Wie gut ist die „Sicherung“?
NATÜRLICH sind die Leistungen der Sozialversicherung von Land zu Land verschieden. In einigen Ländern scheinen sie hoch genug zu sein, daß Rentner ein gutes Leben führen können.
Zum Beispiel sagte ein Beobachter in Schweden über die guten sozialen Leistungen seines Landes: „Viele Rentenempfänger sagen, sie hätten es finanziell noch nie so gut gehabt wie jetzt.“
Aber solche Länder bilden eine Ausnahme. Der allgemeine Zustand selbst in den reichen Nationen des Westens ist, daß diejenigen, die hauptsächlich von den Leistungen der Sozialversicherung leben, in großen Schwierigkeiten sind.
Geringerer Lebensstandard
Die meisten älteren Personen, die pensioniert werden und außer ihrer Rente keine weiteren Einkünfte haben, müssen sich mit einem niedrigeren Lebensstandard zufriedengeben.
Im Jahre 1975 zahlte die kanadische Rentenversicherung einer alleinstehenden Person, die kein anderes Einkommen hatte, etwa 210 $ im Monat, und ein pensioniertes Ehepaar erhielt etwa 400 $ im Monat. Jemand, der ein Vielfaches dessen verdient hatte, als er noch arbeitete, mußte es somit hinnehmen, daß sein Lebensstandard bedeutend sank, wenn er nicht noch aus anderen Quellen Einkommen bezog.
Das ist in den meisten westlichen Industrieländern der Fall. Ein Rentner erhält gewöhnlich wesentlich weniger Rente, als er in seinem Beruf verdiente. In Australien zum Beispiel betrug das durchschnittliche Einkommen im Jahre 1975 über 150 $ pro Woche. Aber die Grundrente für eine alleinstehende Person betrug nur 36 $ pro Woche und für Ehepaare 60 $. In den Vereinigten Staaten verdiente der durchschnittliche Facharbeiter in einer Woche mehr, als der Durchschnittsrentner im ganzen Monat von der Sozialversicherung erhielt.
Die Älteren haben den Schaden
In diesen westlichen Industrienationen sind die Betagten gewöhnlich die größte Gruppe von Menschen, die in Armut leben. Und wegen der galoppierenden Inflation ist ihre Situation in den letzten Jahren immer schlimmer geworden. Aus Kanada berichtete der Toronto Star, daß „etwa 50 Prozent der Betagten in Armut leben“, wie eine Regierungsumfrage ergab. Sie hatten nicht genügend Einkommen, „um würdig und nicht in Not zu leben“. Weiter hieß es: „Die Armut unter den Alten ist zwei- bis dreimal so groß wie unter anderen Altersgruppen.“ Außerdem hieß es im Star: „Das Problem ist, daß die meisten älteren Bürger außer der staatlichen Beihilfe keine Nebeneinkünfte haben.“
Das Problem ist schwerwiegend, wenn die älteren Menschen nicht bei ihrer Familie, zum Beispiel bei ihren Kindern, leben können oder kein Haus besitzen, das bezahlt ist. Ein australischer Beobachter sagte über solche Rentner: „Wer eine hohe Miete für seine Wohnung bezahlen muß, ist in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation.“ Rentner, die eine hohe Miete zahlen müssen oder noch eine große Hypothek auf ihrem Haus haben, empfinden diese Kosten als eine erdrückende Last.
Aus diesem Grund kommen sich viele „ältere Bürger“ vor, als habe man sie nach einem Leben harter Arbeit auf den Schrotthaufen der Gesellschaft geworfen. Ein Kanadier, der ein offizielles Untersuchungsteam leitete, sagte: „Ich habe immer wieder festgestellt, daß der Verlust jedes noch so kleinen Einkommens bei der Pensionierung die Menschen eines vernünftigen Lebensstandards beraubt und die Lebensqualität, die sie vor ihrer Pensionierung hatten, reduziert.“ Er fügte hinzu: „Sie sind die Vergessenen der kanadischen Gesellschaft.“
Der Bürgermeister einer kanadischen Stadt erzählte: „Zu mir kam ein alter Mann, der 140 Rentner vertrat. Er brach zusammen und flehte um Hilfe. Es war schrecklich zu sehen, daß ein Mann, der sein ganzes Leben lang gearbeitet hatte, in einer Situation steckte, in der er Angst hatte, daß er seine Miete nicht mehr bezahlen könnte.“ In einer anderen Stadt erzählte ein Beamter, er sei von einer älteren Frau besucht worden, die in seinem Büro „hemmungslos geweint“ und zugegeben hatte, sie habe so wenig Geld, daß „sie Tierfutter essen“ müsse.
