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Erwachet! 1977
g77 22. 5. S. 16-23

Ansichten der Hindus über das Leben und den Tod

MEIN Vater, ein bekannter Geschäftsmann in Jamnagar (Indien), lag schwerkrank danieder. Er war schon viele Jahre herzleidend gewesen, doch nun hatten sich Komplikationen eingestellt.

Im Februar 1976 wurde mein älterer Bruder, der im nördlichen Teil des Staates New York wohnt, angerufen und gebeten, so schnell wie möglich, spätestens in einer Woche, nach Hause zu kommen. Er verständigte mich sofort, und zwei Tage danach bestiegen wir auf dem Kennedy-Flughafen in New York das Flugzeug.

Vor acht Jahren war ich das letzte Mal zu Hause gewesen, und in der Zwischenzeit hatte sich vieles ereignet. Da es ein langer Flug werden sollte, machte ich es mir auf dem Sitz bequem und hing dann meinen Gedanken nach.

Lebenserinnerungen

Anfang der 1960er Jahre schickte mich mein Vater in die Vereinigten Staaten, um dort zu studieren. Ich war zwar als Hindu aufgewachsen, doch nach Beendigung des Studiums begann ich, in religiöser Hinsicht anders zu denken, weil ich anfing, mich mit der Bibel zu befassen. Nach einiger Zeit entwickelte sich zwischen Vater und mir ein reger Briefwechsel über unsere Glaubensansichten. Vater war tief religiös. Er ließ sich sogar von einem bestimmten Guru persönlich unterweisen. Ich erinnere mich, daß er, als ich noch ein Kind war, jedes Jahr mehrere Wochen von zu Hause wegging und diesen Guru im Himalajagebirge aufsuchte.

Während das Düsenflugzeug durch die Nacht dröhnte, beschäftigte ich mich in Gedanken mit dem Zustand meines Vaters. Ich fragte mich: Wie denkt er wohl jetzt über die Existenz nach der gegenwärtigen? Wie stark ist seine Überzeugung jetzt in seinem schwerkranken Zustand?

Ich dachte an die Briefe, die Vater mir geschrieben hatte. In einem Brief, den ich im August 1973 erhielt, schrieb er zum Beispiel: „Die Kraft, die aus der Erkenntnis des Brahmans, des absoluten Seins, quillt, ist jeder anderen Kraft überlegen. ... Echte Stärke verzagt auch angesichts des Todes nicht, weil man weiß, daß der Tod lediglich eine Veränderung bedeutet, die die körperliche Hülle betrifft. Das Ich stirbt nicht, weil es nicht geboren ist.

Wer diese Überzeugung hat, läßt sich lächelnd kreuzigen und betet noch für seine Peiniger. Wenn der Tod ihm winkt, bleibt er steinhart, denn er hat ,die Füße Gottes berührt‘. ... Deshalb wird im Sprachgebrauch der Hindu der körperliche Tod eines Weisen als mahat-sa-madhi bezeichnet: die ,große Ekstase‘.“

Als Hindu glaubte Vater an die Unsterblichkeit eines „inneren Ichs“, einer Seele. Er meinte, daß der Körper oder das „äußere Ich“ lediglich die Hülle dieser Seele sei. Beim Tod werde das „wirkliche Ich“ befreit, so daß es in einen anderen Körper „transmigrieren“ bzw. übergehen könne. Vater glaubte, wenn jemand ein guter Mensch gewesen sei, werde es ihm in der nächsten Existenz bessergehen als in der gegenwärtigen; das „eigentliche Ich“ eines schlechten Menschen dagegen könne sogar in ein Tier übergehen.

Ich fragte mich, ob dieser Glaube meinem Vater jetzt, da er dem Tode nahe war, Kraft gab und ihm eine Hilfe war. Ich dachte auch an andere meiner Angehörigen und an das Leben bei uns zu Hause.

In der Zeit, die seit meinem letzten Besuch vergangen war, hatten mein jüngerer Bruder und meine Schwester geheiratet. Beide wählten ihren Ehepartner selbst. Das war früher in Indien nicht üblich. Ich wußte, daß sich die Sitten in Indien stark verändert hatten, und ich war gespannt, alles mit eigenen Augen zu sehen.

