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Die Feiertage — Entsprechen sie dem, was man sich von ihnen erhofft?Der Wachtturm 2005 | 15. Dezember
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Die Feiertage — Entsprechen sie dem, was man sich von ihnen erhofft?
Peter der Große ließ „am 1. Januar in allen Kirchen besondere Neujahrsgottesdienste zelebrieren. Festliches Immergrün sollte zukünftig an diesem Tag die Türpfosten der Häuser schmücken. Schließlich ordnete der Zar an, dass alle Moskauer Bürger ‚ihr Glück zum Ausdruck bringen sollten‘, dadurch dass sie einander am Neujahrstag ‚laut ihre Glückwünsche aussprachen‘ “ (Peter der Große — Sein Leben und seine Zeit).
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Die Weihnachtszeit — Was steht im Mittelpunkt?Der Wachtturm 2005 | 15. Dezember
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Die Weihnachtszeit — Was steht im Mittelpunkt?
FÜR Millionen sind die Feiertage eine Zeit, in der man mit der Familie und mit Freunden zusammen ist, um sich wieder näher zu kommen. Für viele andere ist es eine Zeit, in der man über die Geburt Jesu Christi und seine Aufgabe als Retter der Menschheit nachdenkt. In Russland war das Feiern von Weihnachten, im Gegensatz zu anderen Ländern, nicht immer erlaubt. Obwohl die Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche jahrhundertelang in aller Öffentlichkeit Weihnachten gefeiert hatten, blieb es ihnen während eines Großteils des 20. Jahrhunderts verwehrt. Wie kam es dazu?
Gleich nach der bolschewistischen Revolution im Jahr 1917 verfolgte die kommunistische Sowjetregierung landesweit vehement einen atheistischen Kurs. Die Weihnachtsfeiertage mit ihrem religiösen Beigeschmack passten nicht in ihr Konzept. So machte sich der Sowjetstaat daran, einen Feldzug gegen das Weihnachts- und auch gegen das Neujahrsfest zu führen. Man verurteilte sogar öffentlich die dort üblichen Symbole dieser Feiertage, wie den Weihnachtsbaum und „Väterchen Frost“, im Russischen „Ded Moros“ genannt, das Gegenstück zum Weihnachtsmann.
Im Jahr 1935 trat dann in der Sowjetunion ein Wechsel ein, der große Veränderungen in Bezug auf die Feiertage mit sich brachte. Die Sowjets führten wieder Väterchen Frost, den Gabenbaum und das Neujahrsfest ein — jedoch mit einem bedeutenden Unterschied: Väterchen Frost sollte nun Geschenke zu Neujahr überbringen und nicht mehr zu Weihnachten. Auch sollte der Weihnachtsbaum verschwinden. Dafür gäbe es einen Neujahrsbaum! In der Sowjetunion trat also etwas ganz anderes in den Mittelpunkt. Weihnachten wurde praktisch durch das Neujahrsfest ersetzt.
Die Weihnachtsfeiertage mutierten somit völlig zu weltlichen Feiertagen, denen von offizieller Seite jegliche religiöse Bedeutung genommen wurde. Den Neujahrsbaum zierten nicht mehr religiöse Symbole, sondern vielmehr politische, die den Fortschritt der Sowjetunion anzeigten. Die russische Zeitschrift Wokrug Swjeta (Rund um die Welt) sagt dazu: „Anhand der jährlichen Dekorationen am Neujahrsbaum kann man die Entwicklung der kommunistischen Gesellschaft während der Sowjetzeit nachvollziehen. Neben alltäglichen Dingen wie Häschen, Eiszapfen und runden Brotlaiben wurde Baumschmuck in Form von Hammer und Sichel sowie Traktoren hergestellt. Später wurden diese durch Figuren ersetzt, die Bergleute, Kosmonauten, Bohrinseln, Raketen und Mondfahrzeuge darstellten.“
Und was wurde aus Weihnachten? Es wurde nicht gebilligt. Stattdessen wurde es von der Sowjetregierung zu einem ganz normalen Arbeitstag degradiert. Wer Weihnachten als religiöses Fest feiern wollte, konnte das nur unauffällig tun. Man riskierte damit beim Staat in Ungnade zu fallen, mit allen unangenehmen Konsequenzen. Ja, im Russland des 20. Jahrhunderts erlebten die Feiertage einen Wandel. Im Mittelpunkt stand nicht länger das religiöse Element, sondern das weltliche.
