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  • Wenn alle Augen auf einen gerichtet sind
    Erwachet! 1998 | 22. Juli
    • Wenn alle Augen auf einen gerichtet sind

      „Eine Tortur!“ So beschreibt Jerry seinen Zustand. „Jedesmal, wenn ich in ein Klassenzimmer ging“, erzählt er, „brach mir der Schweiß aus, mein Mund fühlte sich an, als sei er voller Watte, und mir war, als ob ich kein Wort herausbringen könnte, selbst wenn mein Leben davon abhängig gewesen wäre. Als nächstes spürte ich eine intensive Hitze in den Armen, den Beinen und im Gesicht aufsteigen — ich wurde feuerrot, als ob mein ganzer Körper glühte.“

      JERRY leidet an einer sozialen Phobie — ein Zustand, dem die panische Angst anhaftet, von anderen kritisch gemustert zu werden und sich in der Öffentlichkeit zu blamieren. „Der Sozialphobiker ist der Meinung, daß alle Augen auf ihn gerichtet sind“, heißt es in einer Broschüre der Amerikanischen Vereinigung gegen Angststörungen. „Die Angst kann zu panikartigen Anfällen führen und mit heftigem Herzklopfen, Ohnmacht, Kurzatmigkeit oder Schweißausbrüchen einhergehen.“

      Manche wischen die Ängste von Sozialphobikern vielleicht gern vom Tisch und sagen, die Betreffenden sollten sich einfach nur dazu zwingen, ihre Schüchternheit zu ignorieren und „unter die Leute zu gehen“. Natürlich gehört zur Bewältigung einer sozialen Phobie, daß man sich mit seinen Ängsten auseinandersetzt. Aber es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen Schüchternheit und einer sozialen Phobie. „Im Gegensatz zur gewöhnlichen Schüchternheit“, sagt Jerilyn Ross, „ist eine soziale Phobie so schwerwiegend, daß sie die täglichen Leistungen am Arbeitsplatz oder in der Schule beeinträchtigt sowie fast alle zwischenmenschlichen Kontakte.“

      Studien legen nahe, daß das Leben von Millionen Menschen durch soziale Phobien beeinträchtigt ist.a Befassen wir uns mit einigen Ängsten, die mit diesem kräftezehrenden Leiden in Zusammenhang gebracht werden.

      Ängste bei sozialen Phobien

      Öffentliches Reden. Doug erinnert sich an die panische Angst, die ihn erfaßte, als er vor einer einheimischen Bürgerinitiative eine kurze Rede hielt. „Urplötzlich brach mir der kalte Schweiß aus“, erzählt er. „Mein Herz pochte heftig. Ich zitterte wie Espenlaub. Ich hatte das Gefühl, als würde es mir die Kehle zuschnüren, so daß ich nur mit Mühe die Worte herausbrachte.“ Natürlich wird fast jeder nervös, wenn er vor einem Publikum steht. Aber ein Sozialphobiker durchlebt eine massive Welle schrecklicher anhaltender Angst, die sich auch durch Erfahrung nicht abbauen läßt. Im Gegenteil, Doug empfand es schließlich schon als lebensbedrohlich, beim kleinsten Anlaß eine Rede zu halten.

      Essen in Gesellschaft anderer. Da Sozialphobiker meinen, sie würden von anderen genau beobachtet, kann schon ein Essen zu einem Alptraum werden. Sie befürchten, daß ihre Hände zittern, daß sie etwas verschütten oder ihren Mund verfehlen oder daß ihnen sogar übel wird. Diese Ängste können zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden. In dem Buch Dying of Embarrassment heißt es: „Je mehr man befürchtet, sich zu blamieren, desto ängstlicher wird man. Je ängstlicher man wird, um so eher wird man tatsächlich anfangen, zu zittern oder sich abrupt und unbeholfen zu bewegen. Das Ganze kann sich so hochschaukeln, daß es schließlich schwierig wird, das Essen oder das Getränk zum Mund zu führen, ohne zu kleckern oder etwas zu verschütten.“

