Papstbesuch rührt an alte Wunden
DER Papst beschrieb während seines Besuches in der Bundesrepublik Deutschland im Mai dieses Jahres „die Nöte der Kirche in der NS-Zeit“. Dies berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger und fügte dann hinzu: „Daß es damals katholische Kirchenführer gegeben hat, die es an Mannesmut fehlen ließen, die zwar für die Konfessionsschulen, nicht aber gegen die Judenverfolgungen predigten — davon sprach er allerdings nicht.“
Die Seligsprechung von Edith Stein, einer zum Katholizismus konvertierten Jüdin, gab ebenfalls Anlaß zur Kritik. Juden erhoben Einwände dagegen, daß sie als katholische Märtyrerin dargestellt wurde. In den Nürnberger Nachrichten war zu lesen: „Edith Stein [wurde] ... als ,Märtyrerin für den christlichen Glauben‘ seliggesprochen. Bereits diese Definition trifft die Wirklichkeit nicht, weil die ... Frau 1942 in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau keineswegs als katholische Nonne ... ermordet wurde, sondern ... als Jüdin.“ Eine katholische Gruppe behauptete, die katholische Kirche versuche, mit dieser Seligsprechung „peinliches Schweigen nach 1933 [zu] überdecken“. Eine andere katholische Gruppe erklärte, daß die Seligsprechung „uns nicht darüber hinwegtäuschen [darf], daß die katholischen Bischöfe so gut wie keinen Widerstand geleistet, sondern offen mit dem nationalsozialistischen System zusammengearbeitet haben“.
Einige Kritiker verlangten ein Schuldbekenntnis der katholischen Kirche, weil diese zur Judenvernichtung geschwiegen habe. Doch das Schuldbekenntnis blieb aus. „Bei der Begegnung mit der Bischofskonferenz“, hieß es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, „hat der Papst den Stachel im Gewissen der Kirche nur mit größter Behutsamkeit angerührt. Der Heilige Stuhl habe sich während der Nazi-Diktatur durch das Konkordat ,darum bemüht, dem Schlimmsten vorzubeugen‘, doch habe ,die unheilvolle Entwicklung nicht mehr aufgehalten‘ werden können. Auch den deutschen Bischöfen mochte er keine Mitschuld durch Schweigen anlasten.“