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  • Der Holocaust — Opfer oder Märtyrer?
    Erwachet! 1989 | 8. April
    • In dem Buch Anatomie des SS-Staates schreibt Martin Broszat: „Eine weitere Kategorie von Schutzhaftgefangenen, die seit 1935 eine nicht unerhebliche Gruppe in den Konzentrationslagern darstellte, rekrutierte sich aus Angehörigen der ‚Internationalen Vereinigung der Ernsten Bibelforscher‘ (Zeugen Jehovas). Die Organisation ... war schon 1933 im Dritten Reich aufgelöst und jede Werbung und Propaganda für die Zeugen Jehovas gesetzlich verboten worden, weil man hierin vor allem eine Form der Wehrkraftzersetzung erblickte.“

      „Im Februar 1936 erging die Weisung, alle ehemaligen Führer der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) ‚bis zu 2 Monaten‘ in Schutzhaft zu nehmen. Mitte Mai 1937 kam es zu einer weiteren Verschärfung. Die Gestapo ordnete an: ‚Jede Person, die in irgendeiner Form die Bestrebungen der illegalen I. B. V. oder den Zusammenhalt ihrer Anhänger fördert, ist in Schutzhaft zu nehmen und unverzüglich dem Gericht zum Erlaß eines richterlichen Haftbefehls vorzuführen.‘“ In den meisten Fällen führte die „Schutzhaft“ in ein Konzentrationslager.

      Broszat bemerkt außerdem: „In Dachau bestand 1937/38 die weit überwiegende Mehrzahl der Gefangenen aus politischen Häftlingen, in Sachsenhausen dagegen stand diesen bereits damals eine wohl ebenso große Zahl von sogenannten Asozialen, Homosexuellen, Bibelforschern, Gewohnheitsverbrechern gegenüber.“

      Der 2. Weltkrieg und die Neutralität

      Die Situation der Zeugen verschlimmerte sich, als 1939 der Krieg zwischen Deutschland und den Alliierten ausbrach. Was geschah?

      Der 23jährige August Dickmann aus Dinslaken war einer der etwa 600 Zeugen, die 1939 in Sachsenhausen inhaftiert waren.a Als im September der Krieg begann, sah der Lagerkommandant Baranowsky seine Chance gekommen, den Willen der Zeugen zu brechen. August lehnte es ab, den Wehrpaß zu unterschreiben, worauf Baranowsky bei Himmler um die Erlaubnis nachsuchte, den jungen Dickmann vor den Augen aller Häftlinge hinzurichten. Er war sich sicher, daß viele Zeugen ihrem Glauben abschwören würden, wenn sie Augenzeugen einer Hinrichtung würden. August Dickmann wurde von drei SS-Leuten von hinten erschossen, und ein SS-Offizier schoß ihm als Gnadenschuß noch eine Kugel durch den Kopf.

      Gustav Auschner, ein Augenzeuge, berichtete: „Dickmann wurde erschossen, und uns wurde gesagt, daß wir alle erschossen würden, wenn wir nicht unterschrieben. Wir würden zu je 30 bis 40 Mann in die Sandgrube geführt und erschossen. Am andern Morgen kam die SS und brachte für jeden einen Zettel zum Unterschreiben mit, andernfalls würden wir erschossen. Mit langen Gesichtern mußten sie wieder abziehen, da keiner unterschrieb. ... Durch die öffentliche Erschießung wollten sie uns Angst einjagen. Wir fürchteten Jehova mehr als ihre Kugeln, und so erschossen sie keinen mehr öffentlich.“

      Eine ähnliche Situation ergab sich am 6. September 1939 im Lager Buchenwald. Der Erste Lagerführer, Rödl, erklärte den Zeugen: „Wenn einer sich weigert, gegen Frankreich oder England zu kämpfen, dann müßt ihr sterben!“ Es war eine Stunde der Prüfung. Zwei Kompanien SS-Truppen in voller Ausrüstung standen am Tor. Doch „nicht ein einziger Bibelforscher erklärte sich auf die Anfrage des Lagerführers hin bereit, für Deutschland zu kämpfen. Nach einer Weile Schweigen kam plötzlich der Befehl: ‚Hände hoch! Taschen ausleeren!‘“ So der Bericht in Eugen Kogons Buch Der SS-Staat. Wurden sie erschossen? Nein, die SS-Leute fielen über sie her und raubten sie aus, und man schickte sie in den gefürchteten Steinbruch. Auch gab es für sie keine Revierbehandlung mehr.