      Schreiben in Gegenwart anderer. Aus Furcht davor, daß ihre Hand zittert oder sie unleserlich schreiben, geraten viele Sozialphobiker in Panik, wenn sie einen Scheck unterschreiben oder irgend etwas im Beisein anderer schreiben müssen. Sam packte zum Beispiel das blanke Entsetzen, als sein Arbeitgeber von ihm verlangte, jeden Tag vor Arbeitsbeginn vor den Augen eines Sicherheitsbeamten das Dienstbuch abzuzeichnen. „Ich schaffte es nicht“, sagt Sam. „Meine Hand zitterte so stark, daß ich sie mit der anderen Hand festhalten mußte, um überhaupt die Linie zu treffen, und dann konnte man das, was ich geschrieben hatte, nicht lesen.“

      Benutzen des Telefons. Wie Dr. John R. Marshall erklärt, gaben viele seiner Patienten zu, das Telefonieren soweit wie möglich zu umgehen. „Sie fürchteten sich davor, eine verkehrte Antwort zu geben“, sagt er. „Andere befürchteten, es könnte eine peinliche Stille eintreten, weil sie nicht wüßten, was sie sagen sollten, oder ihre Stimme könnte umkippen, zittern oder sich überschlagen, sobald das Gespräch ins Stocken gerate. Sie hatten entsetzliche Angst davor, zu stammeln, zu stottern oder sich sonstwie zu blamieren und so ihre Unsicherheit zu verraten.“

      Zwischenmenschliche Kontakte. Manche Sozialphobiker fürchten praktisch jede Situation, in der sie mit anderen Menschen zu tun haben. Besondere Angst haben sie oftmals vor Blickkontakt. „Patienten mit schweren sozialen Phobien sind unsicher und ängstlich, weil sie nicht wissen, wohin sie schauen sollen oder wie sie reagieren sollen, wenn andere sie ansehen“, hieß es im Harvard Mental Health Letter. „Sie vermeiden den Blickkontakt, weil sie das Gefühl haben, nicht zu wissen, wann sie jemand anschauen oder wann sie wegschauen müssen. Sie denken, andere würden ihre Blicke falsch verstehen.“

      Mit sozialen Phobien sind noch weitere Ängste verbunden. Viele haben zum Beispiel entsetzliche Angst davor, öffentliche Toilettenanlagen zu benutzen. Für andere ist es ein Horror, unter den musternden Blicken eines Verkäufers einzukaufen. „Ich bin so auf mich fixiert, daß ich oft nicht einmal wahrnehme, was ich mir ansehe“, sagt eine Frau. „Ich rechne ständig damit, daß der Verkäufer hinter dem Ladentisch gleich von mir verlangt, mich endlich zu entscheiden und nicht länger seine Zeit zu stehlen.“

      Wie versuchen viele, ihre Phobie in den Griff zu bekommen?

      Wer nicht an einer solchen Störung leidet, kann nur schwer nachvollziehen, wieviel Leid soziale Phobien bereiten. Ein Patient beschrieb seine Erfahrung als „die schlimmste Blamage, die man sich nur denken kann“. Jemand anders gab zu: „Ich trage mich ständig mit Selbstmordgedanken.“

      Leider wenden sich viele Sozialphobiker dem Alkohol zu, um ihre Ängste zu lindern.b Das bringt ihnen zwar vorübergehend Erleichterung, aber, auf lange Sicht gesehen, verstärkt der Mißbrauch von Alkohol nur die Probleme des Phobikers. Dr. John R. Marshall schreibt: „So mancher von meinen Patienten, der es nicht gewohnt ist, in Gesellschaft zu trinken, hat sich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken, weil er sich vor oder während einer sozialen Situation beruhigen wollte, nur um dann in den Augen derer, deren Urteil er so fürchtete, noch lächerlicher zu wirken.“

      Die häufigste Bewältigungsstrategie von Sozialphobikern ist ein Vermeidungsverhalten. Ja, viele meiden schlichtweg die Situationen, die ihnen angst machen. „Ich mied so viele Situationen wie möglich — sogar das Telefonieren“, sagt Lorraine, die ebenfalls an einer sozialen Phobie leidet. Mit der Zeit stellen viele Patienten jedoch fest, daß sie das nicht schützt, sondern noch mehr einschränkt. „Nach einer Weile“, sagt Lorraine, „wird man von Einsamkeit und Langeweile übermannt.“

