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  • Atomphysiker — Ja oder nein?
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w79 15. 8. S. 5-11

Atomphysiker — Ja oder nein?

Von Fred Wilson erzählt

VOR diese Frage sah ich mich Anfang der 1940er Jahre gestellt. „Das ist doch nicht schwer zu entscheiden“, sagst du. Nun, oberflächlich betrachtet, scheint es so, denn damals begann gerade das Atomzeitalter. Für Physiker gab es zahlreiche lukrative Stellenangebote. Auch war ihre Arbeit höchst interessant, ja faszinierend. Warum also die Frage?

Im Grunde genommen, weil es um Religion ging. Ja, es trat etwas in mein Leben, was noch interessanter und faszinierender war; doch wir wollen einige Jahre zurückgehen, um die Vorgeschichte zu erfahren.

Meine Familie wohnte in einem typischen, kleinen Dorf in der kanadischen Prärie, wo alles von der Weizenernte abhing. Von klein auf lehrte man uns den Wert harter Arbeit, und nach Schulschluß verdienten wir uns Geld, indem wir in Läden arbeiteten, Holz sägten, Getreide einfuhren oder Pferde versorgten. Wir waren vier Brüder und fanden es bedauernswert, daß wir zu Hause keine Schwester hatten, denn so mußten wir das Essen selbst zubereiten, Geschirr spülen sowie die Wäsche waschen und bügeln. Erst in späteren Jahren erkannte ich wirklich den Wert dessen, was ich damals gelernt hatte.

ERSTE ERFAHRUNGEN MIT RELIGION

Religion spielte in unserem Leben eine bestimmte Rolle, obwohl wir sowenig wie möglich damit zu tun haben wollten. Mutter gehörte einer Gemeinde an, die die Lehre vom „Höllenfeuer“ verfocht; sie trafen sich in der „Evangeliumshalle“ — das war auch der einzige Name, unter dem wir unsere Religion kannten. Papa war Freimaurer und überließ Mutter die Religion. Wie beneidete ich ihn doch, wenn er zu Hause die Zeitung las, während wir in die Sonntagsschule gehen mußten! Meine Mutter und mein Großvater veranstalteten täglich Bibellesungen, und wenn wir so „dumm“ waren und uns gerade in der Nähe des Hauses aufhielten, mußten wir daran teilnehmen.

Eines Winterabends passierte etwas, was mich schon als kleinen Jungen zu einem Gegner der Religion werden ließ. Eine besondere Zusammenkunft mit einem Wanderprediger stand bevor, und ich hatte die Aufgabe, in der Halle Feuer anzumachen. Das Feuer fing gerade so schön zu brennen an, als ausgerechnet der Prediger hereinkam. Er setzte mich auf einen Stuhl und begann zu predigen; er verlangte von mir, auf der Stelle niederzuknien und mich „erlösen“ zu lassen. „Wenn du das nicht tust“, sagte er, „wäre es genauso, als ob du deine Mutter eine Lügnerin nennen würdest.“ Nun, das wäre das letzte gewesen, was ich je getan hätte. Andererseits konnte ich aber auch nicht tun, was er von mir verlangte. Schließlich gab er es auf und ließ mich gehen.

AUSBILDUNG MIT ZIEL EINER KARRIERE

Anfang der 1930er Jahre wurde die Präriewirtschaft von der Weltwirtschaftskrise betroffen, so daß wir kaum noch wußten, wie die Familie ernährt werden sollte. 1937 kam es zum Höhepunkt, als all die jungen Männer von zu Hause fort mußten, um sich in Provinzen, die nicht so schwer betroffen waren, Arbeit zu suchen. Ich ging mit anderen nach Manitoba. Als wir dort einige Monate gearbeitet hatten, schickten wir unser Geld heim und kehrten nach Hause zurück.

