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Seite 2Erwachet! 1989 | 8. April
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Holocaust — ein Wort, das Erinnerungen an den systematischen Mord weckt, den das Hitlerregime im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 an Millionen von Juden begangen hat. Doch es tauchen auch Fragen auf:
Gab es den Holocaust wirklich?
Ist er als eine rein jüdische Tragödie zu bewerten?
Warum dieses Thema 40 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges noch einmal aufrollen?
Gab es Menschen, die aus Gewissensgründen die Politik Hitlers ablehnten?
Warum ließ Gott den Holocaust zu?
Welche Hoffnung gibt es für die Millionen, die in dieser dunklen Zeit ermordet wurden oder durch Hunger oder Zwangsarbeit umkamen? Ist ihr Tod endgültig, oder werden sie wieder leben?
Diese Fragen werden in der folgenden Artikelserie beantwortet.
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Der Holocaust — Warum sich damit befassen?Erwachet! 1989 | 8. April
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Der Holocaust — Warum sich damit befassen?
„GAB es den Holocaust wirklich? Spielt das eine Rolle? Warum sollte ich mich damit befassen?“ — Fragen, die sich viele stellen mögen.
Die Menschheit sollte sich mit diesem Thema befassen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Primo Levi, KZ-Überlebender, bezweifelt, daß die für die Konzentrationslager verantwortliche Gesinnung wirklich tot ist. Er fragt: „Wieviel ist davon übriggeblieben oder kommt wieder? Was kann jeder von uns in einer Welt voller Bedrohungen tun, um zumindest diese Bedrohung auszuschalten?“
Levi spricht für viele, die sich fragen, ob sich so etwas Schreckliches wiederholen kann. Was antwortet die jüngste Vergangenheit? Wie die Geschichte der Greueltaten, Völkermorde, Folterungen, Todesschwadronen, der „verschwundenen“ und „liquidierten“ Menschen in den verschiedensten Ländern seit 1945 beweist, ist die Gesinnung, mit der KZs gerechtfertigt wurden, noch immer lebendig und aktiv.
Den Überlebenden — Kindern, anderen Verwandten sowie Freunden der Toten — bedeutet die historische Wirklichkeit viel. Geschichte beruht auf tatsächlichen Begebenheiten und Personen. Spielt es eine Rolle, ob Jesus eine Sagengestalt war? Oder ob Napoleon oder Muhammad, der Prophet des Islam, erfunden ist oder wirklich gelebt hat? Zweifellos. Diese Männer haben den Lauf der Geschichte verändert.
So war der Holocaust vielleicht der vernichtendste Schlag, der dem Selbstbewußtsein der Zivilisation je versetzt wurde. Levi drückt es so aus: „Noch nie wurden so viele Menschenleben in so kurzer Zeit ausgelöscht und noch nie mit einer solchen Kombination von technischem Einfallsreichtum, Fanatismus und Grausamkeit.“
Doch es gibt einige, die diese Geschehnisse in Frage stellen, die bezweifeln, daß der Holocaust eine historische Tatsache ist.
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Der Holocaust — Es gab ihn wirklich!Erwachet! 1989 | 8. April
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Der Holocaust — Es gab ihn wirklich!
EINE Minderheit behauptet überraschenderweise, der Holocaust, so wie ihn die moderne Geschichtsschreibung zeichne, habe nicht stattgefunden. In seiner Veröffentlichung Did Six Million Really Die? The Truth at Last (Kamen wirklich sechs Millionen um? Endlich die Wahrheit) schreibt Richard Harwood: „Die Behauptung, sechs Millionen Juden seien während des 2. Weltkrieges unmittelbar zufolge offizieller deutscher Ausrottungspolitik umgekommen, entbehrt jeglicher Grundlage.“
Man fragt sich daher: Ordneten die Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg die Ausrottung der Juden an? Kamen wirklich vier bis sechs Millionen Juden in den KZs um? Gab es Gaskammern und ähnliches? Oder ist das alles nur eine Entstellung der deutschen Geschichte?
Gewisse Geschichtsrevisionisten leugnen diese Ereignisse. Sie sagen, daß höchstens wenige tausend Juden umkamen, wohingegen die meisten in andere Länder evakuiert wurden.
Ein Prozeß in Kanada rückte diese Kontroverse kürzlich ins Rampenlicht. Ein deutscher Immigrant war, wie die Zeitung The Globe and Mail (Toronto) berichtet, angeklagt, „wissentlich Unwahrheiten verbreitet zu haben, die für die Toleranz zwischen den sozialen Schichten und zwischen den Rassen schädlich sein dürften“. Er hatte behauptet, der Holocaust hätte nie stattgefunden. Das Gericht verurteilte ihn zu 15 Monaten Haft, und die Publikation, in der er seine Ansichten über den Holocaust äußerte, wurde verboten.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde 1985 der Beleidigungsparagraph dahin gehend abgeändert, daß auch ein Nichtjude jemanden anzeigen kann, der „Tote, die ihr ‚Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren haben‘, beleidigt, verleumdet oder verunglimpft“. „Damit ist ... das Leugnen der Ermordung von Juden in Konzentrationslagern während der Nazi-Diktatur ... ohne Antrag als Offizialdelikt zwangsläufig unter Strafe gestellt“, hieß es im Hamburger Abendblatt.
Das Leugnen des Holocaust wird als „Auschwitz-Lüge“ bezeichnet. Bei Auschwitz (dem heutigen Oświęcim) in Polen befand sich das berüchtigte KZ — Stätte des nationalsozialistischen Massenmordes. Rechtsextremisten haben versucht, die Geschehnisse dort zu verschleiern oder zu leugnen; daher der Begriff „Auschwitz-Lüge“.
Auswanderung oder Ausrottung?
Wie die Existenz der Millionen Juden europäischer Herkunft beweist, konnten die Nationalsozialisten das europäische Judentum nicht ausrotten. Daß viele Juden der geplanten Vernichtung in den KZs entgingen, bestätigt der Historiker William L. Shirer in seinem Buch Das Jahrzehnt des Unheils: „Nicht alle österreichischen Juden kamen in den Lagern und Gefängnissen der Nazis um. Vielen ‚gestattete‘ man, sich freizukaufen und ins Ausland zu gehen. Gewöhnlich kostete es sie das ganze Vermögen. ... Knapp der Hälfte von Wiens etwa 200 000 Juden mag es gelungen sein, sich ihre Freiheit zu erkaufen, bevor die Massenvernichtungen begannen.“ Diese Politik verfolgte man besonders in den 30er Jahren.
Wie Shirer jedoch erklärt, wurde aus dem unter Reinhard Heydrich eingerichteten Amt für Jüdische Auswanderung später „eine Organisation zur Vernichtung der Juden, die die systematische Auslöschung von fast sechs Millionen Juden betrieb“. Diese „Endlösung“ wurde von Karl Adolf Eichmann geleitet, den man später in Israel wegen seiner Kriegsverbrechen hinrichtete.
Die KZs waren nicht die einzigen Mittel zur Vernichtung der „Untermenschen“ und der „minderwertigen Rassen“. Es gab auch die gefürchteten Einsatzgruppen — Vernichtungskommandos, die hinter den Invasionstruppen operierten „und deren einziges Ziel das unterschiedslose Abschlachten der Juden war. ... Sie bewegten sich dicht hinter der vorstoßenden Front, so daß nur wenige ihrem Netz entkamen. Brutal wurden von ihnen in den ersten sechs Monaten der Aktion fast eine halbe Million Juden erschossen, erstochen, verbrannt, gefoltert, erschlagen oder lebendig begraben“ (Hitler’s Samurai—The Waffen-SS in Action von Bruce Quarrie).
