Der Karneval und sein Ursprung
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Frankreich
DER Karneval in Nizza war gerade zu Ende. Mehr als eine Woche lang wurde in der Stadt gefeiert: Durch die Hauptstraße zogen Festwagen, Gestalten mit riesigen Pappköpfen und rotem Gesicht, gefolgt von Dutzenden von blumengeschmückten Wagen mit Jünglingen und Mädchen, die tanzten und sangen.
Die Straßen hallten wider vom Kreischen der Mädchen und Frauen, die unerwartet mit Konfetti überschüttet wurden. Viele Leute trugen groteske Masken oder waren kostümiert. „Prinz Karneval“, eine riesige Pappfigur mit einer Krone auf dem Kopf, regierte während dieses Festes. Am letzten Tag des Karnevals wurde dieses Bild während einer feierlichen Zeremonie am Strand verbrannt.
Das Fest war vorbei. Die Avenue de la Victoire sah wieder aus wie sonst. Der Verkehr wälzte sich durch die Straße, und auf den Bürgersteigen wimmelte es von Fußgängern, die wie an jedem anderen gewöhnlichen Tag ihrer Tätigkeit nachgingen. Ich bummelte die Straße hinunter und dachte über das Fest nach, das gerade zu Ende gegangen war. Kurz vorher hatte ich mich eingehend mit dem Karnevala befaßt und mußte jetzt unwillkürlich daran denken, wie weit dieses Fest verbreitet ist und welch eigenartigen Ursprung es hat.
Ein Fest voll toller Ausgelassenheit
Karneval oder Fastnacht wird in vielen Gegenden, die vorwiegend katholisch sind, gefeiert. Zum Gepräge dieses Festes gehören Maskierung, Umzüge, Liedersingen und Volksbelustigungen.
Fastnacht ist die Zeit vor dem katholischen Fasten, das ja mit dem Aschermittwoch beginnt. Während der Fastenzeit pflegen sich die Katholiken nur e i n m a l täglich satt zu essen. (Außerdem dürfen sie am Morgen und am Abend etwas weniges zu sich nehmen.) Der Tag vor dem Aschermittwoch, der Fastnachtsdienstag (Mardi gras oder fetter Dienstag), ist der letzte Tag der Fastnacht. Die Fastnacht oder der Karneval ist an vielen Orten ein ausgelassenes Fest. Es dauert meist drei Tage, wird aber gelegentlich auch während mehrerer Wochen gefeiert. Vor einigen Jahren berichtete eine Zeitschrift:
„Im Rheinland hoben Polizisten, die plötzlich viel Verständnis bekundeten, Betrunkene, die hingefallen waren, auf und lehnten sie gegen einen Laternenpfahl. ,Es ist ja Karneval‘, sagten sie achselzuckend. ...
Im Rheinland und in Süddeutschland feierte man bis zur letzten Minute des Fastnachtsdienstags in ausgelassener Weise Karneval (was im Oktober und November immer zu einem Anstieg der Geburten führt). ...
Im Rheinland ... herrscht in dieser Zeit Karnevalsfreiheit; das bedeutet, daß fast alles erlaubt ist, ausgenommen Totschlag und Trunkenheit am Steuer. ... Auch in München berücksichtigen die Richter den Fasching ... ,Geht nach Hause und vergeßt die Sache. Es war doch Fasching‘, diesen Rat erhielt schon manch ein Ehepaar, das sich scheiden lassen wollte, vom Richter“ (Newsweek).
In einer anderen Zeitschrift wurde über den Karneval vor zwei Jahren berichtet: „Er sollte Münchens fröhlichster, ausgelassenster Fasching werden. ... Alles war für die tollen Tage bereit. Die Münchener hätten wie üblich einen Monat lang dem Narrentreiben, verbunden mit Zechen und Ausschweifung (die Richter erkennen Ehebruch, der während des Faschings begangen wird, nicht als Scheidungsgrund an), frönen können. ... Doch in diesem Jahr war das Ganze ein Fehlschlag.“
Warum? Was dämpfte das Faschingstreiben in München? Emil Vierlinger, ein Münchener Arzt, erklärte: „Heute feiern die jungen Leute das ganze Jahr Fasching. In den Geschäften werden die ausgefallensten Kleider verkauft und in jeder Diskothek können sie zu ohrenbetäubender Musik wild tanzen.“ Dieser Arzt ist also der Meinung, daß heute, in einer Zeit in der es üblich ist, sich gehenzulassen und unsittlich zu leben, kein Karneval mehr notwendig ist, um Gelegenheit für ein ausgelassenes Treiben zu geben.