Dieses Geld half mir, während meines Studiums an der University of Saskatchewan die Studiengebühren und die Unterkunft zu bezahlen. Auf dem Lehrplan standen verschiedene Kurse, darunter ein Kurs in Biologie, in dessen Verlauf unter anderem die Grundlagen der Evolutionstheorie gelehrt wurden. Diese Theorie schien mir plausibel, im Gegensatz zur Lehre vom Höllenfeuer, die ich von Kindheit an kannte. Die Theorie zu bezweifeln hätte unausweichlich bedeutet, an eine Schöpfung zu glauben. Wir nahmen also eine Theorie kritiklos als Tatsache hin.

Nach meiner Graduierung im Jahre 1938 beschloß ich, mich auf Atomphysik zu spezialisieren. Finanziell ging es mir wieder etwas besser, da wir als wissenschaftliche Mitarbeiter für die nichtgraduierten Studenten eingestellt wurden. Auch arbeitete ich als Techniker in einem Radonlabor, das von der Krebsklinik der Universität zur Behandlung von Oberflächenkrebs unterhalten wurde. Als Techniker hatte ich die Aufgabe, das radioaktive Gas Radon abzupumpen und es in einer goldenen Röhre aufzubewahren; nachdem das Radon auf kleine Stäbchen („seeds“) aufgeteilt worden war, wurde es vom Arzt in das den Krebs umgebende Gewebe eingepflanzt. Die vom Radon ausgehende Strahlung griff die Gewebe, die vom Krebs befallen waren, an, ohne die gesunden Gewebe weiter zu beschädigen. Wir konnten die erforderliche Strahlungsstärke, die wir bei irgendeiner geplanten Operation brauchten, für eine bestimmte Zeit festlegen, da Radon nach einer Gesetzmäßigkeit zerfällt. Dieses Anzeichen von Planung und Ordnung in radioaktiven Stoffen war nur eine von vielen Tatsachen, die mir die Frage aufdrängten: Wie kann das alles nur durch Zufall entstanden sein, wie es uns die Evolutionstheorie glauben machen will?

Damals arbeitete ich gerade unter Dr. G. Herzberg (er erhielt 1971 den Nobelpreis für Chemie) an meinem Master of Arts. Meine Arbeit bestand aus dem Durchführen von Experimenten, die dazu dienten, den Abstand der Atome in einem Molekül Siliciumsulfid (SiS) zu bestimmen. Zu diesem Zweck mußte man die Wellenlänge der Linien im Absorptionsspektrum von SiS messen und mit komplizierten mathematischen Formeln rechnen. Auch hier sah ich die Anzeichen von Ordnung und Planung. Wie eindeutig war es doch, daß hinter alldem ein Wissenschaftler und Mathematiker stehen mußte! Die wichtigen Fragen nach dem Wer, Wie und Wann blieben aber unbeantwortet.

Wir Graduierten bewarben uns alle um ein Stipendium, und wie überglücklich war ich, als ich von dem Massachusetts Institute of Technology und von der Cornell University in den USA Angebote erhielt! Doch das Weltgeschehen nahm einen unheilvollen Verlauf. Ich denke noch daran, wie uns Physikern zumute war, als die Zeitungen eines Tages verkündeten: „Spaltung des Atoms gelungen!“ Die Worte, die Dr. Herzberg daraufhin mit sehr bewegter Stimme sprach, ließen eine Ahnung von dem kommenden Unheil erkennen: „Was werden sie wohl als nächstes tun?“ Als der 2. Weltkrieg andauerte, fragten wir uns, wie er uns betreffen würde. Dann schloß Kanada seine Grenzen, damit kein Wissenschaftler das Land verlassen konnte. Daher bewarb ich mich beim National Research Council um ein Stipendium, erhielt es auch im Jahre 1941 und konnte von nun an mein Studium an der University of Toronto fortsetzen.

