„Nicht für allen Tee Chinas!“
DER Lauf der Geschichte wurde durch ihn geändert. Seinetwegen wurde die damals mächtigste Handelsgesellschaft gegründet. Niederländische Seeleute reisten Tausende von Kilometern, um ihn zu finden. Er ist das beliebteste Getränk der Welt, Wasser ausgenommen. Was ist es? Tee!
Hast du dich je gefragt, wie der Tee so beliebt geworden ist? Woher ist er gekommen? Wie zahllose andere Neuheiten stammt er aus China. Ungefähr 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung spielte Konfuzius in einem seiner Gedichte auf Tee an. Die Geschichte berichtet von einem chinesischen Kaiser, der 300 Jahre später die leeren Staatskassen durch eine Teesteuer wieder auffüllte.
Es mangelt zwar nicht an Legenden über den Ursprung des Tees; wie er aber wirklich entdeckt wurde, ist wohl kaum herauszufinden. Eine Geschichte bringt ihn mit Kaiser Shen Nung in Verbindung, der nur abgekochtes Wasser trank, wenn er durch das Land reiste. Einmal soll ein Zweig eines brennenden Strauchs in das bereits kochende Wasser geweht worden sein. Zu seiner großen Überraschung hätte der Kaiser bemerkt, daß sein Getränk jetzt äußerst angenehm schmeckte und ein wunderbares Aroma hatte. Er hatte den Tee entdeckt!
Gemäß einer zweiten Legende glaubte ein gewisser Bodhidharma, ein Jünger Buddhas, daß wahre Heiligkeit nur durch beständige Meditation, Tag und Nacht, erreicht werden könne. Während einer seiner langen Wachen überwältigte ihn schließlich der Schlaf. Um nicht ein zweites Mal einer so niedrigen menschlichen Schwäche zu erliegen, schnitt er sich die Augenlider ab. Diese fielen auf den Boden und begannen auf wundersame Weise zu sprießen. Am nächsten Tag war ein grüner Strauch zu sehen. Er probierte die Blätter und stellte fest, daß sie wohlschmeckend und belebend waren. Es war der Teestrauch!
Tee erobert den Fernen Osten
Es dauerte nicht lange, bis der Tee Japan eroberte. Im neunten Jahrhundert brachten buddhistische Mönche aus China den „Teekessel in ihrem Rucksack“ mit. Tee wurde unter den Japanern so beliebt, daß 400 Jahre später ein „hochformelles Ritual“ des Zubereitens und Servierens von Tee, Tschanoju genannt, ein nationaler Brauch war.
Die Japaner hielten sich peinlich genau an eine Teezeremonie. Zur gleichen Zeit war der Tee in China kaum wohlschmeckend. Chinesische Dichter bezeichneten Tee zwar als „den Schaum flüssiger Jade“, aber er glich mehr einer Suppe. Die üblichen Rezepte der damaligen Zeit waren: grüne Teeblätter in Salzwasser gekocht und manchmal mit Ingwer und Zimt oder sogar mit Zwiebeln gewürzt oder aber mit Milch und Reis gekocht.
Dennoch schrieb immerhin ein Chinese das erste Buch über das Zubereiten von Tee. Lu Yu veröffentlichte um 780 u. Z. Tscha-King (Das Buch vom Tee), das kurz darauf die „Tee-Bibel“ für die Teeliebhaber des Fernen Ostens wurde. Unter dem Einfluß dieses Gelehrten entwickelte China seine Teebräuche weiter. Das Getränk wurde auf feinere und dennoch einfachere Weise zubereitet. Man goß kochendes Wasser über die getrockneten Teeblätter und fügte höchstens eine Prise Salz als einziges Zugeständnis an die alten, lange in Ehren gehaltenen Rezepte zu. Lu Yu erkannte, daß die Güte des Tees im wesentlichen von seinem Aroma abhängt. Er stellte fest, daß Geschmack und Qualität des Tees nicht nur von dem eigentlichen Teestrauch, sondern noch mehr von anderen Faktoren bestimmt werden, z. B. dem Erdboden und dem Klima, ähnlich wie beim Wein. Das erklärt, warum er sagen konnte, daß es „Tausende und aber Tausende“ Teesorten gäbe.