Erscheint diese Zahl unglaublich? Sie würde besagen, daß jeder der 3 000 Angehörigen der Gruppen durchschnittlich nicht einmal einen Mord am Tag verübt hat. Dann erreichten die Einsatzgruppen sowjetischen Boden. In dem Buch Die Vernichtung der europäischen Juden von Raul Hilberg heißt es: „[Die] unvollständigen Zahlen ergeben rund 900 000 getötete Juden. ... Wenn wir eine geschätzte Zahl für die Lücken in unseren Quellen hinzurechnen, so erhöht sich die Gesamtzahl ... auf 1 400 000.“
Eingeständnis eines Kommandanten
Welches Zeugnis geben Personen, die selbst an den Exekutionen in den KZs beteiligt waren? Der ehemalige Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, klagte: „Sie können mir glauben, es war nicht immer ein Vergnügen, diese Berge von Leichen zu sehen und das fortwährende Verbrennen zu riechen.“ Er äußerte auch verwundert seine Mißbilligung darüber, „daß jüdische Sonderkommandos sich für den Lohn einer kurzen Lebensfrist dazu hergaben, bei der Vergasung ihrer Rassegenossen behilflich zu sein“ (Das Gesicht des Dritten Reiches von Joachim C. Fest, Seite 384, 385). Joachim Fest fügt hinzu: „Es kommt noch etwas vom einseitig-perfektionistischen Stolz des Fachmannes zum Vorschein, wenn Höß betont: ‚Nach dem Willen des RFSS [Reichsführer SS, Heinrich Himmler] wurde Auschwitz zur größten Menschen-Vernichtungs-Anlage aller Zeiten‘, oder wenn er mit der Befriedigung des erfolgreichen Planungsbeamten darauf hinweist, daß die Gaskammern des eigenen Lagers ein zehnmal so großes Fassungsvermögen wie diejenigen von Treblinka besaßen.“
In seiner Autobiographie schrieb Höß: „Ich war unbewußt ein Rad in der großen Vernichtungsmaschine des Dritten Reiches geworden.“ „Der RFSS schickte verschiedentlich höhere Partei- und SS-Führer nach Auschwitz, damit sie sich die Vernichtung der Juden ansähen. Alle waren davon tief beeindruckt.“a
Aber offensichtlich ging ihnen der Unterschied zwischen dem Begriff „Endlösung der Judenfrage“ und der grausigen Realität der Gaskammern doch nahe. Die Frage tauchte auf, wie Höß das aushalten könne. Er schrieb: „Ich antwortete stets darauf, daß eben alle menschlichen Regungen zu schweigen hätten vor der eisernen Konsequenz, mit der wir den Befehl des Führers durchzuführen hätten.“
Höß, die sadistische Marionette, gab also offen zu, daß der Holocaust eine Realität war und daß er als Lagerkommandant von Auschwitz mit zu den Tätern gehörte.
Catherine Leach, die das Buch Values and Violence in Auschwitz aus dem Polnischen ins Englische übertragen hat, schreibt, daß 3 200 000 polnische Juden ihr Leben durch Massenhinrichtungen, Folterung und Zwangsarbeit in den KZs verloren haben. Sie sagt: „Der Holocaust der europäischen Juden fand auf polnischem Gebiet statt.“
Tod durch Ertränken
Der Tod in den Lagern hatte viele Gesichter — Hunger, Krankheit, Genickschuß, Gaskammer, Erschlagen, Hängen, Fallbeil sowie das Ertränken, eine besondere „Raffinesse“.
Der Schriftsteller Terrence Des Pres erklärt: „Tatsache ist, daß die Gefangenen planmäßig dem Dreck ausgesetzt wurden. Man attackierte sie vorsätzlich mit Exkrementen. ... In den NS-Lagern wurden Gefangene tatsächlich in ihren eigenen Ausscheidungen ertränkt, ja der Tod durch Exkremente war an der Tagesordnung. In Buchenwald beispielsweise waren die Latrinen offene, vier Meter tiefe Gruben mit einer Fläche von acht mal vier Metern. ... Diese immer überfließenden Gruben wurden nachts von Häftlingen geleert, denen für diese Arbeit nichts als kleine Eimer zur Verfügung standen.“ Ein Augenzeuge berichtet: „Der Ort war glitschig und unbeleuchtet. Jede Nacht fielen von 30 zugeteilten Männern etwa 10 in die Grube. Den anderen war es untersagt, sie herauszuholen. Nachdem die Arbeit getan und die Grube geleert worden war, dann und erst dann wurde ihnen erlaubt, die Leichen zu entfernen.“
Es könnten noch viele Zeugenaussagen zitiert werden, die beweisen, daß Ausrottung zu einem Bestandteil der NS-Politik wurde, je mehr europäische Länder besetzt waren. Die Bibliographie über dieses Thema ist endlos; das Zeugnis der Augenzeugen zusammen mit den fotografischen Belegen ist überwältigend. Doch betraf der Holocaust ausschließlich Juden? Wollten die Nationalsozialisten, als sie Polen besetzten, nur die Juden liquidieren?
[Fußnote]
a Rudolf Höß, der äußerst gewissenhafte Lagerorganisator und blind gehorchende Bürokrat, wurde im April 1947 in Auschwitz gehängt.
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
„Hätte man die Häftlinge [die in die Arbeitslager geschickt wurden] in Auschwitz gleich in die Gaskammern gebracht, so wäre ihnen viele Qual erspart geblieben“ (Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz)
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
„Sie können mir glauben, es war nicht immer ein Vergnügen, diese Berge von Leichen zu sehen und das fortwährende Verbrennen zu riechen“ (Rudolf Höß)
[Herausgestellter Text auf Seite 8]
„Jetzt sind immer mehr Menschen gekommen, immer mehr Menschen, die nicht getötet werden konnten. ... Die Gaskammern haben zu wenig Kapazität gehabt“ (Franz Suchomel, SS-Unterscharführer).
[Kasten auf Seite 6]
Belohnung für Beweis
„Einem Überlebenden von Auschwitz müssen aufgrund einer Gerichtsentscheidung 50 000 Dollar gezahlt werden, wie dessen Anwältin heute erklärte. Diese Summe war vom Institute for Historical Review für den Beweis ausgesetzt worden, daß die Nazis in KZs jüdische Opfer vergast haben.
Richter Robert Wenke vom Berufungsgericht [von Los Angeles] bestätigte die Entscheidung, die das Institut zur Zahlung an den Auschwitz-Überlebenden Mel Mermelstein verurteilte. ...
Das Institut, das behauptet, der Holocaust habe nie stattgefunden, muß Herrn Mermelstein außerdem 100 000 Dollar Schmerzensgeld zahlen, weil ihm, wie die Anwältin darlegte, durch das Angebot Leid und Schmerz zugefügt worden seien. ...
‚Herrn Mermelsteins Sieg in diesem Prozeß wird [wie seine Anwältin Gloria Allred sagte] in der ganzen Welt all denen, die versuchen, die Geschichte zu fälschen und den Juden Leid und Schmerz zuzufügen, ein unmißverständliches Zeichen sein: Die Überlebenden des Holocaust werden auf dem Rechtsweg dagegen ankämpfen — zu ihrem eigenen Schutz und um die Wahrheit über ihr Leben zu verteidigen‘“ (The New York Times, 25. Juli 1985).
[Kasten auf Seite 7]
Sachsenhausen — Ein „Schutzhaftlager“?
War Sachsenhausen wirklich ein Vernichtungslager? Oder nur ein „Schutzhaftlager“?
