Betrug in der Wissenschaft — Warum auf dem Vormarsch?
„DER Konkurrenzkampf tobt. Den Gewinnern winken phantastische Preise, und die Verlierer sind auf dem Weg in die Vergessenheit. Eine Atmosphäre, in der man einer unzulässigen Abkürzung manchmal kaum widerstehen kann — nicht zuletzt, weil die Gesellschaft nicht die Stirn hat, dem Übel entgegenzutreten.“ So beginnt der Artikel „Veröffentliche oder verschwinde — oder fälsche“ in der Zeitschrift U.S.News & World Report. Um dem Verschwinden zu entgehen, greifen viele Wissenschaftler lieber zur Fälschung.
Der Druck auf den Wissenschaftler, in Fachzeitschriften zu publizieren, ist überwältigend. Je länger die Liste der Veröffentlichungen mit seinem Namen, desto besser seine Aussichten auf eine Arbeitsstelle, auf die Promotion, auf eine Anstellung an einer Universität und auf staatliche Förderung seiner Forschung. In den Vereinigten Staaten kontrolliert die öffentliche Hand „über die Nationalen Gesundheitsinstitute [NIH] den größten Forschungsfonds mit 5,6 Milliarden Dollar im Jahr“.
Da die „Wissenschaftsgemeinde kaum Lust zu haben scheint, ihrem ethischen Dilemma die Stirn zu bieten“, „sich merkwürdig widerwillig um eine konkrete Analyse ihrer Verhaltensethik kümmert“ und „keine Anstalten erkennen läßt, reinen Tisch zu machen oder auch nur Vergehen genauer zu untersuchen“, haben Ausschüsse des amerikanischen Kongresses Anhörungen anberaumt und Gesetze erwogen, die es ihnen ermöglichen würden, selbst für Ordnung zu sorgen (New Scientist; U.S.News & World Report). Diese Aussicht sagt den Wissenschaftlern natürlich überhaupt nicht zu. Doch eine Wissenschaftszeitschrift warf die Frage auf: „Ist das Haus der Wissenschaft sauber und in Ordnung?“ und gab selbst die Antwort: „Die wenigen Tatsachen, die an die Öffentlichkeit dringen, lassen das äußerst zweifelhaft erscheinen.“
Einige Forscher unterschlagen Ergebnisse, die nicht das stützen, was sie beweisen wollen (Frisieren genannt), berichten von mehr Untersuchungen und Überprüfungen, als sie wirklich durchgeführt haben (Trimmen), verwenden Ergebnisse oder Ideen anderer Forscher (Plagiieren) und beschreiben Versuche und Ergebnisse, die sie nie gemacht bzw. erzielt haben (Fälschen). In einer Karikatur eines Wissenschaftsmagazins wurde das letztere aufs Korn genommen: Ein Wissenschaftler sagt zu einem Kollegen über einen dritten: „Er hat eine Menge veröffentlicht, seit er den Kurs in kreativem Schreiben mitgemacht hat.“
„Was kommt heutzutage bei der wissenschaftlichen Forschung hauptsächlich heraus? Antwort: Papier“, schrieb U.S.News & World Report. „Jedes Jahr werden Hunderte von neuen Zeitschriften gegründet, um die Flut von Forschungsberichten zu bewältigen, die von Wissenschaftlern in dem Bewußtsein herausgepreßt werden, daß der Weg zum akademischen Erfolg über eine lange Liste veröffentlichter Artikel führt.“ Quantität und nicht Qualität ist das Ziel. Vierzigtausend Zeitschriften veröffentlichen jährlich eine Million Artikel. Ein Teil dieser Flut „ist symptomatisch für die fundamentalen Krankheiten — einschließlich der Veröffentliche-oder-verschwinde-Mentalität der Forscher, die stärker denn je ist und zu protzigen, sich wiederholenden, sinnlosen oder sogar betrügerischen Arbeiten animiert“.
Dr. Drummond Rennie, ein leitender Redakteur des Journal of the American Medical Association, bemerkte zu der fehlenden Qualität: „Es scheint, als sei keine Studie zu bruchstückhaft, keine Hypothese zu trivial, keine Anführung aus der Literatur zu tendenziös oder selbstbeweihräuchernd, keine Konstruktion zu verschroben, keine Methodik zu stümperhaft, keine Ergebnisreihe zu ungenau, zu undeutlich, zu widersprüchlich, keine Deutung zu selbstdienerisch, keine Beweisführung zu sehr Zirkelschluß, keine Schlußfolgerung zu unbedeutend oder ungerechtfertigt und keine Grammatik oder Syntax zu entsetzlich, daß sie nicht schließlich in einem gedruckten Artikel erscheinen könnte.“
Aus Mücken werden Elefanten
Das Veröffentliche-oder-verschwinde-Syndrom hat viele Forscher sehr einfallsreich werden lassen, wenn es darum geht, einen mäßigen Ausstoß von Veröffentlichungen auf ein phänomenales Ausmaß hochzupäppeln. Sie schreiben einen Artikel und teilen ihn anschließend in vier kleinere auf — was man im Berufsjargon „Salamischneiden“ nennt. Statt eines Artikels landen auf diese Weise vier Artikel mit ihrem Namen in der Liste ihrer Veröffentlichungen. Dann schicken sie vielleicht denselben Artikel an verschiedene Zeitschriften, wobei er bei jedem Erscheinen aufs neue gezählt wird. Es ist nicht selten, daß für einen Artikel mehrere Autoren verantwortlich zeichnen und jeder Autor den Artikel für sich verbucht. Bei einem zwei- oder dreiseitigen Artikel mögen dann 6, 8, 10, 12 oder mehr Autoren aufgeführt sein.