In Jamnagar zum Beispiel, wo ich aufgewachsen bin, durfte ein Mann niemals das Antlitz seiner Schwiegertochter sehen, und eine Frau durfte niemals direkt mit ihrem Schwiegervater sprechen. Mein Großvater, der bei uns gewohnt hatte, hatte meiner Mutter nie ins Gesicht geblickt. Und wenn Großvater mit Mutter geredet hatte, hatte sie ihm nie direkt geantwortet, nicht einmal am Telefon, sondern hatte es ihm durch jemand anders sagenlassen. Außerdem waren sie nie zusammen in ein und demselben Zimmer gewesen.

Es wäre auch ein Verstoß gegen die guten Sitten gewesen, wenn junge Leute Händchen gehalten hätten, ja sie durften nicht einmal miteinander sprechen. Auf den Straßen von Jamnagar hatte ich so etwas nie gesehen, und auch ich habe, solange ich in Jamnagar lebte, nie mit einem jungen Mädchen — abgesehen von meinen eigenen Angehörigen — gesprochen. Es wäre einfach unschicklich gewesen. Doch wie verhielt es sich jetzt mit diesen Sitten?

In Jamnagar

Unser Flugzeug landete am Nachmittag des 27. Februar in Bombay (Indien). Da etwas bei der Buchung der Flugkarte nach Jamnagar schiefgegangen war, mußten wir ein Flugzeug nach Raikot nehmen, einer Stadt, die rund 80 Kilometer von meinem Heimatort entfernt liegt. Von dort aus fuhren wir dann mit einer Taxe nach Hause.

Auf dieser Fahrt wurden viele Erinnerungen wach. Ende der 1950er Jahre war mein Großvater Landwirtschaftsminister in dem Staat Saurasthra, der jetzt zu dem indischen Bundesstaat Gujarat gehört. In den Schulferien nahm er mich oft mit, wenn er verschiedenen Dörfern — durch etliche davon fuhr ich jetzt — einen offiziellen Besuch abstattete. In einiger Entfernung konnte ich die Halle in Dhhrol sehen, wo Großvater jeweils zu den Bauern gesprochen hatte.

Ende der 1950er Jahre lebten noch die meisten Dorfbewohner in Hütten aus Lehm, der mit Kuhdung vermischt war. Auch der Fußboden dieser Hütten, die nur einen Raum hatten, bestand aus Lehm und Kuhdung — einem ganz harten Material. Die Frauen trugen auf dem Kopf große Krüge mit Wasser, das sie vom Dorfbrunnen geholt hatten. Ich hatte den Eindruck, daß alles beim alten geblieben war.

Im Krankenhaus

Vater lag, als wir zu Hause eintrafen, im Krankenhaus. Er erkannte uns und war glücklich, daß wir gekommen waren, doch er war zu schwach, um mit uns sprechen zu können. In Indien werden die Krankenhäuser ganz anders betrieben als in den Vereinigten Staaten oder in Europa. Die Angehörigen des Patienten versorgen den Kranken mit Nahrung und pflegen ihn auch größtenteils. Von Herzen gern übernahm ich diese Aufgaben für die folgenden neun Tage.

Ich ging jeweils am Nachmittag ins Krankenhaus und verbrachte die Nacht bei Vater. Er wurde intravenös ernährt, doch von Zeit zu Zeit gaben wir ihm auch mit dem Löffel etwas zu essen. Wenn er uns deutlich machte, daß er unbequem lag, betteten wir ihn bequemer. Ich hoffte, daß er etwas kräftiger würde, so daß ich mit ihm sprechen könnte, aber mein Wunsch ging nicht in Erfüllung.

Während ich neben Vater saß, nützte ich die Zeit, indem ich in der Bibel las oder in dem Buch Aid to Bible Understanding (Hilfe zum Verständnis der Bibel). Meine Schwägerin sah es und wurde neugierig. Als mein jüngerer Bruder vor etwa drei Jahren heiratete, zog sie in das große Haus meiner Eltern, und ich konnte sehen, daß sie meinen Vater sehr liebgewonnen hatte.