Max Liebster, der als jüdisches Opfer den Holocaust überlebte, antwortet:
„Meine Aussage beruht auf meiner persönlichen Erfahrung und auf dem, wovon ich in diesem Lager Zeuge wurde. Ich benötige keine Beurteilung von einem Unbeteiligten, um zu wissen, was Sachsenhausen war. Es stimmt, die Medien und die NS-Regierung behaupteten, es sei ein Schutzhaftlager gewesen. Doch die folgenden Erfahrungen sprechen für sich:
Im Januar 1940, als ich von der Gestapo von Pforzheim nach Karlsruhe ins Gefängnis gebracht wurde, sagte man mir, ich sei auf dem Weg in ein Vernichtungslager. Die Gestapo-Leute schleuderten mir Beleidigungen ins Gesicht wie: ‚Du Stinkjude wirst dort verrecken, kommst nicht mehr zurück!‘
Die Mißhandlungen bei unserer Ankunft in Sachsenhausen waren unbeschreiblich. Juden wurden in ein Extralager innerhalb des Hauptlagers gebracht. Für sie waren die Bedingungen noch schlimmer als für die anderen. Sie hatten zum Beispiel kein Bettzeug, sondern nur Strohsäcke auf dem Boden. Die Baracken waren so vollgestopft, daß sie wie die Ölsardinen liegen mußten, die Füße des einen am Kopf des anderen. Morgens fand man dann die Toten neben den Lebenden. Für die Juden gab es keine medizinische Versorgung.
Ich hörte, daß drei Baracken weiter mein Vater war. Ich fand ihn hinter einem Stapel Strohsäcke, die Beine voller Wasser und die Hände erfroren. Als er gestorben war, mußte ich seinen Leichnam auf den Schultern zum Krematorium tragen. Dort sah ich mehr Tote aufgestapelt, als sie verbrennen konnten.
Tausende starben in Sachsenhausen wegen der unmenschlichen Behandlung. Für viele Opfer war es schlimmer, in Sachsenhausen zu sterben als in den Gaskammern von Auschwitz.“
[Kasten auf Seite 8]
„Es darf nicht die geringste Spur zurückbleiben“
„Als wir das letzte Grab öffneten, habe ich meine ganze Familie wiedererkannt. Meine Mutter und meine Schwestern. Drei Schwestern mit ihren Kindern. Sie alle waren da unten. ... [Sie waren] vier Monate lang unter der Erde.“ „Der Gestapochef von Wilna hat uns gesagt: ‚Dort liegen neunzigtausend Personen, und es darf nicht die geringste Spur zurückbleiben‘“ (Bericht der jüdischen Überlebenden Motke Zaïdl und Itzhak Dugin).
„Als wir hinauskamen, gingen gerade die Türen auf von der Gaskammer, und die Menschen fielen heraus wie Kartoffeln. ... Juden, die man ausgesucht hat, jeden Tag hundert Mann, die haben die Leichen in die Gruben geschleppt. Diese Juden, die wurden am Abend von den Ukrainern in die Gaskammern gejagt oder erschossen. Täglich. ... Jetzt sind immer mehr Menschen gekommen, immer mehr Menschen, die nicht getötet werden konnten. ... Die Gaskammern haben zu wenig Kapazität gehabt“ (Franz Suchomel, SS-Unterscharführer, über seine ersten Eindrücke vom Vernichtungslager Treblinka).
(Die Zitate stammen aus Interviews in dem Dokumentarfilm Shoah.)
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Der Holocaust — Die vergessenen OpferErwachet! 1989 | 8. April
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Der Holocaust — Die vergessenen Opfer
„Zufolge der Völkermordpolitik der Nazis kamen etwa genausoviel polnische Nichtjuden wie Juden um, wodurch sie zu Mitopfern in einem ‚vergessenen Holocaust‘ wurden“ („The Forgotten Holocaust“ [Der vergessene Holocaust] von Richard C. Lukas)
HOLOCAUST — Was ist das? Gemäß einigen Nachschlagewerken ist es der Völkermord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten während des 2. Weltkrieges. Man könnte leicht denken, daß nur Juden unter den Nationalsozialisten gelitten hätten und umgekommen seien. Wäre es jedoch gerecht und die volle Wahrheit, wenn man den Begriff „Holocaust“ nur in Verbindung mit den jüdischen Opfern der NS-Ära gebrauchen würde?
Richard Lukas erklärt: „Unter ‚Holocaust‘ verstehen die meisten die von den Deutschen verursachte Tragödie der Juden während des 2. Weltkrieges. Aus psychologischer Sicht ist es verständlich, weshalb Juden heutzutage den Begriff gern ausschließlich auf das anwenden, was mit den Juden geschah ... Doch indem man andere ausklammert, werden häufig die Greueltaten der Nazis an Polen, anderen Slawen und an Zigeunern ignoriert, wenn nicht sogar vergessen.“
„Für sie [die Historiker] ist der Holocaust“, wie Lukas ausführt, „etwas, was nur die Juden betraf. Daher haben sie wenig oder gar nichts über die neun Millionen Nichtjuden einschließlich der drei Millionen [nichtjüdischen] Polen zu sagen, die ebenfalls in der größten Tragödie umkamen, die die Welt je gesehen hat.“
Hitlers Gier nach Lebensraum
Als Hitlers Armeen im September 1939 in Polen einmarschierten, hatten sie den Auftrag, Hitlers Politik der Lebensraumgewinnung für das deutsche Volk in die Tat umzusetzen. Lukas sagt: „Für die Nazis waren die Polen Untermenschen, die Land besetzt hielten, das Teil des Lebensraumes war, den die überlegene deutsche Rasse begehrte.“ So beauftragte Hitler seine Truppen, alle Männer, Frauen und Kinder polnischer Abstammung oder Sprache ohne Gnade oder Mitleid zu töten, da nur so der benötigte Lebensraum zu beschaffen sei.
Mit dem September 1939 begannen die unbarmherzigen Greueltaten am polnischen Volk. Hitler betonte, der Krieg sei ein Vernichtungskrieg; und sein Handlanger Heinrich Himmler erklärte, daß alle Polen von der Erde verschwinden würden; es sei für das große deutsche Volk notwendig, die Vernichtung aller Polen als vorrangige Aufgabe zu betrachten. Der Holocaust zielte also nicht nur auf die polnischen Juden ab, sondern auf alle Polen.
„Alle besetzten Länder wurden terrorisiert. ... Aber in Polen hatte jeder unter dieser Brutalität zu leiden, und Massenhinrichtungen nach dem Prinzip der Gemeinschaftsschuld gab es hier weit häufiger, da jeder Pole ungeachtet seines Alters, Geschlechts oder Gesundheitszustandes Angehöriger einer verdammten Nation war — verdammt von den Führern der Partei und der Regierung“, schreibt Catherine Leach, die das Buch Values and Violence in Auschwitz aus dem Polnischen ins Englische übertragen hat. Himmler betrachtete, wie sie sagt, die Polen als eine niedere Rasse, die in Sklaverei zu halten sei.
