Dankbar dafür, von Kindheit an in Gottes Wegen erzogen worden zu sein
Von Rose Cuffie erzählt
IN Kapitel 22, Vers 6 des Bibelbuches „Sprüche“ wird gesagt: „Erziehe einen Knaben gemäß dem Wege für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen.“ Da dieser Grundsatz auch für Mädchen gilt, bin ich meinen Eltern tief dankbar dafür, daß sie mich so erzogen haben.
Ich bin 1919 auf Trinidad geboren. Damals halfen christliche Zeugen Jehovas meinen Eltern, ein Verständnis der Bibel zu erlangen. Meine Eltern begannen daher schon früh, ihre zehn Kinder in den Wegen Gottes zu erziehen.
Sie belehrten uns oft an Hand von Bildern wie den Bildern in dem Buch „Das Photo-Drama der Schöpfung“, einer Darstellung des Inhalts der Bibel in Wort und Bild. Meine Eltern zeigten mir zum Beispiel ein Bild, auf dem zu sehen war, wie Noah die Arche baute, und fragten mich: „Warum wurde Noah während der Sintflut bewahrt?“ So lernte ich schon früh, daß Noah und seine Angehörigen die Sintflut überlebten, weil sie gerecht waren. Das beeindruckte mich tief und weckte in mir den Wunsch, wie Noah zu sein und niemals wie die Menschen die in der Sintflut umkamen.
Meine Eltern benutzten bei unserer Erziehung aber nicht nur Bilder, sondern auch Erfahrungen, die sie gemacht hatten und die uns helfen sollten, die Grundsätze der Bibel zu verstehen. Mein Vater berichtete mir zum Beispiel eine Erfahrung, durch die ich lernte, daß wahre Christen ihren Glauben niemals verleugnen. Als ich etwa fünf Jahre alt war, hatte sein Chef unter dem Einfluß eines Geistlichen zu ihm gesagt: „Sie haben dreißig Tage Zeit, um es sich zu überlegen, ob Sie sich für Gott oder für Ihre Arbeit entscheiden wollen.“ Mein Vater erzählte, er habe gewußt, daß Gott wichtiger sei als die Arbeit, und keinen Tag gebraucht, um sich zu entscheiden. Darauf wurde er sofort entlassen und war nun auf Tobago, etwa fünfzig Kilometer nördlich von Trinidad, ohne Arbeit. Doch mein Vater war glücklich, daß er sich für Gott entschieden hatte. Jehovas Geist trieb seine christlichen Brüder auf Trinidad an, uns zu helfen, dorthin zurückzukehren.
Ich erinnere mich auch, daß wir zu Hause oft Lieder zum Preise Jehovas sangen; das gefiel mir, und die Lieder trugen viel zu meiner Erziehung bei. Mein Vater kaufte ein Liederbuch, das die Watch Tower Society im Jahre 1925 hauptsächlich für Kinder herausgegeben hatte; es war ein kleines gebundenes Buch, das achtzig Lieder enthielt und den Titel „Königreichslieder“ trug. Diese Lieder lehrte er uns, und nachdem wir sie konnten, pflegten wir sie zu Hause bei der Arbeit zu singen.
Einige Strophen des Liedes „Bin ich arm, bin ich in Not“ habe ich noch im Gedächtnis. Die erste Strophe lautete: „Bin ich arm, bin ich in Not, sorgt für mich der große Gott; Obdach, Kleidung, Brot versagt er nicht, denn er hält, was er verspricht.“ Die dritte Strophe lautete: „Und wenn ich leide für eine Zeit, Gott sagt: Vorüber ist bald alles Leid. Und alle, die dann werden leben, empfangen Gottes verheißenen Segen.“ Dieses Lied lehrte mich, Gott für alles, was ich bekam, zu danken, zufrieden zu sein und auf Gott zu vertrauen, daß er mich segne.
Zu meiner Erziehung gehörte auch — das war ein ganz wichtiger Bestandteil —, daß meine Eltern mich stets zu den Zusammenkünften der Christenversammlung mitnahmen. Manchmal gingen wir zu Fuß, andere Male fuhren wir mit einem „Buggy“ (leichter, ungedeckter, einspänniger Wagen) oder mit einer Pferdekutsche mit zurückschlagbarem Verdeck und einem der Länge nach gehenden Notsitz, auf dem man rittlings oder seitwärts sitzen konnte. Diese Zusammenkünfte spielten in meinem Leben eine wichtige Rolle.
