Sechs Boten aus dem Weltraum
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN JAPAN
STÄNDIG erreichen uns Botschaften aus dem Weltraum. Sie enthalten erstaunliche Informationen über das unendliche Universum. Sie stammen von insgesamt „sechs Boten“, die mit Lichtgeschwindigkeit reisen, das heißt, sie legen 300 000 Kilometer in der Sekunde zurück. Einer der Boten ist sichtbar, doch die anderen sind für uns unsichtbar. Worum handelt es sich dabei?
Das elektromagnetische Spektrum
Seit über 300 Jahren ist bekannt, daß Licht, das ein Prisma durchläuft, in den sieben Farben des Regenbogens austritt. Das zeigt, daß gewöhnliches Licht alle sieben Farben des Regenbogens enthält, und zwar in der Farbfolge Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett.
Unter Licht versteht man einen Fluß von masselosen Teilchen, die Photonen, die auch Wellencharakter haben. Den Abstand benachbarter Wellenberge bezeichnet man als Wellenlänge; die Maßeinheit für diese Wellenlängen ist das Ångström (Zeichen: Å; 1 Å = 10—10 m). Der Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes liegt zwischen 4 000 und 7 000 Ångström; je nach Wellenlänge hat das Licht eine andere Farbe. (Siehe Bild, Seite 15.)
Photonen können jedoch auch andere Wellenlängen haben. Der Photonenstrom, als elektromagnetische Strahlung bezeichnet, wird unterschiedlich benannt, je nach Länge der Wellen. Elektromagnetische Wellen mit einer Länge von weniger als 4 000 Ångström liegen nicht mehr im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes und werden je nach Länge als Ultraviolettstrahlung oder UV-Strahlung, Röntgenstrahlung oder als Gammastrahlung bezeichnet. Wellenlängen von über 7 000 Ångström sind für den Menschen ebenfalls nicht mehr sichtbar, denn sie befinden sich im Infrarot- und im Radiofrequenzbereich des elektromagnetischen Spektrums. Das sind sie also, die „sechs Boten“ aus dem Weltraum. Sie übermitteln eine Fülle von Informationen über die Himmelskörper. Wir wollen sehen, wie sich ihnen wertvolle Informationen entlocken lassen.
Der erste Bote — sichtbares Licht
Von 1610 an, als Galilei sein Teleskop gen Himmel richtete, bis 1950 benutzten Astronomen zum Studium des Universums vor allem das optische Teleskop. Sie waren nur mit dem sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums vertraut. Einige Himmelsobjekte waren mit den optischen Teleskopen nur ganz schwach zu erkennen; zur näheren Untersuchung machte man deshalb fotografische Aufnahmen. Heute werden immer öfter elektronische Detektoren — bekannt als Ladungsverschiebeelemente — eingesetzt; sie sind 10- bis 70mal empfindlicher als ein Film. Das sichtbare Licht liefert Informationen über die Dichte von Sternen, über Temperaturen, über chemische Elemente und über Entfernungen.
Um etwas über das Licht zu erfahren, werden immer größere Teleskope gebaut. Von 1976 an war das im Selentschuk-Astrophysik-Observatorium errichtete Teleskop mit seinem Spiegel von etwa sechs Meter Durchmesser das größte Spiegelteleskop. Im April 1992 wurde jedoch das Keck-Spiegelteleskop auf dem Mauna Kea (Hawaii) fertiggestellt.a An Stelle eines einzigen großen Spiegels besteht es aus einer Kombination von 36 hexagonalen Spiegelsegmenten. Die Segmente haben zusammengenommen einen Durchmesser von 10 Metern.
Neben dem ersten Keck-Teleskop, jetzt Keck I genannt, wird momentan ein zweites Keck-Teleskop gebaut. Die beiden Teleskope könnten als ein optisches Interferometer funktionieren. Dazu gehört eine Computerkopplung der beiden 10-Meter-Teleskope, wodurch eine Auflösung erreicht werden kann, die der eines einzigen Teleskops mit einem Spiegel von 85 Meter Durchmesser entspricht. Auflösung oder Auflösungsvermögen bezieht sich darauf, Details deutlich voneinander unterscheiden zu können.
Die nationale Sternwarte in Tokio errichtet zur Zeit auf dem Mauna Kea ein 8,3-Meter-Teleskop für den sichtbaren und Infrarotbereich mit dem Namen Subaru (die japanische Bezeichnung für den Sternhaufen der Plejaden). Sein dünner Spiegel wird durch 261 Aktuatoren unterstützt, die einmal in der Sekunde den Spiegel ausrichten, um irgendwelche Deformationen der Spiegeloberfläche auszugleichen. Noch andere riesige Teleskope sind im Bau, so daß wir sicherlich mehr über den Boten Nummer eins — sichtbares Licht — erfahren werden.
