Durch das Lesen den Horizont erweitern
HABEN wir uns je gewünscht, an weit entfernte Orte zu reisen, Menschen verschiedener Kulturen zu treffen, Naturschönheiten wie eindrucksvolle Wasserfälle, majestätische Gebirge und geheimnisvolle Dschungel zu sehen und zu erforschen und etwas über fremde Tiere und Pflanzen zu erfahren? Würden wir gern bis auf den Meeresgrund tauchen, in den Weltraum fliegen, in den Mikrokosmos spähen, die Wunder des Gehirns, des Auges und des Herzens studieren oder Zeuge des Wunders der Geburt sein? Oder möchten wir vielleicht die Zeit zurückdrehen, um mit Hilfe der Geschichtsschreibung und der Archäologie die Vergangenheit zu ergründen?
Alle diese aufregenden Abenteuer stehen uns offen durch das geschriebene Wort. Ohne unseren bequemen Sessel zu verlassen, können wir all das erleben, indem wir Bücher oder andere Publikationen lesen. Auf jedem Gebiet verfügt die Literatur über einen riesigen Vorrat an Wissen. Es ist so, wie die Bibel sagt: „Des vielen Büchermachens ist kein Ende“ (Prediger 12:12). Wenn wir gut lesen können, sind wir in der Lage, uns auf Wunsch aus diesem Vorrat zu bedienen.
Ein Handicap, gegen das es sich zu kämpfen lohnt
Traurigerweise können weltweit mehr als 800 Millionen Menschen über 15 Jahre weder lesen noch schreiben. Das setzt ihren Möglichkeiten, zu lernen und sich mitzuteilen, enge Grenzen. Es unterdrückt ihre Denkfähigkeit und macht sie von denen abhängig, die lesen können, wodurch sie der Gefahr ausgesetzt sind, manipuliert und ausgenutzt zu werden.
Selbst einfache Vorgänge des täglichen Lebens können für einen Analphabeten mit großen Schwierigkeiten verbunden sein. Zum Beispiel ist das Reisen zumindest verwirrend, wenn man nicht in der Lage ist, Straßenschilder zu lesen oder Informationstafeln an Busstationen, auf Bahnhöfen oder Flughäfen. Und ist es nicht auch unangenehm und peinlich, jemanden bitten zu müssen, persönliche Briefe und Dokumente zu schreiben oder einem vorzulesen oder selbst einfache Formulare auszufüllen? Mütter, die die Aufschriften auf Nahrungsmittelverpackungen oder die Beipackzettel von Arzneien nicht lesen können, stehen in der Gefahr, ihren Kindern etwas Schädliches zu geben.
Offensichtlich ist der Analphabetismus ein gewaltiges Handicap. Mit etwas Hilfe kann er jedoch überwunden werden. Die Situation ähnelt der von Marthe. 20 Jahre lang war sie blind und hatte nur noch Erinnerungen daran, wie die Welt des Lichts und der Farben aussieht. Im Alter von 70 Jahren wurde sie operiert, wodurch sich ihr die wunderbare Welt des Sehens mitsamt der Freude des Lesens wieder eröffnete. Dann ist da Kalu, der jetzt 70 Jahre alt ist. Als junger Mann war er gegenüber Gedrucktem „blind“: Er konnte nicht lesen. Doch er besuchte einen Lese- und Schreibkurs, und heute liest und schreibt er in drei Sprachen.
Es gibt wahrscheinlich nur wenige Fälle wie Marthe, aber es gibt Tausende, die wie Kalu ihr Handicap abgeschüttelt und das Lesen gelernt haben. Natürlich geschieht das nicht über Nacht. Es erfordert Zeit und Mühe und vor allem jede Menge Ermunterung und Hilfe. Können wir jemandem helfen? In vielen Ländern führen Jehovas Zeugen Lese- und Schreibkurse durch, wie den, der Kalu geholfen hatte. Diese Kurse tragen dazu bei, daß unter Jehovas Zeugen so viele lesen und schreiben können. In Nigeria beispielsweise liegt bei ihnen der Anteil derjenigen, die lesen und schreiben können, doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.
Ein besserer Leser werden
Vielleicht haben wir keine Probleme mit dem Analphabetismus. Doch sind wir auch gute Leser? Manchen fällt das Lesen sehr schwer, und sie lesen sozusagen in Schleifen, das heißt, sie hören mitten in der Zeile oder im Satz auf und fangen wieder von vorne an. Einige sprechen verschiedene Wörter falsch aus oder haben Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Können diese Probleme überwunden werden?
Die 13jährige Beatrice konnte zwar Wörter mit ihrer Bedeutung verbinden, aber es fiel ihr schwer, sie auszusprechen. Sie las „jemand“ statt „Person“ oder „Haus“ statt „Gebäude“. Dann wurde ihr das Lautsystem ihrer Sprache beigebracht — wie die Kombination von Selbst- und Mitlauten andere Laute ergibt — und wie man Wörter in Silben trennt und dann ausspricht. Sie wurde auch ermuntert, das Buch Mein Buch mit biblischen Geschichtena zu lesen und dabei eine Kassettenaufnahme des Buches abzuspielen. Das Verständnis der Wörter und die Aussprache verbesserten sich, und jetzt hat sie mehr Freude am Lesen.