Ich war für die Erziehung in den Wegen Gottes empfänglich, und meine Erkenntnis Jehovas und seines Vorhabens wuchs. Ich begleitete meine Mutter daher auch stets gerne, wenn sie von Haus zu Haus ging, um den Menschen zu predigen. Anfänglich reichte ich jeweils dem Wohnungsinhaber, nachdem meine Mutter gesprochen hatte, ein Buch, eine Broschüre oder einen Handzettel. Im Jahre 1933 begann ich, allein von Haus zu Haus zu gehen. Im März 1939 gab ich mich Gott hin, um ihm zu dienen, und symbolisierte meine Hingabe durch die Wassertaufe.
Da ich in den Wegen Gottes erzogen wurde, empfand ich immer stärker das Bedürfnis, etwas für andere zu tun. Im Jahre 1943 erhielt ich eine vorzügliche Gelegenheit, als ich in einem Gewerkschaftsbüro in Port of Spain arbeitete. Damals waren die biblischen Schriften bei uns verboten, weil die Regierung nicht richtig verstand, worum es bei unserem christlichen Werk ging. Das Büro, in dem ich arbeitete, konnte jedoch ohne weiteres alle möglichen ausländischen Schriften bekommen; ich ließ mir daher Exemplare der Zeitschrift Der Wachtturm von einem Zeugen aus Grenada an meinen Arbeitsplatz schicken. Ich erhielt allerdings nicht genügend Exemplare für jedes Glied der Versammlung, aber wir machten Abschriften davon, so daß eine größere Anzahl Versammlungsglieder diese wichtige Nahrung erhalten konnte.
VOLLZEITPREDIGTDIENST — MEIN LEBENSZIEL
Da ich für die Erziehung meiner Eltern empfänglich war, besuchte ich regelmäßig die Zusammenkünfte der Christenversammlung und las die Schriften der Watch Tower Society. Diese Schriften, insbesondere ein Artikel des Wachtturms aus dem Jahre 1945, in dem das 12. Kapitel des Bibelbuches „Prediger“ behandelt wurde, übten einen großen Einfluß auf mich aus. Den tiefsten Eindruck auf mich machten die Verse eins und drei jenes Kapitels: „Gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugendzeit, ehe die Tage des Übels kommen, und die Jahre herannahen, von welchen du sagen wirst: Ich habe kein Gefallen an ihnen; an dem Tage, da die Hüter des Hauses zittern, und sich krümmen die starken Männer, und die Müllerinnen feiern, weil ihrer wenig geworden, und sich verfinstern die durch die Fenster Sehenden“ (Elberfelder Bibel).
In dem Artikel wurde dargelegt, daß junge Menschen Gott dienen sollten, ehe „die Tage des Übels“ kommen, das heißt, ehe sie alt werden und unter den mit dem Alter verbundenen körperlichen Beschwerden zu leiden beginnen. Da ich bereits 26 Jahre alt war, dachte ich, daß ich die Tage meiner Jugend schon bald hinter mich gebracht hätte und daß ich jetzt nicht mehr länger warten dürfte. Ich unternahm die notwendigen Schritte, um die Tätigkeit eines Vollzeitpredigers des Wortes Gottes zu meiner Lebensaufgabe machen zu können.
Im August 1946 gab ich meine weltliche Arbeit auf und begann auf Grenada mit dem Vollzeitpredigtdienst. Auf dieser Insel verbrachte ich drei Jahre; und zwei Personen, mit denen ich die Bibel studierte, ließen sich taufen.
Im Jahre 1949 kehrte ich nach Trinidad zurück, um einen christlichen Kongreß zu besuchen; bei dieser Gelegenheit erhielt ich ein Bewerbungsformular für die Missionarschule Gilead. Ich füllte das Formular aus, denn ich war bereit, alles zu tun, wozu Jehova mich anleitete, und für mich war die Gelegenheit, für die Missionartätigkeit geschult zu werden, ein Beweis des Segens Jehovas. Am 29. Januar 1950 verließ ich Trinidad und reiste nach New York, um als Schülerin der 15. Klasse die Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen.
