Eine wissenschaftliche Grundlage für das Rutengehen?
MANCHE Schilderungen von Rutengängern scheinen nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage zu beruhen. In einigen Fällen zuckt der gegabelte Zweig wild hin und her, in anderen zerrt er so stark nach unten, daß er zerbricht. Andere Rutengänger behaupten, sie könnten Wasseradern ausfindig machen, indem sie einfach mit einer Wünschelrute über eine Landkarte des betreffenden Gebiets fahren. Solche Berichte erregen den Verdacht, daß in gewissem Maße dämonische Kräfte im Spiel sind. In der Ausgabe der Zeitschrift Der Wachtturm vom 1. Januar 1963 erschien ein interessanter Artikel über böse Geistermächte und ihre Betätigungen. Er vertrat den Standpunkt, daß bei solchen Erlebnissen dämonische Kräfte mitwirken könnten.
In dem Artikel hieß es aber auch: „Obwohl viele Wissenschaftler heute bestreiten, daß das Wassersuchen mit einem gegabelten Zweig auf Naturgesetzen beruhe, ist nicht gesagt, daß sie vollkommen recht haben. Es könnte sein, daß gewisse grundlegende Naturgesetze dabei mitwirken.“
Sechzehn Jahre später erschien über dieses Thema ein interessanter Artikel in dem namhaften Magazin New Scientist (8. Februar 1979). Der Untertitel zu dem Thema „Das Rutengehen gewinnt neue Glaubwürdigkeit“ heißt: „Berichte aus der Sowjetunion über erfolgreiche wissenschaftliche Experimente auf dem Gebiet des Ermittelns von Wasseradern und Mineralvorkommen mit Hilfe der Wünschelrute zwingen dazu, eine mögliche praktische Anwendung dieser Methode neu zu überdenken“. Die an der Forschung beteiligten sowjetischen Geologen „betonten die Vorzüge einer besonderen Methode, die vor einiger Zeit in der Sowjetunion entwickelt wurde und als ‚BPM‘ bekannt ist“. In dem Artikel wurde hinzugefügt: „Wie sich herausstellte, ist BPM (biophysikalische Methode) lediglich ein respektabler neuer Name für das Auffinden von Wasseradern und Mineralvorkommen mit Hilfe der Wünschelrute.“
Von der Kirche angegriffen
„Der erste verbürgte Nachweis für das Rutengehen“, so heißt es in der Encyclopedia Americana, „stammt aus dem Deutschland des Mittelalters: Im Jahre 1556 veröffentlichte Georgius Agricola mit seiner Abhandlung De re metallica eine Beschreibung, die zeigt, wie deutsche Bergarbeiter mit der Wünschelrute nach Mineralien und Erzen suchten. Martin Luther und andere Geistliche hielten es für möglich, daß das Rutengehen satanische Verbindungen hat. Trotz kirchlicher Unterlassungsbefehle breitete sich das Rutengehen von Deutschland auf andere europäische Länder aus.“ In der Americana wird dann die Methode wie folgt beschrieben:
„Das herkömmliche und bisher beliebteste Instrument ist eine Y-förmige Astgabel. Man hält jeweils eine Verzweigung der Gabel in einer Hand. Die Handflächen sind nach oben gerichtet. Das Ende der Rute deutet nach vorn und wird waagrecht oder etwas nach oben gehalten. Sobald sich das Ende der Rute nach unten neigt, ist das Vorhandensein des gewünschten Gegenstandes angezeigt. In der Vergangenheit bevorzugte man Haselruten. Heute werden eine Vielzahl von Hölzern verwendet sowie auch Ruten aus Fischbein, Nylon und Metall.“
Nach der Feststellung im New Scientist, daß das Rutengehen „von Anfang an umstritten war und oft von der Kirche als Werk des Teufels bezeichnet wurde“, wird die Behauptung, daß nur bestimmte Personen diese Fähigkeit haben, in Abrede gestellt. Aufgrund einer Studie mit Durchschnittsbürgern „hat es den Anschein, daß die Fähigkeit, sich solche Reaktionen anzueignen, weiter verbreitet ist, als man vorher dachte. ... Bei der Verwendung dieser Instrumente wie der herkömmlichen Haselrute, die nur als eine hochwirksame mechanische Verstärkung geringfügiger Handbewegungen dienen, haben Hunderte von Leuten festgestellt, daß sie Reaktionen des Rutengehens erleben können.“ Somit ist es nicht die Rute, die vom Wasser oder vom Erz angezogen wird. Sie verstärkt lediglich kleine, nicht wahrnehmbare Handbewegungen und macht sie sichtbar. In der Americana heißt es: „Einige Rutengänger behaupten, Gegenstände mit den bloßen Händen entdecken zu können.“
In dem Artikel der Zeitschrift New Scientist wurde von einer Studie berichtet, die von zwei ursprünglich skeptischen Wissenschaftlern am Labor für Wasserforschung der Universität von Utah durchgeführt wurde. Sie bedienten sich keiner bewährten Rutengänger, sondern „testeten die Fähigkeit von 150 Anfängern, die größtenteils dem Personal und der Studentenschaft der Universität von Utah angehörten. ... Die Forscher von Utah machten die wichtige Entdeckung, daß mehr als 99 Prozent der getesteten Personen Wünschelrutenreaktionen zeigten.“