Möglicherweise müssen wir uns ebenfalls noch in der Lautbildung verbessern. Wer den Artikel lesen kann, weiß bereits, was Silben sind. Mit Hilfe dieses Wissens kann er an seiner Aussprache arbeiten. Nehmen wir ein Wort, zerlegen es in seine Silben und sprechen dann jede Silbe einzeln aus (Beispiel: Al-pha-be-ti-sie-rung). Jetzt setzen wir das Wort wieder zusammen und sprechen es als Ganzes aus. Das kann man nun mit anderen Wörtern machen und anschließend versuchen, die Wörter zu lesen, ohne jede Silbe einzeln auszusprechen. Man sollte es lernen, ganze Wörter zu erkennen, ohne sie laut auszusprechen.
Gute Leser lesen nicht ein Wort nach dem anderen, sondern sehen einen ganzen Satz oder Satzteil und erfassen die Wörter in gedanklichen Gruppen oder vollständigen Gedankengängen. Statt also bei jedem Wort innezuhalten, um es für sich zu lesen, sollte man versuchen, jedesmal beim Verweilen der Augen eine Reihe von Wörtern zu erfassen. Jedes Verweilen sollte nur eine unbewußte Pause der Augen sein, ein kurzer Blick. Mit etwas Übung wird einem das gelingen. Doch man sollte die Neigung bekämpfen, innezuhalten und zurückzugehen, weil man dadurch den Fluß unterbricht und das Verständnis behindert. Man sollte sich darin üben, einen Satz in einem Zug durchzulesen.
Aber neben dem flüssigen Lesen gibt es noch weitere Faktoren, die einen guten Leser ausmachen. Ein besseres Verständnis, die Fähigkeit, sich zu erinnern, und ein reicher Wortschatz — das alles sind erstrebenswerte Ziele. Nebenstehend werden einige Empfehlungen gegeben, wie man sie erreichen kann. Warum nicht einmal selbst ausprobieren, ob das in der Praxis funktioniert?
Den richtigen Lesestoff auswählen
Mit einer verbesserten Lesefähigkeit eröffnet sich einem eine Welt des Wissens, ein Reichtum an gedruckten Informationen. Natürlich kann man einiges davon auch durch das Fernsehen oder durch Videos kennenlernen, aber das Lesen ist anregend, es schult das Denken, die Vorstellungskraft und die Fähigkeit, sich auszudrücken. Es gibt einem Wörter und Bilder an die Hand, mit deren Hilfe man sich erinnern und über viele Themen etwas Sinnvolles schreiben und sagen kann, wodurch man für andere zu einem interessanteren Gesprächspartner wird.
Doch wo soll man bei der riesigen Themenauswahl anfangen? In dem Schrifttext, wo gesagt wird: „Des vielen Büchermachens ist kein Ende“, heißt es auch: „Und sich ihnen viel zu widmen ist ermüdend für das Fleisch“ (Prediger 12:12). Man kann nicht alles lesen; und nicht alles ist förderlich und wahr. Seien wir deshalb wählerisch. Lesen wir unbedingt Stoff, der unsere Persönlichkeit zum Besseren formt, der uns bei der Arbeit, in der Schule oder bei unseren Familienverpflichtungen hilft. Man kann seinen Horizont ungemein erweitern, wenn man internationale Publikationen wie z. B. Erwachet! liest. Auf wenigen Seiten erhält man Informationen aus der ganzen Welt.
Geht man wählerisch vor, so wird das Lesen sinnvoll sein und einem praktisch, intellektuell und geistig nützen. Treffen wir daher eine gute Auswahl, und kaufen wir die Zeit aus, indem wir zu Hause, während der Arbeitspausen, während Wartezeiten, auf Reisen und bei anderen Gelegenheiten lesen. Mit einem Wort: Erweitern wir unseren Horizont durch das Lesen!
[Fußnote]
a Herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft.
[Kasten auf Seite 27]
Das Verständnis verbessern
● Denke beim Lesen nach, stelle Fragen, und zieh Schlußfolgerungen.
● Behalte das Thema des Artikels und die Gliederungstitel im Sinn.
● Versuche, jeweils den Zusammenhang zwischen dem Absatz und dem Hauptthema zu sehen.
● Verbinde das Gelesene mit dem, was du bereits weißt.
● Wende das Gelesene auf dein Leben an, und vergleiche es mit deinen Erfahrungen.
Sich einen größeren Wortschatz zulegen
● Streiche Wörter an, die dir nicht vertraut sind.
● Achte darauf, in welchem Zusammenhang solche Wörter stehen.
● Schlage die Bedeutung in einem Wörterbuch nach.
● Lerne, die Wörter richtig auszusprechen.
● Verwende die neuen Wörter in deinen Unterhaltungen.