„Selbst nach der Unterwerfung Polens [28. September 1939] nahm die Wehrmacht weiterhin Hitlers Auftrag vom 22. August 1939, alle Männer, Frauen und Kinder polnischer Abstammung oder Sprache ohne Gnade oder Mitleid zu töten, ernst.“ Wie konnte die deutsche Armee und die SS zu einem solch erbarmungslosen Morden bewogen werden? Ihnen war immer wieder die Lehre von der Überlegenheit der „arischen Rasse“ und der Unterlegenheit aller anderen eingetrichtert worden. Lukas schreibt daher in dem Werk The Forgotten Holocaust: „Die NS-Theorie bezüglich der Kolonialherrschaft über Polen basierte darauf, daß den Polen, die Hitler nach den Juden am meisten haßte, abgesprochen wurde, Menschen zu sein.“
„Umsiedlungspolitik“
Im Vorwort der englischen Ausgabe des Buches Kommandant in Auschwitz schrieb Lord Russell of Liverpool: „Während des Krieges wurden von den Deutschen wahrscheinlich nicht weniger als zwölf Millionen Männer, Frauen und Kinder aus den überfallenen und besetzten Gebieten getötet; von diesen kamen nach vorsichtigen Schätzungen acht Millionen in Konzentrationslagern um. Unter den Ermordeten waren mindestens fünf Millionen Juden. ... Die wirklichen Zahlen werden jedoch immer unbekannt bleiben.“ Allein aus den vorliegenden Zahlen geht hervor, daß mindestens sieben Millionen Opfer keine Juden waren.
Ein weiteres Zeugnis liefert Catherine Leach: „Polen war das erste Land, das der ‚Umsiedlungspolitik‘ Hitlers unterworfen wurde, deren Ziel es war, die riesigen Gebiete ‚im Osten‘ für die deutsche Neubesiedlung vorzubereiten. Polen erlitt von allen besetzten Ländern den größten Verlust an Menschenleben — 220 von 1 000 Einwohnern. Gemäß polnischen Quellen verloren nicht weniger als 6 028 000 Polen ... ihr Leben.“ Von diesen waren 3 200 000 Juden. Das bedeutet, daß fast 50 Prozent der getöteten Polen Nichtjuden waren.
Ohne Zweifel gab es einen „vergessenen Holocaust“, dem Millionen von Nichtjuden — insbesondere Slawen — zum Opfer fielen. Eingeschlossen darin sind die Millionen Russen, die von den Nationalsozialisten abgeschlachtet wurden. Diesen Russen blieb keine Wahl; aufgrund der NS-Rassenlehre waren sie unausweichlich zum Tode verdammt.
In diesen Statistiken wird jedoch versäumt, die Tausende von nichtjüdischen Deutschen zu erwähnen, die ebenfalls als Opfer des Holocaust litten, weil sie es gewagt hatten, sich Hitler und seiner Rassenphilosophie zu widersetzen. Unter ihnen befanden sich Tausende Zeugen Jehovas, die es ablehnten, die militärischen Absichten Hitlers zu unterstützen. Ja, über Deutschland und die besetzten Gebiete verstreut, gab es Tausende, die bewußt eine Entscheidung trafen, die für viele das Konzentrationslager und den Tod als Märtyrer bedeutete.
Die sich daraus ergebende Frage lautet: Welcher Unterschied bestand zwischen den Opfern des Holocaust und den Märtyrern?
[Karte/Bilder auf Seite 10]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Einige der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten in Europa. Zusätzlich gab es 165 Arbeitslager.
ATLANTIK
LETTLAND
Riga
LITAUEN
Kauen
OSTPREUSSEN
POLEN
Stutthof
Treblinka
Kulmhof (Chelmno)
Sobibor
Lublin
Skarzisko-Kamienno
Majdanek
Plaszów
Belźec
Auschwitz
DEUTSCHLAND
Papenburg
Neuengamme
Bergen-Belsen
Ravensbrück
Sachsenhausen
Oranienburg
Lichtenberg
Mittelbau-Dora
Torgau
Buchenwald
Groß-Rosen
Ohrdruf
Flossenbürg
Dachau
Landsberg
NIEDERL.
Westerbork
Herzogenbusch-Vught
BELG.
LUX.
FRANKREICH
Natzweiler-Struthof
SCHWEIZ
ITALIEN
ÖSTERREICH
Mauthausen
Sachsenburg
TSCHECHOSLOWAKEI
Theresienstadt
[Bild]
Hitler erklärte: „Dieser Krieg ist ein Vernichtungskrieg“, und er gab den Befehl, „alle Männer, Frauen und Kinder polnischer Abstammung oder Sprache ohne Gnade oder Mitleid“ zu töten
[Bildnachweis]
Foto: Kongreßbibliothek
[Bild]
Himmler verkündete: „Alle Polen werden von der Erde verschwinden!“
[Bildnachweis]
UPI/Bettmann Newsphotos
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Der Holocaust — Opfer oder Märtyrer?Erwachet! 1989 | 8. April
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Der Holocaust — Opfer oder Märtyrer?
WARUM muß man zwischen Opfern und Märtyrern unterscheiden? Weil alle, die unter dem Holocaust litten, Opfer waren, aber nur eine Minderheit Märtyrer im eigentlichen Sinne. Wo liegt der Unterschied?
Ein Opfer ist gemäß dem Deutschen Universalwörterbuch (Duden) „jmd., der durch jmdn., etw. umkommt, Schaden erleidet“. Opfer haben größtenteils keine Wahl.
Ein Märtyrer ist „jmd., der um des ... Glaubens willen Verfolgung, schweres körperliches Leid, den Tod auf sich nimmt“, „jmd., der sich für seine Überzeugung opfert“. Ein Opfer leidet also zumeist unfreiwillig, ein Märtyrer hingegen freiwillig.
Drei Arten von Opfern
Bei einem Treffen nichtjüdischer NS-Opfer ordnete Dr. Gordon Zahn von der Staatsuniversität von Massachusetts die NS-Opfer in drei Gruppen ein gemäß dem, was für ihre Leiden ausschlaggebend war: 1. das, was sie waren (Juden, Slawen, Zigeuner); 2. das, was sie getan hatten (Homosexuelle, politische Aktivisten, Widerstandskämpfer); und 3. das, was sie abgelehnt hatten zu tun (Kriegsdienstverweigerer, Zeugen Jehovas und andere).
Millionen Juden litten und starben, nur weil sie zum jüdischen Volk gehörten. Hitlers Handlangern war es völlig gleichgültig, ob es sich um strenggläubige oder um ungläubige Juden handelte — sie waren auf jeden Fall zur Vernichtung oder „Endlösung“ verdammt, wie Hitlers Vorhaben, Europa von den Juden zu „befreien“, genannt wurde. Ebenso waren die Slawen — bei Hitlers Feldzug hauptsächlich Polen, Russen und Ukrainer — allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur slawischen Rasse verdammt, die im Vergleich mit der „überlegenen arischen Rasse“ als minderwertig galt.
Aber mit den Zeugen Jehovas in Europa verhielt es sich anders. Sie kamen aus den verschiedensten Nationen, doch man betrachtete sie fälschlicherweise als eine Gefahr für das NS-Regime in Deutschland, weil sie für die christliche Neutralität einstanden und es ablehnten, in die Kriegsbemühungen irgendeiner Nation mit einbezogen zu werden. Hitler nannte sie eine „Brut“, die es auszurotten gelte. Wie groß war diese „Brut“? Und wurde sie ausgerottet?
„Kleine Sekte“ — Bedrohung für Nationalsozialisten
Bei dem obenerwähnten Treffen unterbreitete Dr. Christine King einige Fakten über die Zeugen in NS-Deutschland: „Daß diese kleine Sekte mit 20 000 Anhängern die Aufmerksamkeit der Machthaber in einem Land auf sich zog, in dem von 65 Millionen Einwohnern 20 Millionen Katholiken und 40 Millionen Protestanten waren, überrascht auf den ersten Blick. Doch wenn man an ihre starken amerikanischen Verbindungen, ihre internationalen Bestrebungen und ihre erkennbaren kommunistischen und zionistischen Sympathien denkt, wird einem klar, daß sie nicht toleriert werden konnten.“ Jehovas Zeugen waren natürlich weder Kommunisten noch Zionisten, sondern sie waren in Fragen der Politik und Rassen neutral. Aber das begriffen die Nationalsozialisten nicht.