Dort absolvierte ich die Kurse und promovierte zum Dr. phil., während ich zur gleichen Zeit an der Universität für die Armee als ziviler Unterweiser in grundlegender Radartechnik tätig war. Als die Kurse 1943 zu Ende gingen, mußten die Unterweiser eine Entscheidung treffen: entweder in die Industrie gehen oder bei der Kriegsmarine entlang Kanadas ungeschützter Ostküste als Radartechniker dienen, bis es ihnen irgendwann möglich wäre, das Studium fortzusetzen. Im Jahre 1942 hatte ich jedoch Grace, eine Physiotherapiestudentin, geheiratet; die meisten aus ihrer Graduierungsklasse waren in das Nursing Corps eingetreten. Da dies bedeutet hätte, daß wir getrennt worden wären, entschieden wir uns, den Streitkräften nicht beizutreten, und ich nahm schließlich Arbeit als Experimentalphysiker bei einem Unternehmen an, das Flugzeugarmaturen herstellte.

DIE FRAGE ZEICHNET SICH AB

Obwohl keiner von uns beiden sehr religiös war (ich begann sogar, Grace die Grundlagen der Evolution zu lehren), dachten wir, daß wir irgendeiner Kirche angehören müßten. Deshalb besuchten wir verschiedene. Nach jedem Besuch besprachen wir miteinander, was wir gehört hatten: In einer Kirche war es eine Buchbesprechung, in einer anderen eine Predigt, um Rekruten für die Armee anzuwerben. Da wir keine passende Kirche fanden, beschlossen wir, uns eine Bibel zu kaufen und sie für uns allein zu lesen. Einige Wochen später sprach eine Frau bei uns vor, die meiner Frau einige Bibelstellen vorlas und ihr anbot, wieder vorzusprechen. „Ich sagte ihr, daß ich gerade stark damit beschäftigt sei, mich auf das Schlußexamen vorzubereiten, und daß sie in ein paar Monaten wiederkommen könnte“, erzählte mir Grace später. „Nun, dann wird sie wahrscheinlich nicht wiederkommen“, entgegnete ich. Aber ich war im Irrtum, denn sie kam wieder. Da wir gerade Gäste hatten, vereinbarten wir einen Besuch für den folgenden Abend.

Als die Frau diesmal mit ihrem Mann kam, ahnten wir gar nichts Gutes. Eine der ersten Fragen, die ich stellte, lautete: „Was glauben Sie, ist die Hölle?“ „Es spielt wirklich keine Rolle, was wir glauben“ war die Antwort. „Ausschlaggebend ist, was die Bibel lehrt. Haben Sie eine Bibel?“ Dann zeigte man uns in unserer neuen Bibel, daß es an verschiedenen Stellen, wo im Text „Hölle“ steht, in der Fußnote „oder: das Grab“ heißt. Das gab uns wirklich zu denken. So begann eine Reihe von biblischen Gesprächen mit Teije und Elsie Hoornveld, die ihre ganze Zeit dem Predigtwerk widmeten. Nach einigen Besuchen sagten sie uns, daß sie — Jehovas Zeugen — in Kanada verboten seien. Das beunruhigte uns nicht sonderlich, da uns das, was wir lernten, Spaß machte. Ja, es dauerte gar nicht lange und meine Frau und ich begannen, sie beim Verkündigen der „guten Botschaft“ von Haus zu Haus zu begleiten. Drei Monate später, am 22. August 1943, wurden wir auf einem Kongreß in Detroit (Michigan, USA) getauft.