      Das Vermeidungsverhalten kann zu „einer sich selbst verstärkenden Falle“ werden, so sagt Jerilyn Ross warnend. „Und jede Vermeidungshandlung“, erklärt sie weiter, „läßt die Betreffenden beim nächsten Mal leichter in die Falle tappen — bis Vermeidung zu einer nahezu automatischen Reaktion wird.“ Manche Phobiker schlagen jede Einladung zu einem Essen aus oder lehnen eine Arbeitsstelle ab, wenn sie dort mit anderen Menschen zu tun haben. Infolgedessen lernen sie nie, sich mit ihren Ängsten auseinanderzusetzen und sie zu überwinden. Wie Dr. Richard Heimberg beschreibt, „besteht ihr Leben aus lauter Absagen, zu denen es in Wirklichkeit nie kam, und aus einer Ansammlung imaginärer Fehlschläge an Arbeitsstellen, die sie nie antraten, weil sie sie von vornherein mieden“.

      Es gibt jedoch eine gute Nachricht: Soziale Phobien lassen sich behandeln. Natürlich ist es unmöglich — und auch nicht einmal wünschenswert —, jede Form der Angst von Grund auf zu beseitigen. Doch wer an sozialen Phobien leidet, kann lernen, seine Ängste in den Griff zu bekommen. Und die Bibel enthält praktischen Rat, der dabei helfen kann.

      [Fußnoten]

      a Hierbei gilt es zu beachten, daß fast jeder Mensch unter bestimmten sozialen Ängsten leidet. Viele bekommen zum Beispiel Angst bei dem Gedanken daran, vor einer Gruppe zu sprechen. Eine soziale Phobie wird jedoch in der Regel nur bei Personen diagnostiziert, deren Ängste so extrem sind, daß sie ein normales Verhalten erheblich beeinträchtigen.

      b Wie Studien ergeben haben, ist ein hoher Prozentsatz der Sozialphobiker alkoholabhängig, und ein hoher Prozentsatz der Alkoholiker leidet an sozialen Phobien, so daß sich die Frage nach Ursache und Wirkung stellt. Bei einem Drittel der Alkoholiker soll vor ihrer Trunksucht bereits eine Panikstörung oder eine Form von sozialer Phobie aufgetreten sein.

  • Soziale Phobien in den Griff bekommen
    Erwachet! 1998 | 22. Juli
    • Soziale Phobien in den Griff bekommen

      „Auf keinen Fall dürfen Menschen mit Phobien vergessen, daß ihre phobischen Störungen auf eine Behandlung gut ansprechen. Sie müssen nicht ewig damit leben“ (Dr. Chris Sletten).

      GLÜCKLICHERWEISE ist vielen Sozialphobikern geholfen worden, ihre Ängste zu reduzieren und sich sogar den sozialen Situationen, die sie viele Jahre lang gefürchtet hatten, wieder auszusetzen. Wer unter einer sozialen Phobie leidet, kann deshalb überzeugt sein, daß auch er konstruktive Methoden im Umgang mit dieser Störung erlernen kann. Beschäftigen muß er sich dazu mit 1. den körperlichen Symptomen, 2. seiner Einstellung zu den von ihm gefürchteten Situationen und 3. dem Verhalten, das die Ängste auslöst.

      Biblische Grundsätze können hierbei eine Hilfe sein. Natürlich ist Gottes Wort kein Gesundheitsbuch, und man liest darin auch nichts von sozialen Phobien. Doch die Bibel kann einem helfen, sich im Umgang mit seinen Ängsten ‘praktische Weisheit und Denkvermögen zu bewahren’ (Sprüche 3:21; Jesaja 48:17).

      Mit den Symptomen fertig werden

      Die körperlichen Symptome sozialer Phobien sind von Person zu Person unterschiedlich. Jeder muß sich fragen: Wie reagiert mein Körper, wenn ich auf eine gefürchtete Situation zusteuere? Zittern die Hände? Schlägt das Herz wie wild? Habe ich Beschwerden im Magen-Darm-Bereich? Bekomme ich Schweißausbrüche, laufe ich rot an, oder wird mein Mund ganz trocken?