In der Sendung „Mogeln die Wissenschaftler?“, die am 25. Oktober 1988 in der Sendereihe NOVA ausgestrahlt wurde, erklärte ein Wissenschaftler dazu: „Die Leute versuchen, ihren Namen auf so viele Veröffentlichungen wie nur möglich zu bekommen. Daher findet man jetzt häufig große Teams, die einen Artikel veröffentlichen, auf dem vielleicht 16 Namen stehen und der es noch nicht einmal wert sein mag, überhaupt veröffentlicht zu werden. Doch das gehört zur Hetzjagd, zum Konkurrenzkampf, zum allgemeinen Quantitätsdenken, was durch die heutige Wissenschaftsstruktur in den Vereinigten Staaten ausgesprochen gefördert wird.“ Einige, die als Koautoren angegeben sind, haben mit dem betreffenden Artikel wenig zu tun, ihn möglicherweise noch nicht einmal gelesen, aber fügen ihn der Liste ihrer Veröffentlichungen hinzu. Diese aufgeblähten Listen beeinflussen die Vergabe von Forschungsmitteln, zu denen Millionen von Dollar aus öffentlicher Hand gehören.
Schützen Gutachten gegen Betrug?
Die Redaktionen von Wissenschaftszeitschriften schicken eingereichte Artikel oft — jedoch nicht immer — vor der Veröffentlichung an andere Wissenschaftler zur Beurteilung. Theoretisch werden durch diese Gutachten fehlerhafte oder betrügerische Artikel ausgesiebt. „Die Wissenschaft ist in einem Maße selbstkorrigierend wie kein anderes intellektuelles Streben“, sagte Isaac Asimov. „Kein anderer Bereich ist so selbstkontrollierend.“ Er äußerte sich erstaunt darüber, daß „Skandale so selten sind“.
Doch viele sind da anderer Meinung. Gutachten seien ein „lausiges Mittel zum Entdecken von Betrug“, sagte der bereits erwähnte Dr. Drummond Rennie. In der American Medical News hieß es: „Zeitschriften, die alles begutachten lassen, wurden einst als fast unfehlbar angesehen, müssen jetzt aber zugeben, daß sie den Betrug nicht ausrotten können.“ „Das Gutachtersystem wurde in den Himmel gehoben“, schrieb ein Medizinjournalist und Kolumnist in der New York Times.
Wie das Fachblatt Science meldete, wurde ein Wissenschaftler, der als Gutachter bestellt war, beschuldigt, abgeschrieben zu haben. Gemäß den NIH benutzte er „Ergebnisse aus einem Artikel, der ihm zur Beurteilung vorlag, für die eigene Arbeit“. Durch ein solches Handeln wird „die Vertrauensbasis zerstört, auf der das Gutachtersystem beruht“. In diesem speziellen Fall wurde erklärt, der Gutachter komme „für künftige staatliche Förderung nicht in Frage“.
„Die Überheblichkeit, mit der die Wissenschaftsgemeinde ihre ethische Reinheit proklamiert, hat ihr lange Zeit ein leichtes Spiel gesichert“, meinte die Zeitschrift New Scientist. Das hochgelobte Gutachtersystem, das theoretisch alle Fälschungen aussieben soll, wird von vielen als Farce betrachtet. „Die Realität ist, daß nur wenige Wissenschaftshalunken erwischt werden; und wenn doch, stellt sich oft heraus, daß sie schon jahrelang so gearbeitet haben und gefälschte Ergebnisse in angesehenen Zeitschriften veröffentlichen konnten, ohne daß jemand Fragen gestellt hätte.“
Bereits zuvor hatte ein NIH-Vertreter gemäß der New York Times erklärt: „Ich denke, ein Zeitalter der Unschuld ist zu Ende gegangen. In der Vergangenheit ging man davon aus, daß Wissenschaftler so etwas nicht tun. Aber jetzt fängt man an zu begreifen, daß Wissenschaftler moralisch nicht höher stehen als irgend jemand anders.“ In dem Times-Bericht hieß es weiter: „Vor ein paar Jahren war es schon viel, wenn sich die Gesundheitsinstitute im Jahr mit nur einem Vorwurf des Betrugs beschäftigen mußten, heute sind es nach ihren eigenen Angaben mindestens zwei schwere Vorwürfe im Monat.“ In der Zeitschrift Science konnte man lesen: „Der Öffentlichkeit wurde wiederholt von der Wissenschaft versichert, Fälschungen und Fehlverhalten in der Forschung seien selten ... Und doch kommen, wie es scheint, immer weitere Fälle ans Licht.“
John Dingell, Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses des Kongresses, bemerkte einmal gegenüber Wissenschaftlern: „Ich will Ihnen sagen, daß ich Ihre Kontrollmechanismen für hoffnungslos unzulänglich halte. In vielen Fällen scheinen Gaunereien über die Rechtschaffenheit zu triumphieren, und das in einer Weise, die ich völlig unannehmbar finde. Ich hoffe, Sie auch.“
Die zuvor erwähnte Fernsehsendung kam mit der Erklärung eines anwesenden Wissenschaftlers zu dem Schluß: „Man muß die ,Familiengeheimnisse‘ unter dem Teppich hervorholen und, wenn erforderlich, die Karriere der Bürokraten stutzen — es gibt keine Alternative. Das fordert die Ethik, das fordert das Gesetz, und das fordert zweifellos die Moral.“
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
Auf einem Artikel stehen vielleicht 16 Namen
[Herausgestellter Text auf Seite 7]
„Das fordert die Ethik, das fordert das Gesetz, und das fordert zweifellos die Moral“