Die NS-Aktionen gegen die Zeugen begannen, sobald Hitler 1933 an die Macht gekommen war. Nachdem er 1934 Protesttelegramme von Zeugen aus der ganzen Welt erhalten hatte, schrie er in einem Wutausbruch: „Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“ Die Verfolgung verschärfte sich drastisch.
In dem Buch Anatomie des SS-Staates schreibt Martin Broszat: „Eine weitere Kategorie von Schutzhaftgefangenen, die seit 1935 eine nicht unerhebliche Gruppe in den Konzentrationslagern darstellte, rekrutierte sich aus Angehörigen der ‚Internationalen Vereinigung der Ernsten Bibelforscher‘ (Zeugen Jehovas). Die Organisation ... war schon 1933 im Dritten Reich aufgelöst und jede Werbung und Propaganda für die Zeugen Jehovas gesetzlich verboten worden, weil man hierin vor allem eine Form der Wehrkraftzersetzung erblickte.“
„Im Februar 1936 erging die Weisung, alle ehemaligen Führer der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) ‚bis zu 2 Monaten‘ in Schutzhaft zu nehmen. Mitte Mai 1937 kam es zu einer weiteren Verschärfung. Die Gestapo ordnete an: ‚Jede Person, die in irgendeiner Form die Bestrebungen der illegalen I. B. V. oder den Zusammenhalt ihrer Anhänger fördert, ist in Schutzhaft zu nehmen und unverzüglich dem Gericht zum Erlaß eines richterlichen Haftbefehls vorzuführen.‘“ In den meisten Fällen führte die „Schutzhaft“ in ein Konzentrationslager.
Broszat bemerkt außerdem: „In Dachau bestand 1937/38 die weit überwiegende Mehrzahl der Gefangenen aus politischen Häftlingen, in Sachsenhausen dagegen stand diesen bereits damals eine wohl ebenso große Zahl von sogenannten Asozialen, Homosexuellen, Bibelforschern, Gewohnheitsverbrechern gegenüber.“
Der 2. Weltkrieg und die Neutralität
Die Situation der Zeugen verschlimmerte sich, als 1939 der Krieg zwischen Deutschland und den Alliierten ausbrach. Was geschah?
Der 23jährige August Dickmann aus Dinslaken war einer der etwa 600 Zeugen, die 1939 in Sachsenhausen inhaftiert waren.a Als im September der Krieg begann, sah der Lagerkommandant Baranowsky seine Chance gekommen, den Willen der Zeugen zu brechen. August lehnte es ab, den Wehrpaß zu unterschreiben, worauf Baranowsky bei Himmler um die Erlaubnis nachsuchte, den jungen Dickmann vor den Augen aller Häftlinge hinzurichten. Er war sich sicher, daß viele Zeugen ihrem Glauben abschwören würden, wenn sie Augenzeugen einer Hinrichtung würden. August Dickmann wurde von drei SS-Leuten von hinten erschossen, und ein SS-Offizier schoß ihm als Gnadenschuß noch eine Kugel durch den Kopf.
Gustav Auschner, ein Augenzeuge, berichtete: „Dickmann wurde erschossen, und uns wurde gesagt, daß wir alle erschossen würden, wenn wir nicht unterschrieben. Wir würden zu je 30 bis 40 Mann in die Sandgrube geführt und erschossen. Am andern Morgen kam die SS und brachte für jeden einen Zettel zum Unterschreiben mit, andernfalls würden wir erschossen. Mit langen Gesichtern mußten sie wieder abziehen, da keiner unterschrieb. ... Durch die öffentliche Erschießung wollten sie uns Angst einjagen. Wir fürchteten Jehova mehr als ihre Kugeln, und so erschossen sie keinen mehr öffentlich.“
Eine ähnliche Situation ergab sich am 6. September 1939 im Lager Buchenwald. Der Erste Lagerführer, Rödl, erklärte den Zeugen: „Wenn einer sich weigert, gegen Frankreich oder England zu kämpfen, dann müßt ihr sterben!“ Es war eine Stunde der Prüfung. Zwei Kompanien SS-Truppen in voller Ausrüstung standen am Tor. Doch „nicht ein einziger Bibelforscher erklärte sich auf die Anfrage des Lagerführers hin bereit, für Deutschland zu kämpfen. Nach einer Weile Schweigen kam plötzlich der Befehl: ‚Hände hoch! Taschen ausleeren!‘“ So der Bericht in Eugen Kogons Buch Der SS-Staat. Wurden sie erschossen? Nein, die SS-Leute fielen über sie her und raubten sie aus, und man schickte sie in den gefürchteten Steinbruch. Auch gab es für sie keine Revierbehandlung mehr.
Dr. Christine King führte aus: „Die Zeugen konnten — zur Verwunderung der Nazis — nicht ausgerottet werden. Je härter sie bedrängt wurden, desto fester war ihr Zusammenhalt, der sie in ihrem Widerstand hart wie Diamant werden ließ. Hitler schleuderte sie in eine Endzeitschlacht, in der sie ihren Glauben bewahrten. Mit ihren lila Dreiecken (Kennzeichen) bildeten sie in den Lagern ein starkes Netz; ihre Erfahrungen sind für alle, die studieren, wie man unter extremem Druck überleben kann, wertvolles Material. Denn sie überlebten.“
Anna Pawełczyńska, die Auschwitz überlebte, schrieb in ihrem Buch Values and Violence in Auschwitz: „Im Verhältnis zu der großen Menschenmenge in Auschwitz bildeten Jehovas Zeugen nur eine kleine, unauffällige Gruppe ... Doch die [lila] Farbe ihrer dreieckigen Markierungen stach im Lager so hervor, daß ihre geringe Anzahl in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Stärke stand. Diese kleine Gruppe von Häftlingen bildete eine geschlossene ideologische Kraft, die in ihrem Kampf gegen den Nazismus den Sieg davontrug. Die deutsche Gruppe dieser Sekte war eine winzige Insel unbeugsamen Widerstandes inmitten einer terrorisierten Nation gewesen, und mit derselben Unerschrockenheit traten sie auch im Lager Auschwitz auf.“ Weiter heißt es: „Jeder wußte, daß kein Zeuge Jehovas einen Befehl ausführen würde, der seiner religiösen Überzeugung widersprach.“
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die Familie Kusserow aus Bad Lippspringe. Franz und Hilda hatten eine große Familie mit 11 Kindern, 6 Jungen und 5 Mädchen. Unter der NS-Herrschaft kamen 12 der 13 Familienglieder in Gefängnisse oder KZs; man hatte sie zu insgesamt 65 Jahren verurteilt. 1940 wurde Wilhelm im Alter von 25 Jahren wegen Wehrdienstverweigerung erschossen. Zwei Jahre später wurde sein Bruder Wolfgang mit 20 Jahren aus dem gleichen Grund im Zuchthaus von Brandenburg enthauptet. Ihr Bruder Karl-Heinz starb 1946 mit 28 Jahren an Tuberkulose, nachdem er krank aus Dachau zurückgekehrt war. Die Eltern und die Töchter waren alle einige Zeit in Gefängnissen und KZs inhaftiert. (Ein ausführlicher Bericht über diese bemerkenswerte Familie von Märtyrern ist im Wachtturm vom 1. September 1985 auf den Seiten 10—15 zu finden.)