      Natürlich ist es kein angenehmes Gefühl, wenn man anfängt, in Gegenwart anderer zu schwitzen, zu stammeln oder zu zittern. Aber es hilft nicht, Angst vor dem zu haben, was passieren könnte. Jesus traf den Nagel auf den Kopf, als er die Frage stellte: „Wer von euch kann dadurch, daß er sich sorgt, seiner Lebenslänge eine einzige Elle hinzufügen?“ (Matthäus 6:27; vergleiche Sprüche 12:25). Wer sich auf die Symptome oder auf das, was andere denken könnten, konzentriert, wird alles nur noch schlimmer machen. „Die Vorstellung, daß andere ihre Nervosität bemerken, macht Menschen mit sozialen Phobien nur noch ängstlicher“, hieß es im Harvard Mental Health Letter. „Sie erwarten förmlich, daß sie sich ungeschickt verhalten oder schlechte Leistungen bringen — eine Erwartung, die weitere Ängste auslöst, sobald eine gefürchtete Situation auf sie zukommt.“

      Man kann die Heftigkeit der Symptome vielleicht etwas vermindern, wenn man sich angewöhnt, unter Beteiligung des Zwerchfells langsam zu atmen. (Siehe Kasten „Auf die Atmung achten!“) Hilfreich sind außerdem regelmäßige körperliche Bewegung und Muskelentspannungsübungen (1. Timotheus 4:8). Möglicherweise muß man auch seine Lebensweise etwas umstellen. Die Bibel empfiehlt zum Beispiel: „Besser ist eine Handvoll Ruhe als eine doppelte Handvoll harter Arbeit und Haschen nach Wind“ (Prediger 4:6). Man sollte also für genügend Ruhe sorgen. Außerdem wäre es gut, auf die Ernährung zu achten. Das heißt, man sollte keine Mahlzeit auslassen und zu geregelten Zeiten essen. Eventuell wird es nötig sein, den Koffeinkonsum einzuschränken, denn Koffein kann ein Hauptauslöser für Ängste sein.

      Vor allem gilt es, geduldig zu sein (Prediger 7:8). Ein Ärzteteam erklärt: „Mit der Zeit werden Sie feststellen, daß Sie wahrscheinlich in bestimmten sozialen Situationen zwar nach wie vor etwas ängstlich sind, daß aber die Intensität der körperlichen Symptome erheblich nachläßt. Am wichtigsten ist, daß Ihr Selbstbewußtsein durch Übung steigt und Sie besser vorbereitet sind, sich mit den gefürchteten sozialen Situationen auseinanderzusetzen.“

      Phobieauslösende Gedanken in Frage stellen

      Es heißt, man könne kein Gefühl verspüren, ohne nicht erst einen Gedanken gedacht zu haben. Das scheint bei sozialen Phobien zuzutreffen. Damit die körperlichen Symptome nachlassen, muß man daher möglicherweise seine „beunruhigenden Gedanken“ analysieren, die der Angst Nahrung geben (Psalm 94:19).

      Manche Experten sagen, eine soziale Phobie sei im Grunde genommen eine Furcht vor Ablehnung. Bei einem Treffen mit anderen sagt sich ein Sozialphobiker möglicherweise: „Ich wirke lächerlich. Die anderen müssen doch merken, daß ich einfach nicht hierherpasse. Ich bin sicher, sie machen sich alle über mich lustig.“ So erging es Tracy, die ebenfalls an einer sozialen Phobie litt. Mit der Zeit stellte sie ihre Denkweise jedoch in Frage. Ihr wurde klar, daß die Leute Wichtigeres zu tun hatten, als ihr Verhalten zu analysieren und sie zu beurteilen. „Selbst wenn ich etwas Langweiliges sage“, war Tracys Fazit, „ist das kein Grund für jemand anders, mich deswegen als Mensch abzulehnen.“

      Wie Tracy muß man unter Umständen seine verzerrte Denkweise in Frage stellen, die mit der Wahrscheinlichkeit und der Heftigkeit der Ablehnung durch andere in sozialen Situationen zu tun hat. Man kann sich fragen: Gibt es wirklich einen triftigen Grund zu der Annahme, daß sich andere über mich ärgern würden, wenn meine schlimmsten Befürchtungen tatsächlich eintreffen sollten? Und selbst wenn sich einige über mich ärgern würden, gibt es einen Grund zu denken, daß ich die unangenehme Situation nicht lebend überstehen würde? Ändert die Meinung eines anderen etwas an meinem Wert als Mensch? In der Bibel findet man den weisen Rat: „Auch gib nicht dein Herz all den Worten hin, die die Menschen reden mögen“ (Prediger 7:21).