Der zweite Bote — Radiowellen
Die von der Milchstraße ausgehende Radiostrahlung wurde zum ersten Mal im Jahre 1931 aufgefangen, doch erst in den 50er Jahren begannen Radioastronomen und optische Astronomen zusammenzuarbeiten. Durch die Entdeckung der Radiostrahlung aus dem Weltraum war es nun möglich, das, was mit optischen Teleskopen nicht zu sehen war, zu beobachten. Die Radiostrahlung ermöglichte es, das Zentrum unserer Galaxis zu erkunden.
Radiowellen sind länger als die Wellen des sichtbaren Lichtes, und daher sind zum Empfang der Radiosignale große Antennen nötig. Antennen mit einem Durchmesser von 90 Metern oder mehr sind für den Gebrauch in der Radioastronomie konstruiert worden. Da das Auflösungsvermögen von Instrumenten selbst dieser Größe schlecht ist, schalten Astronomen per Computer verschiedene Radioteleskope zwecks Radiointerferometrie zusammen. Je größer der Abstand der Einzelteleskope, desto besser die Auflösung.
Zu einer solchen Zusammenschaltung gehört die 45-m-Antenne des Nobeyama Radio Observatory in Japan, der 100-m-Parabolspiegel in Deutschland (bei Bonn) sowie ein 37-m-Radioteleskop in den Vereinigten Staaten. Bei dieser Zusammenschaltung handelt es sich um Großbasisinterferometrie (englische Abkürzung: VLBI [very long baseline interferometry]); damit läßt sich eine Auflösung von etwa 0,001 Bogensekunden erzielen oder, anders ausgedrückt, ein 1,8 Quadratmeter großes Objekt auf dem Mond ausmachen.b Der Großbasisinterferometrie sind durch den Erddurchmesser Grenzen gesetzt.
Das Nobeyama Radio Observatory geht noch einen Schritt weiter, um Radiowellen einzufangen — man will eine 10-m-Antenne im Weltraum plazieren. Sie soll 1996 von Japan aus ins Weltall geschossen werden und wird mit Radioteleskopen in Japan, in Europa, in Australien und in den Vereinigten Staaten verbunden sein, wodurch eine Basislänge von etwa 30 000 Kilometern entstehen wird. Mit anderen Worten, diese Verbindung könnte man mit einem riesigen Teleskop vergleichen, das dreimal so groß ist wie die Erde. Die Auflösung wird 0,0004 Bogensekunden betragen, was bedeutet, daß ein 70 Zentimeter großes Objekt auf dem Mond auszumachen sein wird. Das Projekt trägt den Namen VLBI Space Observatory Programme oder kurz VSOP, und es wird dem Studium und der Kartierung von Zentren von Galaxien und Quasaren dienen, wo supermassive schwarze Löcher vermutet werden. Radiowellen — der zweite Bote — sind sehr erfolgreich und werden auch in Zukunft Aufschluß über ihre Herkunft geben.
Der dritte Bote — Röntgenstrahlung
Aufmerksam wurde man auf sie 1949. Da Röntgenstrahlen die Erdatmosphäre nicht durchdringen können, mußte man auf die Entwicklung von Raketen und Satelliten warten, um Informationen von diesem Boten zu erhalten. Röntgenstrahlen entstehen bei extrem hohen Temperaturen und liefern damit Aufschluß über heiße stellare Atmosphären, Supernovaüberreste, Galaxienhaufen, Quasare und über angebliche schwarze Löcher. (Siehe Erwachet! vom 22. März 1992, Seite 5—9.)
Im Juni 1990 wurde ROSAT, ein Röntgensatellit, ins All befördert; er durchmusterte den ganzen Himmel erfolgreich im Röntgenstrahlungsbereich. Die von ihm aufgezeichneten Daten lassen vier Millionen Röntgenquellen vermuten, die am Himmel verstreut sind. Zwischen den Quellen gibt es jedoch eine Hintergrundstrahlung, über die man sehr wenig weiß. Sie könnte auf Anhäufungen von Quasaren zurückzuführen sein — Quasare sollen die hochaktiven Kerne von Galaxien sein, die sich nahe dem „Rand des sichtbaren Universums“ befinden, wie sich einige Astronomen ausdrücken. Zu gegebener Zeit wird man sicher mehr über die Röntgenstrahlung — den dritten Boten — erfahren.