Schon bald begannen die Chinesen, Tees zu mischen, und Hunderte verschiedener Sorten wurden auf den Markt gebracht. Es ist nicht verwunderlich, daß das Land, das der Welt den Tee bescherte, ihm auch seinen überall gebräuchlichen Namen gab. Er stammt von einem Schriftzeichen des Amoy-Chinesisch.
Europa entdeckt den Tee
Es verging viel Zeit, bis die Europäer an Tee Geschmack fanden. Obwohl Marco Polo (1254 bis 1324), ein venezianischer Kaufmann und Abenteurer, ausgedehnte Reisen durch China unternommen hatte, erwähnte er in seinen Reiseberichten den Tee nur ein einziges Mal. Er berichtete von einem chinesischen Finanzminister, der entlassen wurde, weil er eigenmächtig die Teesteuer erhöht hatte. Ungefähr 200 Jahre später beschrieb Giovanni Battista Ramusio, ebenfalls Venezianer, in Europa erstmals ausführlich, wie man den Tee herstellte und wozu man ihn gebrauchte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden die ersten Proben dieses exotischen, neuen Getränks, die anfänglich so teuer waren wie Gold, in europäischen Apotheken verkauft. Daher verwundert es nicht, daß die ursprünglich aus Australien stammende Redewendung: „Nicht für allen Tee Chinas!“ bedeutet: „Ganz bestimmt nicht!“
Inzwischen hatten die Niederländer begonnen, mit dem Fernen Osten Handel zu treiben, und Tee war einer ihrer exotischen Importe. Johan Nieuhof, ein wagemutiger Kaufmann, berichtete über seine endlosen Verhandlungen mit chinesischen Mandarinen, Verhandlungen, die gewöhnlich mit einem Bankett gekrönt waren, bei dem ein Getränk serviert wurde, das er verächtlich „Bohnensuppe“ nannte. Er beschrieb, wie es zubereitet wird, und erwähnte, daß es „so heiß wie möglich soupiert werde“. Dann sagte er, daß „die Chinesen dieses Getränk so hüten wie die Alchimisten ihren Lapidum Philosophorum ..., das heißt den Stein der Weisen“. Dennoch lobte er den Tee als ein wirksames, wenn auch teures Heilmittel für alle möglichen Leiden.
Das Getränk, das die Briten aufmuntert
Die Briten sind heute die begeistertsten Teetrinker, doch die Niederländer und die Portugiesen haben dazu beigetragen, sie zum Tee zu bekehren. Man nimmt an, daß Juden, die von Oliver Cromwell eingeladen wurden, aus dem Exil in Amsterdam nach England zurückzukehren, den Tee mitbrachten. Der 23. September 1658 erwies sich für den Tee als ein denkwürdiges Datum. Das erste Mal erschien eine Anzeige für Tee in einer englischen Zeitung. Der Mercurius Politicus kündigte an, daß ein Getränk, das die Chinesen tchan nennen würden, andere Leute jedoch Tee, in Sultan’s Head, einem Kaffeehaus der Londoner Innenstadt, verkauft werde. Drei Jahre später heiratete der englische König Karl II. die portugiesische Prinzessin Katharina von Bragança, eine Teekennerin, die die Teestunde am englischen Hof einführte. Dadurch wurde ein Sieg über alkoholische Getränke errungen, die, wie es hieß, „am Morgen, am Nachmittag und am Abend“ sowohl von Lords als auch von Ladies getrunken wurden. Plötzlich war Tee ein vornehmes Getränk geworden.
Tee, obwohl Tausende von Kilometern entfernt hergestellt, wurde in immer größeren Mengen nach London gebracht. Im Laufe der Zeit erwarb die Ostindische Kompanie die ausschließlichen Tee-Handelsrechte in China, wodurch sie ungefähr 200 Jahre lang ein Monopol für den Handel mit dem Fernen Osten hatte. Fast in ganz Europa fing man an, Tee zu trinken, wenn auch Frankreich nicht zu diesem neuen Getränk bekehrt wurde.