Eugen Kogon gibt in seinem Buch Der SS-Staat folgenden Kommentar: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher nicht ganz fertig wurde.“
Wenn diese kleine Gruppe christlicher Zeugen, gestützt auf ihren biblisch begründeten Glauben, gegen Hitler standhalten konnte, drängt sich einem die Frage auf, warum die Millionen Protestanten und Katholiken diesbezüglich versagt haben. Wo war die klare, eindeutige religiöse Führung und Anleitung in christlichen Grundsätzen, die 60 Millionen Deutsche davon zurückgehalten hätte, den Nationalsozialismus zu unterstützen? (Siehe Kasten auf Seite 13.)
Was hielt sie aufrecht?
In seinem Buch The Drowned and the Saved erklärt Primo Levi: „Die [religiös und politisch] Gläubigen überstanden die tägliche Schinderei [in den KZs] besser. ... allen gemein war die rettende Kraft ihres Glaubens, die sie aufrecht hielt.“
Er fügt hinzu: „Ihr Universum war größer als das unsrige, ausgedehnter in Raum und Zeit und vor allem umfassender: Vor ihnen lag das ... Millennium, ... ein Platz im Himmel oder auf der Erde, wo Gerechtigkeit und Erbarmen schon gesiegt hatten oder, wenn auch vielleicht in ferner Zukunft, mit Sicherheit siegen würden.“
Der unbeugsame Glaube der Zeugen Jehovas an ein zukünftiges Millennium ist am besten in den folgenden Briefen zu erkennen, die von deutschen Zeugen stammen, die man zum Tode verurteilt hatte:
„Mein lieber Bruder, meine liebe Schwägerin, meine lieben Eltern, alle anderen Geschwister mit eingeschlossen!
... Nunmehr muß ich Euch die schmerzliche Eröffnung machen, daß ich mich bei Ankunft dieses Briefes nicht mehr in diesem Dasein befinde. Seid bitte, bitte nicht allzu traurig. Denket, daß es für den allmächtigen Gott ein leichtes ist, mich aus dem Tode zu erwecken. ... Wißt, daß es mein Bestreben war, ihm in meiner Schwachheit zu dienen, und ich bin überzeugt davon, daß Gott mir bis zum Ende beisteht. Ich befehle mich in seine Hände. ... Und nun will ich Euch, liebe Mutter, lieber Vater, danken für alles Gute, das Ihr mir erwiesen habt. ... Möge Jehova Euch alles vergelten ...
[gez.] Ludwig Cyranek“
Ludwig Cyranek wurde in Dresden hingerichtet, weil er ein Zeuge Jehovas war.
Johannes Harms wurde nach seiner Verurteilung zum Tod durch das Fallbeil siebenmal die Gelegenheit gegeben zu widerrufen. Kurz vor seiner Hinrichtung im Jahre 1940 schrieb er seinem Vater, Martin Harms, der ebenfalls als Zeuge Jehovas inhaftiert war, diesen Brief:
„Mein lieber, guter Vater!
Noch trennen uns gut drei Wochen vom 3. Dezember, von dem Tag, an dem wir uns beide vor zwei Jahren zum letzten Mal sahen. Ich sehe noch Dein liebes Lächeln, als Du im Keller des Gefängnisses warst, um dort zu arbeiten, und ich auf dem Gefängnishof spazierenging.
... Mit Stolz habe ich in der Zeit auf Dich geschaut und mit Bewunderung gesehen, wie Du Dein Los in der Treue zum Herrn trägst. Und nun ist auch mir Gelegenheit gegeben, dem Herrn gegenüber die Treue zu beweisen, ja die Treue nicht nur bis an den Tod, sondern bis in den Tod.
Schon jetzt ist das Todesurteil gegen mich ausgesprochen, ich liege Tag und Nacht in Fesseln — die Druckstellen [auf dem Papier] stammen von den Handschellen —, aber ich habe noch nicht bis aufs Blut widerstanden. ... So ist auch mir immer noch die Gelegenheit gegeben, mein irdisches Leben zu retten, um das wirkliche Leben zu verlieren.
... Wenn Du, lieber Vater, wieder zu Hause bist, dann nimm Dich auch ganz besonders meines lieben Lieschens [Johannes’ Frau] an, denn es wird für sie dann ganz besonders schwer sein, weiß sie doch, daß sie ihren Liebsten nicht zurückerwarten braucht. Ich weiß, daß Du dies tun wirst, ich sage Dir schon jetzt vielen Dank dafür. Mein lieber Vater, im Geiste rufe ich Dir zu, bleibe auch Du treu, wie ich mich bemühe, treu zu sein, dann werden wir uns wiedersehen. Ich werde auch Deiner bis zuletzt gedenken.
Dein Sohn Johannes“
Dies sind nur zwei der Hunderte von Blutzeugen — Zeugen Jehovas, die starben, weil sie den Mut hatten, einem Regime des Bösen aus Gewissensgründen entgegenzutreten. Die gesamte Geschichte ihres gemeinsamen Märtyrertums würde Bände füllen.b
[Fußnoten]
a Ein ausführlicher Bericht über das Martyrium August Dickmanns ist im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft, auf den Seiten 165 bis 168 zu finden.
b Ein ausführlicher Bericht über die Erlebnisse der Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern ist im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974 auf den Seiten 108—212 und im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1989 auf den Seiten 111—134 zu finden.
[Kasten auf Seite 13]
Jehovas Zeugen waren Opfer Hitlers
Aus der New York Times vom 14. Mai 1985
An den Herausgeber:
Meine Frau und ich, beide Deutsche, haben zusammen insgesamt 17 Jahre in NS-Konzentrationslagern zugebracht. Ich war in Dachau und Mauthausen und meine Frau Gertrud in Ravensbrück. Wir gehörten zu den Tausenden nichtjüdischen Deutschen, die litten, weil sie das taten, worin die NS-Verbrecher versagten — wir lehnten aus Gewissensgründen Hitlers erzwungenen Götzendienst und Militarismus ab. Tausende von uns überlebten die Lager, doch viele kamen um.
Die kürzlich von Ihnen veröffentlichten Briefe (von Sabina Lietzmann [25. April] und Anna E. Reisgies [30. April]), in denen gewöhnliche Deutsche erwähnt werden, die unter Hitlers NS-Regime litten, veranlaßten mich, auf eine oft ignorierte Minderheit hinzuweisen, die von der Gestapo grausam verfolgt wurde. Diese Leute waren als Ernste Bibelforscher oder Zeugen Jehovas bekannt.
Sobald Hitler 1933 an die Macht gekommen war, leitete er die systematische Verfolgung der Zeugen Jehovas wegen ihrer neutralen Haltung in bezug auf Politik und Krieg ein. Tausende von deutschen Zeugen, von denen viele meine Freunde waren, wurden nicht nur Opfer des Holocaust, sondern auch Märtyrer. Wieso dieser feine Unterschied? Weil wir zu jeder Zeit die KZs hätten verlassen können, wenn wir bereit gewesen wären, zu unterschreiben, daß wir uns von unserer religiösen Überzeugung losgesagt hatten.
Zwei kurze Beispiele zeigen die Überzeugung, die in der Brust einiger Deutscher brannte, die dem Hitlerismus widerstanden. Wilhelm Kusserow aus Bad Lippspringe wurde am 27. April 1940 im Alter von 25 Jahren erschossen, weil er sich weigerte, in Hitlers Armee zu dienen.
Zwei Jahre später wurde Wilhelms Bruder Wolfgang aus dem gleichen Grund im Zuchthaus von Brandenburg enthauptet. Erschießung wurde zu diesem Zeitpunkt von Hitler als zu gut für einen Kriegsdienstverweigerer angesehen. Wolfgang war 20 Jahre alt.