Ein erneuter Wandel in jüngster Zeit
Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 kam für die Bevölkerung mehr Freiheit. Vorbei war es mit der atheistischen Regierungspolitik. In den neu gegründeten unabhängigen Nachfolgestaaten gab es meist eine Trennung von Kirche und Staat. Nicht wenige religiös orientierte Menschen dachten, sie könnten nun ihren Glauben ausleben. Sie hofften, das unter anderem durch das Feiern des Weihnachtsfestes tun zu können. Doch für viele kam bald die große Enttäuschung. Warum?
Von Jahr zu Jahr hat sich Weihnachten mehr und mehr zu einem Riesengeschäft entwickelt. So wie in westlichen Ländern wird inzwischen auch in Russland in dieser Zeit von den Herstellerfirmen sowie dem Groß- und Einzelhandel der größte Umsatz gemacht. In den Schaufenstern ist kaum etwas anderes zu sehen als Weihnachtsdekorationen. Aus den Geschäften tönen Weihnachtsmusik und Weihnachtslieder nach westlichem Vorbild, wie man sie früher in Russland nie kannte. In Nahverkehrszügen und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen einem Verkäufer mit großen Säcken voller weihnachtlichen Krimskrams, den sie an den Mann bringen wollen. So sieht Weihnachten heute aus.
Selbst wer sich an der krassen Kommerzialisierung nicht stört, fühlt sich an diesen Feiertagen womöglich von etwas anderem abgestoßen: dem Alkoholmissbrauch mit all seinen negativen Folgen. Ein Notarzt an einem Moskauer Krankenhaus sagte: „Am Neujahrsfest müssen Ärzte immer damit rechnen, dass es massenhaft Verletzungen gibt, angefangen von Prellungen und blauen Flecken bis hin zu Messerstichen und Schusswunden, die oft auf häusliche Gewalt, übermäßiges Trinken und Autounfälle zurückgehen.“ Ein leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Fakultät der Russischen Akademie der Wissenschaften sagte: „Alkoholbedingte Todesfälle steigen drastisch an. Besonders auffällig war der Anstieg im Jahr 2000. Das traf auch auf die Zahl der Morde und Selbstmorde zu.“
Leider wird ein solches Verhalten während der Feiertage in Russland noch durch einen anderen Faktor verschlimmert. Unter der Überschrift „Russen feiern Weihnachten zweimal“ hieß es in der Zeitung Iswestija: „Fast jeder zehnte Russe feiert Weihnachten zweimal. Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts ROMIR gaben 8 Prozent der Befragten zu, Weihnachten sowohl am 25. Dezember nach dem katholischen Weihnachtskalender zu feiern als auch am 7. Januar gemäß der Orthodoxie . . . Einigen kommt es offensichtlich nicht so sehr auf den religiösen Aspekt des Weihnachtsfestes an als auf eine Gelegenheit zu feiern.“a
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Die Weihnachtszeit — Was steht im Mittelpunkt?Der Wachtturm 2005 | 15. Dezember
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a Vor der Oktoberrevolution 1917 verwendete man in Russland noch den älteren julianischen Kalender, obwohl die meisten Länder schon den gregorianischen eingeführt hatten. 1917 war der julianische Kalender gegenüber seinem gregorianischen Gegenstück mit 13 Tagen in Verzug. Nach der Revolution führte die Sowjetunion den gregorianischen Kalender ein, um mit dem Rest der Welt auf dem gleichen Stand zu sein. Die orthodoxe Kirche hielt jedoch für ihre Feiern am julianischen Kalender fest und bezeichnete ihn als Kalender „alten Stils“. Manch einer hat vielleicht schon gehört, dass Weihnachten in Russland am 7. Januar gefeiert wird. Dabei sollte man daran denken, dass der 7. Januar auf dem gregorianischen Kalender dem 25. Dezember des julianischen Kalenders entspricht. Viele Russen richten sich daher ihre Feiertage wie folgt ein: 25. Dezember: westlicher Weihnachtsfeiertag; 1. Januar: weltlicher Neujahrstag; 7. Januar: orthodoxes Weihnachten; 14. Januar: Neujahrsfest „alten Stils“.
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