Ist die technisierte Lebensweise ein Fehlschlag?
HAT die technisierte Lebensweise die Erwartungen erfüllt, die man in sie gesetzt hat? Manche sind schnell dabei, darauf mit Nein zu antworten. In den letzten Jahren hat sich deutlich gezeigt, daß die Industriestaaten in eine sehr schwierige Lage geraten sind.
Doch man frage einmal alte Leute, die früher bei jedem Wetter ihr Trinkwasser aus einem Brunnen oder einer Quelle holen mußten, ob sie das lieber taten oder ob ihnen die moderne Versorgung mit fließendem Wasser im Haus angenehmer ist. Oder gibt es viele Leute, die weiterhin ihre außerhalb des Hauses liegende Toilette benutzen würden, wenn sie ein Klosett in der Wohnung hätten?
Würden die Menschen, die elektrisches Licht haben, lieber Petroleumlampen verwenden? Würden sie ihre Wäsche lieber auf den Steinen ausschlagen oder auf dem Waschbrett schrubben als in der Waschmaschine waschen? Wäre es ihnen lieber, kilometerweit zu gehen, um jemandem kurz etwas mitzuteilen, statt ihn anzurufen und sofort Verbindung aufzunehmen?
Um warmes Badewasser zu erhalten schleppten früher viele Leute das Wasser eimerweise von draußen herein, erwärmten es auf einem Holzfeuer und füllten damit die Wanne. (Viele tun das heute noch.) Man frage einen Angehörigen der älteren Generation, ob er nicht statt dessen lieber den Warmwasserhahn in einem neuzeitlichen Badezimmer aufdreht.
Heutzutage gibt es wenig Menschen, die in diesen Dingen freiwillig zur alten Lebensweise zurückkehren möchten. Die technisierte Lebensweise hat also zweifelsohne Veränderungen gebracht, die vielen zusagen. Diese Annehmlichkeiten waren es auch, weshalb man große Hoffnungen hatte, daß die industrielle Revolution, die um das Jahr 1800 einsetzte, die Menschheit herrlichen Zeiten entgegenführen werde.
Man nahm an, die arbeitssparenden Vorrichtungen, die Bequemlichkeiten und die besseren Transport- und Kommunikationsmittel würden das Leben ständig angenehmer machen. Darum wurde die Technik vielfach mit Begeisterung begrüßt. Als dann das Auto, das Flugzeug, das Telefon, das elektrische Licht und der Rundfunk erfunden wurden, stieg die Zahl derjenigen ständig an, die überzeugt waren, nun sei wirklich ein neues Zeitalter angebrochen.
In den vergangenen Jahrzehnten schritt die Entwicklung noch schneller voran. Das Fernsehen wurde erfunden, ebenso der Computer, die Automatisierung, der Weltraumsatellit, das Düsenflugzeug und viele ausgeklügelte Geräte.
Zwar sah man den Nutzen, den diese Maschinen hatten, nur die tiefer liegenden Schwierigkeiten erkannte man zu Anfang nicht. Die Probleme schienen verhältnismäßig unbedeutend zu sein. Doch dann begannen sie, an Bedeutung zuzunehmen.
Die Probleme nehmen zu
Vor der Zeit der industriellen Revolution waren die meisten Menschen in der Landwirtschaft tätig. Es gab kleine Ortschaften und nur sehr wenig große Städte. Selbst die wenigen Städte, die es gab, hatten einen ländlichen Charakter; große, vielstöckige Gebäude waren unbekannt.
Mit dem Anbruch des Zeitalters der Industrialisierung änderte sich dies aber. Zur Herstellung von Maschinen brauchte man Fabriken. Die Arbeitskräfte für die Fabriken mußten in die Nähe ihres Arbeitsplatzes ziehen, denn damals gab es noch keine schnellen Transportmittel. So verließen ständig mehr Leute die Landwirtschaft und zogen in die Städte. Schließlich wimmelte es in den Städten der ganzen Welt von Hunderten von Millionen Menschen.
In Japan beispielsweise gab es vor dem Zweiten Weltkrieg 15 Millionen Erwerbstätige in der Landwirtschaft; diese Zahl ist jetzt auf etwa 6,5 Millionen gesunken. Einst blieben jedes Jahr rund 400 000 Schulabgänger auf dem Bauernhof, um den Familienbetrieb fortzuführen; jetzt tun dies nur noch etwa 20 000 im Jahr. Doch es gibt bereits über 100 Millionen Menschen in Japan.