Man war sich unschlüssig darüber, was für Vater getan werden konnte, denn man sah keine Möglichkeit, ganz gleich, was unternommen würde, ihn am Leben zu erhalten. Eines Abends, als meine Schwägerin und ich allein im Krankenhaus waren, fragte sie: „Bist du auch so bestürzt und verwirrt wie die anderen?“

Anfänglich dachte ich, sie beziehe sich auf Vaters Zukunft, daher sagte ich: „Eigentlich nicht.“ Sie wollte wissen, warum nicht. Ich entgegnete, es hänge mit der Bibel zusammen; dieses Buch helfe uns, die Vorsätze unseres Schöpfers zu verstehen. Sie gestand mir, die Bibel, die ich jeweils im Krankenhaus zurückließ, genommen und einige Stellen im ersten Buch Mose gelesen zu haben. Allerdings habe sie vieles nicht verstanden. Sie fragte: „Wer ist der Schöpfer?“

Jeder von uns beiden wußte, daß es nach der Hindureligion viele Götter gibt und daß einige als Schöpfer und andere als Zerstörer angesehen werden. Ich schlug Psalm 83:18 auf und bat sie, diesen Text vorzulesen. Sie las den englischen Text recht gut vor. Er lautete: „Damit man erkenne, daß du, dessen Name Jehova ist, du allein, der Höchste bist über die ganze Erde.“

Der Name Jehova war neu für sie; sie wußte nicht, wie er ausgesprochen wurde. Sie begriff jedoch, daß der Gott der Bibel einen Namen hat. Es beeindruckte sie, daß es nach der Lehre der Bibel einen höchsten Gott, dessen Name Jehova ist, gibt, der alles geschaffen hat, und daß dieser Gott ohne Anfang und ohne Ende ist (Offb. 4:11; Ps. 90:1, 2).

Meine Angehörigen wußten bereits, daß ich Christ geworden war. Ich hatte ihnen geschrieben, daß ich mich als ein Vollzeitprediger der Zeugen Jehovas betätigte. In diesen Tagen, in denen Vater mit dem Tod kämpfte, boten sich viele Gelegenheiten für Gespräche über den Tod und das Leben danach.

Die Seele und Gottes Liebe

Wie mein Vater, so hielten auch meine anderen Angehörigen an dem Hinduglauben fest, daß die Seele unsterblich sei und daß das innere Ich — oder das „eigentliche Ich“ — nach dem Tod in einer anderen Form weiterlebe. Doch meine Schwägerin, die Ärztin ist, hatte gegenüber diesem Hinduglauben gewisse Vorbehalte. Daher war sie dem, was die Bibel lehrt, recht zugänglich.

Ich erklärte ihr, daß nach der Bibel die menschliche Seele der Mensch selbst ist, die ganze Person, und daß es keine unsichtbare vom Körper getrennte Seele gibt, die nach dem Tod des Körpers weiterlebt. „Die Seele, die sündigt — sie selbst wird sterben“, heißt es in der Bibel. Ferner lehrt die Bibel „Was die Toten betrifft, sie sind sich nicht des geringsten bewußt“ (Hes. 18:4, 20; Pred. 9:5). Für sie waren das ganz neue Gedanken, doch sie paßten besser zu dem, was sie beobachtet hatte; daher erschienen sie ihr einleuchtend.

Eines Tages hatte ich Gelegenheit, meinem Schwager, der ebenfalls Arzt ist, die Frage zu stellen: „Wer oder was bestimmt, ob die Transmigration der Seele zu einem besseren oder einem schlechteren Dasein führt? Es muß irgend jemand oder etwas sein“, bemerkte ich, „was entscheidet, ob die nächste Existenz besser oder schlechter sein wird.“

Darauf entgegnete er, man könne es sich so vorstellen, daß „Gott“ einen gewaltigen Computer zur Verfügung habe: „Darin speichert er die Daten über unser Karma oder unsere Werke. Wenn die guten die schlechten überwiegen, werden wir zu einem besseren Dasein wiedergeboren. Überwiegen aber die bösen Taten die guten, dann werden wir zu einem schlechteren Dasein wiedergeboren.“

Nach dieser Erklärung bestimmt also das, was der Mensch während seines ganzen Lebens getan hat, ob er zu einem besseren oder schlechteren Dasein wiedergeboren wird. Ich fragte: „Können wir wissen, ob mein Vater zu einem besseren oder zu einem schlechteren Dasein wiedergeboren wird?“

