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Erwachet! 1989
g89 8. 1. S. 12-14

Sag es mit 17 Silben

Von unserem Korrespondenten in Japan

Als die Blüte fiel

und zum Zweig zurückkehrte,

war’s ein Schmetterling.

Welch ein zartes Bild in diesen wenigen Worten eingefangen ist! In der japanischen Sprache sind es nicht mehr als 17 Silben. Ja, die Japaner, seit jeher Meister in der Miniaturisierung, beschreiben Land und Leute mit dem haiku — einem dreizeiligen Gedicht ohne Reim.

Ursprünglich war das haiku Teil eines Gedichts mit 31 Silben in fünf Zeilen, das waka oder tanka genannt wurde. Im Mittelalter war es unter ehrgeizigen Dichtern beliebt, das waka zum Gegenstand eines literarischen Wettstreits zu machen. Einer verfaßte die ersten drei Zeilen des Gedichts, und ein anderer ergänzte es mit zwei weiteren Zeilen. Im Verlauf der Zeit entwickelten sich die drei einleitenden Zeilen zu einer eigenständigen beliebten Gedichtform. Auf diese Weise entstand das haiku.

Was ein „haiku“ ist

Das haiku ist ein Lehrbeispiel für Kürze im Ausdruck. Die erste und die letzte Zeile bestehen aus je fünf Silben und die mittlere aus sieben. Traditionsgemäß wird im haiku eine Jahreszeit genannt, oder es enthält ein sogenanntes Jahreszeitenwort. „Schnee“ läßt an den Winter denken, „Frosch“ oder „Blüte“ erinnert an den Frühling, während das Wort „Hitze“ den Leser an einen schwülen Sommertag versetzt. Ja, der haiku-Dichter kann in nur ein oder zwei Silben die Stimmung wiedergegeben.

Vor der Tür trocknet

Gerste. Die Bambusblende

hängt schlaff herunter.

Siehst du das alte Bauernhaus? Draußen liegen Gerstenähren zum Trocknen. Vor der Tür hängt eine von der Sonne ausgebleichte Bambusblende.

Das haiku wird auch als die „Poesie der Sinneswahrnehmung“ bezeichnet, und so kann ein schön formuliertes haiku den Leser das Ereignis nachempfinden lassen.

Die kleine Schnecke,

wie langsam kriecht sie hinauf

zum Fudschijama.

Stell dir einmal diese Szenerie vor: Mit 3 700 Metern türmt sich der Fudschijama schroff auf. Das Vorgebirge verschwimmt im Dunst. Den Gipfel zu erklimmen ist eine Herausforderung, und der Winzling Mensch kriecht einer Schnecke gleich hinauf. Spürst du schon deine schmerzenden Glieder?

haiku-Dichter wie beispielsweise Issa Kobayashi, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebte, nahmen den Alltag von der heiteren Seite, bisweilen auch mit etwas schwarzem Humor. Dies kommt in dem folgenden haiku zum Ausdruck:

Die Reisekleider

gewechselt. Doch die Läuse

bleiben dieselben.

Diese haiku-Beispiele weisen alle den traditionellen Bezug auf die Natur und die Jahreszeiten auf. Sie steigern das Empfinden des Lesers für die Pflanzen- und Tierwelt, den Jahreszeitenwechsel und die zarte Landschaft. Zudem geben sie viel Aufschluß über Land und Leute. Ohne daß der Dichter seine eigenen Empfindungen in den Vordergrund rückt, weckt er die Gefühle des Lesers durch die meisterhafte Auswahl von nur wenigen Worten. Auf welch schöne Weise das Geschenk der Sprache doch dadurch zum Ausdruck kommt!

Das „haiku“ als Lehrmittel

Das haiku eignet sich wegen seines einfachen Charakters dazu, jedermann in die Poesie einzuführen. Einige Unterweiser sind der Ansicht, daß das haiku ein erster nützlicher Schritt für kreatives Schreiben ist. Die einfühlsame Einbeziehung der Natur und der Jahreszeiten veranlaßt den Schüler auch, seine Umwelt bewußter wahrzunehmen. Solch einen unmittelbaren Einblick in die Schönheiten der Natur zu nehmen kann einen veranlassen, eine tiefere Wertschätzung für den Schöpfer zu entwickeln.