Daneben kam es zu einer weiteren unerfreulichen Veränderung. Vor der industriellen Revolution fanden viele Handwerker Befriedigung in ihrer Arbeit, denn in einem gewissen Maße erforderte sie von ihnen Initiative und Kreativität. In den Fabriken aber herrschten die Maschinen und bestimmten das Arbeitstempo. Viele Arbeiter hatten bald das Gefühl, sie seien einer Art von Sklaverei durch Maschinen unterworfen.
Darüber hinaus ersetzten die Maschinen oft Arbeitskräfte, die nicht mehr gebraucht wurden. Menschen, die auf diese Weise arbeitslos wurden, waren nicht immer in der Lage, sich in einem neuen Beruf einzuarbeiten.
Eine verheerende Wende
Probleme dieser Art wurden größer, doch man dachte, Wissenschaft und Technik würden einen Ausweg finden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm man deshalb immer noch an, die Menschheit trete in ein „goldenes Zeitalter“ ein.
Dann kam ein niederschmetternder Schlag. Gerade die Maschinen, die dem Menschen eine Hilfe sein sollten, wurden im Ersten Weltkrieg, von 1914 bis 1918, gegen ihn gerichtet. Fast zehn Millionen Menschen wurden getötet. Neue Waffen wie das Maschinengewehr, das U-Boot, der Panzer und das Flugzeug forderten einen fürchterlichen Tribut.
Zum erstenmal in der Geschichte standen dem Menschen nun Massenvernichtungswaffen zur Verfügung — eine unmittelbare Auswirkung der industriellen Revolution. Auch auf andere Weise trug das Zeitalter der Industrialisierung zum Krieg bei: Einer der Gründe für den Konflikt lag darin, daß die Mächte Europas einander dazu herausforderten, die Rohstoffe und die Verbrauchermärkte der Welt für ihre wachsende Industrie untereinander aufzuteilen.
In dem Buch Promise of Greatness, The War of 1914-1918 heißt es in einem Kapitel aus der Feder des Engländers Richard Rees: „Der Krieg von 1914 bis 1918 machte zwei Dinge deutlich: erstens, daß die technische Entwicklung einen Punkt erreicht hatte, an dem sie ohne verheerende Auswirkung nur noch in einer geeinten Welt weitergehen konnte, und zweitens, daß die bestehenden politischen und sozialen Verbände der Welt diese Einigung unmöglich machten.“
So war es, denn kurz nach dem Ersten Weltkrieg begannen die Industriestaaten von neuem einen Rüstungswettlauf, der im Zweiten Weltkrieg (1939—1945) gipfelte. Man entwickelte noch schrecklichere Massenvernichtungswaffen, u. a. die Atombombe. Das Ergebnis war, daß noch mehr Menschen hingeschlachtet wurden. Die Zahl der Toten wird auf 55 000 000 geschätzt! Und heute stellt die Industrie Waffen mit größerer Vernichtungskraft denn je her. Jährlich geben die Staaten der Erde jetzt etwa 240 Milliarden Dollar für die Rüstung aus.
Das Zeitalter der Industrie hat ein Frankenstein-Ungeheuer geschaffen, das sich auf seine Urheber stürzt. Dies wird in einem bedeutsamen Brief bestätigt, der während des Zweiten Weltkrieges von Orville Wright verfaßt wurde, welcher gemeinsam mit seinem Bruder Wilbur Pionierarbeit in der Entwicklung des Flugzeugs geleistet hatte. Der Brief war an Henry Ford sen. gerichtet, der seinerseits die Massenproduktion des Automobils entwickelt hatte. Wright stellte fest:
„Wilbur und ich dachten, das Flugzeug würde den Weltfrieden schneller herbeiführen. Bis jetzt scheint es eher das Gegenteil bewirkt zu haben.
Ich vermute, daß Sie, als Sie mit der Massenproduktion begannen — was eine der ganz großen Erfindungen der Menschheit war —, kaum damit rechneten, daß man dieses Verfahren 35 Jahre später zur Herstellung von Panzern verwenden würde, die der Vernichtung dienen.
Es hat den Anschein, als ob man nichts Nützliches einführen kann, ohne daß jemand einen verderblichen Zweck dafür erdenkt.“
Weitere Probleme
Diese Männer haben wahrscheinlich kaum damit gerechnet, daß solche und andere Erfindungen nach ihrer Zeit sogar noch größere Probleme aufwerfen würden. In den stark industrialisierten Ländern Europas und Amerikas beispielsweise erweisen sich die Transportsysteme als immer schwerfälliger und unzuverlässiger.