Damals glaubten viele von uns, Harmagedon stehe vor der Tür (Offb. 16:14, 16). Deshalb dachten wir, daß wir dem Predigtwerk mehr Zeit widmen müßten, so wie es Teije und Elsie taten. Auch hatte ich Gewissensbisse wegen meiner Arbeit. Ließ sie sich mit der christlichen Neutralität vereinbaren? Anderen erzählten wir vom Königreich, und Jesus Christus hatte gesagt: „Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“ (Joh. 18:36). War ich also ein Teil der Welt, weil ich einen Anteil daran hatte, daß Armaturen für Kriegsflugzeuge produziert werden konnten? (Jes. 2:2-4). Sollte ich aber andererseits meine Arbeit aufgeben, da ich doch so viele Jahre studiert hatte, um Physiker zu werden? Nach langem Hin und Her reichte ich im November 1943 die Kündigung ein und begann, als Vollzeitverkündiger der „guten Botschaft“ zu arbeiten.

DIE ENTSCHEIDUNG UNVERMEIDLICH

Bis dahin war ich vom Militärdienst freigestellt, da meine Arbeit als kriegswichtig angesehen wurde. Dann machte man jedoch meine Befreiung rückgängig und schickte mir gleichzeitig den Einberufungsbescheid. In meinen Briefen an die Behörden brachte ich meinen Wunsch zum Ausdruck, ein Vollzeitprediger zu bleiben, und bat darum, als solcher von der Wehrpflicht befreit zu werden. Als Antwort kamen am 25. Dezember sechs Polizisten. Zwei von ihnen standen an der Vordertür, zwei an der Hintertür, und zwei betraten unsere Wohnung. Und wo war ich? In der Badewanne! Es sollte für einige Zeit mein letztes erfrischendes Bad sein. Ich wurde verhaftet und angeklagt, der Wehrpflicht nicht nachgekommen zu sein; man verurteilte mich zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat, die ich in Toronto verbüßen sollte. Danach würde man mich dem Militär übergeben.

Jetzt hatte ich wirklich Zeit, über meine Lage nachzudenken. Es sah so aus, als lautete die Antwort auf die Frage, ob ich ein Atomphysiker werden würde oder nicht, nein. Eigenartigerweise war ich aber nicht niedergeschlagen. „Irgendwann in der Zukunft werde ich mein Studium fortsetzen können“, dachte ich. Es gab wichtigere Fragen, auf die ich eine befriedigende Antwort gefunden hatte. Ich wußte, daß es einen Schöpfer gibt, dessen Name Jehova ist (Ps. 83:18). Ich hatte auch erfahren, daß sein Vorsatz darin besteht, eine neue Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit zu errichten. Mehr noch, uns steht in Aussicht, Anteil daran zu haben. Ich wußte, was uns bevorstand und warum es so kommen würde. Deshalb nutzte ich den Monat im Gefängnis weise aus, indem ich die Bibel von Anfang bis Ende las. Wie sehr wurde ich doch dadurch in meiner Entscheidung gestärkt!

Sehr deprimiert war ich jedoch, als ich einen Brief von meiner religiösen Mutter erhielt und lesen mußte: „Ich hätte niemals gedacht, daß einer meiner Jungen ein Verbrecher würde.“ Dagegen schrieb mein nichtreligiöser Vater: „Sohn, wenn es das ist, was Du glaubst, dann laß Dich von niemandem, auch nicht von [Premierminister] Mackenzie King dazu bringen, Deine Meinung zu ändern.“ Die Reaktion meines Vaters und die meiner Mutter war jeweils genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte.

Während der ersten paar Tage im Gefängnis verspotteten mich die anderen Gefangenen in unserem Block. Und was das für ein Haufen war: Diebe, Drogensüchtige und heruntergekommene Trunkenbolde! Unter ihnen befand sich der damalige Staatsfeind Nr. 1, Mickey MacDonald, der einen mit Whisky beladenen Lastwagen überfallen hatte und jetzt auf seine Gerichtsverhandlung wartete. Eines Tages, als die anderen mich mit Schimpfwörtern überschütteten, sagte er: „Hört mal her, Jungs! Wir sind alle hier, weil wir das Gesetz übertreten haben. Aber der da hat nichts Verkehrtes getan. Laßt ihn in Ruhe, oder ihr könnt was erleben!“ Danach hat mich nie wieder einer geärgert.