      Ein Ärzteteam schrieb zum Thema soziale Phobien: „Probleme entstehen, wenn man den unvermeidbaren Ablehnungen, die das Leben mit sich bringt, zuviel Bedeutung und Wichtigkeit beimißt. Ablehnung kann zu großer Enttäuschung führen. Sie kann wirklich verletzen. Aber sie braucht einen nicht niederzureißen. Sie ist eigentlich keine Katastrophe, außer man macht eine daraus.“

      Die Bibel hilft einem, sich selbst realistisch einzuschätzen. Sie sagt ganz offen: „Wir alle straucheln oft“ (Jakobus 3:2). Ja, keiner ist gegen Unvollkommenheit und ihre mitunter recht blamablen Erscheinungsformen gefeit. Diese Erkenntnis hilft uns, anderen ihre Schwächen zuzugestehen, und ermutigt die anderen, ebenso verständnisvoll mit unseren Schwächen umzugehen. Auf jeden Fall zählt für Christen hauptsächlich die Anerkennung von Jehova Gott, und er konzentriert sich nicht auf Fehler (Psalm 103:13, 14; 130:3).

      Sich mit seinen Ängsten auseinandersetzen

      Um den Kampf gegen soziale Phobien zu gewinnen, muß man sich früher oder später mit seinen Ängsten auseinandersetzen. Allein der Gedanke daran erschreckt einen vielleicht zuerst. Bis jetzt hat jemand angstauslösende soziale Situationen womöglich immer vermieden. Doch dadurch wurde wahrscheinlich nur das Selbstvertrauen untergraben, und seine Ängste wurden verstärkt. Aus gutem Grund sagt daher die Bibel: „Wer sich absondert, wird nach seinem eigenen selbstsüchtigen Verlangen trachten; gegen alle praktische Weisheit wird er losbrechen“ (Sprüche 18:1).

      Im Gegensatz dazu können Ängste möglicherweise gelindert werden, wenn man sich ihnen stellt.a Dr. John R. Marshall sagt: „Wir ermutigen Patienten mit sozialen Phobien — insbesondere diejenigen, deren Ängste auf bestimmte Gebiete beschränkt sind, wie zum Beispiel das Reden in der Öffentlichkeit — oft dazu, sich zu zwingen, in Bereichen oder in Organisationen aktiv zu werden, die soziale Kontakte verlangen.“

      Sich mit der gefürchteten Situation auseinanderzusetzen wird einen davon überzeugen, daß peinliche Schwachpunkte zumeist nicht die Mißbilligung anderer nach sich ziehen und, falls doch, dies keine Katastrophe ist. Fortschritte erfordern allerdings Geduld. Sie stellen sich nicht über Nacht ein, und es ist auch nicht realistisch, zu erwarten, daß alle Anzeichen der sozialen Phobie verschwinden werden. Gemäß Dr. Sally Winston besteht das Ziel der Behandlung nicht darin, die Symptome zu beseitigen, sondern darin, zu bewirken, daß sie nicht mehr von Bedeutung sind. Denn wenn sie nicht von Bedeutung seien, gingen sie weg oder würden zumindest nachlassen.

      Christen haben einen starken Anreiz, soziale Ängste zu überwinden. Es wird ihnen sogar gesagt: „Laßt uns aufeinander achten zur Anreizung zur Liebe und zu vortrefflichen Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht aufgeben“ (Hebräer 10:24, 25). Da christliche Aktivitäten es oftmals erforderlich machen, mit anderen Menschen Kontakt zu pflegen, kann es den Fortschritt auf geistigem Gebiet ungemein fördern, wenn ein Christ hart daran arbeitet, seine sozialen Ängste in den Griff zu bekommen (Matthäus 28:19, 20; Apostelgeschichte 2:42; 1. Thessalonicher 5:14). Es wäre gut, diese Problematik im Gebet zu Jehova Gott immer wieder zu erwähnen, denn er kann die „Kraft, die über das Normale hinausgeht“, geben (2. Korinther 4:7; 1. Johannes 5:14). Der Betreffende sollte Jehova um Hilfe bitten, damit er eine ausgeglichene Ansicht über die Anerkennung von anderen entwickeln kann und imstande ist, Jehovas Anforderungen gerecht zu werden.