Doch in vielen Ländern ist die Karnevalszeit nach wie vor eine Zeit der Schwelgereien und der Ausgelassenheit. Über den Karneval in Brasilien wurde zum Beispiel berichtet: „Wie jeder weiß, wird der Karneval in Brasilien toller und überschwenglicher gefeiert als anderswo. Es ist ein viertägiges Fest, begleitet von den aufreizenden Rhythmen des Samba“ (Time, 14. Februar 1969).
Über den Fasching auf Trinidad berichtete die Zeitschrift National Geographic in ihrer Ausgabe vom November 1971: „Der Karneval beginnt am frühen Morgen des Montags vor dem Aschermittwoch. Die Festteilnehmer, die die ganze Nacht hindurch getanzt haben, ziehen in das Geschäftsviertel von Port of Spain — ein Gewoge von Menschen und Musik. Manche schwenken grüne Zweige — uralte Fruchtbarkeitssymbole. Jedermann tanzt zu den faszinierenden Rhythmen der Steelbands.“
Beziehung zur Fastenzeit
Dieses Fastnachtsbrauchtum mag dir merkwürdig erscheinen, besonders da es in Gegenden gepflegt wird, in denen sich die Bevölkerung als christlich ausgibt. Du magst dich fragen, welche Verbindung zwischen dem Karneval und den Lehren und Bräuchen der katholischen Kirche bestehe und woher das Wort „Karneval“ stamme.
Allgemein herrscht die Ansicht, daß das Wort „Karneval“ auf die katholische Fastenzeit hindeute, in der die Gläubigen sich des Fleisches enthalten sollten. Das Wort „Karneval“ soll vom lateinischen carne vale, was „Fleisch, lebe wohl“ bedeutet, abgeleitet sein. „Karneval ist das letzte Fest vor dem Beginn der vierzig mageren Tage der Fastenzeit, in der kein Fleisch gegessen werden darf“, lesen wir in dem Werk The Encyclopædia Britannica.
„Aber was haben Trunkenheit, Ausschweifung und Schwelgereien, so charakteristisch für die Karnevalszeit, mit dem Beginn der vierzigtägigen Fastenzeit zu tun?“ mag jemand fragen.
Aufrichtige Katholiken, die nicht gern sehen, daß dieses ausgelassene Fest gefeiert wird, mögen schnell antworten, wahrscheinlich bestehe keine Beziehung dazu. Woher stammen denn Fastnachtsbräuche wie das Maskentreiben, das „Begraben des Karnevals“, das Schmausen und die Umzüge, bei denen Festwagen mitgeführt werden, die Schiffen auf Rädern gleichen?
Die Bezeichnung Fastnacht bedeutsam
Wie erwähnt, wird dieses Fest auch Fastnacht genannt. In Mundarten Süd- und Mitteldeutschlands heißt es auch Fasnacht oder Fasenacht (Thüringen). Das Wort Fastnacht soll von fasen oder von faseln abgeleitet sein. Das Wort „faseln“ bedeutet „dummes Zeug reden“ und ist eine Weiterbildung des älteren Wortes „vasen“, was „ausgelassen sein“ oder „albern sein“ bedeutet. Karl Rademacher, Köln, wies darauf hin, daß das Wort „Fastnacht“ auf ein Fest des Narrentreibens, der Schwelgerei und der Ausschweifung hindeutet und daß dieser Name gut auf viele Karnevalsbräuche paßt.
Auch die Fastnachtsspiele sind offenbar ein Hinweis dafür, daß die Bezeichnung Fastnacht von Wörtern hergeleitet wird, die „Unsinn treiben“ oder „Unsinn reden“ bedeuten. In dem Wörterbuch Standard Dictionary of Folklore, Mythology and Legend von Funk & Wagnalls wird gesagt: „Die Fastnachtsspiele entwickelten sich aus den Spottliedern und dem Possentreiben der Masken, die bei den Schiffskarrenfestzügen der alten Germanen im Zug mitgingen.“ Wie Karl Rademacher erklärte, gibt es verschiedene Hinweise dafür, daß im Mittelalter in deutschen Städten solche Schiffskarren durch die Straßen gefahren wurden.