In den Großstädten kommt der Straßenverkehr während der Stoßzeiten beinahe zum Erliegen. Millionen, die zur Arbeit und zurück nach Hause fahren, kommen nur langsam voran, leiden unter der Luftverschmutzung und ärgern sich über die verlorene Zeit. Selbst der Luftraum um die großen Städte wird durch den starken Flugverkehr überlastet.
Das Auto hat sich als eine der todbringendsten Waffen erwiesen, die je ersonnen wurden. Seit seiner Erfindung sind in den USA mehr Menschen bei Autounfällen ums Leben gekommen, als Soldaten dieses Landes in Kriegen gefallen sind.
In dem Buch Ark II stellen die Verfasser Dennis Pirages und Paul Ehrlich folgendes fest:
„Die geschichtliche Entwicklung der Langstreckentransportmittel vom Zug zum Bus und vom Auto zum Flugzeug wird ebenfalls als Fortschritt bezeichnet. Vom ökologischen Standpunkt aber bedeutet beides einen Rückschritt, da mehr Energie verschwendet wird. ...
Man muß wirklich bezweifeln, daß die Revolution im Transportwesen die Qualität des Lebens wesentlich verbessert hat, wenn man von der Zufriedenheit des einzelnen ausgeht. Hat man sich erst einmal Rechenschaft darüber abgelegt, welchen Preis das Auto und das Flugzeug an sozialen Schäden, Rohstoffen und Beeinträchtigungen der Umwelt gefordert haben, kommt man vielleicht zu dem Schluß, daß der Fortschritt beim Fahrrad, beim Zug, bei der Straßenbahn und beim Segelschiff aufgehört haben sollte.“
Enttäuschte Hoffnung
Man hatte gehofft, die schlechten Lebensbedingungen würden mit der fortschreitenden Industrialisierung verschwinden. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Es gab und gibt in den Industrieländern zu jeder Zeit Millionen Arme und Ärmste.
Der Politologe Herbert Muller von der Universität von Indiana (USA) stellte fest: „Die zunehmende Fülle an materiellen Gütern läßt ein grundlegendes Versagen des Industrialismus noch erschreckender deutlich werden: Er hat völlig darin versagt, eine große Zahl Arbeiter mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen — mit angemessener Ernährung, angemessener ärztlicher Versorgung, einer ordentlichen Wohnung und einer angenehmen Umgebung. In den neuen Industriestädten waren die Lebensbedingungen am erschreckendsten. ... die Slums blieben bestehen, allen voran im reichen Amerika, und mit ihnen andere Grundübel, die sich noch verschlimmert haben.“
Andere „Grundübel“ wie Verbrechen, Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, Drogenabhängigkeit, Armut und Hunger haben sich tatsächlich verschlimmert. Dasselbe gilt von Erkrankungen, die durch den Druck der Lebensweise der Industriegesellschaft hervorgerufen werden, wie Herzkrankheiten, Geistesstörungen und Krebs.
Professor Muller gab folgenden Grund für das ganze Elend an: „Weshalb all diese Vernachlässigung oder sogar Verachtung grundlegender Gebote der Menschlichkeit? Die Antwort liegt meines Erachtens auf der Hand. All dies rührt von der vielgepriesenen freien Wirtschaft her, die den Industrialismus schuf, um Privatleuten Profit zu bringen.“ Er sagte, die „Helden“ der industriellen Revolution „zeichneten sich durch Ausbeutung, Diebstahl und Betrug riesigen Ausmaßes aus“.
Profitsucht und Machtgier haben sich nachteilig auf die technisierte Lebensweise ausgewirkt. Sie sind oft der Grund dafür, daß man für neue Erfindungen Reklame macht, ohne an die Folgen zu denken. Eine neue Maschine oder ein neuer Produktionsprozeß kann auf dem einen Gebiet eine Hilfe sein und in einem anderen Bereich Schwierigkeiten heraufbeschwören. John Fischer, Mitherausgeber der Zeitschrift Harper’s, stellte fest:
„Ich bin überzeugt, daß die Technik als Dienerin nur beschränkt zu gebrauchen und in höchstem Maße unzuverlässig ist. Wenn sie ein Problem löst, schafft sie dadurch oft zwei neue, deren Nebenwirkungen zumeist schwer abzuschätzen sind. ...