      Natürlich ist die Problematik individuell verschieden, das heißt, jeder sieht sich anderen Hindernissen gegenüber oder verfügt über andere Stärken, die er nutzen kann. Manche haben eine enorme Verbesserung erzielt, indem sie die bisher genannten Empfehlungen umgesetzt haben. In bestimmten Fällen ist vielleicht weitere Hilfe nötig. Etlichen ist beispielsweise durch Medikamente geholfen worden.b Andere haben die Hilfe eines Spezialisten in Anspruch genommen. Erwachet! unterstützt oder empfiehlt keine bestimmten Behandlungsmethoden. Ob sich ein Christ einer bestimmten Behandlung unterzieht, ist seine persönliche Entscheidung. Er sollte allerdings sorgfältig darauf achten, daß die Behandlung nicht gegen biblische Grundsätze verstößt.

      Menschen „mit Gefühlen gleich den unseren“

      Die Bibel kann Phobikern großen Mut machen, denn sie enthält aus dem Leben gegriffene Berichte über Menschen, die persönliche Hindernisse überwanden, um das zu tun, was Gott von ihnen erwartete. Ein Beispiel dafür ist Elia. Als einer der herausragendsten Propheten Israels bewies er nahezu übermenschlichen Mut. Doch die Bibel versichert uns: „Elia war ein Mensch mit Gefühlen gleich den unseren“ (Jakobus 5:17). Auch er hatte Phasen intensiver Angst oder Furcht (1. Könige 19:1-4).

      Der christliche Apostel Paulus ging nach Korinth „in Schwachheit und mit Furcht und mit vielem Zittern“, wobei er offensichtlich selbst stark an seinen Fähigkeiten zweifelte. Und ihm wurde zum Teil auch Mißbilligung entgegengebracht. Einige Gegner sagten sogar über Paulus: „Seine persönliche Gegenwart ist schwach und seine Rede verächtlich.“ Dennoch deutet nichts darauf hin, daß Paulus seine Meinung über sich und seine Fähigkeiten von der verzerrten Meinung anderer beeinflussen ließ (1. Korinther 2:3-5; 2. Korinther 10:10).

      Moses fehlte das nötige Selbstvertrauen, zu Pharao zu gehen, denn er sagte, er sei „schwerfällig von Mund und schwerfällig von Zunge“ (2. Mose 4:10). Sogar als Jehova Gott versprach, ihm zu helfen, bat Moses: „Nein, Herr, bitte sende jemand anders“ (2. Mose 4:13, Today’s English Version). Moses erkannte seine Stärken nicht, aber Jehova konnte sie erkennen. Er hielt Moses, intellektuell und körperlich gesehen, für geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Dennoch stellte Jehova Moses liebevollerweise jemanden zur Seite. Er zwang Moses nicht, allein vor Pharao zu treten (2. Mose 4:14, 15).

      Ein ausgezeichnetes Beispiel ist auch Jeremia. Als er den Auftrag erhielt, als Gottes Prophet zu wirken, erwiderte der junge Mann: „Ach, o Souveräner Herr Jehova! Siehe, ich weiß wirklich nicht zu reden, denn ich bin nur ein Knabe.“ Jeremia konnte diese Aufgabe nicht aus eigener Kraft ausführen. Doch Jehova war mit ihm. Er machte Jeremia „zu einer befestigten Stadt ... und zu einer eisernen Säule und zu kupfernen Mauern gegen das ganze Land“ (Jeremia 1:6, 18, 19).

      Wer daher unter Ängsten oder Furcht leidet, sollte nicht zu dem Schluß kommen, daß es ihm an Glauben fehlt oder daß Jehova ihn verworfen hat. Im Gegenteil: „Jehova ist nahe denen, die gebrochenen Herzens sind; und die zerschlagenen Geistes sind, rettet er“ (Psalm 34:18).

      Die erwähnten biblischen Beispiele zeigen also, daß sich sogar gestandene Männer des Glaubens mit dem Gefühl der Unzulänglichkeit herumgeschlagen haben. Jehova verlangte von Elia, Paulus, Moses und Jeremia nicht mehr, als jeder im Rahmen des Vernünftigen geben konnte, er half ihnen jedoch, mehr zu erreichen, als sie vielleicht gedacht hätten. Da Jehova ‘unser Gebilde kennt und eingedenk dessen ist, daß wir Staub sind’, können wir sicher sein, daß Jehova dasselbe auch für uns tun kann (Psalm 103:14).

