Ein überraschender Wandel
DIE amerikanischen Annäherungen an Peking und Moskau waren schon an sich beachtenswert. Aber ein noch erstaunlicherer Wandel war bereits vorausgegangen. Welcher Wandel?
Denke nur ein oder zwei Jahrzehnte zurück. Erinnerst du dich daran, daß der Kommunismus überall in der westlichen Welt stets heftig als „gottloser, atheistischer Bolschewismus“ verurteilt wurde?
Von wem ging diese Verurteilung hauptsächlich aus? Von den Kirchen der Christenheit, besonders denjenigen des Westens. Doch ist ein überraschender Wandel eingetreten. Um zu erkennen, wie groß die Änderung gewesen ist, betrachte man folgendes:
Der religiöse „kalte Krieg“ gegen den Kommunismus
Im Jahre 1937 gab Papst Pius XI. eine Enzyklika (Divini Redemptoris) heraus, in der er erklärte: „Da der Kommunismus an sich ein Übel ist, darf ihn niemand, der das Christentum und die Zivilisation vor der Vernichtung retten will, bei der Durchführung irgendeines Vorhabens unterstützen“ (New Catholic Enzcyclopedia [1967], Bd. IV, S. 924).
Dies war im Grunde eine offizielle Kriegserklärung des Vatikans gegen den Kommunismus. Was folgte dann?
Während des Zweiten Weltkrieges brach das nationalsozialistische Deutschland plötzlich seinen Pakt mit Rußland und griff am 22. Juni 1941 die Sowjetunion an. Der römisch-katholische Bischof von Eichstätt (Deutschland) versandte damals einen Hirtenbrief, in dem er die deutsche Invasion als einen „Kreuzzug, einen heiligen Krieg ... für Glauben und Kirche“ bezeichnete (Die katholische Kirche und das Dritte Reich [1965] von Guenter Lewy, S. 254).
Ebenso sprach in Italien Erzbischof Costantini vom „bolschewistischen Rußland“ als von „jenem unermeßlichen Land, wo Satan ... seine Stellvertreter und besten Mitarbeiter gefunden zu haben schien“, und er betete um Gottes Segen für die italienischen und deutschen Soldaten, die „in dieser entscheidenden Stunde das Ideal unserer Freiheit gegen die rote Barbarei verteidigen“ (Pius XII. und das Dritte Reich [1965], Saul Friedländer, S. 62, 63).
Die deutsche Invasion schlug natürlich fehl, und als der Krieg endete, war Rußland unter den siegreichen Alliierten.
Aber wenn sich überhaupt etwas verstärkte, so war es der Widerstand der katholischen Kirche. Als Italien nach dem Kriege schließlich die größte kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion hatte, gab der Vatikan eine neue Erklärung heraus. Im Jahre 1949 ordnete er an, daß nicht nur diejenigen, die in die kommunistische Partei eintraten, sondern jeder, der gegenüber der kommunistischen Partei eine günstige Haltung einnahm, exkommuniziert werden sollte.
Obwohl dieser Erlaß nie eindeutig angewandt wurde, wurde der Kommunismus in den 1950er Jahren von maßgebenden religiösen Kreisen ständig und ausgiebig verurteilt. Im Jahre 1955 rühmte Richard Nixon, der damalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten, die katholische Kirche als „eines der größten Bollwerke gegen den Kommunismus“. Auch die protestantischen Organisationen brachten eine ähnliche Feindseligkeit gegenüber dem Weltkommunismus zum Ausdruck, wenn auch nicht so auffallend.
Eine Kehrtwendung auf religiöser Seite
Vom Jahre 1963 an setzte dann plötzlich ein „Tauwetter“ ein. Damals begannen sich die frostigen Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Kommunismus zu erwärmen.
Ein bedeutendes Zeichen dieses „Tauwetters“ war zu sehen, als Papst Johannes XXIII. seine Enzyklika Pacem in Terris (Frieden auf Erden) herausgab. Darin erklärte er im wesentlichen, der Weltfrieden könne nicht bis zur Beilegung ideologischer Streitigkeiten und politischer Machtkämpfe oder gar bis zum Sieg der Religion über den Atheismus aufgeschoben werden.