Er sagte, daß wir das nicht wissen könnten, weil wir nicht das ganze Leben unseres Vaters kennen würden. Darauf lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf die Lehre der Bibel, indem ich sagte: „Jehova ist kein Gott, der über das, was wir während unseres ganzen Lebens getan haben, Buch führt. Wir mögen viel Böses verübt haben, aber wenn wir bereuen und uns bessern, vergibt uns Gott unsere bösen Taten und denkt nicht mehr daran. Für ihn zählt nur, was wir von diesem Zeitpunkt an tun.“

Folgender Bibeltext zeigt, wie Jehova mit seinem Volk handelt: „So fern der Sonnenaufgang ist vom Sonnenuntergang, so weit hat er unsere Übertretungen von uns entfernt. Wie ein Vater seinen Söhnen Barmherzigkeit erweist, hat Jehova denen Barmherzigkeit erwiesen, die ihn fürchten“ (Ps. 103:12, 13). Der Gedanke, daß Jehova Gott die Menschheit so liebevoll behandelt, gefiel meinem Schwager, denn er hatte bis dahin einen ganz anderen Gottesbegriff gehabt.

Besonders meine Schwägerin interessierte sich für die Lehren der Bibel. Sie wollte wissen, was Gott mit der Erde und dem Menschen vorhat. Ich zeigte ihr den Text, aus dem hervorgeht, daß Jehova verheißen hat, „eine neue Erde“ zu schaffen, bestehend aus Menschen, die seinen Willen tun (2. Petr. 3:13). Die Bibel sagt: „Die Sanftmütigen selbst werden die Erde besitzen, und sie werden in der Tat ihre Wonne haben an der Fülle des Friedens“ (Ps. 37:11).

Die Verhältnisse auf der Erde würden dann ganz anders sein als jetzt, fuhr ich fort und las ihr Offenbarung 21:3, 4 vor: „Gott selbst wird bei ihnen sein. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen.“ Diese biblischen Verheißungen überraschten sie. Ihr Interesse wuchs, und sie wünschte, mehr zu hören.

Wandel der Sitten

Schon nach wenigen Tagen merkte ich, daß sich die Sitten stark gewandelt hatten. Meine Schwägerin zum Beispiel verkehrte mit anderen Personen ähnlich wie die Frauen in den westlichen Ländern. Wenn sie mit Vater und mir sprach, tat sie das auf direkte Weise. Noch vor zwanzig Jahren hätte sie wahrscheinlich den Kopf abgewandt oder ihr Gesicht mit dem Sari bedeckt, wenn sie mit mir gesprochen hätte, weil ich ihr Schwager und älter war. Vermutlich hätte sie sich auch nie mit mir allein in einem Zimmer aufgehalten.

Offensichtlich sprechen heute junge Leute beiderlei Geschlechts miteinander, denn es ist jetzt keine Seltenheit mehr, daß man sich seinen Ehepartner selbst wählt. Ich erfuhr sogar, daß Schüler und Schülerinnen miteinander Ausflüge machen. Als ich noch zur Schule ging, wäre das undenkbar gewesen. Ich beobachtete jedoch, daß meine Mutter und andere ältere Frauen immer noch an den alten Sitten festhielten.

Vaters Tod

Vaters Zustand verschlechterte sich zusehends. Wir holten ihn daher aus dem Krankenhaus nach Hause, damit er zu Hause sterben könnte. In den frühen Morgenstunden des Sonntags, 7. März, konnte man sehen, daß der Tod nahte. Als sich die ganze Familie um Vaters Bett versammelt hatte, hauchte er sein Leben aus.

Mein Schwager bat mich, ihm das Stethoskop zu reichen. Er setzte es Vater auf die Brust und zog dann mit einer traurigen Miene das Laken über dessen Kopf. Es war 3.30 Uhr. Vater war tot. Er war nur 58 Jahre alt geworden. Mutter brach in Weinen aus, und auch die anderen weiblichen Familienangehörigen weinten.

Was danach vor sich ging, verriet den großen Einfluß der religiösen Überzeugung. Meine Schwägerin ging hinaus, während ihr noch die Tränen über die Wangen rollten, und kam mit frischem Kuhdung zurück. Sie zog damit quer über den Fußboden einen etwa 1,5 Meter langen Strich. Dann sprengte sie Wasser vom Ganges auf den Fußboden. Anschließend wurde auf dieser Stelle ein weißes Laken ausgebreitet und Vaters Leiche darauf gelegt.