Es wird berichtet, daß diese Schiffskarrenumzüge eine ausgelassene Angelegenheit waren. Ein Mönch berichtet über ein solches Fest, das 1133 gefeiert und bei dem ein Schiffskarren von Aachen nach Holland gezogen wurde. Der Mönch schrieb, dem Wagen sei ein Zug von Männern und Frauen gefolgt, die lediglich ein kurzes Hemd getragen hätten. Und die Frauen hätten in „teuflischem Übermut“ um den Schiffskarren getanzt.
Kann es sein, daß zwischen solchen Umzügen und den heutigen Karnevalsfeiern eine Beziehung besteht, bei denen ebenfalls Masken eine Rolle spielen sowie Tanzen, Übermut und manchmal — wie beim Karneval in Nizza — auch ein Festschiff auf Rädern? Woher stammen diese Schiffskarrenumzüge?
Eine andere Bedeutung des Namens „Karneval“
Es ist interessant, festzustellen, daß in einigen Nachschlagewerken das Wort „Karneval“ noch anders abgeleitet wird. So wird in dem Werk Standard Dictionary of Folklore, Mythology and Legend von Funk & Wagnalls gesagt: „Karneval soll von ... carrus navalis hergeleitet sein, Wagen des Meeres, einem schifförmigen Fahrzeug auf Rädern, das man bei den Umzügen zu Ehren des Dionysos (später bei anderen Festzügen) verwendete und von dem aus alle möglichen Spottlieder gesungen wurden.“
Kann es sein, daß die Ableitung des Wortes „Karneval“ von carrus navalis richtiger ist? Karl Rademacher kam zu dem Schluß, daß diese Ableitung sehr viel für sich habe, wenn man daran denke, daß die Feste vieler Völker des Altertums durch Schiffswagen, Gemeinschaftstänze und Maskentreiben gekennzeichnet gewesen seien.
Wurzelt im Heidentum
Aber ganz gleich, von welchen Wörtern der Name „Karneval“ abgeleitet ist, so lassen die Zeugnisse doch klar erkennen, daß dieses Fest vor der österlichen Fastenzeit heidnischen Ursprungs ist. In dem Werk Encyclopædia of Religion and Ethics, herausgegeben von James Hastings, wird gesagt:
„Die athenischen Umzüge mit dem Schiffswagen wurden zu Ehren des Gottes Dionysos veranstaltet. Der Verehrung des Dionysos dienten bei den Römern die Bacchanalien, die Saturnalien und die Luperkalien — Feste, die in der späteren Römerzeit durch übermütige Neckereien und zügellose Freiheit gekennzeichnet waren; während dieser Feste war die bürgerliche Ordnung vorübergehend aufgehoben. Dieser allgemeine Geist sowie gewisse Merkmale wurden besonders auf den Karneval übertragen, und das erklärt, warum dieses Fest in Gegenden, in denen die römische Kultur vorherrschte, seinen besonderen Charakter erhalten hat“ (Bd. 3, S. 226).
Auch in der elften Ausgabe des Werkes The Encyclopædia Britannica wird erwähnt, daß der Karneval, so wie er in katholischen Ländern gefeiert wird, in alten heidnischen Festen wurzelt. In diesem Werk wird auch erklärt, wie die Päpste diesem Fest gegenüber eingestellt waren. Wir lesen:
„Früher begann der Karneval am letzten Tag der Zwölf Nächte (6. Januar) und endete um Mitternacht am Fastnachtsdienstag. Es kann kaum bezweifelt werden, daß diese Zeit der Zügellosigkeit das Ergebnis von Zugeständnissen ist, wie sie die Kirche häufig in Verbindung mit heidnischen Festen gemacht hat. Tatsächlich hängt der Karneval mit den römischen Saturnalien zusammen. Rom ist immer die Hauptstütze des Karnevals gewesen, wohl bemühten sich einige Päpste — so Klemens IX. und XI. sowie Benedikt XIII. —, die bacchantischen Lustbarkeiten einzudämmen, aber viele Päpste begünstigten und befürworteten auch die Beibehaltung des Karnevals“ (Bd. 5, S. 366).