Ich könnte von Hunderten deutschen Männern und Frauen berichten, die ähnliche Schicksale erlitten, weil sie es im Namen Gottes wagten, sich gegen die Tyrannei zu stellen. Die Frage, warum nicht Millionen prinzipientreue Deutsche anstelle von nur einigen Tausenden zu zählen waren, müßten vielleicht andere beantworten.
Martin Pötzinger
Brooklyn, 1. Mai 1985
[Bild auf Seite 15]
Die Familie Kusserow; Wilhelm (zweiter von rechts) wurde erschossen, Wolfgang (dritter von links) wurde enthauptet, Karl-Heinz (zweiter von links) starb nach seiner Befreiung aus Dachau an Tuberkulose
[Bild auf Seite 16]
Martin Pötzinger (gestorben 1988) und seine Frau Gertrud waren je etwa neun Jahre in nationalsozialistischen KZs
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Der Holocaust — Wo war Gott?Erwachet! 1989 | 8. April
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Der Holocaust — Wo war Gott?
DER Holocaust hat den Glauben vieler Menschen erschüttert. Juden wie Nichtjuden fragen sich: Wenn es einen Gott gibt, warum hat er ihn zugelassen? Reicht es, ihn der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber seinem Mitmenschen zuzuschreiben? Oder gibt es noch andere Faktoren, die erklären, warum „zivilisierte“ Männer und Frauen einen vom Staat gutgeheißenen Mord oder Völkermord verzeihen, lehren, tolerieren oder sich gar daran beteiligen?
Die Jüdische Konservative Gemeinde in den Vereinigten Staaten veröffentlichte kürzlich eine „Erklärung der Prinzipien des Konservativen Judaismus“, in der es heißt: „Das Vorhandensein des Bösen ist schon immer das größte Hindernis für den Glauben gewesen. Angesichts des gewaltigen Grauens, für das Auschwitz und Hiroschima stehen, ist dieses Dilemma in unserer Generation zu einer neuen, beängstigenden Wirklichkeit geworden. Die Frage, wie ein gerechter und mächtiger Gott die Auslöschung so vieler unschuldiger Leben zulassen konnte, quält das religiöse Gewissen und geht über unser Vorstellungsvermögen.“
Wie Millionen andere sind Jehovas Zeugen verständlicherweise an dieser Frage interessiert, zumal viele ihrer Glaubensbrüder in den KZs der Nationalsozialisten umgekommen sind. Warum hat also Gott das Böse zugelassen?
Der freie Wille und die Streitfrage
Die oben angeführte jüdische Veröffentlichung beantwortet die Frage teilweise, wenn es darin heißt: „Indem Gott die Menschen mit einem freien Willen erschuf, grenzte er notwendigerweise seinen zukünftigen Handlungsspielraum ein. Hätte der Mensch, wenn er die Wahl zwischen Gut und Böse hat, nicht wirklich die Möglichkeit, eine falsche Entscheidung zu treffen, wäre das ganze Prinzip der Entscheidungsfreiheit bedeutungslos. Der freie Wille, mit dem die Menschheit ausgestattet wurde, kann als Ausdruck göttlicher Liebe betrachtet werden, der, selbst wenn unsere Entscheidungen zu großem Leid führen können, erst die Voraussetzung für Lauterkeit und geistiges Wachstum schafft.“
Diese Auffassung stimmt mit dem Bericht der Hebräischen Schriften überein. Gleich von Anfang an hatte die Menschheit die Freiheit der Wahl — ob es sich um Adams und Evas Entscheidung handelte, Gott ungehorsam zu sein (1. Mose 3:1-7), oder um Kains Entscheidung, seinen Bruder Abel zu ermorden (1. Mose 4:2-10). Auch die Israeliten der alten Zeit wurden von Jehova vor eine Entscheidung gestellt: „Siehe, ich lege dir heute wirklich Leben und Gutes und Tod und Böses vor. ... und du sollst das Leben wählen, damit du am Leben bleibest, du und deine Nachkommen“ (5. Mose 30:15, 19).
Doch ein wichtiger Gesichtspunkt bleibt in der jüdischen Erklärung unbeachtet. Derjenige, der gegen Gott rebellierte und später die Leiden des treuen Hiob verursachte, ist immer noch sehr aktiv. Er verdirbt den Sinn der Menschen mit teuflischen Gedanken, die in einigen Fällen zu Konzentrationslagern, Folterung und Massenmord geführt haben. Im Buch Hiob wird er klar als der rebellische Engelsohn Gottes, Satan, der Widersacher, identifiziert (Hiob 1:6; 2:1, 2).
Satans Einfluß mitsamt den Wahlmöglichkeiten, die er anbietet, durchdringt heute die ganze Welt und führt zu Gewalttätigkeit sowie zur Geringschätzung des Lebens und der moralischen Werte. Alles, was von der Hoffnung auf die Herrschaft des Königreiches Gottes ablenkt — ob es sich dabei um politische Philosophien, rassische oder religiöse Spaltungen, Drogenmißbrauch, Vergnügungssucht oder um Menschenverehrung handelt —, dient Satans Absicht. Kein Wunder, daß die Bibel in Verbindung mit dem Hinabwerfen jenes Bösen in die Umgebung der Erde sagt: „Wehe der Erde und dem Meer, weil der Teufel zu euch hinabgekommen ist und große Wut hat, da er weiß, daß er nur eine kurze Frist hat.“ Seit 1914 leben wir in der Periode dieser leidenschaftlichen Wut (Offenbarung 12:12).
Die Menschheit konnte und kann immer noch wählen, ob sie sich der Herrschaft Gottes oder der seines Widersachers, Satans, unterstellt. Diese Wahl berührt eine alte Streitfrage zwischen Gott und Satan, die etwa 6 000 Jahre zurückreicht. Doch aus der Bibel geht hervor, daß Jehova Gott die Zeit für die Klärung dieser Streitfrage begrenzt hat — und seit 1914 lebt die Menschheit in der Zeit des Endes des von Satan beherrschten Systems (2. Timotheus 3:1-5, 13).
Durch die Herrschaft des Königreiches Gottes wird bald alles Böse vernichtet werden sowie diejenigen, die es dem Guten vorziehen. Wer sich entschließt, das Gute zu tun, wird als Untertan Gottes mit ewigem Leben auf einer vollkommenen, unverschmutzten Erde belohnt (Offenbarung 11:18; 21:3, 4).
„Siehe! Ich mache alle Dinge neu“
Die Zukunft, die Gott für die Erde und ihre gehorsamen Bewohner vorgesehen hat, wird unser Gedächtnis von der Last der Vergangenheit befreien: „Und nicht soll gedacht werden des Früheren, und nicht soll es in den Sinn kommen“ (Jesaia 65:17, Zunz).
Wenn Gottes Herrschaft auf der ganzen Erde aufgerichtet sein wird, wird jegliches Leid, das Menschen je durchgemacht haben, schließlich aus ihrem Sinn verschwinden. Zu dieser Zeit werden die Freuden alle früheren schrecklichen Erinnerungen verdrängen, denn Gott wird, wie die Bibel verheißt, „jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen“ (Offenbarung 21:4, 5).
Die Bibel zeigt klar, daß die Zeit nahe ist, in der Gott seine Allmacht benutzen wird, um die zu beseitigen, die Leiden verursachen, ob Menschen oder Dämonen. In Sprüche 2:21, 22 heißt es: „Die Rechtschaffenen sind es, die auf der Erde weilen werden, und die Untadeligen sind es, die darauf übrigbleiben werden. Was die Bösen betrifft, von der Erde werden sie weggetilgt.“ Ja, Gott wird die „verderben, die die Erde verderben“ (Offenbarung 11:18). Dazu gehört letztendlich auch Satan, der Teufel.