Dem Hindu ist alles an der Kuh heilig, auch ihr Dung. Das Wasser des Ganges gilt ebenfalls als heilig. Der Teil des Fußbodens, der mit Dung und Wasser behandelt worden war, galt jetzt als gereinigt. Vor der Leiche wurde süßlich riechender Weihrauch verbrannt. Man glaubt, daß dadurch die Luft gereinigt wird und reine Geister angelockt werden.

Gleich darauf wurde ein Hindugebet gesprochen. Mein Schwager übernahm die Führung, und die anderen konnten, wenn sie wollten, mitbeten. Zu einer bestimmten Melodie wurden immer wieder die Worte „Shri Rama Jay Rama Jay Jay Rama“ wiederholt. Rama ist der Name eines Hindugottes, und die Worte bedeuten „Möge Rama siegreich sein“. Dieses Gebet soll die Trauernden beruhigen und ihnen helfen, sich auf Gott zu konzentrieren. Zumindest scheint es als Ersatz für das Weinen zu dienen.

In der Zwischenzeit benachrichtigten zwei Boten Freunde und Verwandte vom Tod meines Vaters. Ein Freund verbreitete die Trauerbotschaft über Telefon. Der Leichenzug sollte um 7.30 Uhr, nur vier Stunden nach Vaters Tod, vom Hause weggehen.

Vorbereitung der Leiche

Mein älterer Bruder bestrich Vaters Stirn mit gemahlenem Sandelholz, das mit Wasser vermischt war. Dann trug er einen roten Puder, kanku genannt, auf Vaters Stirn auf und besprengte sein Gesicht mit Wasser vom Ganges. Darauf umschritt er Vaters Leiche fünfmal. Diese Zeremonie wird prudikchana genannt. Schließlich schrie er dreimal in Vaters Ohr: „Hari ohm Tatsat!“ Hari ist der Name eines weiteren Hindugottes; diese Worte bedeuten daher „Preise Gott“. Auf diese Weise will man die Seele zum Verlassen des Körpers bewegen, damit sie Gott weiter lobpreise. Andere Anwesende taten dasselbe.

Danach gingen alle hinaus außer den allernächsten Angehörigen. Die Leiche wurde entkleidet und gewaschen, und dann wurde sie mit kanku bestreut. Während das getan wurde, murmelten einige der Anwesenden mantras (Gebete) in Sanskrit. Ein Gebet wurde auch in meiner Muttersprache, Gudscharati, gesprochen. Es lautete: „O Herr! Nimm doch bitte die Seele dieses Mannes auf, und möge seine Seele in Frieden ruhen.“ Darauf wurde die Leiche, außer dem Gesicht, mit einem weißen Tuch und leuchtend roter Seide zugedeckt und auf eine Bahre gelegt.

Die Bahre wurde im Zimmer hergestellt. Zwei Männer, die diese Arbeit von Berufs wegen verrichten, haben eine solche Bahre in einer halben Stunde fertig. Sie besteht aus zwei etwa 3 Meter langen Bambusstäben und aus rund zwölf Bambusstäben als Querstücke. Alle wurden mit einem Seil zusammengebunden. Dann legte man die Leiche darauf und band sie mit einer Schnur fest. Ganz zum Schluß legte man um Vaters Hals eine Menge Blumen.

Der Leichenzug

Meine beiden Brüder, einer meiner Vettern und ich trugen Vaters blumengeschmückte Leiche aus dem Haus. Als wir ins Freie traten, begannen die Frauen laut zu weinen. Das sollte das letzte Mal sein, daß sie Vater sehen würden, denn die Frauen sind vom Leichenzug ausgeschlossen.

Vor dem Haus warteten Männer, die weiß oder mindestens hell gekleidet waren und ein Handtuch um den Hals trugen. Sie folgten der Leiche, die durch die Straßen getragen wurde. Da mein Vater ein bekannter Geschäftsmann war, haben ihm etwa fünfhundert Männer das letzte Geleit gegeben, darunter Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Geschäftsleute, Farmer und Philosophen.