„Die Probleme hören nicht auf“
Ein alter Mann sagte in dieser Situation: „Ich bin es so leid zu kämpfen. Ich bin frustriert und fassungslos. Wir bleiben immer zu Hause, um kein Geld auszugeben; wir essen so billig, wie es geht; meine Frau weint viel und versucht das alles zu verstehen. Ich habe immer gedacht, die Alten hätten keine Sorgen. Jetzt bin ich alt, und die Probleme hören nicht auf.“
Der Toronto Star berichtete über die alten Menschen in Kanada: „Viele von ihnen sterben allein in einem Zimmer. Viele der Zimmer sind düster und ungepflegt. Nicht selten stellt man fest, daß einige in einem Hintergäßchen gestorben sind.“
Über die Vereinigten Staaten schrieb der Kolumnist Jack Anderson: „Die Gesellschaft schiebt ihre unerwünschten Alten in die Ecke und läßt sie allein und unversorgt auf den Tod warten. Amerika scheint sich einfach nicht um sie zu kümmern. Und jetzt gibt es ein neues schreckliches Phänomen: Die Alten kommen aus ihrer Ecke heraus und strömen in schäbige ,Altersghettos‘. Herbergen und alte Apartmenthäuser sind in unkonzessionierte Tollhäuser für die Alten verwandelt worden.“ Er schrieb weiter: „Nach der günstigsten Schätzung leben sechs Millionen alte Menschen in Armut: ohne angemessene Nahrung, ausgequetscht durch die hohen Kosten für Medikamente, schlecht beherbergt und ungeliebt.“
Gemäß einem Artikel in der New York Post von Harriet Van Horne ist die Zahl alter Menschen, die in Armut leben, noch höher. Sie erklärte: „In Wirklichkeit leben 30 Prozent der alten Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Das sind mindestens acht Millionen Leute.“ Zusätzlich gibt es weitere Millionen, die kaum oberhalb der Armutsgrenze existieren. Diese Kolumnistin schrieb auch:
„Die Eskimos besaßen mehr Güte. Wenn ihre betagten Angehörigen unproduktiv wurden, setzten sie sie auf eine treibende Eisscholle, wo sie über Nacht erfrieren mußten.
Im Gegensatz dazu sind wir Unmenschen. Wir stecken unsere alten Verwandten in Pflegeheime, wo 27 Prozent während des ersten Monats ihres Aufenthaltes sterben. Sie treffen dort völlig normal ein und sinken dann schnell in einen Zustand der Senilität und Verwirrung.
Diejenigen, die überleben, sind oft unterernährt, werden mißhandelt, erhalten Drogen, werden vernachlässigt und sind schließlich nur noch ein schlotternder Haufen Knochen.“
Aus diesem Grund schrieb Dr. Robert N. Butler, Autor des Buches Why Survive?, folgendes: „Tatsächlich ist es leichter, mit dem Problem des Todes fertig zu werden als mit dem Problem, als alter Mensch zu leben“, und das bei einer kleinen Rente in einer teuren Gesellschaft. Er berichtete: „Etwa 30 Prozent der Wohnungen alter Leute hatten keine Spülklosetts, etwa 40 Prozent hatten kein Bad oder keine Dusche mit heißem Wasser, und etwa 54 Prozent waren im Winter nur minimal geheizt.“
Offensichtlich hat eine große Zahl alter Menschen in vielen Ländern trotz „sozialer Sicherung“ nur sehr wenig echte Sicherheit. Wenn sie keine anderen Einkünfte haben oder nicht von ihren Angehörigen versorgt werden, sind sie in einer verzweifelten Lage, obwohl sie in einem relativ reichen Land leben.
Doch muß das immer so sein? Besteht die Hoffnung, daß sich dieser Zustand in absehbarer Zeit ändern wird?