Nachdem ich meine Gefängnisstrafe abgesessen hatte, wurde ich der Armee zur Einberufung übergeben. Der befehlshabende Offizier unterzeichnete all die Papiere, und dann war ich Soldat. Als ich mich weigerte, bestimmten Befehlen zu gehorchen, wurde ich in Untersuchungshaft genommen, um später vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Bei der Verhandlung gab man mir Gelegenheit, vor den drei Richtern eine ausführliche Verteidigungsrede zu halten. Es war für mich eine neue und begeisternde Erfahrung, als ich verspürte, wie mich ‘der heilige Geist die Dinge lehrte, die ich sagen sollte’, denn durch den Geist Gottes fielen mir passende Texte ein, wie Johannes 17:16 und Daniel 2:44 (Luk. 12:11, 12). Nach der Verhandlung nahm mich einer der Richter beiseite. Er konnte nicht verstehen, warum ich nicht in der Armee dienen wollte, da ich doch bereits durch das Offiziersausbildungskorps an der Universität ein Offizierspatent erhalten hatte. Deshalb schlug er vor, ich solle als Militärgeistlicher in die Armee eintreten, und sie würden dann die Anklage fallenlassen. Ich lehnte ab und begründete dies in erster Linie mit dem Argument: „Wer macht sich mehr schuldig: der, der das Gewehr segnet, oder der, der abdrückt?“ So verurteilte man mich schließlich zu einer Haftstrafe von sechs Monaten, die ich in einem als Militärgefängnis dienenden Camp in Niagara-on-the-Lake absitzen sollte.

Dieses Camp bestand aus einer kleinen Baracke mit ungefähr einem Dutzend Zellen und einem großen, umzäunten Gefangenenlager. Der Kommandant — ein kleiner, untersetzter Mann mit der Stimme eines Stiers — ließ uns unmißverständlich wissen, was von uns erwartet wurde. Es dürfe absolut nichts gesprochen werden, und alles müsse „im Laufschritt“ getan werden. Wir schrubbten Böden, bis uns die Hände aufsprangen und voller Blasen waren. Dann ging es in der heißen Sonne im Laufschritt ums Lager, daß uns der Schweiß den Rücken hinunterlief. Wenn jemand sein Tempo verlangsamte, kam der Wachtposten und trieb ihn mit dem Gewehrkolben an. Manchmal mußten wir als nächstes eine Wanne mit Wasser hochheben, sie über unseren Köpfen halten und dann damit wieder im Laufschritt ums Lager laufen, wobei wir mit dem kalten Wasser vollgespritzt wurden. So sah unsere Tagesroutine aus.

Drei der Gefangenen in diesem Camp waren Zeugen. Doch einer entschloß sich nach kurzer Zeit, Soldat zu werden. Während er auf seine Freilassung wartete, wurde ihm erlaubt, mit mir zu reden; er sollte versuchen, mich zu überreden, seinem Beispiel zu folgen. Da ich aber wußte, daß ich meine Kenntnis des Vorsatzes Gottes der Gemeinschaft mit Jehovas Zeugen zu verdanken hatte, war ich entschlossen, ihnen treu zu bleiben.

Unter den harten Bedingungen im Camp verging die Zeit nur langsam. Doch schließlich wurde ich freigelassen und in die Kaserne zurückgebracht. Man nahm das Verfahren wieder auf und teilte mir bald mit, daß eine zweite Verhandlung vor einem Kriegsgericht bevorstehe.

Ich wurde wieder zu sechs Monaten verurteilt, doch diesmal sollte ich sie im Zivilarbeitslager von Burwash, im nördlichen Ontario, verbringen. Die Reise dorthin wird mir unvergeßlich bleiben. Ich gehörte zu einem Trupp Sträflinge, von denen je zwei mit Handschellen aneinandergefesselt waren und die alle mit einer schweren Kette zusammengehalten wurden. Als wir durch das Geschäftsviertel Torontos gingen, im Bahnhof in den Zug einstiegen und, immer noch aneinandergekettet, unsere Sitzplätze einnahmen, zogen wir die Blicke vieler Neugieriger auf uns. Ich war der einzige Zeuge unter den Sträflingen.