DAS LEBEN AUF DER GILEADSCHULE
Auf der Gileadschule lernte ich vieles über den Inhalt der Bibel, was mir bis dahin unbekannt gewesen war, obwohl ich sie gelesen hatte; das vertiefte meine Erkenntnis Jehovas und seines Vorhabens. Nach dem Schulunterricht flickte ich jeweils Kleider oder stopfte Socken, machte Betten oder pflückte Erdbeeren. Die 15. Klasse bestand aus 120 Studenten, alles fleißige Leute. Ich empfand es als sehr nützlich, mit so vielen anderen zusammen zu leben, zusammen zu studieren und zusammen zu arbeiten, denn dadurch lernte ich, mich an der Gemeinschaft der verschiedenen Arten von Menschen, die es in Jehovas Organisation gibt, zu erfreuen.
Die Abschlußfeier fand am ersten Tag des Kongresses „Mehrung der Theokratie“ statt, der vom 30. Juli bis 6. August 1950 im Yankee-Stadion in New York abgehalten wurde. Anläßlich dieser Feier gaben die an der Schule als Unterweiser tätigen Brüder, der Präsident und der Vizepräsident der Gesellschaft den scheidenden Studenten noch vorzüglichen Rat und ermunterten sie. Die Ansprache „Der Weg des Erfolges“, die sich auf Josua 1:8 stützte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich erinnere mich noch an die Einführung: „Jehova leitet eine theokratische Schule des Erfolges. Sie ist ohnegleichen auf der Erde. Diese Schule besteht seit der Zeit, da der beste aller Unterweiser sie absolvierte, das war vor neunzehnhundert Jahren.“ Es wurde uns gesagt, der Abschluß unserer Ausbildung in Gilead bedeute nicht, daß wir jetzt nicht mehr studieren müßten und nicht mehr geschult würden, sondern jetzt wären wir in Gottes Augen noch mehr verpflichtet, mit dem Studium fortzufahren und mit der erlangten Erkenntnis anderen zu helfen, auf den Weg des Lebens zu gelangen.
Bis dahin war ich noch nie mit so vielen Gliedern des Volkes Jehovas zusammen gewesen. Und noch nie zuvor war es mir so bewußt geworden, daß eine Erziehung in Gottes Wegen von Kindheit an zu solchen Segnungen führt.
Am 1. Oktober reiste ich nach Guyana (Südamerika) ab, in meine neue Heimat, um als Missionarin im Königreichsdienst tätig zu sein.
MISSIONSTÄTIGKEIT IN GUYANA
Als ich in Guyana eintraf, stellte ich fest, daß dieses Land ebenfalls tropisches Klima hatte, ähnlich wie Trinidad, woher ich kam. Hier wuchsen die gleichen Früchte wie auf Trinidad: Baummelonen, Ananas, Mangos, verschiedene Bananensorten usw. Da meine neue Heimat sich so wenig von meiner alten unterschied, fiel es mir leicht, mich einzuleben.
Wenn man auf einer der Straßen Georgetowns, der Landeshauptstadt, steht und den Menschen biblische Zeitschriften anbietet, sieht man viele Afrikaner, Indianer, Chinesen, Inder und Portugiesen. Diese Leute verstehen alle Englisch, weil Englisch die Amtssprache ist. Im Jahre 1952 wurden meine Partnerin und ich einer kleinen Versammlung in Hope Town zugeteilt. Diese Ortschaft liegt etwa 20 Kilometer von New Amsterdam entfernt, am jenseitigen Ufer des Berbice. Am ersten Sonntag, nachdem wir unsere neue Zuteilung erhalten hatten, fuhren wir um 6.15 Uhr mit dem Boot, das uns über den Fluß bringen sollte, los. Wir nahmen auch unsere Fahrräder mit. Damit fuhren wir dann etwa 10 Kilometer weit bei strömendem Regen, um mit unserer Tätigkeit zu beginnen. Und sie erwies sich als fruchtbar. Ich begann mit einem jungen Mädchen die Bibel zu studieren. In der darauffolgenden Woche waren auch seine Großeltern, seine Mutter und zwei jüngere Schwestern beim Studium anwesend, und ein Bruder und eine Schwester, die nicht zu Hause wohnten, nahmen jeweils am Studium teil, wenn sie zu Besuch kamen. Alle acht wurden schließlich christliche Zeugen Jehovas.