Jedesmal, wenn man sich eines der Wunder der modernen Technik anschaut, entdeckt man ein Nebenprodukt, das nicht beabsichtigt, nicht vorhersagbar und oft todbringend ist. ...
Zudem eignet sich die Technik am besten für Dinge, die in Wirklichkeit niemand braucht, beispielsweise für das Sammeln von Mondgestein oder den Bau von Überschall-Transportflugzeugen. Jedesmal, wenn wir sie für etwas Richtiges einzusetzen versuchen, fällt sie gewöhnlich auf die Nase.“
Was noch schlimmer ist, die durch die Technik hervorgerufenen Probleme bedrohen jetzt die Existenz des Menschen selbst. In der New York Times wurde von einer Gruppe Wissenschaftler berichtet, die zu folgendem Schluß gekommen war: „Die Belastungen und Spannungen, die durch den raschen technischen Fortschritt hervorgerufen werden, überfordern nicht nur die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Menschen, sich anzupassen, sondern bedrohen sogar seine Existenz.“
Drastische Änderungen nötig
Was muß geschehen, um all die Probleme zu lösen, die mit jedem Jahr größer werden? In dem Buch An Inquiry into the Human Prospect (Die Zukunft des Menschen) von Robert Heilbroner heißt es: „Langfristig gesehen, ist meines Erachtens nichts Geringeres nötig als die allmähliche Abschaffung todbringender technischer Produktionsprozesse, unzweckmäßiger Lebensgewohnheiten und der in unserer industriellen Zivilisation vorherrschenden gefährlichen Denkweise.“
Was würde das bedeuten? Heilbroner führt weiter aus: „Dies würde eine durchgreifende Reorganisation der Produktionsweise mit sich bringen, deren Tragweite noch nicht abzusehen ist, die aber das Ende der großen Fabriken und Büros bedeuten würde, vielleicht auch das Ende der Städte.“
Der Psychoanalytiker Erich Fromm behauptet, die gegenwärtigen Schwächen der Industriegesellschaft könnten nur dann wirkungsvoll behoben werden, „wenn das ganze System, so, wie es während der vergangenen 6 000 Jahre der Geschichte bestanden hat, durch ein System ersetzt werden kann, das grundlegend anders ist“ (Kursivschrift von uns).
Ist es wahrscheinlich, daß die Menschen selbst in der Lage sind, einen derartigen Wechsel herbeizuführen, der „das ganze System“ durch ein neues ersetzen wird? Bestimmt kann niemand sagen, man habe dazu bis heute nicht genug Zeit gehabt. Vielmehr zeigt die Tatsache, daß sich die Menschen auf Kosten anderer verstärkt um ihre eigenen Interessen kümmern, deutlich, daß Menschen die so dringend notwendigen drastischen Änderungen nicht verwirklichen können.
Heißt das, daß es nie dazu kommen wird? Ganz und gar nicht. Die drastischen Änderungen und die völlig neue Lebensweise, ohne die es weder Frieden noch Sicherheit, noch Glück für die Menschen geben kann, sind unausweichlich!
Wer wird den drastischen Wechsel herbeiführen? Jehova Gott, der Schöpfer des Menschen. Er hat die Zusicherung gegeben, „die zu verderben, die die Erde verderben“, und das gegenwärtige System zu „zermalmen und ... [ihm] ein Ende [zu] bereiten“ (Offb. 11:18; Dan. 2:44).
Das gegenwärtige unbefriedigende System der Dinge wird durch eine Regierung ersetzt werden, deren Herrschaft sich über die ganze Erde erstrecken wird: das vom Himmel herrschende Königreich Gottes (Matth. 6:10). Auf der Erde wird eine vollkommen neue Ordnung entstehen, in der nicht zugelassen werden wird, daß Maschinen die Lebensqualität bestimmen. Sie werden so eingesetzt werden, daß sie sich für den Menschen zum Guten auswirken. Da der Mensch ursprünglich in einen parkähnlichen Garten, ein Paradies, gesetzt wurde, empfindet er größeres Glück, wenn er in einer natürlichen Umgebung lebt und nicht in einer Welt aus Beton, Stahl, Schmutz und Lärm. Jesus Christus verhieß die Wiederherstellung des Paradieses (Luk. 23:43).
Wer wirklich der Bibel glaubt, sieht dem baldigen Ende der habgierigen, von Menschen geschaffenen Industriegesellschaft entgegen und erwartet freudig Gottes System, das dem Menschen ewigwährendes Glück bringen wird.