Eine Vorschullehrerin in Osaka (Japan) machte einige lohnende Erfahrungen, als sie ihren kleinen Schülern haiku-Unterricht erteilte. Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren lernten über einhundert haiku in einem Jahr. Man konnte bei diesen Kindern feststellen, „daß sie ein besseres Verständnis der Natur hatten und achtsamer mit Tieren umgingen“. Bestimmt ein beglückendes Resultat bei einer Altersstufe, die durch ausgelassenes Herumtollen und viel Phantasie gekennzeichnet ist!

Einige Fachleute sind der Ansicht, daß sich das haiku in der Religion vervollkommnen müsse, wie zum Beispiel im Zen-Buddhismus oder durch Meditation. Jedoch lernt die Allgemeinheit in Japan das haiku lediglich als einen Teil der japanischen Literatur kennen, und das wird es immer für sie sein.

Das „haiku“ geht auf die Reise

Obwohl das haiku in Japan das Licht der Welt erblickte und dort gehegt und gepflegt wurde, hat es den Ruf erlangt, die kürzeste, prägnanteste Gedichtform der Weltliteratur zu sein. Ende der 50er Jahre kam ein wachsendes Interesse am haiku in der westlichen Welt auf, besonders in den Vereinigten Staaten, wo es bereits verschiedene haiku-Literatur in englischer Sprache gibt. Eine Lehrerin in Kalifornien war freudig überrascht, wie schnell ihre Schüler die Grundelemente des haiku erfaßten. Dies ist das erste Gedicht eines ihrer Schüler:

Vom Berg

der Mond

geht langsam zu den Sternen.

Nicht übel für ein Kind!

Auf seiner Reise in die dritte Welt ließ sich das haiku auch in Afrika nieder. Die Senegalesen haben sich als einfühlsame Poeten erwiesen. Hier ist ein Beispiel ihrer Bemühungen:

Die Falten des Flußbetts

lächeln erschöpft

in der sengenden Hitze.

Wie treffend doch dieses haiku die glühende Sonne Afrikas empfinden läßt! Dort sind die Menschen mit der Natur verbunden, und sie empfinden bewußt deren Kraft und Schönheit. Sie geben ausgezeichnete haiku-Dichter ab.

Allerdings wird es problematisch, wenn man ein haiku vom Japanischen in eine andere Sprache übersetzen will. Während sich das Silbenmetrum 5-7-5 gut in die japanische Sprache einfügt, mag man in einer anderen Sprache für die gleiche Silbenkombination viel mehr Wörter benötigen. Aus diesem Grund treten einige Unterweiser dafür ein, die Silbenanzahl außer acht zu lassen oder nur ein zweizeiliges Gedicht zu formen. Andere sind dafür, die Dreizeiligkeit beizubehalten, dafür die mittlere Zeile aber etwas länger laufen zu lassen. Nachfolgend ein preisgekröntes haiku, das nicht in Japanisch geschrieben wurde, aber vollkommen ist in Form und Inhalt:

Eiskalter Morgen,

Sperlinge sitzen gedrängt,

den Kopf eingeklemmt.

Das haiku beschreibt einen kalten Wintermorgen. Sperlinge kuscheln sich aneinander — vielleicht auf einer Telegrafenleitung sitzend —, alle den Kopf in die Schulterfedern eingezogen, um sich warm zu halten. Das ganze Bild wird uns praktisch bei einem einzigen Augenaufschlag vermittelt.

Das ist der Grund, weshalb das haiku immer beliebter wird — die Herausforderung, die Schönheit der Natur zu beschreiben, winzige Details eines Vorgangs einzufangen und die Empfindungen des Lesers anzuregen, und das in nur drei Zeilen mit 17 Silben. All das vereinigt sich im haiku.

[Bild auf Seite 12]

Als die Blüte fiel

und zum Zweig zurückkehrte,

war’s ein Schmetterling.

[Bild auf Seite 13]

Vor der Tür trocknet

Gerste. Die Bambusblende

hängt schlaff herunter.

[Bild auf Seite 14]

Die kleine Schnecke,

wie langsam kriecht sie hinauf

zum Fudschijama.

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