Als der Leichenzug einen Weg von 45 Minuten zurückgelegt hatte, gelangte er beim Eingang des Smashan (Einäscherungsplatz) an, wo er stehenblieb. Bis dahin war Vaters Leiche mit dem Kopf voraus getragen worden, was andeutete, daß er auf alles, was er in dieser Welt getan hatte, zurückblickte. Als wir den Smashan betraten, wurde er mit den Füßen voraus getragen. Das deutete an, daß er jetzt dem entgegenschauen sollte, was vor ihm lag.

Einäscherung

An der Einäscherungsstätte findet die eigentliche Verbrennung auf einem zweieinhalb mal drei Meter großen Platz statt. Als wir mit der Leiche eintrafen, begannen vier Männer den Scheiterhaufen aufzubauen. Die erste Schicht bestand aus getrocknetem Kuhdung. Sie war etwas mehr als ein Meter breit, knapp zwei Meter lang und zehn Zentimeter dick. (Kuhdung gilt nicht nur als heilig, sondern er brennt auch sehr gut.) Darauf kamen mehrere Holzschichten und obendrauf die Leiche meines Vaters.

Man entkleidete ihn und nahm auch die Blumen weg. Als nächstes wurde er mit Butter aus Büffelmilch eingerieben. Diese Butter gilt als heilig und ist auch leicht brennbar. Auf die Leiche und rings um die Leiche wurde dann wieder Holz gelegt. Schließlich wurde der Haufen angezündet.

In der ersten Stunde, in der wir das Feuer umstanden, wurden ständig mantras in Sanskrit gemurmelt. Die Männer, die die mantras sprachen, riefen im Anschluß an jedes dieser Gebete: „Swaha!“, was „So sei es“ bedeutet.

Als Zeichen des Einverständnisses goß mein jüngerer Bruder bei jedem „Swaha“ Büffelbutter und mein älterer Bruder samagri, eine süßlich riechende, brennbare Mischung, ins Feuer. Die mantras sollen zum Nutzen der Seele gesprochen werden. Eines dieser Gebete lautet zum Beispiel: „Möge die Seele, die unsterblich ist, in ihren Bemühungen, sich Gott zu nahen, fortfahren.“

Nach zwei Stunden war die Leiche verbrannt. Ein Teil der Asche wurde in einen Tonkrug eingesammelt. Später würde mein Bruder sie in den Ganges streuen. Alle Anwesenden nahmen nachher in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten der Einäscherungsstätte ein Bad.

Eine Grundlage für wahren Trost und eine echte Hoffnung

An der Einäscherungsstätte sind viele Bilder zu sehen, auf denen die Lehren des Hinduismus dargestellt sind. Mir fiel sofort der sogenannte „Kreislauf des Lebens“ auf. Auf einem riesigen Kreis waren sieben Szenen abgebildet. Die erste zeigte die Geburt eines Kindes. Die zweite ein Kind, das zur Schule geht. Die dritte ein Paar, das heiratet. Die vierte einen Ausschnitt aus dem Familienleben. Die fünfte Krankheit und Alter. Die sechste den Tod des Menschen. Und die siebente, wie der Verstorbene zum Einäscherungsplatz getragen wird.

Dieser Kreislauf des Lebens wird in der Hindureligion als etwas Normales dargestellt, als etwas, was so sein müßte. Nach diesem Kreislauf wird es Krankheit und Tod immer geben. Vermittelt eine solche Lehre einem Trauernden wahren Trost und eine echte Hoffnung?

Nachdem wir uns gebadet hatten, kehrten wir nach Hause zurück. An jenem Abend, als jeder mit irgend etwas beschäftigt war, bemerkte ich, daß meine Schwägerin still vor sich hin weinte. Ich fragte sie: „Warum weinst du?“ Sie entgegnete, daß sie den Vater sehr vermissen werde, ja, daß sie ihn bereits vermisse.

Wir sprachen daher wieder von Jehova Gott, und ich fragte sie: „Hat dich das, was du über Jehova kennengelernt hast, glücklich gemacht?“ Sie entgegnete: „Ja, wenn sich alles das bewahrheitet, haben wir sicherlich Grund, uns zu freuen.“

Bisher hatte ich noch nichts von der Auferstehung gesagt, doch nun fragte ich sie: „Was würdest du sagen, wenn du meinen Vater so, wie du ihn gekannt hast, wiedersehen könntest? Würdest du dich darüber freuen?“ Natürlich bejahte sie die Frage.