Tee, Steuern und Kriege
Die Beliebtheit des Tees war für verschuldete Regierungen ein unverhoffter Glücksfall. Zuerst wurde auf die tatsächliche Menge Tee, die man in Londoner Kaffeehäusern servierte, täglich eine Steuer erhoben. Dieses mühselige Verfahren erübrigte sich, als 1689 jedes Pfund getrocknete Teeblätter mit einem Zoll belegt wurde. Steuern bis zu einer Höhe von 90 Prozent und die steigende Nachfrage führten dazu, daß sich an der Küste Südenglands der Schmuggel entwickelte, denn auf dem Kontinent war Tee viel billiger. Sogar Tee-Ersatz wurde hergestellt. Gebrauchte Teeblätter wurden mit Melasse und Tonerde behandelt — vermutlich um die ursprüngliche Farbe wiederherzustellen — und dann getrocknet und nochmals verkauft. Ein „Panscher“ produzierte etwas, das „smouch“ genannt wurde, ein scheußlich riechendes Gebräu aus getrockneten, in Schafsdung eingeweichten Eschenblättern, die vor dem Verkauf mit echtem Tee vermischt wurden.
Der Tee änderte sogar den Lauf der Geschichte. Eine Teesteuer von drei Pence pro Pfund löste den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aus. Aufgebrachte Bostoner prangerten diese „geringfügige, aber tyrannische“ Steuer an. Die wütenden Kolonisten, von denen einige als Indianer verkleidet waren, stürmten die Decks der drei „Ostindienfahrer“, die im Hafen festgemacht hatten, brachen die Teekisten auf und warfen die gesamte Ladung über Bord. Daher rührt der Ausdruck „Boston Tea Party“. Der Rest ist Geschichte.
Tee löste einen weiteren Krieg aus: den Opiumkrieg. Man bezahlte China für seine Tee-Exporte mit Silber, da es keinen Bedarf für europäische Waren hatte. Opium war jedoch ein sehr begehrter, wenn auch verbotener Artikel. Die Ostindische Kompanie war schnell dabei, diese Nachfrage zu befriedigen, indem sie Opium gegen Tee tauschte. Die skrupellose Gesellschaft baute in Ostindien Mohn an, um den riesigen chinesischen Markt mit Opium zu beliefern. Dieser illegale Handel, der die zahllosen Opiumhöhlen reichlich versorgte, hielt mehrere Jahrzehnte an, bis die chinesische Regierung ihn schließlich einschränkte. Nach einigem Geplänkel über diese Streitfrage zwischen den Briten und den Chinesen brach ein Krieg aus, der 1842 mit einer demütigenden Niederlage der Chinesen endete. Tee wurde wieder nach England ausgeführt, und China war gezwungen, Opiumeinfuhren hinzunehmen.
Warum nicht Tee trinken?
Schon früh in der Geschichte des Tees stellte man seine anregende Wirkung fest, die größtenteils auf seinen Koffeingehalt zurückzuführen ist. Zuerst wurde Tee in Apotheken verkauft und als Allheilmittel für die verschiedensten Leiden wie Wassersucht und Skorbut betrachtet. Er wurde auch als eine nützliche Arznei gegen Appetitlosigkeit und gegen Völlegefühl genommen. Heute weiß man, daß Tee verschiedene Vitamine des B-Komplexes enthält. Jedoch nimmt man dabei auch mehr Koffein zu sich. Außerdem sollte man in der westlichen, kalorienbewußten Gesellschaft daran denken, daß eine Tasse Tee ohne Milch und Zucker nur vier Kalorien hat.
Tee verdirbt leicht. Man kann ihn nicht länger als einige Monate in Vorrat halten. Und vor allem muß er richtig gelagert werden. Niemals sollte er mit Kräutern oder, was noch schlimmer wäre, zusammen mit Gewürzen aufbewahrt werden. Tee nimmt leicht den Geschmack von etwas an, was neben ihm gelagert wird. Deswegen ließen britische Teeplantagenverwalter im vergangenen Jahrhundert ihre Teepflücker jedesmal duschen, wenn sie zur Arbeit gingen!
Übrigens kann auch Eistee köstlich sein. Auf der Weltausstellung von 1904 in St. Louis konnte ein Engländer seinen dampfenden, heißen Tee nicht an die schwitzenden Besucher verkaufen. Daher goß er ihn einfach über Eis, und Amerikas erfrischendes Sommergetränk war geboren.