Im Jahre 1953 erhielten wir das Vorrecht, den Menschen, die am Ufer des Berbice wohnen, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu bringen. Wir benutzten das Schiff, das zweimal wöchentlich von New Amsterdam nach Paradise fährt. Es braucht dazu etwa zwanzig Stunden. Zwei meiner christlichen Schwestern aus der Versammlung begleiteten mich. Wir hatten vor, eine Woche lang in diesem Gebiet die gute Botschaft zu predigen. Kaum waren wir an Bord des Schiffes, lernten wir eine Familie kennen, der wir von unserer Tätigkeit erzählten. Der Mann und die Frau baten uns, sie zuerst zu besuchen und sie in der Bibel zu unterweisen. Wir nahmen ihre Einladung an.
Doch dann zeigte es sich, daß diese Leute, obwohl sehr gastfreundlich, nicht besonders daran interessiert waren, etwas über Gottes Königreich zu erfahren. Daher verabschiedeten wir uns am darauffolgenden Morgen von ihnen. Jeden Tag zogen wir ein Stück weiter flußaufwärts. Wir benutzten einen Pfad entlang dem Ufer; gelegentlich konnten wir aber auch in einem kleinen Boot mitfahren. Wir predigten jedem, dem wir begegneten.
Als unsere Lebensmittelvorräte zur Neige gingen, stellten wir fest, daß es weit und breit keinen Laden gab, in dem wir etwas hätten kaufen können. Wir riefen uns in Erinnerung, daß Jehova für seine Diener, die treu seinen Willen tun, stets sorgt. Das tat er auch für uns; jemand anerbot sich, uns in seinem Boot flußaufwärts an einen Ort zu fahren, wo wir Nahrungsmittel einkaufen könnten.
Wie glücklich waren wir, den vielen Menschen, die an diesem Fluß leben, die gute Botschaft überbracht zu haben! Eines der Mädchen der Familie, bei der wir zuerst übernachtet hatten, ist jetzt verheiratet; wir trafen die junge Frau vor einiger Zeit in einem Laden. Sie bat uns, sie zu besuchen, um mit ihr und ihren Kindern die Bibel zu studieren.
Im Jahre 1963 wurde mir ein Gebiet in Georgetown zugeteilt; in dieser Stadt durfte ich vielen Menschen helfen, Gottes Wahrheiten kennenzulernen, und in Verbindung mit dieser Tätigkeit wurde ich reich gesegnet. Wenn ich Bibelstudien durchführe, mache ich es, wie es meine Eltern mit mir gemacht haben, ich benutze Bilder, um den Kindern, die noch nicht lesen können, zu helfen, aufmerksam zu bleiben und zu lernen, aber auch, um es Erwachsenen zu ermöglichen, einen Gedanken besser zu begreifen, der durch ein Bild veranschaulicht wird.
Auch mit Liedern und Erfahrungen habe ich andern helfen können, ähnlich wie meine Eltern mir damit geholfen haben. Vor kurzem besprach ich zum Beispiel mit einer meiner christlichen Schwestern, die entmutigt war, das Lied Nr. 87 in dem Liederbuch „Singt und spielt dabei Jehova in euren Herzen“. Dem Lied liegt Psalm 55 zugrunde, und es ist überschrieben: „Wirf die Bürden auf Jehova!“ Das half ihr, ihre Bürde auf Jehova zu werfen, und ich ermunterte sie, immer, wenn sie niedergeschlagen sei, das Lied zu singen. Wie ich anderen durch Erfahrungen helfe, zeigt folgendes Beispiel: Eine Frau, mit der ich die Bibel studiere, wurde durch eine Erfahrung, die ich ihr erzählte, angeregt, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Die Erfahrung zeigte nämlich, wie eine andere Erforscherin der Bibel das gleiche Problem überwand.
Im Jahre 1950, dem Jahr, in dem ich nach Guyana kam, verkündigten in diesem Land 206 Personen die gute Botschaft von Gottes Königreich. Jetzt sind es zufolge der fleißigen Arbeit vieler Zeugen Jehovas über tausend.
Es hat sich für mich als ein Segen erwiesen, daß ich den Vollzeitpredigtdienst zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe. Ich bin dadurch Jehova nähergekommen, denn ich verbringe mehr Zeit damit, Aufschluß über ihn zu erlangen und andere über ihn zu belehren. Wie ich diese Nähe empfinde, wird in Psalm 125:2 wie folgt ausgedrückt: „Jehova [ist] rings um sein Volk her von nun an bis auf unabsehbare Zeit.“
Wie dankbar bin ich, daß meine Eltern mich in Gottes Wegen erzogen haben!