Das Leben in Burwash war angenehmer als im Militärgefängnis, denn wir konnten im Freien arbeiten. Im Winter 1944 fällten wir im Schnee Bäume und schnitten sie zu Klötzen. Während der Abende durften wir lesen und auch reden. Deshalb konnte ich den anderen Gefangenen viel Zeugnis geben. Nach ungefähr fünf Monaten war ich wieder auf freiem Fuß, nachdem ich unehrenhaft aus der Armee entlassen worden war. Man hatte mich gemäß dem PULHEMS-Gesundheitstest als untauglich eingestuft. In diesem Test steht jeder der Buchstaben für einen Körperteil oder eine Fähigkeit des Menschen, und wer unter irgendeinem Buchstaben eine „8“ erhält, wird entlassen. Ich bekam unter „S“ (Sinneswahrnehmung) eine „8“. Einfach ausgedrückt: Man hielt mich für geistig labil.

EIN WEISER ENTSCHLUSS

Trotz dieser „Empfehlung“ wurde ich eingeladen, in der Druckerei, der sich die Watch Tower Society bediente, mitzuhelfen. Grace arbeitete bereits dort. Eine Druckpresse zu bedienen war etwas ganz Neues für mich, doch es machte mir Spaß; auch war es eine Freude, mit lieben Glaubensbrüdern zusammen zu arbeiten. Nach vier Jahren, im Juni 1944, wurde das Verbot aufgehoben, das Büro der Gesellschaft in Toronto wurde wiedereröffnet, und schon bald machte man Pläne, um das Predigtwerk in Freiheit voranzutreiben.

Im Dezember 1945 teilte man uns eine Arbeit im Literaturdepot der Gesellschaft in Vancouver zu. Zwei Jahre später waren wir im Kreisdienst unterwegs und besuchten die Versammlungen im schönen Frasertal. Als wir ein Jahr mit dieser interessanten Tätigkeit zugebracht hatten, erhielten wir die begeisternde Einladung, uns in der Wachtturm-Bibelschule Gilead als Missionare ausbilden zu lassen. Wie sehr stärkte doch diese Schulung unseren Glauben an den Quell der „dynamischen Kraft“, die im winzigen Atom vorhanden ist! (Jes. 40:26). Viel zu schnell kam der Tag der Abschlußfeier, und wir mußten die Koffer packen, um in unsere Auslandszuteilung zu reisen. Da wir die überflüssigen Sachen zurücklassen wollten, überlegte ich lange, als ich zwei Bücher von Dr. Herzberg in der Hand hielt; sie behandelten den Aufbau der Atome und Moleküle und hatten als Grundlage meines Studiums gedient. Aber ich ließ sie dann doch zurück. Die Entscheidung war endgültig gefallen.

Am 29. Dezember 1949 trafen wir in unserer Zuteilung in Santiago (Chile) ein. Anfangs war Spanisch ein Problem für uns. Doch schließlich sahen wir, daß sich unsere Mühe gelohnt hatte, denn wir konnten mit ehrlichgesinnten Menschen produktive Bibelstudien durchführen. Einige dieser Leute hatten noch nie zuvor eine Bibel gesehen. Mehrere dieser liebevollen Chilenen wurden unsere geistigen Brüder und Schwestern. Wie herzerfreuend war es doch, ihre Begeisterung und ihren Eifer für die Wahrheit zu beobachten! Das Predigtwerk wuchs sprunghaft, da sich uns immer mehr Missionare anschlossen und überall im Land Versammlungen gegründet wurden. Die Arbeit in unserer neuen Zuteilung hatte sich wirklich gelohnt!