Briten trinken ihren Tee mit Milch, Ostfriesen genießen ihn mit „Kluntjes“ (Kandis) und einer „Blume“ aus Rahm, Marokkaner würzen ihn mit Minze, während Tibetaner ihm Salz und Jakbutter hinzufügen. Dennoch halten es viele Teeliebhaber mit Lu Yus Vorschlag und bereiten Tee mit frischem, kochendem Gebirgswasser, sofern es das noch gibt.
Bist du jetzt durstig, nachdem du so viel über Tee gelesen hast? Warum nicht gleich ein Täßchen trinken?
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„Gott sei Dank gibt es Tee! Was täte die Welt ohne Tee? Wie könnte sie bestehen? Ich bin froh, daß ich nicht vor dem Tee geboren wurde“ (Sydney Smith [1771—1845], englischer Schriftsteller).
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Von der Plantage bis zur Teekanne
Heute gibt es Hunderte Varietäten von Teesträuchern, die alle Hybriden der drei hauptsächlichen Arten sind. Teeplantagen findet man gewöhnlich in bergigen Gegenden, wo das Regenwasser abfließen kann. Derzeit ist Assam in der gleichnamigen nordindischen Provinz das größte Teeanbaugebiet. Der „Champagner“ unter den Tees jedoch, sagt man, komme aus Darjeeling in den Ausläufern des Himalaja. Das regnerische Klima und der saure Boden bilden die idealen Voraussetzungen für die besten Tees und machen Darjeeling zum „verheißenen Land“ des Tees.
Die Ernte in Darjeeling ist saisonbedingt. Die Teepflücker sammeln im März und April den „first flush“, aus dem äußerst geschätzter Tee mit einem milden, blumigen Aroma hergestellt wird. Der „second flush“, der im Sommer gepflückt wird, ist ein vollmundiger, bernsteinfarbener Tee, wohingegen die Ernte im Herbst diese hohe Qualität nicht erreicht. Anderswo wird das ganze Jahr über gepflückt mit Pausen von einigen Tagen bis zu ein paar Wochen. Je jünger und weicher die Triebe sind, desto besser wird der Tee. Das Pflücken erfordert viel Geschick und Sorgfalt. Schließlich ergeben etwa 30 000 Triebe — die Tagesarbeit eines geschickten Pflückers — nur 6 kg Darjeelingtee. Das Geerntete ist jedoch noch kein Tee.
Nun beginnt der vierstufige Herstellungsprozeß. Zuerst müssen die jungen grünen Triebe welken; dabei verlieren sie ungefähr 30 Prozent ihrer Feuchtigkeit und werden weich und glatt wie Leder. Als nächstes werden sie gerollt. Dadurch brechen die Zellwände auf, wobei die ätherischen Öle freigesetzt werden, die dem Tee seinen unverwechselbaren Geschmack geben. Während der dritten Stufe verändert sich die Farbe der Teeblätter von Gelblichgrün bis zu ihrem charakteristischen Kupferbraun. Diesen Prozeß nennt man Fermentation. Die gebrochenen Blätter werden in feuchter Atmosphäre auf Tischen ausgebreitet und beginnen zu fermentieren. Dann müssen die Blätter getrocknet oder geröstet werden. Dabei färben sie sich schwarz, und nur wenn man heißes Wasser darübergießt, nehmen sie wieder eine kupferbraune Farbe an.
Schließlich werden die getrockneten Blätter sortiert und in Sperrholzkisten verpackt, die mit Reispapier und Aluminiumfolie ausgeschlagen sind. Nun können sie an Händler in der ganzen Welt versandt werden. Dann, nachdem der Tee gemischt worden ist, kannst du ihn in deiner Kanne aufbrühen.
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Chinesen, die Tee abwiegen
[Bilder auf Seite 16, 17]
Teefabrik (Sikkim, Indien) — rechts
Teepflücken in Indien — ganz rechts
Teeplantage in Sri Lanka — unten rechts
Blätter und Blüten des Teestrauchs — Mitte
Japanische Teepflücker — unten links