      Dr. Christine King führte aus: „Die Zeugen konnten — zur Verwunderung der Nazis — nicht ausgerottet werden. Je härter sie bedrängt wurden, desto fester war ihr Zusammenhalt, der sie in ihrem Widerstand hart wie Diamant werden ließ. Hitler schleuderte sie in eine Endzeitschlacht, in der sie ihren Glauben bewahrten. Mit ihren lila Dreiecken (Kennzeichen) bildeten sie in den Lagern ein starkes Netz; ihre Erfahrungen sind für alle, die studieren, wie man unter extremem Druck überleben kann, wertvolles Material. Denn sie überlebten.“

      Anna Pawełczyńska, die Auschwitz überlebte, schrieb in ihrem Buch Values and Violence in Auschwitz: „Im Verhältnis zu der großen Menschenmenge in Auschwitz bildeten Jehovas Zeugen nur eine kleine, unauffällige Gruppe ... Doch die [lila] Farbe ihrer dreieckigen Markierungen stach im Lager so hervor, daß ihre geringe Anzahl in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Stärke stand. Diese kleine Gruppe von Häftlingen bildete eine geschlossene ideologische Kraft, die in ihrem Kampf gegen den Nazismus den Sieg davontrug. Die deutsche Gruppe dieser Sekte war eine winzige Insel unbeugsamen Widerstandes inmitten einer terrorisierten Nation gewesen, und mit derselben Unerschrockenheit traten sie auch im Lager Auschwitz auf.“ Weiter heißt es: „Jeder wußte, daß kein Zeuge Jehovas einen Befehl ausführen würde, der seiner religiösen Überzeugung widersprach.“

      Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die Familie Kusserow aus Bad Lippspringe. Franz und Hilda hatten eine große Familie mit 11 Kindern, 6 Jungen und 5 Mädchen. Unter der NS-Herrschaft kamen 12 der 13 Familienglieder in Gefängnisse oder KZs; man hatte sie zu insgesamt 65 Jahren verurteilt. 1940 wurde Wilhelm im Alter von 25 Jahren wegen Wehrdienstverweigerung erschossen. Zwei Jahre später wurde sein Bruder Wolfgang mit 20 Jahren aus dem gleichen Grund im Zuchthaus von Brandenburg enthauptet. Ihr Bruder Karl-Heinz starb 1946 mit 28 Jahren an Tuberkulose, nachdem er krank aus Dachau zurückgekehrt war. Die Eltern und die Töchter waren alle einige Zeit in Gefängnissen und KZs inhaftiert. (Ein ausführlicher Bericht über diese bemerkenswerte Familie von Märtyrern ist im Wachtturm vom 1. September 1985 auf den Seiten 10—15 zu finden.)

      Eugen Kogon gibt in seinem Buch Der SS-Staat folgenden Kommentar: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher nicht ganz fertig wurde.“

      Wenn diese kleine Gruppe christlicher Zeugen, gestützt auf ihren biblisch begründeten Glauben, gegen Hitler standhalten konnte, drängt sich einem die Frage auf, warum die Millionen Protestanten und Katholiken diesbezüglich versagt haben. Wo war die klare, eindeutige religiöse Führung und Anleitung in christlichen Grundsätzen, die 60 Millionen Deutsche davon zurückgehalten hätte, den Nationalsozialismus zu unterstützen? (Siehe Kasten auf Seite 13.)

      Was hielt sie aufrecht?