Gott wird die Bösen nicht mehr länger die Erde ruinieren lassen, noch wird er zulassen, daß böse Menschen ihre Mitmenschen quälen, foltern oder einsperren. Wer sich nicht entschließt, sich nach Gottes gerechten Gesetzen auszurichten, wird nicht geduldet werden. Nur diejenigen, die Gottes Willen und sein Gesetz respektieren, werden am Leben bleiben.
Vor über 4 000 Jahren sah Gott, „daß die Bosheit der Menschen groß war auf Erden, und alles Gedankengebild ihres Herzens allezeit nur böse war“. Gott handelte und brachte die große Sintflut (Genesis 6:5), N. H. Tur-Sinai, Die Heilige Schrift). Er hat heute noch viel mehr Grund zu handeln. Wenn wir jedoch Gott den ihm gebührenden Lobpreis darbringen, wird bald ewiges Leben unser glückliches Los sein (Jesaja 65:17-25; Johannes 17:3; 1. Timotheus 6:19).
Aber wie steht es mit den Millionen von Toten in den Gräbern einschließlich der Opfer des Holocaust? Welche Hoffnung gibt es für sie? Sind sie in Vergessenheit geraten?
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Die Opfer des Holocaust — Werden wir sie wiedersehen?Erwachet! 1989 | 8. April
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Die Opfer des Holocaust — Werden wir sie wiedersehen?
GIBT es für die Millionen Opfer, die durch den Holocaust umkamen, eine Hoffnung? Kann man erwarten, daß Gott zugunsten der NS-Opfer eine höhere Gerechtigkeit walten läßt?
In den Hebräischen Schriften ist eine Hoffnung zu finden, die schon vor Tausenden von Jahren die treuen Propheten und Diener Gottes gestärkt hat. Gründet sie sich auf die alte griechische Vorstellung von einer unsterblichen Seele, die den Tod einer Person überlebt? Sicherlich nicht, da es die Hebräischen Schriften und die entsprechenden Lehren bereits Jahrhunderte vor der griechischen Philosophie gab.
Die Seele des Menschen ist sterblich
Der hebräische Bericht in der Genesis (1. Mose) über die Erschaffung des Menschen lautet: „So bildete denn ER, Gott, den Adam aus Erde ... und blies in seine Nase Odem des Lebens, und es ward der Mensch zu einem lebenden Wesen [hebräisch: lenéphesch]“ (Genesis 2:7, Das erste Buch der Tora von B. Jacob; siehe auch Die fünf Bücher der Weisung von M. Buber). Die Übersetzung der Jewish Publication Society von 1917 gibt lenéphesch mit „Seele“ wieder. Eine Seele oder néphesch ist also ein Wesen, ein Geschöpf, ob Tier oder Mensch.
Nirgends in den Hebräischen Schriften wird néphesch mit Unsterblichkeit in Verbindung gebracht. Ja, das Wort „unsterblich“ kommt in den Hebräischen Schriften überhaupt nicht vor. Im Gegensatz dazu läßt die hebräische Bibel erkennen, daß néphesch die Person, die lebende Seele, ist (Hesekiel 18:4, 20). Daher ist der Tod das — zumindest vorläufige — Ende der Person als lebende Seele. Es ist ein Zustand völliger Untätigkeit gleich einem tiefen Schlaf, wie es der Psalmist David ausdrückte: „Blicke herab, erhöre mich, Ewiger, mein Gott! Erleuchte mein Auge, daß ich nicht den Todesschlaf schlummere“ (Psalm 13:4, Zunz).
Der gleichen Logik folgen die Hebräischen Schriften, wenn es darin heißt: „Die Toten wissen nicht das Geringste, und sie haben keinen Lohn mehr, denn vergessen ist ihr Andenken. Alles, was deine Hand erreicht, zu tun mit deiner Kraft, tue! denn nicht Tat und Berechnung und Kenntnis und Weisheit gibt es in dem Grabe, wohin du gehst“ (Prediger 9:5, 10, Zu). Das ist im Einklang mit dem Gedanken, den der schwer leidende Hiob äußerte: „Warum starb ich nicht vom Mutterschoße weg? ... Denn jetzt läg’ ich und ruhte; ich schliefe“ (Job 3:11, 13, Zu). Hiob dachte sicherlich nicht daran, als unsterbliche Seele nach dem Tod „fühlbar lebendig“ zu sein, wie es in der „Erklärung der Prinzipien des Konservativen Judaismus“ behauptet wird.
Heißt das, daß der Tod völlige Vergessenheit bedeutet? Nur sehr wenige können sich heute an die Namen ihrer Vorfahren fünf oder zehn Generationen zurück erinnern. Doch wie steht es mit Gott? Kann er sich an sie erinnern? Wird er sich an sie erinnern? Wird er sich der Millionen Opfer der NS-Verfolgung erinnern? Der Millionen, die in sinnlosen Kriegen umgekommen sind? Der Prophet Daniel glaubte daran, daß sich Gott der Toten erinnern kann. Wie aus seiner Prophezeiung hervorgeht, wird es eine Auferstehung der Toten geben, denn er sagte: „Viele von denen, die schlafen im Erdenstaube, werden erwachen: diese zum ewigen Leben und jene zur Schande, zu ewigem Abscheu“ (Daniel 12:2, Zu).
Eine zukünftige Auferstehung zu irdischem Leben — das war die Hoffnung der treuen Propheten und Könige des alten Israel. Sie stellten sich nicht vor, als unsterbliche Seelen im Jenseits umherzufliegen. Die gleiche Hoffnung auf eine Auferstehung zu vollkommenem Leben auf der Erde hat heute noch ihre Berechtigung. Woher wissen wir das?
Hoffnung für die Opfer des Holocaust
Vor über 1 900 Jahren vermittelte ein jüdischer Lehrer diese Hoffnung, als er sagte: „Wundert euch nicht darüber, denn die Stunde kommt, in der alle, die in den Gedächtnisgrüften sind, seine Stimme hören und herauskommen werden, die, welche Gutes getan haben, zu einer Auferstehung des Lebens, die, welche Schlechtes getrieben haben, zu einer Auferstehung des Gerichts“ (Johannes 5:28, 29). Der Ausdruck „Gedächtnisgrüfte“ deutet an, daß diejenigen, die sich darin befinden, bis zu dem Tag in Gottes Gedächtnis bewahrt bleiben, an dem sie auferweckt und zum Leben auf der Erde wiederhergestellt werden.
In dieser Beziehung hat die von den konservativen Juden in den Vereinigten Staaten herausgegebene „Erklärung der Prinzipien“ recht. Es heißt darin: „Das Bild der olam haba [der kommenden Welt] vermittelt die Hoffnung, daß wir nicht dem Grab überlassen bleiben, daß wir nicht in Vergessenheit geraten.“ Aufgrund Gottes liebender Güte und seiner Gerechtigkeit werden die Auferstandenen die Gelegenheit erhalten, durch ihren Gehorsam gegenüber Gott das ewige Leben unter der Königreichsherrschaft Jesu Christi, des Messias, zu wählen.
Wie betrifft das alles die Millionen Juden, Slawen und die anderen Opfer des Holocaust? Sie sind in Gottes Gedächtnis, bis sie auferstehen und sich entscheiden müssen, ob sie Gott mit der Aussicht auf Leben gehorchen möchten oder ob sie ihm ungehorsam sein wollen, was für sie ein ungünstiges Urteil bedeuten würde. Wir hoffen, daß Millionen von ihnen die richtige Entscheidung treffen werden.
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