Vielleicht fragst du nun: „Warum haben religiöse Führer, die sich als Christen ausgegeben haben, ein Fest, das im Heidentum wurzelt, geduldet und sogar gefördert?“
Das geschah, weil das Volk mit allen Fasern seines Herzens an diesen heidnischen Festen hing. Sie waren so populär, daß die Menschen nicht bereit waren, darauf zu verzichten. Die Kirche machte daher einen Kompromiß, indem sie dem Volk erlaubte, diese Feste beizubehalten, ihnen aber eine andere Bedeutung gab, indem sie sie mit den Lehren der Kirche in Verbindung brachte, zum Beispiel mit der vierzigtägigen Fastenzeit. In dem Werk Encyclopædia of Religion and Ethics von James Hastings wird erklärt:
„Die Kirche vermochte Feste, die das Volk schon lange gefeiert hatte, nicht zu verbannen, daher war sie bestrebt, sie zu verändern und ihnen eine christliche Bedeutung zu geben — das trifft in großem Maße auf das Fastnachtsbrauchtum zu.“
Das Begraben des Karnevals
Wie bereits erwähnt, wird in Nizza am Schluß des Karnevals eine große Pappfigur Prinz Karnevals am Strand verbrannt. So wird der Karneval vielerorts abgeschlossen. Woher mag diese Sitte stammen?
Es ist interessant, daß dieser Fastnachtsbrauch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit alten heidnischen Festbräuchen hat. Wir lesen darüber in dem bekannten Buch Der goldene Zweig von James G. Frazer:
„Die Ähnlichkeit zwischen den Saturnalien des alten und dem Karneval des modernen Rom ist häufig angedeutet worden. Im Lichte aller Tatsachen, die uns begegnet sind, dürfen wir uns wohl fragen, ob die Ähnlichkeit nicht geradezu auf Identität hinausläuft. Wir haben gesehen, daß in Italien, Spanien und Frankreich, das heißt in den Ländern, wo der Einfluß Roms am tiefsten und nachhaltigsten gewirkt hat, ein bemerkenswerter Zug des Karnevals eine burleske Figur ist, welche die Festzeit verkörpert und nach ihrer kurzen Laufbahn des Ruhmes und der Ausschweifung öffentlich erschossen, verbrannt oder sonstwie vernichtet wird unter der erheuchelten Trauer oder echten Begeisterung des Volkes. Wenn die hier vertretene Auffassung vom Karneval zutreffend ist, dann ist diese groteske Gestalt nichts anderes als ein direkter Nachfolger des alten Königs der Saturnalien, des Leiters der Lustbarkeiten ..., der ..., wenn das Fest vorüber war, in seiner angenommenen Rolle einen wirklichen Tod erlitt“ (S. 852).
Ein Fest für wahre Christen?
Wird der Karneval dadurch, daß ihn die katholische Kirche akzeptiert hat, daß verschiedene Päpste ihn gutgeheißen und gefördert haben, zu einem christlichen Fest?
Frage dich: Kann ich mir vorstellen, daß Jesus Christus oder seine Apostel an den Festen, in denen der Karneval wurzelt, teilnahmen? Kann ich mir vorstellen, daß sie bei der Zecherei, den Ausschweifungen und dem wilden Tanzen, wie es bei den Festen im Altertum üblich war, mitmachten? Wenn nicht, wie kann dann jemand, der ein wahrer Nachfolger Christi sein möchte, die heutigen Karnevalsbräuche mitmachen? Man beachte folgende Ermahnung, die wir in der Bibel finden:
„Laßt euch nicht in ein ungleiches Joch mit Ungläubigen spannen. Denn welche Gemeinschaft besteht zwischen Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Teilhaberschaft hat Licht mit Finsternis? Welche Harmonie besteht ferner zwischen Christus und Belial? Oder welchen Anteil hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welche Übereinkunft besteht zwischen Gottes Tempel und Götzen? ... ,Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab‘, spricht Jehova, ,und hört auf, das Unreine anzurühren‘, ,und ich will euch aufnehmen‘“ (2. Kor. 6:14-17).
Wenn wir uns diese biblische Ermahnung zu Herzen nehmen, können wir den Karneval bestimmt nicht mitmachen, da er ja in heidnischen Festen wurzelt, die in Gottes Augen unrein sind.
[Fußnote]
a Im Rheinland und in romanischen Ländern wird die Fastnacht Karneval genannt, in Österreich und Bayern Fasching.