      In seinem Buch The Drowned and the Saved erklärt Primo Levi: „Die [religiös und politisch] Gläubigen überstanden die tägliche Schinderei [in den KZs] besser. ... allen gemein war die rettende Kraft ihres Glaubens, die sie aufrecht hielt.“

      Er fügt hinzu: „Ihr Universum war größer als das unsrige, ausgedehnter in Raum und Zeit und vor allem umfassender: Vor ihnen lag das ... Millennium, ... ein Platz im Himmel oder auf der Erde, wo Gerechtigkeit und Erbarmen schon gesiegt hatten oder, wenn auch vielleicht in ferner Zukunft, mit Sicherheit siegen würden.“

      Der unbeugsame Glaube der Zeugen Jehovas an ein zukünftiges Millennium ist am besten in den folgenden Briefen zu erkennen, die von deutschen Zeugen stammen, die man zum Tode verurteilt hatte:

      „Mein lieber Bruder, meine liebe Schwägerin, meine lieben Eltern, alle anderen Geschwister mit eingeschlossen!

      ... Nunmehr muß ich Euch die schmerzliche Eröffnung machen, daß ich mich bei Ankunft dieses Briefes nicht mehr in diesem Dasein befinde. Seid bitte, bitte nicht allzu traurig. Denket, daß es für den allmächtigen Gott ein leichtes ist, mich aus dem Tode zu erwecken. ... Wißt, daß es mein Bestreben war, ihm in meiner Schwachheit zu dienen, und ich bin überzeugt davon, daß Gott mir bis zum Ende beisteht. Ich befehle mich in seine Hände. ... Und nun will ich Euch, liebe Mutter, lieber Vater, danken für alles Gute, das Ihr mir erwiesen habt. ... Möge Jehova Euch alles vergelten ...

      [gez.] Ludwig Cyranek“

      Ludwig Cyranek wurde in Dresden hingerichtet, weil er ein Zeuge Jehovas war.

      Johannes Harms wurde nach seiner Verurteilung zum Tod durch das Fallbeil siebenmal die Gelegenheit gegeben zu widerrufen. Kurz vor seiner Hinrichtung im Jahre 1940 schrieb er seinem Vater, Martin Harms, der ebenfalls als Zeuge Jehovas inhaftiert war, diesen Brief:

      „Mein lieber, guter Vater!

      Noch trennen uns gut drei Wochen vom 3. Dezember, von dem Tag, an dem wir uns beide vor zwei Jahren zum letzten Mal sahen. Ich sehe noch Dein liebes Lächeln, als Du im Keller des Gefängnisses warst, um dort zu arbeiten, und ich auf dem Gefängnishof spazierenging.

      ... Mit Stolz habe ich in der Zeit auf Dich geschaut und mit Bewunderung gesehen, wie Du Dein Los in der Treue zum Herrn trägst. Und nun ist auch mir Gelegenheit gegeben, dem Herrn gegenüber die Treue zu beweisen, ja die Treue nicht nur bis an den Tod, sondern bis in den Tod.

      Schon jetzt ist das Todesurteil gegen mich ausgesprochen, ich liege Tag und Nacht in Fesseln — die Druckstellen [auf dem Papier] stammen von den Handschellen —, aber ich habe noch nicht bis aufs Blut widerstanden. ... So ist auch mir immer noch die Gelegenheit gegeben, mein irdisches Leben zu retten, um das wirkliche Leben zu verlieren.

      ... Wenn Du, lieber Vater, wieder zu Hause bist, dann nimm Dich auch ganz besonders meines lieben Lieschens [Johannes’ Frau] an, denn es wird für sie dann ganz besonders schwer sein, weiß sie doch, daß sie ihren Liebsten nicht zurückerwarten braucht. Ich weiß, daß Du dies tun wirst, ich sage Dir schon jetzt vielen Dank dafür. Mein lieber Vater, im Geiste rufe ich Dir zu, bleibe auch Du treu, wie ich mich bemühe, treu zu sein, dann werden wir uns wiedersehen. Ich werde auch Deiner bis zuletzt gedenken.

      Dein Sohn Johannes“

      Dies sind nur zwei der Hunderte von Blutzeugen — Zeugen Jehovas, die starben, weil sie den Mut hatten, einem Regime des Bösen aus Gewissensgründen entgegenzutreten. Die gesamte Geschichte ihres gemeinsamen Märtyrertums würde Bände füllen.b

  • Der Holocaust — Opfer oder Märtyrer?
    Erwachet! 1989 | 8. April
    • b Ein ausführlicher Bericht über die Erlebnisse der Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern ist im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974 auf den Seiten 108—212 und im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1989 auf den Seiten 111—134 zu finden.

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