Eine vermutete wissenschaftliche Grundlage
Einige biologische Systeme haben „eine bemerkenswerte Empfänglichkeit für sehr kleine Veränderungen der sie umgebenden magnetischen und elektromagnetischen Felder“, sagten Wissenschaftler der Universität von Illinois und der Universität von Moskau. Experimente haben bewiesen, daß Brieftauben das Erdmagnetfeld wahrnehmen und es als Orientierungshilfe verwenden. Auch Bienen können es wahrnehmen, und neue Experimente scheinen nahezulegen, daß sogar einige Schnecken darauf ansprechen. Kann die menschliche Hand auf Veränderungen des Magnetfeldes reagieren? Wenn ja, was hat das dann mit dem Vorhandensein von Wasser zu tun? Im New Scientist wird das folgendermaßen erklärt:
„Wie könnte eine solche Theorie ein Argument für die Suche nach Wasseradern und Mineralvorkommen mit Hilfe der Wünschelrute oder ein Argument für die BPM sein, wie sie von sowjetischen Geologen angewandt wird? Sowohl Mineralansammlungen als auch fließendes Grundwasser sind mit geologischen Unregelmäßigkeiten verbunden wie Verwerfungslinien, Bruch- und Verschiebungszonen, Verbindungsplatten, alte Flußbetten, Kalksteinhöhlen und Lavaröhren in vulkanischem Gestein. Diese Unregelmäßigkeiten bewirken kleine geophysikalische Störungen — zum Beispiel in der magnetischen Feldstärke —, die für die Wünschelrutenreaktion verantwortlich sein könnten. Das ist die Meinung der sowjetischen Geologen, die BPM schon seit mehr als zehn Jahren verwenden und deren Arbeit eine bessere Bekanntheit im Westen verdient.“
Gemäß dieser Theorie wird die Wünschelrutenreaktion durch Veränderungen der magnetischen Feldstärke aufgrund besonderer geologischer Formationen hervorgerufen und nicht durch das Vorhandensein oder Fehlen von Wasser oder Metallen. Diese Formationen jedoch begünstigen die Ablagerung metallischer Stoffe oder die Ansammlung von Wasser. In der Sowjetunion gibt es viele Beispiele für die erfolgreiche Anwendung des Rutengehens auf der Suche nach Erzen und fließendem Wasser.
Bei den bereits erwähnten Versuchen an der Universität von Utah folgten die 150 Neulinge vorgeschriebenen Teststrecken. Jeder hatte 30 Holzklötze, und überall, wo er eine Wünschelrutenreaktion verspürte, mußte er einen Klotz fallen lassen. Jeder lief die Strecke allein, und bevor der nächste an der Reihe war, wurden die Klötze entfernt, nachdem man ihre Lage notiert hatte. In einer bemerkenswert großen Zahl der Fälle wurden die Klötze an denselben Stellen fallen gelassen. Im Anschluß an diese Beschreibung heißt es im New Scientist:
„Diese Ergebnisse legen nahe, daß es sich lohnen würde, die Möglichkeit zu untersuchen, ob die Wünschelrutenreaktionen mit kleinen magnetischen Feldänderungen entlang der Teststrecke verbunden waren, wie man mit Cäsiumdampf-Magnetometern festgestellt hat. Eine gewisse Beziehung wurde entdeckt: Die Wünschelrutengänger zeigten an den Stellen der Strecke, wo größere magnetische Feldänderungen auftraten, häufigere Reaktionen. Chadwick und Jensen schlußfolgerten, daß die mögliche Verbindung zwischen Wünschelrutenreaktionen und Magnetfeldänderungen in Verbindung mit fließendem Grundwasser die Grundlage für künftige Forschungen bilden könnte.“
Schlußfolgerung
Im New Scientist wird gefolgert: „Wenn die Wünschelrutenreaktion so allgemein ist und die sowjetischen Behauptungen über die Wirksamkeit der BPM als künftiges technisches Verfahren für bare Münze genommen werden müssen, scheint es keinen Grund zu geben, die Suche nach Wasseradern und Mineralvorkommen mit der Wünschelrute nicht zum Gegenstand ernsthafter Forschungen zu machen. ... Wenn die Auflösung eines jahrhundertealten Geheimnisses, das oft mit Hellsehen und Okkultismus in Zusammenhang gebracht wurde, sich nach alledem lediglich als eine Frage gründlicher Analyse erweist, wäre das ein zeitgemäßer Beweis für den Wert der wissenschaftlichen Verfahrensweise.“
Selbst wenn bewiesen ist, daß es Reaktionen auf Änderungen des elektromagnetischen Feldes gibt, die einige auf das Vorhandensein von Wasser zurückführen, erklärt das noch nicht die extremen Reaktionen einiger, die behaupten, daß die Rute wild hin und her zuckt und manchmal wegen der Heftigkeit der Reaktion zerbricht. Auch gibt es keinerlei Erklärung für die Behauptung, daß manche mit der Rute über die Landkarte eines bestimmten Gebietes fahren und Wasser ausfindig machen können. In solchen Fällen mögen dennoch dämonische Kräfte am Werk sein. Böse Geistermächte bedienen sich manchmal normaler Reaktionen und dramatisieren sie oder verzerren eine Wahrheit bis ins Extrem, so daß ein großer Betrug entsteht.