfühlen. ... Oft kommt es im fortgeschrittenen Stadium zu Gangrän und Geschwüren zufolge mangelnder Durchblutung.
Die Ursache der Krankheit ist zwar unbekannt, doch da sie meist bei jungen Männern, die rauchen, auftritt, nimmt man an, daß irgend etwas in der Zigarette sie auslöst. Die vordringlichste Maßnahme ist das Einstellen des Rauchens“ (Kursivschrift von uns; The Columbia University College of Physicians and Surgeons Complete Home Medical Guide).
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RAUCHEN und Herzinfarkte
„Die meisten Leute sind sich zwar des Zusammenhangs zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkrebs und anderen Atemwegserkrankungen bewußt, aber viele wissen nicht, daß Rauchen auch ein Hauptrisikofaktor für Herzinfarkte ist. Ja, in dem ... Report des amerikanischen Gesundheitsdienstes geht man davon aus, daß in den Vereinigten Staaten jährlich 225 000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, die direkt auf das Rauchen zurückzuführen sind — das sind weit mehr Opfer, als dem Rauchen zugeschriebene Krebs- und Atemwegserkrankungen fordern.
Raucher fragen oft, ob kondensat- und nikotinarme Zigaretten das Risiko für Herz und Kreislauf senken. Das scheint nicht der Fall zu sein. Tatsächlich wird bei einigen Filterzigaretten im Vergleich zu denen ohne Filter mehr Kohlenmonoxyd eingeatmet, weshalb sie für das Herz noch schädlicher sind“ (Kursivschrift von uns; The Columbia University College of Physicians and Surgeons Complete Home Medical Guide).
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Die Zigarettenwerbung richtet sich an Frauen und gewinnt dabei