      [Fußnoten]

      a Falls dieser Schritt zu gewaltig erscheint, sollte man sich laut der Empfehlung mancher Ärzte die gefürchtete Situation übungshalber einfach im Geist vorstellen. Man sollte sich die Situation so detailliert wie möglich ausmalen. Wahrscheinlich steigt daraufhin der Angstpegel. Doch man muß sich dann daran erinnern, daß die Mißbilligung anderer gar nicht so schlimm und so wahrscheinlich ist, wie man es denkt, und man sollte die Situation im Geist schließlich so enden lassen, daß diese Ansicht unterstützt wird.

      b Wer über eine medikamentöse Behandlung nachdenkt, sollte die Vor- und Nachteile abwägen. Er sollte auch überlegen, ob die Phobie wirklich so schwer ist, daß eine medikamentöse Behandlung angezeigt ist. Viele Experten sind der Meinung, eine solche Behandlung habe die besten Erfolgsaussichten, wenn sie mit einer Therapie kombiniert werde, die auf die Ängste und das Verhalten des Phobikers abziele.

      [Kasten auf Seite 8]

      Auf die Atmung achten!

      ETLICHE Sozialphobiker können die Heftigkeit der körperlichen Symptome verringern, indem sie auf die Atmung achten. Das hört sich zunächst vielleicht seltsam an. Schließlich weiß doch jeder, wie man atmet! Experten sind jedoch der Meinung, daß viele Menschen mit Angstproblemen nicht richtig atmen. Oft atmen sie zu flach, zu schnell oder zu häufig unter Beteiligung des Brustkorbs.

      Man muß üben, langsam ein- und auszuatmen. Leichter wird es, wenn man dabei durch die Nase atmet statt durch den Mund. Außerdem sollte man die Zwerchfellatmung einüben, denn die Brustatmung erhöht die Gefahr der Hyperventilation. Zum Selbsttest legt man im Stehen die eine Hand auf den Bauch und die andere Hand auf den Brustkorb. Beim Atmen sollte man darauf achten, welche Hand sich mehr bewegt. Ist es die Hand auf dem Brustkorb, muß man die Zwerchfellatmung einüben.

      Natürlich braucht nicht jeder Atemzug aus dem Zwerchfell zu kommen. (Das normale Verhältnis zwischen Zwerchfell- und Brustatmung liegt bei 4 zu 1; allerdings kann es variieren.) Hier ist auch ein Wort zur Vorsicht angebracht: Wer an chronischen Atemwegsbeschwerden leidet, wie Emphysem oder Asthma, sollte vor dem Erlernen neuer Atemtechniken erst einen Arzt befragen.

      [Kasten auf Seite 9]

      Wenn sich die Furcht zur Panik auswächst

      BEI manchen Sozialphobikern ist die Angst so ausgeprägt, daß sie zu einer Panikattacke führt. Diese plötzliche, übermächtige Angst kann oft bewirken, daß der Betreffende hyperventiliert, sich schwach fühlt oder glaubt, er habe einen Herzanfall.

      Wie Fachleute sagen, ist es das beste, den Anfall nicht zu bekämpfen. Statt dessen raten sie dem Betroffenen, die Angst auszuhalten, bis sie abgeklungen ist. „Hat die Angst erst einmal eingesetzt, kann man sie nicht aufhalten“, sagt Jerilyn Ross. „Man muß ihr ihren Lauf lassen und sich selbst nur immer wieder sagen, daß die Lage zwar beängstigend, aber nicht gefährlich ist. Die Angst wird vorübergehen.“

      Melvin Green, Leiter eines Zentrums zur Behandlung von Agoraphobie, vergleicht die Attacke mit einer kleinen Welle, die auf einen Strand zurollt. „Sie stellt Ihre anfänglichen Angstgefühle dar“, sagt er. „Je mehr sich die Welle dem Land nähert, desto höher wird sie. Das stellt Ihre wachsenden Angstgefühle dar. Bald ist die Welle sehr hoch und erreicht schließlich ihren höchsten Punkt. Danach läuft sie allmählich aus, bis sie am Strand endet. Dieses Bild stellt den Beginn und das Ende einer Panikattacke dar.“ Wie Green sagt, sollten die Betroffenen nicht gegen die Gefühle ankämpfen, sondern mit ihnen mitgehen, bis sie abgeklungen sind.

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