Ich schlug meine Bibel auf und las ihr den Text aus Apostelgeschichte 24:15 vor, der lautet: „Ich habe die Hoffnung zu Gott, welche diese Männer auch selbst hegen, daß es eine Auferstehung sowohl der Gerechten als auch der Ungerechten geben wird.“ Das Wort „Auferstehung“ hatte sie noch nie gehört; es war ein ganz neuer Gedanke für sie. Ich erklärte ihr, daß die Auferstehung keine Wiedergeburt oder Reinkarnation sei, sondern daß der Mensch, der im Tod absolut ohne Bewußtsein sei, vom Tode wieder ins Leben zurückkehre. Ich erklärte ihr, daß die meisten Leute, die gelebt hätten, erst auferweckt würden, wenn auf der Erde bessere Verhältnisse herrschten.

Es fiel ihr nicht schwer, diese Lehre zu verstehen, denn es lag ihr wirklich daran, kennenzulernen, was die Bibel lehrt. Außerdem konnte sie diese Lehre mit der hinduistischen Auffassung von einer Reinkarnation vergleichen. Auch der Hinduismus lehrt, daß der Mensch wieder auf der Erde erscheint, aber als eine andere Person, weil die Seele angeblich in einen Mutterleib eingeht und als jemand anders wiedergeboren wird. Doch wenn dem so wäre, könnte sie den wiedergeborenen Vater niemals wiedererkennen. Die biblische Lehre von der Auferstehung sagte ihr zu, denn mein Vater fehlte ihr, und sie sehnte sich danach, ihn wieder so zu sehen, wie sie ihn gekannt hatte.

Ferner machte ich sie darauf aufmerksam, daß der Mensch nach der Lehre von der Reinkarnation in das gegenwärtige System zurückkehre, wo die Menschen krank würden und stürben. Doch die Auferstehung werde erst sein, wenn Jehova Gott durch seine Königreichsregierung das gegenwärtige verderbte System beseitigt haben werde (Matth. 6:9, 10; Dan. 2:44). In Gottes neuem System der Dinge würden die Verhältnisse herrschen, die in Offenbarung 21:3, 4 beschrieben würden. Krankheit, Trauer, ja sogar den Tod werde es dann nicht mehr geben.

Hilfe notwendig

Meine Schwägerin trocknete ihre Tränen. Sie fühlte sich erleichtert. Aber in wenigen Tagen würde ich abreisen, und sie fragte sich: „Wer wird mich dann unterrichten? Wie kann ich die Bibel verstehen lernen?“

Ich gab ihr eine Bibel sowie einige Schriften als Leitfaden zum Bibelstudium und lenkte ihre Aufmerksamkeit besonders auf die Broschüre Das Leben hat weit mehr zu bieten! Ich zeigte ihr, wie sie damit ein Bibelstudium betreiben konnte. In unserem jüngsten Briefwechsel haben wir diese Broschüre als Grundlage für die Behandlung biblischer Themen benutzt.

In Jamnagar gibt es keine Zeugen Jehovas, aber auch in jenem ganzen Teil Indiens nicht. Doch ich freute mich, bei diesem Besuch feststellen zu können, daß besonders junge Menschen nach etwas anderem suchen und die Wahrheit des Wortes Gottes vielleicht annehmen würden, wenn man ihnen die nötige Hilfe leisten würde. Ich hoffe — sofern es Gottes Wille ist — einigen dieser Menschen helfen zu dürfen, die Wahrheit über Jehova, den lebendigen Gott, kennenzulernen, die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt (Joh. 17:3). (Eingesandt.)

[Herausgestellter Text auf Seite 19]

„Ich fragte: ,Können wir wissen, ob mein Vater zu einem besseren oder schlechteren Dasein wiedergeboren wird?‘“

[Herausgestellter Text auf Seite 21]

„Nach zwei Stunden war die Leiche verbrannt.“

[Herausgestellter Text auf Seite 23]

„Die biblische Lehre von der Auferstehung sagte ihr zu.“

[Bild auf Seite 17]

Meine Schwester und meine Schwägerin

[Bild auf Seite 20]

„Dem Hindu ist alles an der Kuh heilig, auch ihr Dung“

[Bild auf Seite 22]

Das Monument, das den „Kreislauf des Lebens“ darstellt

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