Zur Bestürzung konservativer Elemente tat der Papst daraufhin einen weiteren Schritt und empfing die Tochter und den Schwiegersohn des damals bedeutendsten Kommunisten, Chruschtschows, in einer Privataudienz.
Im darauffolgenden Jahr, am 15. September 1964, unterzeichnete der Vatikan ein bedeutendes Abkommen mit dem kommunistischen Regime Ungarns — kaum fünfzehn Jahre nach dem Erlaß des Vatikans über die Exkommunizierung aller, die gegenüber dem Kommunismus eine günstige Haltung einnehmen. Rom gestattete nun den katholischen Priestern in Ungarn, einen Treueid gegenüber der kommunistischen Regierung Ungarns abzulegen.
Es wurden noch weitere „Friedensfühler“ ausgestreckt. Im Frühling des Jahres 1966 zum Beispiel sorgte Papst Paul VI. dafür, daß das „Tauwetter“ anhielt, indem er dem sowjetischen Außenminister, Andrei Gromyko, eine päpstliche Audienz gewährte. In einem Bericht über die Audienz heißt es in der Zeitschrift Newsweek, der Papst sei „Gromyko mit strahlendem Lächeln an der Tür der Bibliothek entgegengekommen“ und habe „beide Hände zum Gruß ausgestreckt“. In den folgenden Jahren führte der Vatikan ständig Verhandlungen mit kommunistischen Ländern.
Als daher 1972 die Gipfelkonferenzen in Peking und Moskau stattfanden, war von Kirchenführern nicht einmal ein mißbilligendes Murren zu hören. Es ist somit eine erstaunliche Umwandlung eingetreten. Die „roten Barbaren“ des Kommunismus sind auf einmal gesellschaftlich akzeptabel und geachtet. Die „gottlose Ideologie“ des Kommunismus, gemäß der die Ansicht vertreten wird, Religion sei „Opium für das Volk“, wird nicht mehr als ernstes Hindernis für freundliche Beziehungen betrachtet.
Mit der veränderten Einstellung der religiösen Führer sind die politischen Mächte des Westens in Einklang. In der Fernsehansprache, die Präsident Nixon von Moskau aus an das russische Volk richtete, betonte er zum Beispiel, daß die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten einander nicht mehr als feindliche Gegner, sondern als friedliche Konkurrenten betrachten sollten.
In ihrer „Grundsatzerklärung“ stimmten beide Länder darin überein, daß „Unterschiede in der Ideologie und in den Gesellschaftssystemen [wozu natürlich auch religiöse Systeme und Standpunkte gehören] ... keine Hindernisse für die bilaterale Entwicklung normaler Beziehungen“ seien.
Anscheinend riesige Hindernisse sind überwunden worden. Die Aufmerksamkeit wird jetzt auf eine „Europäische Sicherheitskonferenz“ gelenkt, die von den Weltmächten für das Jahr 1973 vereinbart worden ist. Und in der französischen Zeitung Le Monde (25./26. Juni 1972) heißt es, Monsignore Casaroli, der Leiter der Diplomatie des Vatikans, habe gesagt, der Vatikan beabsichtige, sich daran zu beteiligen, und empfehle bereits, was in die Tagesordnung aufgenommen werden solle, unter anderem eine ausgeglichene Reduzierung der Streitkräfte der NATO und des Warschauer Paktes.
Was werden die kommenden Monate bringen? Handelt es sich bei dem, was wir gesehen haben, lediglich um normale politische Schachzüge, um nichts weiter als eine „Mache“, oder tut sich etwas Bedeutendes? Es gibt Gründe zu glauben, daß letzteres der Fall ist.
[Bild auf Seite 8]
Papst Johannes XXIII. bei der Unterzeichnung der Enzyklika „Pacem in Terris“ am 11. April 1963, wodurch das „Tauwetter“ in der Haltung des Vatikans gegenüber dem Weltkommunismus eingeleitet wurde.
[Bilder auf Seite 8]
Papst Paul VI. sorgte dafür, daß das „Tauwetter“ anhielt, indem er dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko eine päpstliche Audienz gewährte.