Mit den Jahren gab es neue Dienstvorrechte: im erweiterten Zweigbüro der Gesellschaft in Santiago mitzuhelfen, als Unterweiser der Königreichsdienstschule zu dienen und die Zweigbüros und Missionarheime in neun Nachbarländern zu besuchen, um die dortigen Brüder zu ermuntern und um ihnen zu helfen, das Predigtwerk in Einheit durchzuführen. Welche Freude und Befriedigung empfanden wir, als wir sahen, wie durch den Segen Jehovas die Zahl seiner Lobpreiser in diesen Ländern fortwährend wuchs!

Im April 1969 trat in unserem Leben eine große Veränderung ein. Wir wurden dem Zweigbüro in São Paulo (Brasilien) zugeteilt. Ja, es war notwendig, eine neue Sprache zu lernen, nämlich Portugiesisch. Es war nicht einfach für uns, Chile zu verlassen, nachdem wir während einer Zeitspanne von 19 Jahren erlebt hatten, wie das Volk Jehovas von 200 auf 6 000 Verkündiger angewachsen war. Unter diesen Menschen befanden sich mehrere unserer geistigen Kinder und Enkel sowie viele, mit denen wir jahrelang zusammengearbeitet hatten. Wir ließen uns jedoch von dem Grundsatz leiten: „Hier bin ich! Sende mich“ (Jes. 6:8). Schweren Herzens sagten wir daher ihnen allen „Hasta luego“, aber wir nahmen viele schöne Erinnerungen mit, die wir in den folgenden Jahren bewahrten.

In Brasilien verkündigten bereits 55 000 Personen eifrig die „gute Botschaft“. Das Werk machte Fortschritte in diesem katholischen Land, wo so viele dem Spiritismus zuneigen. Doch auch hier gibt es den gleichen Geist der Bereitwilligkeit, Jehova zu dienen, und Tausende nehmen jedes Jahr die biblische Wahrheit an und geben sich Gott hin. Aufgrund ihrer eifrigen Arbeit gibt es heute in Brasilien über 106 000 Königreichsverkündiger, die mit 2 012 Versammlungen verbunden sind. Die Bethelfamilie in São Paulo, die sich der Bedürfnisse dieser Versammlungen annimmt, ist von 40 auf 155 Mitarbeiter angewachsen. Vor sechs Jahren konnten wir zu unserer Freude eine neue Fabrik der Bestimmung übergeben; dort werden die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! in Portugiesisch gedruckt. Jetzt sind unsere Räumlichkeiten zum Bersten voll, und wieder haben wir ein Bauprogramm laufen, das die Errichtung eines neuen Bethelheimes und einer Fabrik einschließt. Der Bauplatz befindet sich in ruhiger Lage, mitten in Jehovas wunderbarer Natur, 140 Kilometer von São Paulo entfernt. Und nur Jehova weiß, welche Mehrung seinem Volk in diesem Land noch bevorsteht.

Habe ich also je meine Entscheidung bereut, kein Atomphysiker zu werden? Ich finde die Atomphysik immer noch höchst interessant, ja faszinierend. Doch wie könnte ich es bedauern, den großen Wissenschaftler und Mathematiker, der das Atom konstruierte und bildete, kennengelernt zu haben? Wie könnten wir es bereuen, den größten Teil unseres Lebens damit verbracht zu haben, andere mit ihm bekannt zu machen? Kann man Bedauern empfinden, wenn man ein Teil der weltweiten Jehova ergebenen geistigen Familie geworden ist? Statt Bedauern zu empfinden, denke ich genauso wie Asaph, der verkündete: „Es [ist] gut für mich, Gott zu nahen. Zu dem Souveränen Herrn Jehova habe ich meine Zuflucht genommen, um alle deine Werke zu verkünden“ (Ps. 73:28).

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