Der vierte Bote — Infrarotstrahlung
In den 20er Jahren stieß man zum ersten Mal auf Infrarot. Da Wasserdampf die Infrarotstrahlen absorbiert, werden zur genauen Erforschung dieses Boten Satelliten in Umlaufbahnen geschossen. 1983 wurde IRAS (Infrarotastronomischer Satellit) eingesetzt, um eine Infrarotdurchmusterung des Alls vorzunehmen; er entdeckte 245 389 Infrarotquellen. Etwa 9 Prozent (22 000) dieser Objekte sind offensichtlich entfernte Galaxien.
Optische Teleskope sind zu schwach, um die vielen Regionen von Gas und Staub im All zu durchdringen. Der vierte Bote ermöglicht es jedoch, tiefer in den Staub „hineinzusehen“, und er ist von besonderer Bedeutung, was die Beobachtung des Zentrums unserer Galaxis angeht. Wissenschaftler planen, ein Infrarotteleskop — Space Infrared Telescope — in eine Umlaufbahn zu bringen; seine Empfindlichkeit ist 1000mal so groß wie die von IRAS.
Der fünfte Bote — Ultraviolettstrahlung
Astronomen wurden 1968 zum ersten Mal auf die Ultraviolettstrahlung (UV-Strahlung) aufmerksam. Die Ozonschicht verhindert, daß der größte Teil dieser Strahlung die Erdoberfläche erreicht. Das Hubble-Raumteleskop, das im April 1990 ins All gebracht wurde, registriert sowohl die sichtbaren als auch die ultravioletten Strahlen, und es wird auf 30 Quasare ausgerichtet, von denen einige zehn Milliarden Lichtjahre entfernt sind.c Mit anderen Worten, eine Beobachtung des ultravioletten Boten läßt uns erkennen, wie das Universum vor ungefähr zehn Milliarden Jahren aussah. Man hofft, daß dieser Bote eine Menge über die Geheimnisse des Universums verrät.
Der sechste Bote — Gammastrahlung
Gammastrahlen sind sehr energiereich und äußerst kurzwellig. Glücklicherweise verhindert die Atmosphäre, daß der überwiegende Teil dieser Strahlen die Erdoberfläche erreicht. Der sechste Bote steht mit heftigen Vorfällen im Universum in Verbindung. Am 5. April 1991 hievte die Nationale Luft- und Raumfahrtbehörde der Vereinigten Staaten das Gammastrahlen-Observatorium ins All. Es soll Vorfälle in Verbindung mit Quasaren, Supernovä, Pulsaren, angeblichen schwarzen Löchern und anderen entfernten Objekten beobachten.
Mit dem Anbruch des Raumfahrtzeitalters hat sich für Astronomen die Möglichkeit eröffnet, das gesamte elektromagnetische Spektrum zu beobachten, von Radiowellen bis zu Gammastrahlen. Für Astronomen ist es ganz bestimmt ein goldenes Zeitalter. Wenn wir ‘unsere Augen in die Höhe heben’, können wir nun — mit Hilfe der sechs Boten von stellaren Quellen — die erstaunliche Weisheit des Schöpfers all dessen „sehen“ (Jesaja 40:26; Psalm 8:3, 4). Die Astronomen werden immer mehr Informationen entschlüsseln, die die sechs Boten liefern; und wir empfinden wie Hiob, der vor mehr als 3 000 Jahren sagte: „Siehe! Dies sind die Säume seiner Wege, und welch Geflüster von einer Sache wird von ihm gehört!“ (Hiob 26:14).
[Fußnoten]
a Nach W. M. Keck benannt, einem wohlhabenden Spender.
b Das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges beträgt eine Bogenminute. Die Auflösung von 0,001 Bogensekunden ist 60 000mal so groß wie das Auflösungsvermögen des Auges.
c Ein Lichtjahr entspricht 9 460 000 000 000 Kilometern.
[Übersicht auf Seite 15]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
0,1 Å Gammastrahlen
1 Å Röntgenstrahlen
10 Å
100 Å UV-Strahlung
1 000 Å
4 000—7 000 Å Sichtbares Licht
10 000 Å Infrarotstrahlung
10 μ
100 μ Radiostrahlung
1 mm
1 cm
10 cm
1 m
[Bild auf Seite 15]
Mit dem VSOP-Radioteleskop wird es möglich sein, ein 70 Zentimeter großes Objekt auf dem Mond auszumachen
[Bildnachweis]
VSOP: Mit frdl. Gen.: Nobeyama Radio Observatory (Japan)
[Bild auf Seite 15]
Eine Zeichnung von Subaru, dem Teleskop für den sichtbaren und Infrarotbereich, das zur Zeit errichtet wird
[Bildnachweis]
Subaru: Mit frdl. Gen.: National Astronomical Observatory (Japan)